Die COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Pandemie brachte einige Probleme in den nationalen Gesundheitssystemen ans Licht und führte bei immer mehr Ärzten zu dem sog. Burnout. In diesem Artikel versuchen wir, das Phänomen des Burnouts und der Substanzabhängigkeit im anästhesiologischen und chirurgischen ärztlichen Personal darzustellen. Dies soll sowohl im Hinblick auf seine Zeitlosigkeit, da diese Fachgebiete für ihre anspruchsvollen, stressigen Arbeitsrhythmen und den direkten Zugang der Ärzte zu hochgradig suchtpotenten Medikamenten bekannt sind, als auch im Hinblick auf die aktuelle Gegenwart, da die COVID-19-Pandemie viele Ärzte beruflich und psychisch an ihre Grenzen gebracht hat, geschehen.

Hintergrund

Burnout – Definition

Burnout wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als ein „berufsbedingtes Phänomen“ und nicht als medizinische Erkrankung eingestuft. Ein diagnostisches Kriterium gibt es daher nicht. Die 11. Revision der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) charakterisiert Burnout durch das Vorhandensein von Energieerschöpfungsgefühlen bzw. Erschöpfung, von erhöhter mentaler Distanz zur Arbeit oder Gefühlen von Negativismus/Zynismus in Bezug auf die Arbeit und von verminderter beruflicher Effizienz [31, 35, 36, 40]. Es liegt auf der Hand, dass das Burnout-Syndrom, das Erschöpfungsgefühl und die mangelnde Arbeitszufriedenheit in erheblichem Maße zur Verschlimmerung von psychischen Störungen und Substanzabhängigkeit beim ärztlichen Personal beitragen können [35, 40].

„Droge“ – Definition

Laut medizinischer Definition werden Drogen als psychoaktive Substanzen bezeichnet, die beim Konsumenten eine Bewusstseinsänderung hervorrufen können. Im pharmazeutischen Sinne handelt es sich um biologisch aktive Stoffe zur Wirkstoffgewinnung oder Arzneimittelherstellung [57]. Eine modernere Definition von Drogen ergibt sich aus dem Gesetz aus der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, in dem Drogen oder Betäubungsmittel als Stoffe mit unterschiedlicher chemischer Struktur und unterschiedlicher Wirkung auf das Zentralnervensystem definiert sind. Diese Suchtstoffe weisen gemeinsame Charakteristika auf, beispielsweise eine Stimmungs- bzw. Verhaltensveränderung des Konsumenten sowie eine Abhängigkeit psychischer oder physischer Art, die jeweils in unterschiedlichem Ausmaß hervorgerufen werden kann [28]. Psychotrope Stoffe können mentale Prozesse, wie z. B. die Selbstwahrnehmung, das Bewusstsein, die Emotionen, das Verhalten und die motorischen Funktionen stark beeinflussen [56]. Wenn sie als Anästhetika im Rahmen der Anästhesie bzw. der Palliativmedizin verabreicht werden, können sie eine Linderung der Symptome und Schmerzen z. B. bei einer bestimmten chronischen Krankheit herbeiführen. Die Verabreichung erfolgt dann bei medizinischer Notwendigkeit [28].

Laut der WHO weisen diese Substanzen Sucht- und Missbrauchspotenzial auf. Folgende Substanzen zählen zu dieser Gruppe: Alkohol, Amphetamine und ihre Analoga, Koffein, indischer Hanf, Kokain, Heroin und andere injizierbare Substanzen, Nikotin, Opioide, Phencyclidin und seine Analoga [28]. Darüber hinaus ist für einige der oben genannten Substanzen bei Beendigung oder Reduktion eines chronischen Konsums das Auftreten eines Entzugssyndroms beschrieben, welches zum einen substanzspezifisch ist und zum anderen durch körperliche, psychische und kognitive Anzeichen und Symptome gekennzeichnet ist [28, 56].

