Einführung

„Der Kinematograph ist ein Lehrer, wie es keinen zweiten gibt“ [1]. Die Aussage eines Theologen und Schulfilmreformers aus dem Jahr 1914 bringt die von Anfang an große Wertschätzung für den Film als edukatives Medium zum Ausdruck. Für die „hygienische Volksbelehrung“ galt das neue Medium in der Weimarer Republik als fortschrittlich. Über Jahrzehnte hinweg waren dann die klassischen Massenmedien Film (Kino) und Fernsehen bevorzugte Kanäle für die Verbreitung von institutionellen Gesundheitsbotschaften.

Durch die Digitalisierung und den Wandel der Mediennutzungsgewohnheiten sind Fernsehen und Kino heute für die auf große Reichweiten zielenden institutionellen Gesundheitsbotschaften schwierigere Verbreitungspartner. Gleichzeitig wachsen das Angebot und der Konsum audiovisueller Darstellungsformen in der Gesellschaft weiter, wie der Erfolg von YouTube und Netflix sowie die Zunahme von Bewegtbild in sozialen Medien wie Facebook und Instagram zeigen. Gerade jüngere Menschen – eine prioritäre Zielgruppe für Gesundheitsförderung und Prävention – bevorzugen für Freizeit und Informationssuche das Internet und dort digitale Bewegtbildangebote.

Wie können neue audiovisuelle Formate und Strategien im Internet zu Aufklärungserfolgen beitragen und wie lässt sich das zeigen? Der folgende Beitrag ist ein Praxisbericht und legt nach kurzer historischer Hinführung anhand von aktuellen Beispielen dar, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) die digitalisierungsbedingten Veränderungen in der Verbreitung von Aufklärungsfilmen in ihrer Aufklärungspraxis nutzt.

Rückblick: Massenmediale Gesundheitsaufklärung der BZgA in Film und Fernsehen

Den Einstieg in eine systematische Filmarbeit der BZgA stellen zwei TV- beziehungsweise kinogerechte Filme dar, mit denen sich die neue Bundesbehörde bei ihrer Gründung im Jahre 1967 als ein zeitgemäßer Kommunikator gesundheitlicher Aufklärung positionierte.Footnote 1 Als das Fernsehprogramm in den 1970er und 1980er Jahren zum stetigen Alltagsbegleiter wurde, brachte die mit dem Norddeutschen Rundfunk co-produzierte Sendereihe Kopfball (1978–1984) mit Spiel- und Erklärsequenzen Gesundheit in ihrer lebensweltlichen Bedingtheit auf den heimischen BildschirmFootnote 2, ganz im Einklang mit der Ottawa-Erklärung der WHO 1986 [2]. In der Kampagne „Gib AIDS keine Chance“ schloss der Mix aus Massen- und Personalkommunikation auch TV- und Kinospots ein [3] und im Jahr 1987 stellten die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender angesichts des „Aidsschocks“ kostenlose Sendeplätze in zunächst beträchtlichem Umfang bereit, im Sinne von „Unentgeltliche Beiträge im Dienst der Öffentlichkeit“ (Rundfunkstaatsvertrag RStV §7, 9 [4]). Die Privatsender folgten zu einem späteren Zeitpunkt. Im Fernsehen erschienen die von der BZgA produzierten Aidsaufklärungsspots als Programmtrenner. Im kostenpflichtigen Werbeblock des Kinovorprogramms rangen sie mit bedeutend höher budgetierten kommerziellen Werbespots um Aufmerksamkeit – und zwar erfolgreich, wie die Ergebnisse der durchgeführten Pretests zeigen [5]. Zum Leuchtturm audiovisueller Gesundheitsaufklärung wurde der Spot „Supermarkt“ (1989) mit den Comedystars Hella von Sinnen und Ingolf Lück [6]. Dass diese Kampagne zu „einer der bislang größten und umfassendsten Präventionskampagnen in Deutschland“ und zum „Erfolgsmodell“ mit internationaler Vorbildhaftigkeit wurde [7], basierte nicht zuletzt auf ihrer audiovisuellen Komponente und der in Deutschland hochentwickelten massenmedialen Infrastruktur, die die BZgA auch für spätere Kampagnen nutzte.

