In der Wissenschaft gleichen wir alle nur den Kindern, die am Rande des Wissens hie und da einen Kiesel aufheben, während sich der weite Ozean des Unbekannten vor unseren Augen erstreckt. (Isaac Newton, 1643–1727; http://www.zitate-online.de)

Auch in der intensivmedizinischen Forschung werden Jahr für Jahr mehr Kieselsteine in die Hand genommen. Dennoch oder gerade deshalb wird der Ozean des Unsicheren und Unbekannten immer größer. Aufgrund der Vielzahl der wissenschaftlichen Journale und der publizierten Arbeiten ist es für den Einzelnen inzwischen kaum noch möglich, einen Überblick über die publizierten Studien zu behalten. In der vorliegenden Übersicht werden daher die wichtigsten Veröffentlichungen des Jahres 2013 mit klinisch-praktischer Relevanz für die Intensivmedizin dargestellt. Nichtsdestoweniger stellt diese Auswahl lediglich eine subjektive Wertung der Autoren dar und kann nicht vollumfänglich die intensivmedizinische Literatur abdecken. Vor diesem Hintergrund wurden somit vorwiegend große randomisierte kontrollierte Studien („randomized controlled trials“, RCT) und Metaanalysen in die Übersicht aufgenommen. Experimentelle Arbeiten und Studien, deren Ergebnisse keinen unmittelbaren Einfluss auf die praktische Tätigkeit auf einer Intensivstation („intensive care unit“, ICU) haben, wurden bewusst nicht berücksichtigt.

„Acute respiratory distress syndrome“

Das „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) ist eines der häufigsten intensivmedizinischen Krankheitsbilder mit einer Inzidenz von 2–16/100.000 Einwohner/Jahr und einer seit Jahrzehnten unverändert hohen Letalität von 40–50 %. Neben der wichtigsten intensivmedizinischen Maßnahme – der lungenprotektiven Beatmung – ist in den vergangenen Jahren die Bauchlagerung („prone position“) immer mehr in den Fokus gerückt, und mehrere RCT wurden hierzu veröffentlicht. Diese zeigten zwar alle eine Verbesserung der Oxygenierung, ein Überlebensvorteil konnte jedoch nur im Rahmen von Metaanalysen in Subgruppen mit einem Horovitz-Quotienten [arterieller Sauerstoffpartialdruck (paO2)/inspiratorsche Sauerstofffraktion (FiO2)] < 100 mmHg nachgewiesen werden. Im vergangenen Jahr wurde von Guerin et al. [1] die Proning Severe ARDS (PROSEVA) Patients Study veröffentlicht. In dieser prospektiven, randomisierten kontrollierten, internationalen Multizenterstudie war die Mortalität nach 28 Tagen bei den ARDS-Patienten, die auf dem Bauch gelagert wurden, mit 16 % signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe mit 33 % (p < 0,001). Der Überlebensvorteil blieb auch nach 90 Tagen erhalten: Während 41 % der Patienten verstarben, die ausschließlich auf dem Rücken gelagert wurden, betrug die Sterblichkeit in der Bauchlagerungsgruppe 24 % (p < 0,001). Die Bauchlagerung verkürzte darüber hinaus die Beatmungsdauer um 4 Tage (14 ± 9 vs. 10 ± 10 beatmungsfreie Tage nach 28 Tagen, p < 0,001) und die Verweildauer auf der Intensivstation um 2 Tage (24 ± 22 vs. 26 ± 27 Tage, p < 0,001). Komplikationen waren in der Interventionsgruppe nicht häufiger. Weitere detaillierte Kommentare zu dieser Studie wurden bereits veröffentlicht [2].

Wie lange die einzelnen Lagerungsphasen idealerweise dauern sollten, ist momentan jedoch noch nicht sicher geklärt. Randomisierte kontrollierte Studien mit kürzeren Phasen der Bauchlagerung von 7–8 h konnten keinen signifikanten Überlebensvorteil zeigen [3, 4]. Zwei weitere Studien mit vergleichbar langer Bauchlagerungsdauer von 17–18 h wiesen zwar jeweils einen Trend zur geringeren Letalität nach, ohne jedoch – möglicherweise wegen der deutlich geringeren Anzahl an Patienten mit schwerem ARDS (Horovitz-Quotient < 100 mmHg) von nur 136 bzw. 150 Patienten – statistisch signifikante Unterschiede zu erreichen [5, 6].

Fazit für die Praxis

Patienten mit ARDS, die einen Horovitz-Quotienten < 150 mmHg aufweisen, sollten möglichst frühzeitig (nach einer Phase der hämodynamischen Stabilisierung von 12–24 h) und lang dauernd (≥ 16 h/Lagerungsphase) auf dem Bauch gelagert werden.

Nichtinvasive Beatmung

Das Thoraxtrauma ist mit 60 % eine der häufigsten Verletzungen aller schwer- und mehrfach verletzten Patienten im Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU-Trauma-Register 2013). Chiumello et al. [7] untersuchten in einer Metaanalyse den Nutzen der nichtinvasiven Beatmung („noninvasive ventilation“, NIV) beim Thoraxtrauma. Analysiert wurden 10 Studien (Beobachtungsstudien und RCT) mit insgesamt 368 Patienten, die entweder nichtinvasiv mit „continuous positive airway pressure“ (CPAP) bzw. „biphasic positive airway pressure“ (BIPAP) beatmet oder in den Vergleichsgruppen endotracheal intubiert wurden bzw. nur additiv Sauerstoff insuffliert bekamen. Die Mortalität wurde in 5 der Studien untersucht (n = 219), wovon 4 RCT waren. Die Analyse der zusammengefassten Daten ergab für die NIV eine Reduktion der Mortalität auf ein relatives Risiko (RR) von 0,26 [95 %-Konfidenzintervall (95 %-KI): 0,09–0,71, p = 0,003]. Die ICU-Verweildauer kann nach den Ergebnissen dieser Metaanalyse durch NIV um 2 Tage verkürzt werden (95 %-KI: 1 bis 4 Tage, p = 0,001). Die Patienten unter NIV mussten seltener intubiert werden (RR: 0,32, 95 %-KI: 0,12–0,86) und hatten ein geringeres Risiko, eine Infektion zu erleiden (RR: 0,34, 95 %-KI: 0,20–0,58).