Materiale und Methoden

Die Studie wurde nach den PRISMA(Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses)-Standardrichtlinien 2020 durchgeführt ([42]; Abb. 1). Nach der Fragestellung „Welche Gründe gibt es für das Auftreten einer Substanzabhängigkeit und einem Burnout bei Chirurgen und Chirurginnen und Anästhesisten und Anästhesistinnen zeitlos und während der COVID-19-Pandemie und welche Verbesserungsmaßnahmen könnten im klinischen Alltag helfen?“ wurde eine elektronische Suche nach Titeln, Abstracts und Schlagwörtern in den Datenbanken PubMed/MEDLINE und Google Scholar durchgeführt. Die Suchbegriffe waren sowohl im Englischen als auch im Deutschen die folgenden: („surgeons“ OR „anaethesiologists“ OR „neurosurgeons“ OR „orthopedic surgeons“) AND („Burnout“) AND („Substance abuse“ OR „Drug addiction“ OR „Alcohol abuse“).

Abb. 1
figure 1

PRISMA(Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses)-Flussdiagramm (2020) für neue systematische Übersichten, die nur die Suche in Datenbanken und Registern beinhalten

Die Suchergebnisse wurden von Duplikaten befreit und anschließend nach geeigneten Titeln und Zusammenfassungen durchsucht. Alle Volltextartikel, die Daten zu Burnout in chirurgischen Fachgebieten unter Verwendung des Maslach Burnout Inventory (MBI) berichteten, kamen für die Aufnahme infrage. Abstracts, von denen keine Volltexte erhältlich waren, wurden ausgeschlossen. Artikel, in denen der MBI nicht verwendet wurde, wurden ausgeschlossen, um einen Vergleich zu ermöglichen und die Zuverlässigkeit zu erhöhen.

Die Arbeiten wurden dann qualitativ analysiert. Aufgrund der unterschiedlichen Burnout-Definitionen (bezüglich der emotionalen Erschöpfung und der hohen Depersonalisierung) haben wir, wenn eine Variable ausschließlich mit emotionaler Erschöpfung oder Depersonalisierung korreliert, dies als Korrelation mit Burnout und Abhängigkeit angegeben. Variablen, die ausschließlich mit persönlicher Leistung korrelierten, wurden als nichtassoziiert eingestuft, da nicht klar ist, ob sie in die Messung von Burnout und Substanzabhängigkeit einbezogen werden sollten. Ergebnisse, die signifikant mit Burnout und Abhängigkeit korrelieren, werden berichtet. Signifikante Assoziationen aus univariaten, multivariaten und logistischen Regressionsanalysen werden angegeben.

Ergebnisse

Die „beklagenswerten Zahlen“ in der COVID-19-Ära

Mit dem Auftreten von SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“) im Jahr 2020 sind die Raten von Burnout und Suizid bei Ärzten aufgrund der erhöhten emotionalen Anforderungen gestiegen [29, 53]. Laut Harvey et al. in The Lancet aus dem Jahr 2021 könnten Anästhesisten und Allgemeinchirurgen höhere Selbstmordraten als andere Fachärzte aufweisen [21].

Die internationale Literaturrecherche hat offengelegt, dass in diesen Gruppen von Ärzten Burnout, Substanzabhängigkeit und Suizidalität sehr häufig vorkommen. Unter den chirurgischen Fachgebieten scheinen Vertreter der Chirurgie, der Orthopädie und der Neurochirurgie am stärksten von der Pandemie betroffen zu sein. Über alle Fachgebiete hinweg lagen die Raten bei 6,2 % Depressionen, 19,6 % Burnout und 6,6 % Selbstmordgedanken. Die Ergebnisse für orthopädische Chirurgen lauten wie folgt: 0 % vorläufige Depressionsdiagnose, 3,8 % Selbstmordgedanken und 4 % Burnout [1, 25]. Bezüglich der Neurochirurgen hat eine kürzlich durchgeführte Studie gezeigt, dass eine hohe Rate an psychischen Störungen während der Pandemie auftrat. Laut dieser fühlten sich von allen Neurochirurgen 34 % angespannt, 32,5 % waren unglücklich, 25 % litten unter Schlaflosigkeit, fast 20 % hatten Kopfschmerzen und 5 % hatten während der Pandemie Selbstmordgedanken [52].