Verluste und Gewinne durch die Digitalisierung

Audiovisuelle Medien lassen Bild- und Tonaufzeichnungen in der Rezeptionsgegenwart für die Sinne anschaulich und lebendig werden. Diese kognitiv und affektiv starke Ansprache gilt als besonders beeindruckend und wirkungsvoll, auch im Hinblick auf die Verhaltensbeeinflussung [8]. Durch die Digitalisierung wurden die Funktionen von Film und Fernsehen im Internet integriert und überformt und auf der Rezeptionsseite fand ein Wandel der medialen Nutzungsgewohnheiten statt. Das generalistische Fernsehsystem ist zersplittert, der Anteil junger Menschen, die ins Kino gehen, sinkt [9].

Im Gegenzug nutzen junge Menschen das Internet und seine Bewegtbildangebote für Freizeit und Information immer stärker in einer alltagsprägenden Weise [10] – und zunehmend auch die mittleren und sogar höhere Altersgruppen [11, 12]. Die Eignung der Kanäle Fernsehen und Kino für zeitgemäße institutionelle Public-Health-Kampagnen muss deshalb je nach Aufklärungsthema, Zielsetzung und Zielgruppe neu geprüft werden und das Internet mit seinen Möglichkeiten rückt stärker in den Fokus. Als Potenziale der Digitalisierung werden verbesserte Zielgruppenorientierung, Kontextualisierung, Interaktivität und multimediale Vielfalt beschrieben [13]. Das Internet gilt als zukünftiges „Leitmedium“ für die Gesundheits- und Präventionskommunikation [14].

Die Veränderungen lassen sich entlang der Lasswell’schen Formel: „Wer (Kommunikator) sagt was (Inhalte) in welchem Kanal (Verbreitungsmedium) zu wem (Adressaten) mit welchem Effekt (Wirkung)?“ [15] nachvollziehen. Bezogen auf audiovisuelle Kampagnenelemente liegt der augenfälligste Vorteil aus Sicht der BZgA im Bereich des Verbreitungskanals, nämlich darin, dass diese jetzt über das Internet bevölkerungsweit zugänglich gemacht werden können, ohne dafür bei Fernsehanstalten Zustimmung einholen oder hohe Kinoschaltbudgets einsetzen zu müssen. Mit einer Website als Kernstück einer Kampagne oder Maßnahme werden auch audiovisuelle Elemente kontextuell eingebettet vorgehalten, sodass Nutzerinnen und Nutzer jederzeit von jedem Ort darauf zugreifen können. Videos auf einer Website erhöhen zudem deren Ranking in Suchmaschinen und schon wegen dieses algorithmischen Effektes verzichtet heute kaum eine Maßnahme oder Kampagne auf Onlinevideos. Die jugendaffinen Kampagnen der BZgA betreiben eigene Facebook- und YouTube-Kanäle und nutzen den zielgruppenspezifischen Reichweiteneffekt dieser Plattformen.

Die Formvorgaben der Fernseh- und Kinowerbung gelten nicht mehr. Anstelle kurzgefasster 30-Sekunden-Botschaften wie „Mach’s mit“ oder „Kenn dein Limit“ in TV- und Kinospots kann ausführlicheres (Sach‑)Wissen als Grundlage bewussten Gesundheitshandelns vermittelt werden, wozu mehr Zeit benötigt wird. Neue onlinebezogene Rahmenbedingungen betreffen zum Beispiel Vorgaben einzelner Social-Media-Plattformen bezüglich Videolänge und -format oder empirisch ermittelte Aufmerksamkeitsspannen der User. Allerdings finden Themen, die im Internet behandelt werden, nur dann die Aufmerksamkeit der politisch-gesellschaftlichen Leitöffentlichkeit, wenn sie von den traditionellen Massenmedien aufgegriffen werden (Agendasetting; [14]).