Fazit für die Praxis

Geeignete Patienten mit stumpfen Thoraxtrauma können von einer frühzeitigen NIV profitieren.

Ernährung

Auch 2013 waren Supplemente der Ernährungstherapie in der Intensivmedizin wieder ein Thema, zu dem es mehrere interessante Publikationen gab. Heyland et al. [8] untersuchten in einer randomisierten kontrollierten, verblindeten Multizenterstudie auf 40 ICU in Nordamerika und Europa den Nutzen der frühen Supplementation mit Glutamin und Antioxidanzien bei Patienten mit Multiorganversagen (n = 1223). In einem 2 × 2-faktoriellen Studiendesign erhielten Patienten zusätzlich zu ihrer leitliniengerechten enteralen und parenteralen Ernährung entweder Glutamin (0,5 g/kgKG Dipeptid i.v. plus enteral 42,5 g Dipeptid, n = 301), Antioxdanzien (500 μg Selenium i.v. plus enteral 300 μg Selen, 20 mg Zink, 10 mg β-Karotin, 500 mg Vitamin E und 1500 mg Vitamin C, n = 307), Antioxidanzien und Glutamin (n = 310) oder ausschließlich Placebo (n = 300). Primärer Outcome-Parameter war die Sterblichkeitsrate nach 28 Tagen. Die Gabe von Antioxidanzien hatte hierauf keinen Einfluss (31 % bei Gabe von Antioxidanzien vs. 29 % ohne zusätzliche Supplementation, p = 0,48). Auch die Sterblichkeitsraten im Krankenhaus (35 vs. 33 %, p = 0,51) und nach 6 Monaten (40 vs. 41 %, p = 0,87) waren in beiden Gruppen vergleichbar. Die Patienten, denen Glutamin substituiert wurde, hatten nach 28 Tagen tendenziell eine höhere Sterblichkeitsrate (32 vs. 27 %, p = 0,05). Die Krankenhaussterblichkeits- (37 vs. 31 %, p = 0,02) und die Sterblichkeitsrate nach 6 Monaten (44 vs. 37 %, p = 0,02) waren für die mit Glutamin substituierten Patienten aber statistisch signifikant erhöht. Kritisch muss zu diesen Ergebnissen allerdings angemerkt werden, dass die supplementierte Dosis an Glutamin sehr hoch war. Die Deutsche Gesellschaft für Erfahrungsmedizin empfiehlt in ihren Leitlinien mit einer Empfehlungsklasse A, dass „kritisch Kranke, die ohne erhebliche enterale Nahrungszufuhr voraussichtlich länger als 5 Tage parenteral ernährt werden, … zusätzlich zur parenteralen Aminosäurezufuhr 0,3–0,4 g Glutamindipeptid/kgKG/Tag“ erhalten sollen [9]. Andererseits hat auch eine bereits 2011 veröffentlichte RCT aus Schottland, in der nur 20 g Glutamin i.v. (entspricht ca. 30 g Glutamindipeptid) verabreicht wurden, keinen positiven Effekt auf die Mortalität gezeigt (Mortalitätsrate nach 6 Monaten 44 % in der Glutamingruppe vs. 40 %, wenn kein Glutamin substituiert wurde, [10]). Möglicherweise waren aber auch die sehr frühe Applikation und damit die Stickstoffbelastung des Organismus bereits am ersten Tag der Intensivtherapie ursächlich für das negative Outcome. So wiesen Casaer et al. [11] in einer großen, multizentrischen RCT vor 3 Jahren nach, dass der verzögerte Beginn einer parenteralen Ernährung (erst ab dem 8. Tag im Vergleich zum Beginn innerhalb der ersten 48 h der Intensivtherapie) die ICU-Verweildauer, die Dauer an Nierenersatzverfahren und die Beatmungsdauer verkürzt sowie das Risiko von Infektionen reduziert.

Zur Supplementation von Selen wurde aktuell eine Metaanalyse veröffentlicht [12]. Analysiert wurden 9 Studien und damit insgesamt 792 Patienten mit „systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS), Sepsis oder septischem Schock. Die Selendosis betrug in 4 Studien ≤ 500 μg/Tag, in weiteren 4 Studien 500–1000 μg/Tag und in einer Studie 1600 μg/Tag. Aus den zusammengefügten Daten konnte eine Reduktion der Mortalität auf eine „odds ratio“ (OR) von 0,73 (95 %-KI: 0,54–0,98) abgeleitet werden.

Fazit für die Praxis

Antioxidanzien schaden dem Intensivpatienten zumindest nicht. Glutamin sollte aber beim unselektierten Intensivpatienten nicht frühzeitig substituiert werden. Die Empfehlungen zur enteralen Ergänzung der Standardnahrung mit Glutamin beim Trauma- und Verbrennungspatienten bleiben hiervon unberührt. Bezüglich Selen sollten die Ergebnisse der Studie Placebo Controlled Trial of Sodium Selenite and Procalcitonin Guided Antimicrobial Therapy in Severe Sepsis (SISPCT, NCT00832039) abgewartet werden, die inzwischen abgeschlossen wurde.