Die Prävalenz von beruflichem Burnout in der Anästhesiologie liegt zwischen 15 % und 65 % und hat eine kritische Anzahl von gefährdeten Ärzten erreicht, deren eigenes Wohlergehen während einer globalen Pandemie entscheidend ist [3]. Darüber hinaus wies die Anästhesiologie die höchste Rate an Depressionen während der COVID-19-Pandemie auf [1].

Längsschnittanalyse in den chirurgischen Fachgebieten

Die Definition von Burnout scheint im Hinblick auf die chirurgischen Fachgebiete eine neue Dimension anzunehmen: lange Arbeitszeiten, verzögerte Gratifikation, Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Patientenversorgung, insbesondere im sich wandelnden Gesundheitsumfeld [18, 51].

Chirurgen und Chirurginnen hatten im Vergleich zu anderen Fachrichtungen insgesamt niedrige Raten von Substanzmissbrauch, mit Ausnahme von Alkohol und Rauchen. Eine im Jahre 2005 durchgeführte Studie über den Alkoholkonsum unter Chirurgen und Chirurginnen in den Vereinigten Staaten ergab relativ hohe Raten an Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit [46]. Laut Oreskovich et al. erfüllten mehr als 25.000 der in der Studie befragten Chirurgen bzw. Chirurginnen mehr als 15 % der Kriterien für Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit. An Burnout leidende Chirurgen/Chirurginnen wiesen zudem eine höhere Wahrscheinlichkeit für Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit auf [41].

Um den Einfluss von Burnout und Substanzabhängigkeit im klinischen Alltag der Chirurgen und Chirurginnen darzustellen, wurde den Mitgliedern des American College of Surgeons im Juni 2008 eine anonyme und synchrone Umfrage zugesandt. In der Umfrage wurden demografische Variablen, Praxismerkmale, Berufszufriedenheit, Burnout-Symptome und Lebensqualität bewertet. Die Ergebnisse zeigten, dass von den rund 24.922 Chirurgen und Chirurginnen, die in die Stichprobe aufgenommen wurden, 7905 (32 %) an der Umfrage teilnahmen, wobei bei insgesamt 40 % der Teilnehmenden eine klinische Depression diagnostiziert wurde und bei 30 % der Teilnehmenden depressive Symptome festgestellt wurden. Zu den Faktoren, die unabhängig voneinander mit Burnout in Verbindung gebracht wurden, gehörten Alter, Familienstatus (ledig, verheiratet, mit Kindern), Fachgebiet, Anzahl der Nachtschichten pro Woche, Arbeitsstunden pro Woche und Vergütung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nur 36 % der Chirurgen und Chirurginnen der Meinung sind, dass ihr Dienstplan ihnen genügend Zeit für ihr persönliches und familiäres Leben lässt, während nur 51 % der Teilnehmenden ihren Kindern empfehlen würden, eine Karriere als Arzt/Ärztin bzw. als Chirurg/Chirurgin einzuschlagen. Dies verdeutlicht, dass Burnout und das fehlende Gefühl der beruflichen Erfüllung unter amerikanischen Chirurgen und Chirurginnen weit verbreitet sind. Zugleich scheinen sie als der einzige Zufriedenheitsprädiktor und die einzigen Zeichen der psychischen Gesundheit im Bereich der Chirurgie zu sein [50].

Dies liegt daran, dass Chirurgen in der Ausbildung besonders gefährdet sind, auszubrennen und seltener professionelle Unterstützung suchen. Bei weiblichen Auszubildenden in der Chirurgie ist die Fluktuationsrate besonders hoch, möglicherweise aufgrund von Problemen im Zusammenhang mit Kinderbetreuung und Mutterschaft [17]. Es scheint also, dass festgefahrene stereotype Vorstellungen über die soziale Präsenz von Frauen und die von Männern dominierten Berufe auch heute nicht nur ein Hindernis für das berufliche Fortkommen, die Entwicklung und die berufliche Zufriedenheit von Frauen darstellen (die neben ihrer chirurgischen Laufbahn auch ihre traditionelle Rolle wahrnehmen müssen), sondern auch eine krankhafte Situation, da sie ein höheres Burnout- bzw. Depressionspotenzial aufweisen [26, 44].