Die Videoplattform YouTube und vorliegende Inhaltsanalysen dazu [16] zeigen überdeutlich, dass die in den späten 1960er Jahren entstandene Sonderstellung der BZgA als institutionelle, bevölkerungsweit agierende Kommunikatorin in Sachen audiovisueller Gesundheitsaufklärung in der Bundesrepublik so nicht mehr gegeben ist. Heutzutage können auch Laien, kommerzielle Anbieter und andere Institutionen Absender audiovisueller Informationen sein. Rund ein Prozent der YouTube-User stellt dort selbst produzierte Inhalte ein. Auf YouTube und Internetseiten kursieren viele Videos über medizinische und gesundheitsbezogene Dienstleistungen, wie auch ein Blick in einschlägige Literaturdatenbanken zum Stichwort Health Education Video bestätigt. Expertinnen und Experten kritisieren, dass dabei die Verwertungsinteressen der anbietenden Pharmafirmen, Kliniken oder Fitness-Youtuberinnen und -Youtuber etc. teilweise nicht deutlich genug erkennbar sind, dass Evidenz für die Wirkung fehlt und/oder gar gesundheitsschädigende Fehlinformation vermittelt wird [17]. Auch medizinische Expertengruppen, die bisher bei ihrer Kommunikation auf Journalisten angewiesen waren, kommunizieren jetzt verstärkt eigenständig, auch über Videos. Audiovisuelle Gesundheitskommunikation im Internet ist ein schwer überschaubares Feld vielfältiger Akteure und Inhalte.

Relativ konstant geblieben sind im Medienwandel die universell erscheinenden Botschaftsstrategien gesundheitlicher Aufklärung, die auch für audiovisuelle Darstellungen gelten [18]: Dazu zählen – unter vielen anderen – Humor [19] und Emotionalisierung, Fallbeispiele [20] und narrative Strategien [21, 22], soziales Lernen durch Beobachten, Furchtappelle, Loss-Framing und Gain-Framing (Inaussichtstellung möglicher Verluste oder Gewinne). Sie wurden schon in frühen Aufklärungsfilmen des 20. Jahrhunderts eingesetzt und sind in den hochaktuellen Serious Games zur Gesundheit [23] zu finden. Die Verbindung von Erzählung und Sachinformation gilt als wirkungsvoll, weil die Rahmung durch die Story andere Perspektiven tendenziell fernhält und das Nachvollziehen der Handlung uns in das Geschehen „hineintransportieren“ kann [24]. Ein narrativer Aufbau kann ebenso wie Humor einer möglichen Abwehrreaktion der Rezipienten entgegenwirken.

Auch in der BZgA hat die Produktion von Videos für das Internet in den letzten Jahren enorm zugenommen. Dabei öffnete sich ein veritables Experimentierfeld, aus dem nachfolgend einige Beispiele vorgestellt werden. Dabei werden jeweils Ziel und Zielgruppe, Thema und Inhalt sowie die Botschaftsstrategie dargelegt und Indizien für Verbreitung und Effekte genannt.

Beispiele: Internetvideos zu Kindergesundheit und Frühen Hilfen

Das erste Internetvideovorhaben der BZgA war eine Reihe von fünf Kurzfilmen über die Entwicklung des Kindes in den ersten Lebensjahren für die neue Website www.kindergesundheit-info.de („Vom Essen, Spielen und Einschlafen“, 13:25 min, 2013). Das Medium Film erschien besonders geeignet, für die Zielgruppe der Eltern kleiner Kinder die Bedeutung der alltäglichen Bedürfnisse des Babys und ihrer Befriedigung als Grundlage einer gesunden psychosozialen Entwicklung zu veranschaulichen. Dankenswerterweise konnte die BZgA auf Vermittlung nichtstaatlicher Kooperationspartner (u. a. Deutsche Liga für das Kind) Filmaufnahmen, die ein kleines engagiertes Team in Familien mit Kleinkindern hatte drehen dürfen, aufgreifen. Die Inhalte wurden aus dem Drehmaterial heraus entwickelt und in der Montage zu thematischen Einzelfilmen verdichtet.