Personal

Profitieren Patienten von der Besetzung einer ICU rund um die Uhr mit einem spezialisierten Intensivmediziner oder sind in den Nachtstunden eine Besetzung mit Assistenzärzten und die telefonische Erreichbarkeit des Intensivmediziners ausreichend? Dieser Frage ging die Study to understand nighttime staffing effectiveness in a tertiary care ICU (SUNSET-ICU, [13]) nach. Die Studie wurde auf einer internistischen 24-Betten-ICU der Universität von Pennsylvania durchgeführt. Über ein Jahr wurde die nächtliche Personalbesetzung der Station wochenweise randomisiert: Entweder waren 3 internistische Assistenzärzte und zusätzlich ein Intensivmediziner anwesend (Intervention) oder 3 Assistenzärzte und die tagsüber zuständigen Intensivmediziner waren in den Nachtstunden telefonisch im Hintergrund erreichbar (Kontrolle). Primärer Outcome-Parameter war die ICU-Verweildauer, sekundäre Parameter die Krankenhausverweildauer, die Sterblichkeitsrate auf der ICU bzw. im Krankenhaus sowie die Notwendigkeit der Wiederaufnahme auf die ICU. Der in den Nachtstunden anwesende Intensivmediziner musste im Schnitt 4 Patienten/Schicht aufnehmen, 2 Patienten/Schicht mit sich verschlechterndem Zustand visitieren sowie eine invasive Maßnahme/Schicht supervidieren. In den Nächten der Kontrollgruppe wurden die Intensivmediziner durchschnittlich 2-mal angerufen. In 4 % der Nächte wurden die Intensivmediziner auf der Station alarmiert. Weder für die Patienten, die in der Nacht auf die ICU aufgenommen wurden, noch für die Gesamtheit der Intensivpatienten der Station unterschieden sich die primären oder sekundären Outcome-Parameter in irgendeiner Weise.

Fazit für die Praxis

Die Ergebnisse dieser Studie an einer US-amerikanischen ICU können kaum auf Verhältnisse in Deutschland übertragen werden. Die Autoren der Studie schlussfolgern zwar, dass die personelle Ressource des Intensivmediziners evtl. besser tagsüber auf einer personell schlechter besetzten ICU genutzt werden könnte. Dies kann allerdings nur gelten, wenn die Organisationsstruktur der ICU darauf abgestimmt ist, dass nachts kein Intensivmediziner anwesend ist. So müssen Entscheidungsprozesse und Behandlungspläne beispielsweise für das Weaning eines Patienten auf der Station bestens etabliert sein.

Intraaortale Ballonpumpe

Sowohl die amerikanischen als auch die europäischen Leitlinien führen die intraaortale Ballongegenpulsation bei kardiogenem Schock durch einen akuten Myokardinfarkt als Klasse-IB- bzw. Klasse-IC-Empfehlung an. Dies beruht jedoch vorwiegend auf älteren Registerdaten und Metaanalysen. In einer prospektiven, randomisierten kontrollierten Multizenterstudie wurde daher die 30-Tage-Mortalität von 300 Patienten im kardiogenen Schock aufgrund eines „ST-elevation myocardial infarction“ (STEMI) oder „non-ST-elevation myocardial infarction“ (NSTEMI), die mit einer intraaortalen Ballonpumpe behandelt wurden, mit 298 Patienten einer Kontrollgruppe ohne diese Intervention verglichen [14]. Hierbei zeigte sich, dass Patienten offenbar nicht von einer „intraaortalen Ballonpumpe“ (IABP) profitieren: Die Mortalität in der Kontrollgruppe betrug 41 % im Vergleich zu 40 % in der Interventionsgruppe. Auch in den sekundären Outcome-Parametern wie Schlaganfall, Reinfarkt, Blutung, Sepsis oder Extremitätenischämie gab es in der vorgestellten Untersuchung keinen signifikanten Unterschied. Diese Ergebnisse wurden in den Monaten nach der Veröffentlichung der Studie ausgiebig in der Literatur diskutiert. Unter anderem wurden der Einsatz von Katecholaminen bei 90 % der Patienten und die möglicherweise hohe Rate an rechtsventrikulärer Ischämie kritisiert und als Ursache für das neutrale Ergebnis diskutiert.

Fazit für die Praxis

Insgesamt ist die Evidenzlage für den Einsatz einer IABP dünn. Die European Society of Cardiology hat auf der Basis der präsentierten Studie von Thiele et al. [14] den Empfehlungsgrad für die intraaortale Ballongegenpulsation bei kardiogenem Schock durch akuten Myokardinfarkt auf IIB herabgestuft.

Flüssigkeitstherapie

Kein intensivmedizinisches Thema wurde in den letzten Jahren auf Kongressen und in der Literatur so kontrovers diskutiert wie der Einsatz von Kolloiden beim Intensivpatienten. Dies hat sich auch durch die im vergangenen Jahr neu veröffentlichten Studien nicht verändert. Die Studie Efficacy and Safety of Colloids Versus Crystalloids for Fluid Resuscitation in Critically Ill Patients (CRISTAL, [15]) wurde an 2857 Patienten auf 57 ICU und 3 Kontinenten (Europa, Nordamerika, Afrika) durchgeführt. Der überwiegende Teil der Patienten litt an einer Sepsis (54 %). Ein Trauma war in 6 % der Fälle Grund für die Volumentherapie; in den restlichen 40 % lag eine Hypovolämie anderer Ursache vor. Randomisiert erhielten die Patienten zur Volumentherapie auf der ICU ausschließlich Kristalloide (n = 1443) oder nur Kolloide [z. B. Dextrane, Gelatine, Hydroxyäthylstärke (HES), Albumin; n = 1414]. Vor der Randomisierung erhielten 685 Patienten (47 %) der Kristalloidgruppe im Median 1000 ml [Interquartilabstand (IQA): 500–2000 ml] an Kolloiden, auf der anderen Seite 526 Patienten (n = 37 %) der Kolloidgruppe 1000 ml (IQA: 500–1000 ml) kristalloide Infusionslösungen. Welche Infusionslösung und in welcher Menge diese nach Randomisierung infundiert wurde, war allein der Entscheidung des jeweils behandelnden Arztes überlassen. Hydroxyäthylstärke durfte maximal in einer Dosierung von 30 ml/kgKG/Tag appliziert werden. Die 28-Tage-Mortalitätsrate als primärer Outcome-Parameter zeigte keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen (27 % in der Kristalloidgruppe vs. 25 % in der Kolloidgruppe, p = 0,26). Im Unterschied zu den Ergebnissen früherer Studien war jedoch die Rate an Nierenersatzverfahren während der ersten 7 bzw. 28 Tage der Intensivtherapie in beiden Gruppen identisch (jeweils 3 resp. 11 %). Überraschenderweise war die Mortalitätsrate nach 90 Tagen in der Kristalloidgruppe höher als in der Kolloidgruppe (34 vs. 31 %, p = 0,03).