Vergleicht man die Anzahl der Drogen- bzw. Alkoholmissbrauchszahlen hat es den Anschein, dass Ärztinnen, insbesondere Chirurginnen, im Laufe der Jahre stärker zu Burnout und Depersonalisierung, Drogenmissbrauch (insbesondere Alkohol) sowie psychischen Störungen und Selbstmordgedanken neigen [22]. Laut Shanafelt et al. wurden die höchsten Prävalenzen bei Frauen festgestellt. Diese lagen bei 25,6 % unter Chirurginnen, verglichen mit 13,9 % bei den männlichen Kollegen. Zweifellos zählt die Chirurgie zu den Fachgebieten mit hoher Arbeitsbelastung und Stress aufgrund der Komplexität der chirurgischen Eingriffe. Alkohol scheint ein einfaches Mittel zu sein, um den Stress am Arbeitsplatz zu bewältigen, sich zu entspannen und abzuschalten [49, 50]. Im Gegensatz dazu stellten drei Studien fest, dass Männer ein höheres Maß an Burnout aufweisen, insbesondere im Bereich der Depersonalisierung [14, 16, 48]. In einer Längsschnittstudie wurde festgestellt, dass das Burnout-Risiko bei Männern im Vergleich zu Frauen im Laufe eines Jahres stärker ansteigt, allerdings basierte dies auf einer kleinen Kohorte auf Praktikantenebene (n = 21; [13, 14, 32, 48]).

Aktuelle Daten für Chirurgie in der COVID-19-Ära

Die Umfrage „COVID-19’s Impact on Physician Wellbeing“ (Auswirkungen von COVID-19 auf das Wohlbefinden von Ärzten) 2020 der Physicians Foundation unter amerikanischen Ärzten kommt zu dem Ergebnis, dass fast jeder vierte Arzt (22 %) einen Arzt kennt, der Selbstmord begangen hat, und dass die Mehrheit (58 %) Gefühle von Burnout haben [12, 54]. Vor allem im Vereinigten Königreich scheint die COVID-19-Pandemie erhebliche Auswirkungen auf die psychische Verfassung des chirurgischen Personals gehabt zu haben [8]. Burnout präsentierte sich vor allem durch emotionale Erschöpfung (57 %) und Depersonalisierung (50 %), während eine geringe persönliche Leistung seltener auftrat (15 %). Die Prävalenz der genannten drei Ausprägungen hatte keinen Zusammenhang mit dem COVID-19-Status des oder der Befragten. Es konnte aber gezeigt werden, dass je mehr Auswirkung COVID-19 auf die Arbeitsbedingungen hatte, desto höher war die Prävalenz von emotionaler Erschöpfung und Depersonalisierung unter den Chirurgen. Das Ausmaß der Sorge, sich selbst mit COVID-19 anzustecken, und das Ausmaß der Sorge, dass die Familie und Freunde sich mit COVID-19 anstecken, stand in positivem Zusammenhang mit der Prävalenz der drei Burnout-Anzeichen [15, 23]. Die Prävalenz von emotionaler Erschöpfung, Depersonalisierung und geringer persönlicher Leistung war bei den Berufsanfänger (Core Trainee 1–2 und Specialty Trainee 1–2) am höchsten [11].

Die zeitlose Situation in der Anästhesiologie

Die Mitarbeiter im Bereich der Anästhesie scheinen eine der „anfälligsten“ Berufsgruppen für Drogen- und Alkoholkonsum zu sein [37]. Die Arbeitsbelastung und der Stress im klinischen Alltag spielen eine sehr entscheidende Rolle [6]. Eine Erklärung für die hohe Prävalenz des Drogenmissbrauchs unter Anästhesisten und Anästhesistinnen ist der direkte Zugang zu hochgradig suchtpotenten Medikamenten und die Tatsache, dass Medikamente für einen persönlichen Gebrauch unkompliziert abgezweigt werden können [6, 37, 49].