Die Kamera sieht dem Alltag mit Kindern in Ruhe zu. Dieser teilnehmende Gestus drückt Wertschätzung aus und lässt beim Betrachten die Bedeutung der natürlichen Kommunikation zwischen Eltern und Kindern für die Entstehung von verlässlicher Bindung unmittelbar einsichtig werden. Die Kurzfilme laden ein zum entdeckenden Lernen durch Beobachten einer gelebten guten Praxis [25]. Der zurückhaltend affirmative Kommentar gibt lediglich Stichworte zur Einordnung. Die Vielfalt der Familienkonstellationen (junge/ältere Eltern, ein Kind/mehrere Kinder, alleinerziehende Mutter sowie deutsche, türkische, asiatische und deutsch-französische Familie) vermittelt den Eindruck, dass ein guter, gesundheitsförderlicher Umgang miteinander eine universell gegebene Ressource ist.Footnote 3

Die Kurzfilme stehen auf www.kindergesundheit-info.de in deutscher Originalfassung und vier weiteren Sprachfassungen für die großen Zuwanderungsgruppen in Deutschland zum Ansehen per Streaming bereit. Die im Onlineshop der BZgA kostenfrei beziehbare Film-DVD ist seit Erscheinen in mittlerweile sechsstelliger Anzahl bestellt worden, unter anderem weil manche Städte sie ihren Willkommenspaketen bei der Geburt eines Kindes beifügen. Offenbar wird die Filmreihe seitens der kommunalen Fachstellen als Bereicherung des eigenen Informationsangebotes empfunden. Film als eine in der Gruppe rezipierbare Angebotsform stiftet zudem Kommunikation zwischen Setting und Endadressaten: Ein Anzeichen dafür ist, dass eine Anbieterin von Fortbildung für Fachkräfte in Kitas die BZgA-DVD als gut einsetzbares Hilfsmittel für die Gestaltung von Elternabenden bewirbt [26]. Auch ohne eine formelle Evaluation ist schwer vorstellbar, dass bei solchen Veranstaltungen kognitive und emotionale Resonanz und Anschlusskommunikation ausbleiben.

Das gilt auch für zwei neue Filme im Kontext Frühe Hilfen. Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), hat die Aufgabe, (werdenden) Eltern auch unter schwierigen Bedingungen mit Unterstützungsangeboten einen guten Start ins Familienleben zu ermöglichen (www.fruehehilfen.de; www.elternsein.info). Für einen an diese Zielgruppe adressierten Kurzfilm zur Prävention des Schütteltraumas – einer Gehirnschädigung, die entstehen kann, wenn Eltern für einen kurzen Moment die Kontrolle verlieren und ihren schreienden Säugling schütteln – war es angezeigt, illustrierende Beispielsequenzen mit realen Familien – Vätern, Müttern und Kindern – wertschätzend anzulegen (Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung). Es sollte aber durch den Einsatz von Tricksequenzen auch vermittelt werden, wann Risiko in Gefahr übergeht (Furchtappell, Loss-Framing), verbunden mit klar anleitenden Handlungsbotschaften zur Gefahrenbegrenzung („Niemals schütteln! – Wenn Babys nicht aufhören zu schreien“, 4:14 min, 2018; www.elternsein-info.de). Der Folgefilm „Wenn Babys schreien – Über das Trösten und Beruhigen“ (4:45 min, 2018) setzt die wertschätzende und ressourcenorientierte Ansprache der Eltern in einem Gain-Framing-Ansatz fort. Beide Filme des in der BZgA verorteten Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) wurden durch Protagonistenauswahl und mehrere Sprachversionen von Anfang an für migrantische Zielgruppen mit angelegt und stehen auch als Kurzversion ohne Expertenstatements zur Verfügung.