Das Studiendesign der CRISTAL-Studie verfolgte einen sehr pragmatischen Ansatz. Es wurde keine spezielle kolloidale Infusionslösung untersucht wie beispielsweise in den Studien Saline Versus Albumin Fluid Evaluation (SAFE, [16]), Efficacy of Volume Substitution and Insulin Therapy in Severe Sepsis (VISEP, [17]), Crystalloid Versus Hydroxyethyl Starch (CHEST, [18]) oder Scandinavian Starch for Severe Sepsis/Septic Shock Trial (6S, [19]), sondern die Gesamtheit der Kolloide berücksichtigt. Weniger pragmatisch dagegen war, dass in der Kolloidgruppe nur der Erhaltungsbedarf an Flüssigkeit mit Kristalloiden gedeckt, hingegen die Volumentherapie ausschließlich mit Kolloiden durchgeführt wurde. Die frühe Randomisierung der Patienten bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme auf die ICU macht die Ergebnisse der Studie von Annane et al. [15] besonders wertvoll. Allerdings sollte der beobachtete Unterschied in der 90-Tage-Mortalität mit Vorsicht interpretiert werden. Zum einen war dies nur ein sekundärer Outcome-Parameter. Zum anderen betrug die OR für die 90-Tage-Mortalität 0,92 und reichte mit einem 95 %-KI von 0,86–0,99 sehr nah an 1,0 heran. Schließlich fällt bei der genauen Betrachtung der Untersuchung noch auf, dass die mediane Dauer der Flüssigkeitstherapie in beiden Gruppen lediglich 2 Tage umfasste. Das kumulative Volumen, das zur Flüssigkeitstherapie in den ersten 7 Tagen der Intensivtherapie zugeführt wurde, betrug in der Kolloidgruppe im Median 2000 ml (IQA: 1000–3502 ml) und in der Kristalloidgruppe 3000 ml (IQA: 500–5200 ml). Damit erscheint die Übertragbarkeit auf einen schwer kranken Intensivpatienten im septischen Schock eher fraglich.

Eine prospektive Vorher-nachher-Studie zur Flüssigkeitstherapie wurde an mehr als 1000 Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock auf der chirurgischen ICU des Universitätsklinikums Jena durchgeführt [20]. Verglichen wurde die Zeit bis zur Normalisierung der hämodynamischen Parameter [mittlerer arterieller Druck (MAP), zentralvenöse Sauerstoffsättigung, zentralvenöser Druck (ZVD)] und bis zur Beendigung des Schockgeschehens (gemessen an der Normalisierung des Laktatspiegels und der Beendigung der Vasopressortherapie) während 3 Behandlungsperioden, die jeweils rund 2 Jahre andauerten. Während der 1. Phase erfolgte die Flüssigkeitstherapie mit Kristalloiden und HES (88 %ige HES 130/0,4, 10 %ige HES 200/0,5; n = 360), in der 2. Phase mit Kristalloiden und 4 %iger Gelatine (n = 352) und in der 3. Phase ausschließlich mit Kristalloiden (n = 334). Die applizierten Volumina betrugen kumulativ in den ersten 4 Tagen der Intensivtherapie im Median 39 ml/kgKG HES (und damit deutlich weniger als die empfohlene Höchstmenge von 50 ml/kg/Tag) plus 50 ml/kgKG Kristalloid, 21 ml/kgKG Gelatinelösung plus 92 ml/kgKG Kristalloid bzw. 124 ml/kgKG kristalloide Infusionslösung. Weder konnten die hämodynamischen Parameter durch den Einsatz von Kolloiden schneller normalisiert noch das Schockgeschehen früher beendet werden. Die Gabe sowohl von HES-Produkten (OR: 2,1; 95 %-KI: 1,34–3,02) als auch von Gelatinelösung (OR: 1,92; 95 %-KI: 1,32–2,82) erhöhte das Risiko für die Patienten, ein Nierenersatzverfahren zu benötigen. Dies unterstützt experimentelle Daten, die Hinweise darauf geben, dass auch bei der Verwendung von Gelatinelösungen unerwünschte Wirkungen auf die Nierenfunktion zu bedenken sind [21].

Fazit für die Praxis

Die CRISTAL-Studie hat gezeigt, dass Kolloide bei Einsatz im Schock nicht unbedingt mit negativen Effekte einhergehen. Allerdings ist ein bestimmter Nutzen des Einsatzes kolloidaler Infusionslösungen nicht bewiesen. Bezüglich Gelatinelösungen als Alternative zu HES-Produkten werden dringend weitere Daten aus klinischen Studien benötigt.