Die überwiegende Mehrheit der Anästhesisten und Anästhesistinnen mit Drogenmissbrauchsproblemen konsumiert stark wirksame intravenöse Opioide (Fentanyl, Sufentanil; [6, 37]). Die Propofolverwendung ist auch weit verbreitet. Eine Studie aus dem Jahr 2017 zur Propofolabhängigkeit bei Ärzten und Ärztinnen in den deutschsprachigen Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz) hatte Angaben zur hohen Letalität der Propofolabhängigkeit alle mit vorherigem Kontakt zu Anästhesie und Intensivmedizin ans Licht gebracht. Dies belegt die zentrale Rolle von Propofol für letal verlaufende Abhängigkeitserkrankungen und Suizide bei Anästhesisten/Anästhesistinnen und im medizinischen Personal dieses Arbeitsbereichs [33].

Eine österreichische Studie von Wurm et al. aus dem Jahr 2016 zeigt, dass Depressions- und Burnout-Symptome unter österreichischen Ärzten weit verbreitet sind. Depressionssymptome sind für die Diagnose von Burnout besonders wichtig. In dieser Studie wurde hervorgehoben, dass die Mittelwerte aller zehn Arten von klinisch diagnostizierten Depressionen bei unbetroffenen Ärzten und bei Ärzten und Ärztinnen mit leichtem, mittlerem und schwerem Burnout sowie Depression allmählich zunahmen. Zusätzlich sollten multidimensionale Burnout-Testverfahren in Kombination mit gültigen Depressionsskalen für die klinische Bewertung von Burnout verwenden werden [58]. Bransi et al. haben in einer aktuellen deutschen Studie über Abhängigkeitserkrankungen nachgewiesen, dass Ärzte und Ärztinnen aufgrund der berufsbedingten psychischen und körperlichen Belastung ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Suchterkrankungen und Burnout und insbesondere eine erhöhte Prävalenz bei substanzbezogenen Störungen aufweisen. Nach Angaben der Ärztekammern konnten 75 % der Erstbetroffenen und jedem sechsten Rückfälligen unter Erhalt der Approbation und der ärztlichen Tätigkeit geholfen werden [5].

Im Laufe der Zeit weisen Anästhesisten, die im chirurgischen Bereich tätig sind, im Vergleich zu denen, die auf der Intensivstation arbeiten, geringere Burnout- und Abhängigkeitsraten auf [4]. In der Tat ist der Arbeitsrhythmus der Anästhesisten im Operationssaal sehr gut organisiert und es gibt die sog. „work life balance“. Auf anderer Seite sind Intensivmediziner häufiger emotionalen und psychologischen Belastungen ausgesetzt, wahrscheinlich aufgrund der häufigen Konfrontation mit dem Tod und dem Therapieversagen kritischer Patienten auf der Intensivstation [4, 20].

Aktuelle Daten für Anästhesie/Intensivmedizin in der COVID-19-Ära

Die COVID-19-Pandemie scheint die stressige Arbeitssituation und das Burnout unter Klinikern weiter verschärft zu haben [15, 23]. Aus einer Studie von Ali et al. im Jahre 2020 geht hervor, dass Anästhesisten und Anästhesistinnen und andere Kliniker Stress, Angstgefühle, Anspannung und Aufregung verstärkt im Rahmen der COVID-19-Pandemie erlebten. Es wurde festgestellt, dass sich speziell im Zusammenhang mit der Pandemie eine Kultur der Angst entwickelte [2]. In italienischen ICUs („intensive care units“) wurden Burnout-bezogene Symptome bei mindestens 69 % der medizinischen Fachkräfte auf Intensivstationen festgestellt [10, 30].