Thematisch zeigen die Beispiele, dass dem familiären Leben mit kleinen Kindern, das früher der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen war, neue mediale Sichtbarkeit und öffentliche Repräsentation zukommt, die mit erhöhtem Engagement staatlicher wie nichtstaatlicher Stellen korrespondiert. Zudem lassen die nach dem Hochladen rasch ansteigenden Klickzahlen auf den fachlichen BZgA-Internetseiten und dem YouTube-Kanal der BZgA ein hohes Interesse für die Filme und Themen erkennen. Offenbar besteht ein großer Bedarf an Instruktion oder Rückversicherung bei der Bewältigung des Alltags mit einem Säugling und Kleinkind. Gründe dafür könnten sein, dass zum Beispiel durch erhöhte Mobilität oder Migrationserfahrung die früher innerfamiliär und intergenerationell vermittelten intuitiven Wissensbestände für den Umgang mit kleinen Kindern verloren gehen, oder auch, dass die Generation der „neuen Väter“ einen besonderen Orientierungsbedarf für das Aneignen des noch ungewohnten Erfahrungsbereichs hat.

Selbstaufklärung: Zur Rezeption von Erklärvideos

Das Internet gilt als ein aktiver Kanal, weil seine Nutzung Eigeninitiative voraussetzt [14]. Wer sich auf einer Website oder auf YouTube ein Video ansieht, ist dorthin in der Regel per Suchmaschine und Suchbegriff oder Lesezeichen gelangt, mit einer suchend-interessierten Haltung, die Offenheit und Aufmerksamkeit für den dargebotenen Inhalt impliziert, bis hin zu einem Bedürfnis nach „Selbstaufklärung“. Dabei ist mithilfe des Players „Vor- und Zurückblättern“, Anhalten und erneut Lesen bzw. Schauen und Hören in selbst gewählter Geschwindigkeit möglich.

Junge Menschen nutzen YouTube als häufigste Suchmaschine, wenn sie sich etwas zeigen oder erklären lassen wollen – oder wenn sie selbst Themen erklären.Footnote 4 YouTube gilt mittlerweile nach Google als die am zweithäufigsten verwendete Suchmaschine und als die beliebteste Videoplattform [27, 28]; eine sehr häufige Form der Informationssuche ist demnach die nach einer Bewegtbilderklärung. Medienpädagogen sehen in Youtube eine partizipative und pluralistische Erklärkultur, in welcher Erlernen und Verstehen mehr „dem Üben bzw. dem Ausprobieren und darüber Nachdenken zugeschrieben (wird) und nicht der individuellen Begabung“, sodass „eine nicht-bedrohliche, fehlertolerante, positive Lernatmosphäre in den Videos“ entstehe [29]. Diese Kommunikationshaltung ist auch in aktuellen BZgA-Kampagnen spürbar. Audiovisuelle Beispiele sind die mittlerweile zahlreichen Videos auf den YouTube-Kanälen der jugendorientierten Kampagnen „Kenn dein Limit“ und „Liebesleben“. Sie lassen erkennen, dass eine Kampagne auch von der Partizipation der Angesprochenen lernt und lebt, etwa wenn aufgezeichnete Erfahrungsberichte (Testimonials) aus der Zielgruppe eine neue Gegenseitigkeit repräsentieren.