Die Ergebnisse der großen Studien zur Flüssigkeitstherapie der vergangenen Jahre sind übersichtlich in Tab. 1 zusammengefasst. Dementsprechend sind auch die Empfehlungen der Hersteller HES-haltiger Infusionslösungen formuliert. Hydroxyäthylstärke ist u. a. kontraindiziert bei Sepsis- sowie Verbrennungspatienten und wenn eine Nierenersatztherapie notwendig ist. Aber auch schon „kritisch kranke“ Patienten und eine „eingeschränkte Nierenfunktion“ gelten als Kontraindikationen. Damit ist die Anwendung von HES praktisch bei jedem Intensivpatienten als kontraindiziert anzusehen. Hydroxyäthylstärke soll nur noch bei Hypovolämie durch akuten Blutverlust angewendet werden, wenn die Gabe von Kristalloiden nicht ausreichend ist. Allerdings wird die Mehrzahl dieser Patienten im hämorrhagischen Schock innerhalb kürzester Zeit eine schwere Gerinnungsstörung aufweisen, die wiederum als Kontraindikation im „Rote-Hand-Brief“ aufgelistet ist. Grundsätzlich sollte HES so niedrig dosiert wie möglich verabreicht werden.

Tab. 1 Ergebnisse der großen Studien zur Flüssigkeitstherapie der vergangenen Jahre

Sepsis

In einer randomisierten kontrollierten Phase-II-Studie wurde der Einsatz des kurz wirksamen β-Rezeptoren-Blockers Esmolol bei 154 Patienten im septischen Schock untersucht [22]. Aufgenommen wurden Patienten, die nach 24 h leitliniengerechter hämodynamischer Optimierung zwar einen ZVD ≥ 8 mmHg und einen Wedge-Druck ≥ 12 mmHg erreichten, aber weiterhin Noradrenalin zur Aufrechterhaltung eines MAP ≥ 65 mmHg benötigten und eine Herzfrequenz ≥ 95/min aufwiesen. In der Interventionsgruppe (n = 77) wurde Esmolol kontinuierlich verabreicht und die Dosierung so lange gesteigert, bis die Herzfrequenz zwischen 80 und 94/min betrug (mit einem Dosislimit von 2000 mg/h). Ausgeschlossen waren Patienten mit vorbestehender β-Rezeptoren-Blocker-Therapie oder ausgeprägter myokardialer Dysfunktion (definiert als Herzindex ≤ 2,2 l/min/m2 und Wedge-Druck > 18 mmHg). Die Zielfrequenz konnte bei allen Patienten der Interventionsgruppe innerhalb von 24 h erreicht werden. Die Patienten der Kontrollgruppe, die die übliche Sepsistherapie erhielten, wiesen weiterhin eine Herzfrequenz im Median deutlich über 100/min auf. Der MAP wurde in der Interventionsgruppe durch die Senkung der Herzfrequenz nicht beeinflusst und war in beiden Gruppen vergleichbar; vielmehr konnte die Dosierung an Noradrenalin in der Esmololgruppe um 0,11 μg/kgKG/min (IQR: 0,46–0,00 μg/kgKG/min; p = 0,003) gesenkt werden. Bei eingehender Betrachtung der sekundären Outcome-Parameter fällt insbesondere auf, dass die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) in der Esmololgruppe signifikant besser erhalten blieb als in der Kontrollgruppe. Noch viel überraschender ist jedoch der beobachtete Unterschied in der Mortalitätsrate nach 28 Tagen: 49 % bei den Patienten, die mit Esmolol behandelt wurden, im Vergleich zu 81 % in der Kontrollgruppe (p < 0,001). Aus diesen Zahlen wird aber auch deutlich, dass die Ergebnisse der Studie mit Vorsicht zu interpretieren sind, da eine Mortalität von Patienten im septischen Schock mit über 80 % ungewöhnlich hoch erscheint. Andererseits ist der Unterschied so deutlich ausgeprägt, dass durchaus ein Effekt des Esmolols auf die Mortalität existieren könnte.

Eine weitere randomisierte kontrollierte Phase-II-Studie an Sepsispatienten untersuchte den Nutzen einer Statintherapie bei schwerer Sepsis [23]. Die Patienten wurden entweder mit 20 mg/Tag Atorvastatin (n = 123) oder Placebo (n = 127) behandelt. Es konnten keinerlei Unterschiede im Hinblick auf den Sequential Organ Failure Assessment (SOFA) Score oder die Sterblichkeitsrate auf der ICU, im Krankenhaus, nach 28 oder 90 Tagen, festgestellt werden. Nur in der vordefinierten Subgruppe der Patienten, die bereits unter einer Dauertherapie mit einem Statin standen (n = 77) und der Placebogruppe der Studie zugeordnet worden waren (n = 40), wurde eine Zunahme der Mortalität nach 28 Tagen festgestellt (28 vs. 5 %, p = 0,01), die allerdings nach 90 Tagen statistisch nicht mehr signifikant war (28 vs. 11 %, p = 0,06).

Ein ebenso neutrales Ergebnis zeigte eine Studie zum Nutzen einer Statintherapie bei Patienten mit ventilatorassoziierter Pneumonie [24]. Randomisiert wurde die Gabe von 60 mg Simvastatin mit Beginn der Antibiotikabehandlung einer ventilatorassoziierten Pneumonie im Vergleich zu Placebo untersucht. Die Studie wurde nach der ersten Interimsanalyse nach Aufnahme von 251 der geplanten 1002 Patienten abgebrochen, weil sich weder im primären Outcome-Parameter der 28-Tage-Mortalität noch in der ICU-Verweildauer, Beatmungsdauer oder dem SOFA Score Unterschiede nachweisen ließen.

Fazit für die Praxis

Ähnlich wie für die perioperative Situation gilt, dass eine bereits vorbestehende Statintherapie beim Sepsispatienten nicht unterbrochen werden soll. Ein Neuansetzen eines Statins bringt jedoch keinen Vorteil.