Ein weiterer Faktor, der offenbar für den psychologischen Zustand der von der Pandemie Betroffenen eine wichtige Rolle spielte, war die psychologische Sicherheit. Diese beschreibt das Gefühl, sich in einem Umfeld zu befinden, in dem es sicher ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen. Gefühlte Ermüdung und Burnout in Form emotionaler Erschöpfung, d. h. Erschöpfung am Ende des Arbeitstages und emotionale Erschöpfung durch die Arbeit, sowie demografische Faktoren, wie z. B. das Geschlecht und die Rolle in der Organisation bzw. Klinik, das Alter und die Art der Subspezialisierung, waren für die negative Psychologie der Anästhesisten und Anästhesistinnen an erster Front der Pandemie sehr ausschlaggebend [8, 15]. Die geringe Bewegungshäufigkeit, das Vorliegen von Komorbiditäten, die Arbeit in einem qualifizierten Krankenhaus, mehr Jahre Berufserfahrung, mehr Nachtschichten und weniger bezahlte Urlaubstage sind einige der aktuellsten Faktoren, die die ohnehin schon schwierige Situation der Ärzte auf der Intensivstation während der Pandemie noch verschlimmerten [14, 24, 55]. Insbesondere für die Leiter der Anästhesie, die Triage-Algorithmen für ICU-Betten oder die chirurgische Priorität trotz begrenzter Verfügbarkeit von COVID-19-Tests und ICU-Betten koordinierten und erstellten und Protokolle/Pfade für die Mitarbeitereinteilung innerhalb der Intensivstationen/Intubationsteams entwickelten, war die mentale Belastung relativ hoch [3].

Diskussion

Maßnahmen zur Prävention und Wiedereingliederung

Begrenzung des leichten Zugangs zu hochgradig suchtpotenten Medikamenten

Präventive und Wiedereingliederungsmaßnahmen sollten sich zunächst am Modell der Kontrolle und Verhinderung des leichten Zugangs zu Drogen orientieren, der sog. stationären Drogenkontrolle. Auch wenn der Zugang allein nicht zu Drogenmissbrauch führt, ermöglicht eine strengere Kontrolle eine frühere Aufdeckung und Dokumentation von Verdachtsfällen [39].

Es gibt eine Reihe von Methoden zur Kontrolle von Opioiden und anderen Medikamenten im Operationssaal, die eine sorgfältige Aufzeichnung und Auswertung der Konsummuster beinhalten. Anästhesieinformationsmanagementsysteme wurden erfolgreich eingesetzt, um verdächtige Muster für die Abzweigung von Opioiden durch das Anästhesiepersonal zu erkennen. Computergestützte Aufzeichnungen können geprüft werden, um einen hohen Opiatverbrauch, eine hohe Verschwendung kontrollierter Substanzen, Transaktionen, die bei abgebrochenen Fällen oder nach Abschluss des Falles stattfinden, und automatisierte Dispenser-Transaktionen, die an einem anderen Ort als dem geplanten Fall stattfinden, festzustellen. Es stehen computergestützte Ausgabestellen zur Verfügung, wobei in vielen Einrichtungen eine Satellitenapotheke die kontrollierten Substanzen ausgibt. Da in unserer Einrichtung ein computergestütztes Aufzeichnungssystem im Einsatz ist, werden monatliche Berichte über den Verbrauch kontrollierter Substanzen durch einzelne Ärzte erstellt und Ausreißer ermittelt. Solche Berichte können ein frühzeitiges Eingreifen in Fällen vermuteter Abzweigung erleichtern. Alle Abfallmedikamente müssen an die Apotheke zurückgegeben werden, wo sie stichprobenartig auf ihren Inhalt hin untersucht werden [6, 7, 34, 39].

Staatliche und stationäre Überwachung

Zur Reduktion von Suchterkrankungen und Drogenmissbrauch unter Ärzten und Ärztinnen in der Chirurgie und Anästhesie sind nicht nur eine Qualitätsverbesserung der medizinischen Ausbildung und eine bessere Präventionsschulung in Bezug auf Drogenmissbrauch, sondern auch ein erhebliches Eingreifen des Staates notwendig, um drastische Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in diesem Sektor zu erreichen [11].

