Die Leistenhernie gehört zu den am häufigsten behandelten Erkrankungen in der Allgemein- und Viszeralchirurgie. Etwa 27 % aller Männer und 3 % aller Frauen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Leistenhernie. Das bedeutet, dass etwa 1 Mrd. der 7 Mrd. Menschen auf der Welt irgendwann in ihrem Leben an einer Leistenhernie erkranken werden. Jedes Jahr werden weltweit etwa 20 Mio. Leistenhernienoperationen durchgeführt. Keine andere Erkrankung in der Allgemein- und Viszeralchirurgie kennt so viele verschiedene Operationsverfahren wie die Leistenhernie. Bereits vor der Entwicklung der laparoendoskopischen Verfahren wurden 81 Techniken zur Behandlung der Leistenhernie und 79 zur Behandlung der Schenkelhernie beschrieben. Bis heute kommen immer noch neue Techniken hinzu (siehe Beitrag H. Niebuhr et al.).

Deshalb ist es umso wichtiger, dass auf der Basis der bestehenden wissenschaftlichen Evidenz entsprechende Guidelines entwickelt werden. 2009 veröffentlichte die Europäische Herniengesellschaft (EHS) erstmals Guidelines zur Behandlung der Leistenhernie [1]. Es folgten dann 2011 die Guidelines zur laparoendoskopischen Behandlung der Leistenhernie durch die International Endohernia Society (IEHS; [2]). Die jeweiligen Updates folgten 2014 [3] und 2015 [4]. Zwischenzeitlich fand auch eine Konsensuskonferenz der European Association of Endoscopic Surgery (EAES) zur laparoendoskopischen Behandlung der Leistenhernie statt [5]. Im Jahr 2014 haben dann die Vorstände der EHS, IEHS und EAES entschieden, weltweite Guidelines unter Einbeziehung aller kontinentalen und internationalen Herniengesellschaften zu erarbeiten. Es wurde die HerniaSurge-Gruppe, bestehend aus Vertretern der European Hernia Society, der International Endohernia Society, der European Association of Endoscopic Surgery, der Americas Hernia Society, der Asia Pacific Hernia Society, der Australasian Hernia Society and der Afro Middle East Hernia Society, gebildet. 50 Hernienexperten haben dann in 5 zweitätigen Sitzungen 136 Statements und 88 Recommendations auf der Basis der vorhandenen Evidenz erarbeitet. Die „World Guidelines for Groin Hernia Management“ können auf der Homepage der HerniaSurge-Gruppe (www.herniasurge.com) eingesehen werden [6]. Sie werden im April 2017 dann endgültig in den wissenschaftlichen Zeitschriften Hernia und Surgical Endoscopy veröffentlicht. Die Autoren der nachfolgenden Beiträge zu diesem Leitthema sind alle Mitglieder der HerniaSurge-Gruppe und haben die Entstehung der weltweiten Guidelines mitgestaltet. Dementsprechend können sie auch authentisch über die wesentlichen Inhalte der neuen weltweiten Guidelines zur Behandlung der Leistenhernie berichten.

Dirk Weyhe stellt zunächst die wichtigsten Empfehlungen der neuen weltweiten Guidelines vor. Dies entspricht dem Auftrag der Mitglieder der HerniaSurge-Gruppe, die neuen Guidelines national umzusetzen. Dabei wurde bis zuletzt bei einigen Empfehlungen um die endgültige Formulierung gerungen.

Zentraler Inhalt der Guidelines ist die Empfehlung, dass zur Behandlung der primären unilateralen Leistenhernie beim Mann netzbasierte Techniken eingesetzt werden sollten und zwar nur noch die laparoendoskopischen Techniken TEP und TAPP oder die offene Technik nach Lichtenstein. Alle anderen netzbasierten Techniken werden aus verschiedenen Gründen nicht mehr empfohlen (siehe Beitrag D. Weyhe). Die Shouldice-Technik als bestes nichtnetzbasiertes Verfahren sollte nur dann eingesetzt werden, wenn der Patient ein Netz ablehnt oder kein Netz zur Verfügung steht. Der Einsatz der Shouldice-Technik bei bestimmten Patienten (junge Männer mit kleiner lateraler Leistenhernie) sollte durch wissenschaftliche Studien begleitet werden, um die Evidenz für diese Indikation zu verbessern (siehe Beitrag D. Weyhe).

Entsprechend der weltweiten HerniaSurge-Guidelines gilt es nun, die empfohlenen netzbasierten Techniken TEP, TAPP und Lichtenstein möglichst optimal, auf evidenzbasierter Grundlage, im Alltag umzusetzen (siehe Beiträge R. Bittner, F. Köckerling, W. Reinpold). Hier kommt es ganz besonders auf viele Details bei der Technik an.

Die Berücksichtigung vieler Aspekte bei der Auswahl des besten Operationsverfahrens für den jeweiligen Patienten wird ebenfalls in den neuen weltweiten Guidelines angeraten. Nicht eine einzelne Technik ist für alle Patienten die beste Methode. Der differenzierte Einsatz der empfohlenen Techniken TEP, TAPP und Lichtenstein in Abhängigkeit von Voroperationen, Nebenerkrankungen und klinischem Befund wird im Sinne eines „tailored approach“ zur Risikominimierung für den Patienten angeraten (siehe Beitrag H. Niebuhr). Die Umsetzung dieser Guidelines in den klinischen Alltag bedeutet somit, dass die Kompetenz für mehrere der empfohlenen Techniken vorhanden sein sollte. Zumindest sollte jede klinische Einrichtung, die alle Leistenhernien behandeln will, ein laparoendoskopisches Verfahren (TEP, TAPP) und die offene Lichtenstein-Technik beherrschen und entsprechend differenziert einsetzen. In diesem Sinne sollten die nachfolgenden Beiträge verstanden werden.

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Prof. Dr. Ferdinand Köckerling