Es wurde noch eine 3. Phase-II-Studie an Sepsispatienten 2013 veröffentlicht. In einem randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studiendesign wurden die Sicherheit und der Nutzen von Talactoferrin bei Patienten mit schwerer Sepsis untersucht [25]. Talactoferrin ist die rekombinante humane Form des Laktoferrins, das in der Muttermilch enthalten ist und für das protektive Effekte auf die gastrointestinale Mukosa beim Menschen nachgewiesen sind. Talactoferrin (1,5 g) wurde 97 Patienten 3-mal täglich enteral verabreicht und deren 28-Tage-Mortalität mit der Placebogruppe (n = 93) verglichen. Das Ergebnis zeigte eine relative Reduktion des Risikos, nach 28 Tagen zu versterben, auf fast die Hälfte durch die Gabe von Talactoferrin: 14,4 vs. 26,9 % (p = 0,052). Dieser Überlebensvorteil blieb auch nach 6 Monaten erhalten (21,1 vs. 35,6 %, p = 0,039). Nebenwirkungen wurden nicht festgestellt. Ob sich diese eindrücklichen Ergebnisse jedoch zukünftig bestätigen lassen oder der Ausgang ähnlich ist wie bei zahlreichen anderen Therapieverfahren für die Sepsis in den vergangenen Jahren, werden zukünftige Studien zeigen müssen.

Ein weiteres Thema, das immer wieder im Rahmen der Sepsistherapie diskutiert wird, ist die „High-volume“-Hämofiltration – unter der Annahme, dass die Immunreaktion durch die Entfernung von inflammatorischen Zytokinen und Toxinen unterstützt werden kann. In einer prospektiven, randomisierten Multizenterstudie auf 18 ICU wurde bei 66 Patienten im septischen Schock mit akutem Nierenversagen eine Hämofiltration mit 70 ml/kgKG/h durchgeführt, während in der Kontrollgruppe nur 35 ml/kgKG/h filtriert wurden (n = 71, [26]). Weder in der 28-Tage-Mortalität als primärem Endpunkt noch in der hämodynamischen Stabilität, dem SOFA Score, der ICU-Verweildauer oder der Sterblichkeit nach 60 und 90 Tagen gab es signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.

Die Mikrozirkulation während der Sepsis war das Thema von 2 Studien, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurden. De Backer et al. [27] wiesen an 252 Patienten mit schwerer Sepsis nach, dass mikrozirkulatorische Parameter – untersucht durch die sublinguale Mikroskopie – ein besserer Prädiktor für das Outcome sind als globale hämodynamische Parameter wie ZVD, MAP, Serumlaktatspiegel oder zentralvenöse Sauerstoffsättigung. Diese Methode könnte zukünftig auch für die Optimierung der Steuerung der Flüssigkeitstherapie genutzt werden, da hiermit Patienten identifiziert werden könnten, deren Mikrozirkulation durch eine weitere Flüssigkeitstherapie verbessert werden kann, auch wenn globale Parameter der Hämodynamik wie die Veränderung des Schlagvolumens nicht mehr auf eine Volumengabe reagieren [28].

Die allerwichtigste Maßnahme, um das Outcome von Sepsispatienten zu verbessern, ist und bleibt die leitliniengerechte Therapie [29]. Das wichtigste Hilfsmittel hierfür sind „standard operating procedures“ (SOP). Bei dem Projekt Generalized Early Sepsis Intervention Strategies (GENESIS) wurde in einer Multizenterstudie der Effekt der Einführung einer „Sepsis-SOP“ auf die Krankenhaussterblichkeitsrate untersucht [30]. Die Maßnahmen, die im Rahmen der SOP abgearbeitet werden müssen, sind in Tab. 2 aufgeführt.

Tab. 2 „Resuscitation bundle“ des Projekts Generalized Early Sepsis Intervention Strategies. (Nach [30])

Aufgenommen wurden 5061 Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock in 8 Krankenhäusern. Von diesen Patienten wurden 952 vor Einführung der Sepsis-SOP (Kontrollgruppe) behandelt und 4109 nach deren Implementierung (Interventionsgruppe). Zudem nahmen 1294 Patienten aus 3 Kliniken, in denen eine Sepsis-SOP bereits Bestandteil des Therapiekonzepts war, an der Studie teil. Die 692 Patienten, bei denen die GENESIS-SOP vollständig abgearbeitet wurde, gingen in die Interventionsgruppe ein, die restlichen 602 Patienten in die Kontrollgruppe. Das Ergebnis der Untersuchung ist eindrücklich: Die Letalität der Sepsis betrug in der Interventionsgruppe 28,8 % im Vergleich zu 42,8 % in der Kontrollgruppe (p < 0,001, RR: 0,67, 95 %-KI: 0,63–0,72); die Krankenhausverweildauer konnte im Median um 5 Tage verkürzt (15,6 vs. 20,7 Tage, p < 0,001) und die Kosten pro Patient um 48.000 US$ gesenkt werden (96.000 vs. 144.000 US$, p < 0,001). Um ein Leben zu retten, wurde eine „number needed to treat“ (NNT) von 7 berechnet.

Fazit für die Praxis

Das Etablieren einer Sepsis-SOP rettet Leben. Durch eine einfach umsetzbare und lediglich auf die Strukturierung von Arbeitsabläufen fokussierte Maßnahme kann eine Letalitätsratenreduktion von absolut 14 %-Punkten erreicht werden.