In den USA gibt es ein staatlich und finanziell unabhängiges Programm zur Förderung der Gesundheit von Ärzten und Ärztinnen in der Rehabilitationsphase. Gesundheitsprogramme für Ärzte und Ärztinnen sorgen dafür, dass sie langfristig und regelmäßig die Behandlung und Nachsorge erhalten, die sie benötigen, um sicher an ihren Arbeitsplatz und in die Forschung zurückkehren zu können [11, 27]. In europäischen Ländern hingegen, werden spezialisierte Behandlungsprogramme und Präventivmaßnahmen (beispielsweise Drogentests, Fachkraftidentifizierungen mit hohem Risiko für Drogenmissbrauch usw.) im privaten und klinischen Bereich zur Verfügung gestellt [27].

Bei der sog. Pharmakotherapie für die Mediziner mit Opioidabhängigkeit, die an einem Rehabilitationsprogramm teilnehmen, wird die Verschreibung einer Opioidsubstitutionstherapie, insbesondere von Buprenorphin oder Methadon, relativ selten eingesetzt. Viele Krankenversicherungen von Ärzten bzw. Ärztinnen haben informelle Richtlinien, die den Einsatz einer Opioidsubstitutionstherapie wegen der damit verbundenen potenziellen Sicherheitsrisiken verbieten. Buprenorphin und Methadon können Nebenwirkungen auf das Zentralnervensystem haben und es gibt keine zuverlässige Literatur, die belegt, dass Mediziner während einer Opioidsubstitutionstherapie gefahrlos ihren Beruf ausüben können. Eine konservative Pharmakotherapie ohne Opioide (z. B. Naltrexon) kann von präventivem Nutzen in Bezug auf einen Rückfall sein [38].

Psychologische und psychiatrische Prävention und Therapiemöglichkeiten

Neben der Pharmakotherapie ist die unterstützende Betreuung durch auf Suchterkrankungen spezialisierte Psychologen und Psychologinnen oder Psychiater bzw. Psychiaterinnen unerlässlich. Psychiater können gemeinsam mit Arbeitsmedizinern, dem Dekan/der Dekanin der medizinischen Fakultät bzw. der jeweiligen Klinik und den Möglichkeiten des Gesundheitssystems an der Wiedereingliederung beteiligt werden. Psychiater sollten in diesem Fall die Expertise der Arbeitsmedizin (unter der Voraussetzung, dass es um die Genesung und rasche Rückkehr des süchtigen Kollegen an den Arbeitsplatz geht) nutzen und berücksichtigen, was auf organisatorischer Ebene geschieht. Insbesondere sollte der Psychiater bzw. die Psychiaterin sich die Bedenken der Ärzte/Ärztinnen anhören und prüfen, ob eine angemessene Politik in Bezug auf Drogen und Alkohol am Arbeitsplatz entsteht. In enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsmedizin sollten sie regelmäßige Anweisungen an die Zuständigen geben, um sicherzustellen, dass die richtigen Arbeitsprotokolle und Behandlungsansätze für die Ärzte bzw. Ärztinnen während ihrer Rehabilitation verwendet werden [8, 27].

Psychotherapeutische Maßnahmen zur Vorbeugung von Burnout dürften die Zahl der Ärzte/Ärztinnen, die mit Coronavirus-infizierten Patienten zu tun haben, verringern [39, 47]. Die Kapazitäten der benötigten Psychotherapie haben sich durch die Corona-Krise aber entgegen des ansteigenden Bedarfs reduziert, sodass die Dichte solcher Angebote nicht gewährleistet ist [60, 61]. Die Unterstützung durch Menschen am Arbeitsplatz ist am wichtigsten, um die Auswirkungen von Stressoren am Arbeitsplatz zu lindern. Es könnte sein, dass die soziale Unterstützung, die als individuelles Unterstützungssystem gemessen wurde, nicht direkt mit dem Inhalt der Arbeit zusammenhängt und eine relativ begrenzte Wirksamkeit bei der Bewältigung von Stressoren am Arbeitsplatz hat. Bei geringem Arbeitsstress könnte die soziale Unterstützung wirksamer sein, während sie bei hohem Arbeitsstress nicht so wirksam ist [43, 60, 61]. Selbstregulierungs- oder Emotionsregulierungsfähigkeiten wie Achtsamkeit, Stressbewältigungsfähigkeiten, Selbstfürsorge und Kommunikationstraining sind eben erheblich, um Burnout und Substanzabhängigkeit unter Ärzten/Ärztinnen zu verringern [9, 39, 43, 60].