Denjenigen Marktteilnehmern, die selbst als audiovisuelle Kommunikatoren auftreten wollen, bieten Erklärvideoproduzenten die Entwicklung und Produktion professionell gemachter animierter Internetvideos als Dienstleistung an [30]. Im Marketing der in der Digitalisierung neu formierten Branche stehen „Erzählen“ als zentrale Botschaftsstrategie und „Erklären“ als Ziel der kommunikativen Anstrengung im Vordergrund. Die somit als edukativ deklarierte Konstellation schreibt dem Videoauftraggeber die Rolle des erklärenden Lehrenden und dem User einen nützlichen Zuwachs an Wissen zu. „Erzählen“ bedeutet dabei, die Botschaft und zugehörige Sachinformation als eine Handlung in der Zeit zu gestalten, einen kausalen Ablauf zu zeigen, etwa die Inanspruchnahme einer Dienstleistung oder den Vollzug einer Entscheidung, und zwar möglichst mit Happy End. Für das Ziel der Förderung von Gesundheitskompetenz [31] scheint dies insofern ein geeignetes Vorgehen zu sein, als es dabei auch um ein Prozessverstehen und -handeln geht. Narrative Verfahren werden auch als besonders geeignet angesehen, um soziale Normen zu beeinflussen [32]; andererseits befürchten kritische Stimmen, dass ihr Einsatz zu stark persuasiv (überredend) wirken kann [33].

BZgA-Beispiele 2: Erklärvideos für die gesundheitliche Aufklärung

Für die Kampagne zur Masernimpfung auf www.impfen-info.de war der Projekttyp „Erklärvideo“ passend. Es ging darum, den Nutzen der Impfung und die Notwendigkeit ihrer Wahrnehmung für die Zielgruppen (nach 1970 Geborene, vor allem Männer; Eltern kleiner Kinder) darzulegen. Die beiden Erklärvideos Jens und Paula („Masernimpfempfehlungen für Erwachsene/für Kinder“, je ca. 2 min, 2016) sind in einem nüchtern poetischen Cartoonstil animiert mit einem hohen Informationsanteil. In einer „Was-wäre-wenn-Story“ kann man gewissermaßen der intra- und interpersonalen Aushandlung der Impfentscheidung durch die Protagonisten zusehen und zuhören. Die Sachinformation, die für die Impfung spricht (Furchtappell, Kontrollüberzeugung/Wirksamkeitserwartung), und detaillierte Handlungshinweise (Impftermine, Impfcheck) sind dabei direkt an die Rezipierenden adressiert. Die nett-ironische Gestaltung der männlichen Hauptfigur in beiden Videos wirbt besonders um die Aufmerksamkeit dieser Teilzielgruppe. Ein ergänzend produziertes Animationserklärvideo „Schmerz- und stressfreies Impfen“ (2 min, 2017) liefert konkrete Praxistipps, die unterstützend in die Impfentscheidung eingehen.

Ein ganz anderes Konzept war notwendig für das BZgA-Thema „Essstörungen“, zu dem im Herbst 2018 die neue Website www.bzga-essstoerungen.de herauskam. Die dafür zu entwickelnden Erklärvideos waren eine Herausforderung: Denn die Norm, die Schlankheit mit Attraktivität und höherem sozialen Status verbindet, ist jahrzehntelang nicht zuletzt auch durch Film und Fernsehen verbreitet worden. Insofern steht diese audiovisuelle Sprache der Zielsetzung entgegen, Essstörungen zu entdramatisieren und ein übertriebenes Schlankheitsideal zu entnormalisieren. Auf der Suche nach Möglichkeiten, das sensible Thema psychische Gesundheit internetgerecht „erklärend“ umzusetzen, wurden authentische Aussagen von Betroffenen und Umfeldpersonen so mit einem nichtfigürlichen grafischen Symbol- und Metaphernkonzept verknüpft, dass alle eine Stimme erhalten, niemand diskriminiert wird und die bestehenden Hilfsangebote bekannt gemacht werden. Eine junge Animationsfilmproduktion hat dafür aus Anregungen der Filmgeschichte eine abstrakt poetische Erklärästhetik entwickelt. Diese wird offenbar allgemein verstanden und hat auch beim Expertenkreis der Initiative „Leben hat Gewicht“ und ihren Medienfachleuten Zustimmung gefunden. Stetig zunehmende Klickzahlen auf dem YouTube-Kanal der BZgA und insbesondere, dass bis heute Dislikes praktisch ausgeblieben sind, bestätigen die ungewöhnliche Gestaltungsentscheidung.