Kognitive Beeinträchtigung nach Intensivtherapie

Wie ist die kognitive Funktion der Patienten, die nach einer Intensivtherapie das Krankenhaus verlassen konnten? In der The BRAIN Intensive Care Unit (ICU) Study: Bringing to Light the Risk Factors (BRAIN-ICU) wurde die globale kognitive Funktion von 821 Intensivpatienten nach der Krankenhausentlassung untersucht [31]. Nach 3 Monaten hatten 40 % der Patienten eine zerebrale Leistungsfähigkeit, die 1,5 Standardabweichungen unter dem altersentsprechenden Durchschnitt lag und damit vergleichbar derer von Patienten nach einem mittelschweren Schädel-Hirn-Trauma war. Bei 26 % war die Einschränkung noch ausgeprägter (2 Standardabweichungen unter dem Durchschnitt) und entsprach der von Patienten mit leichter Alzheimer-Krankheit. Auch 12 Monate nach der Krankenhausentlassung war ein entsprechendes Ausmaß an Beeinträchtigungen der zerebralen Funktion noch bei 34 bzw. 24 % der Patienten nachweisbar. Als deutlicher Risikofaktor für kognitive Störungen nach einer Intensivtherapie wurde auch in dieser Studie das Delir identifiziert. Je länger es andauerte, desto schlechter war die zerebrale Funktion nach der Krankenhausentlassung. Die Gabe von Sedativa und Analgetika dagegen war nicht mit der kognitiven Funktion assoziiert (Kommentare: [32]).

„Antimicrobial stewardship“

Der klinische Nutzen einer Antimicrobial stewardship (AMS) ist unbestritten. Jedoch gibt es verschiedene Modi der Umsetzung in der Praxis: persönlicher oder telefonischer Kontakt, tägliche oder wöchentliche Konsultation, Pharmazeut oder Infektiologe oder beide gemeinsam?

Auf einer internistischen ICU wurde die AMS während einer Interventionsphase von 3 Monaten (n = 123) durch einen täglich anwesenden Infektiologen intensiviert [33]. Seine Arbeitsbelastung hierfür wurde mit 2 h/Tag kalkuliert. Die Übereinstimmung der Antibiotikatherapie mit den Empfehlungen der Leitlinien, der Antibiotikaverbrauch, die Dauer der Antibiotikatherapie, die ICU-Verweildauer, die Beatmungsdauer und die Krankenhaussterblichkeit wurden mit 123 Patienten, die vor dieser Intervention behandelt wurden, verglichen. In dieser Kontrollperiode von ebenfalls 3-monatiger Dauer wurde die AMS durch die telefonische oder elektronische Konsultation zwischen Infektiologen und den Intensivmedizinern gewährleistet; auch ein Pharmazeut war bereits eingebunden. Die weitere Intensivierung der AMS erbrachte einen um hochgerechnet 90.000 US$/Jahr niedrigeren Kostenaufwand für Antibiotika. Der Anteil der Patienten, die leitliniengerecht mit Antibiotika behandelt wurden, war in der Interventionsperiode deutlich höher (88 vs. 63 %, p < 0,0001), die Beatmungsdauer um 4 Tage kürzer (6 vs. 10 Tage, p = 0,005), die ICU-Verweildauer 2 Tage kürzer (8 vs. 10 Tage, p = 0,02) und die Krankenhaussterblichkeitsrate niedriger (24 vs. 37 %, p = 0,04).

Kardiopulmonale Reanimation

Seit den 2 wegweisenden RCT [34, 35] aus 2002 hat die milde therapeutische Hypothermie (MTH) Einzug in die Postreanimationsbehandlung genommen, und es wurden zahllose Patienten mit diesem modernen Therapieverfahren nach erfolgreicher kardiopulmonaler Reanimation behandelt.

In der multizentrischen, randomisierten kontrollierten Studie von Kim et al. [36] wurde aktuell der Frage nachgegangen, ob Patienten vom bereits prähospitalem Beginn einer MTH nach erfolgreicher Reanimation profitieren. Weder die Überlebensrate noch das neurologische Ergebnis konnten bei prähospitalem Beginn der Kühlung durch die Infusion von bis zu 2 l 4 °C kalter Kochsalzlösung nach „return of spontaneous circulation“ (ROSC) verbessert werden. Die Studie wurde bereits ausführlich kommentiert [37]. Hervorzuheben ist, dass die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdiensts im Schnitt nur ca. 5 min betrug und bei zwei Drittel der Patienten mit Kammerflimmern und der Hälfte der Patienten, die keinen defibrillierbaren Rhythmus aufwiesen, eine Laienreanimation stattfand.

In einer weiteren großen multizentrischen RCT zur MTH wurden 2 Zieltemperaturen untersucht (33 vs. 36 °C, [38]). Zwischen Patienten, die auf 33 °C-Körpertemperatur gekühlt wurden, und den Patienten, die nur auf 36 °C gekühlt wurden, fand sich ein Unterschied weder im Hinblick auf die Überlebensrate noch auf das neurologische Outcome (detaillierte Darstellung und Kommentare zu dieser Studie: [37]). Wie in der Studie von Kim et al. [36] war die Rate an Laienreanimationen mit 73 % ungewöhnlich hoch, ein „basic life support“ wurde im Schnitt schon nach 1 min begonnen und ein „advanced life support“ nach ca. 10 min. Dies spiegelt sich u. a. in der sehr hohen Rate an Überlebenden mit gutem neurologischem Ergebnis wider.

Fazit für die Praxis

Die Studien zeigen an hochselektionierten Patientenkollektiven (kurze Ischämiezeit, hohe Rate an Laienreanimationen), dass möglicherweise nicht alle Patienten von einer bereits prähospital initiierten MTH profitieren und die tatsächlich avisierte Zieltemperatur weiterhin unklar ist. Eventuell sind es nämlich v. a. die Patienten mit einer langen „No-flow“-Zeit, die den größten Benefit von einer MTH haben [39]. Auch die Kühlmethode muss noch weiter untersucht werden, da die Infusion größerer Mengen kalter Infusionslösung unerwünschte Nebenwirkungen haben kann.