Schlussfolgerung

Es liegt auf der Hand, dass die Verbreitung und Umsetzung von Gesundheitsmodellen für Ärzte/Ärztinnen von entscheidender Bedeutung sind, um eine der größten Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu bewältigen, unter der Ärzte/Ärztinnen in der Chirurgie und Anästhesie weltweit leiden. Zusätzlich zu den medikamentösen Behandlungsansätzen wäre eine umfassende psychiatrische Untersuchung zur Feststellung etwaiger psychischer Begleitdiagnosen wie Depressionen, Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen wichtig. Die Betreuung substanzabhängiger Kliniker sollte unter der Leitung eines Facharztes bzw. einer Fachärztin für Psychiatrie erfolgen [11, 27]. Die Behandlung mithilfe von Gesundheitsdienstleistern wäre eine wirksame Methode zur Erleichterung des Rehabilitationsprozesses und zur Vermeidung von Fällen, in denen sich süchtige Ärzte/Ärztinnen weigern, die Behandlungsprotokolle einzuhalten. Das Wohlbefinden und die Selbstfürsorge der Chirurgen/Chirurginnen müssen als ein wichtiger Faktor für die Zukunft aller Gesundheitssysteme angesehen werden, was durch die COVID-19-Pandemie erneut bestätigt wurde [39, 45]. Eine kontinuierliche und ganzheitliche Behandlung medikamentenabhängiger Ärzte und Ärztinnen unter enger Überwachung, Unterstützung und Zusammenarbeit mit multidisziplinären Teams aller Fachrichtungen wird in der Zukunft hoffentlich vereinfacht werden.

Der Aufbau von Resilienz durch angemessene Selbstfürsorge und Erholung, die Gewährleistung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Beruf und Privatleben und die Anwendung von Fähigkeiten zum Zeitmanagement und Stressabbau sind der häufigste Verbesserungsvorschlag in Bezug auf eine bessere infrastrukturelle Anpassung an COVID-19 im Krankenhaus. Bessere Infrastruktur und Planung (z. B. Dienstplan, standardisiertes Verfahren für COVID-19-Patienten) könnten die enorme Arbeitsbelastung während der COVID-19-Pandemie verringern und zu einer besseren psychologischen Verfassung des Gesundheitspersonals am Arbeitsplatz erheblich beitragen. [39, 59].

Es scheint so, dass eine Vermeidung eines möglichen Rückfalls über einen langen Zeitraum hinweg mit einer angemessenen Behandlung und Überwachung erreicht werden könnte. Langfristige Betreuung, intensive Überwachung und Nachsorge dürften ebenfalls im Kampf gegen diese „Epidemie“ sehr wirksam sein [5, 11, 23].

Fazit für die Praxis

  • Die Mitarbeiter in der Anästhesie scheinen eine der „anfälligsten“ Berufsgruppen für Drogen- und Alkoholkonsum zu sein.

  • Zweifellos zählt die Chirurgie aufgrund der Komplexität der chirurgischen Eingriffe zu den Fachgebieten mit hoher Arbeitsbelastung und Stress.

  • Die Arbeitsbelastung und der Stress im klinischen Alltag der chirurgischen Abteilungen sowie der direkte Zugang zu hochgradig suchtpotenten Medikamenten spielen eine entscheidende Rolle für die Anzahl der abhängigen Ärzte und Ärztinnen.

  • Anästhesisten und Anästhesistinnen und andere chirurgische Kliniker erlebten Stress, Angstgefühle, Anspannung und Aufregung verstärkt im Rahmen der COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Pandemie. Es wurde festgestellt, dass sich speziell im Zusammenhang mit der Pandemie eine Kultur der Angst entwickelte.

  • Je mehr Auswirkungen COVID-19 auf den klinischen Alltag hatte, desto höher war die Prävalenz von emotionaler Erschöpfung und Depersonalisierung unter den Chirurgen.