Diskussion

Präventionsbezogene Internetseiten und Videos erzielen geringere Klickzahldimensionen als prominente YouTuber, Blogger und Musikvideos.Footnote 5 Im Vergleich und als Beitrag zur inter- und intrapersonalen Kommunikation ergibt sich aber ein beträchtlicher Zuwachs an Möglichkeiten. Videos, die mehrsprachig für das Internet produziert und zusätzlich als DVD verbreitet werden, scheinen gut geeignet, auch zugewanderte Menschen anzusprechen und in den Settings, in denen sie erreicht werden, die Kommunikation mit ihnen zu fördern.

Die mit erklärenden Videos auf YouTube verbundene entspannte Lernatmosphäre erscheint als gute Voraussetzung für die niedrigschwellige Kommunikation in Gesundheitskampagnen. Ein Ziel ist, bei allen, und insbesondere bei Menschen mit geringeren Bildungsvoraussetzungen, die Motivation zu erhöhen, sich selbst zu informieren und sich mehr gesundheitsbezogenes Wissen anzueignen als Voraussetzung, um die eigene Kompetenz zu erweitern. Für diesen Auf- und Ausbau einer Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung sollte audiovisuelle Gesundheitsförderung „enzyklopädisch“ werden. Und zwar in dem Sinn, dass der für das präventive Alltagshandeln der Allgemeinbevölkerung bedeutsame Wissensbestand in Form einzelner, gut verständlicher „Videoartikel“ umgesetzt wird, sodass ein allseits konsultierbares, auf Prävention und Gesundheitsförderung ausgerichtetes Videolexikon entsteht.

In Bezug auf die Frage der mit Onlinevideos verknüpften Wirkungsweisen und Effekte (Outcomes) sind allerdings noch empirische wissenschaftliche Grundlagen zu schaffen und Erkenntnisse zu systematisieren. Erste allgemeine Ansätze liegen vor [34, 35] und auch speziellere Untersuchungen im Bereich der Gesundheitskommunikation von Krankenkassen bezogen auf Erkrankungen [36]. Wie Gesundheitslernen durch Internetvideos möglichst gut erfolgen kann, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen in Bezug auf die Gestaltung der Sachinformation und der Botschaften und ob und wie Videokommunikation im Internet dazu beitragen kann, die digitale Spaltung – also die soziale, auch generationelle Ungleichheit in Bezug auf digitale Kompetenzen und damit verbundenes Lernen und Wissen – zu verkleinern, das sind nur einige durch Forschung zu klärende und teilweise schon in Klärung befindliche Aspekte. Dabei sind neben kommunikationswissenschaftlichen Zugängen insbesondere auch pädagogische, medienpädagogische und lernpsychologische Fragen und Erkenntnisse zu berücksichtigen, auch für formative Forschung begleitend zur existierenden Filmpraxis.

Aus erziehungswissenschaftlicher Sicht bedeutet Lernen, neue Information in vorhandene Wissensstrukturen zu integrieren [37, 38]. In dieser Hinsicht wäre beispielsweise denkbar, hypothetische Wirkungsketten zu erproben: etwa ob und wie der Einsatz eines Videos auf einer thematischen Website geeignet ist, als ein initialer Motivations- und Interessensanker auch Neugier und Anreiz für eine nachfolgende tiefere Exploration via Text oder andere Kommunikationsarten auszulösen. Um zu erproben, ob und wie Erklärvideos je nach Thema, Zielsetzung und Zielgruppe als Sprungbrett für komplexere Wissensdarbietung und -aneignung eingesetzt werden können, sind wissenschaftsbasierte Grundlagen unabdingbar. Dabei sollte auch die Gestaltung der Videos als eine wichtige Qualitätsdimension mit einbezogen werden.