Thoraxkompressionen werden in den Leitlinien zur kardiopulmonalen Reanimation von 2010 in ihrer Bedeutung weiter hervorgehoben [40]. Ob Patienten von einer maschinellen im Vergleich zur manuellen Thoraxkompression profitieren, wurde nun in der Studie LUCAS in Cardiac Arrest (LINC) untersucht [41]. Bei prähospitalem Herz-Kreislauf-Stillstand (defibrillierbare und nichtdefibrillierbare Herzrhythmen bei Beginn der Reanimationsmaßnahmen) erfolgte bei 1300 Patienten die Thoraxkompression mithilfe des „Lund University cardiac assist systems“ (LUCAS) und bei 1289 Patienten die konventionelle manuelle Thoraxkompression. Die Überlebensrate nach 4 h (23,6 vs. 23,7 %), die ROSC-Rate (35,4 vs. 34,6 %) und das neurologische Ergebnis bei ICU- bzw. Krankenhausentlassung sowie ein und 6 Monate nach dem Herz-Kreislauf-Stillstand unterschieden sich nicht zwischen den beiden Gruppen. Jedoch fanden sich bei den Patienten mit mechanischer Thoraxkompression häufiger schwere Komplikationen wie z. B. Milzruptur, Wirbelkörperfraktur oder Pneumothorax (7 vs. 3 schwere Komplikationen).

Fazit für die Praxis

Mechanische Hilfsmittel verbessern die Qualität der Thoraxkompression und schaffen personelle Ressourcen, die in solch arbeitsintensiven Situationen effektiver genutzt werden könnten. Der Nutzen des frühen Einsatzes solcher automatischer Reanimationshilfsmittel ist nach den Ergebnissen der LINC-Studie aber fraglich, insbesondere wenn dadurch so essenzielle Maßnahmen wie die Defibrillation um 90 s verzögert werden. Falls jedoch ein Patient unter Reanimationsbedingungen transportiert werden muss (z. B. hypotherme Patienten), beispielsweise eine Herzkatheteruntersuchung unter mechanischer Reanimation erfolgen soll oder nach Einleitung einer Lysetherapie über 60–90 min reanimiert werden muss, könnten solche Geräte Vorteile bieten. Es bleibt aber weiterhin unklar, ob dies Einfluss auf das Überleben der Patienten hat.

Die Prognose des Überlebens und des neurologischen Ergebnisses nach erfolgreicher Reanimation ist durch die Einführung der MTH sowie des damit notwendigen regelhaften Einsatzes von Sedativa und Analgetika nicht einfacher geworden. Die Metaanalyse von 10 Studien mit insgesamt 1153 Patienten zeigte, dass 72 h nach ROSC das Fehlen einer Schmerzreaktion oder des Kornealreflexes nicht als Zeichen einer schlechten neurologischen Prognose interpretiert werden dürfen, wenn die Patienten mit milder Hypothermie behandelt wurden. Dagegen sind die Validitäten des Pupillenreflexes und von somatosensorisch evozierten Potenzialen vergleichbar zu den Patienten, die nach Reanimation nicht mit milder Hypothermie behandelt worden sind [42].

In einer weiteren Metaanalyse zur MTH nach Reanimation wurden 23 Studien mit insgesamt 2820 Patienten hinsichtlich der Prävalenz an Infektionen ausgewertet [43]. Es zeigte sich zwar im Hinblick auf die Gesamtzahl der Infektionen keine erhöhte Prävalenz bei den mit Hypothermie behandelten Patienten. Aber die Patienten der Hypothermiegruppe litten signifikant häufiger an einer Pneumonie (OR: 1,44, 95 %-KI: 1,10–1,90) oder einer Sepsis (OR: 1,80, 95 %-KI: 1,04–3,10). Die Autoren der Arbeit schlussfolgern daraus, dass bei zukünftigen Studien zur MTH nicht nur die Gesamtheit der Infektionen als unerwünschte Nebenwirkung erfasst werden soll, sondern im Speziellen auch die Rate an Pneumonien und Sepsis. Studien zur prophylaktischen Antibiotikagabe unter Hypothermiebehandlung könnten sinnvoll sein.

Fazit für die Praxis

Bei Patienten unter MTH sollte ein ganz besonderes Augenmerk auf die ersten Symptome der Sepsis und der Pneumonie gerichtet werden, um eine Gabe von Antibiotika möglichst frühzeitig zu beginnen.

Fieber

In einer großen Kohortenstudie wurde die Assoziation zwischen der maximalen Körpertemperatur während der ersten 24 h der Intensivtherapie und der Mortalität untersucht [44]. Retrospektiv wurden die Daten von mehr als 29.000 Patienten aus 2005–2009, die aufgrund einer Infektion auf eine ICU aufgenommen wurden, und von fast 240.000 Patienten, die bei Aufnahme keine Infektion hatten, ausgewertet. Ausgeschlossen waren Patienten nach kardiopulmonaler Reanimation (Gefahr des Bias durch MTH). Die Patienten wurden kategorisiert nach ihrer maximalen Körpertemperatur in den ersten 24 h auf der ICU (< 36 °C, 8 Kategorien in 0,5-K-Schritten von 36,0 bis 39,9 °C, ≥ 40,0 °C). Den normothermen Patienten (maximale Körpertemperatur 36,5–36,9 °C) wurde als Bezugsgröße eine OR für die Mortalität von 1,0 zugewiesen. Die Patienten mit Infektion hatten das geringste Risiko zu versterben, wenn die maximale Körpertemperatur zwischen 39,0 und 39,4 °C betrug (OR: 0,56, 95 %-KI: 0,44–0,66). Bei einer Hypothermie (≤ 36,4 °C) war die Mortalität dagegen erhöht (OR: 1,42, 95 %-KI: 1,23–1,65). Bei noch niedrigerer Körpertemperatur stieg die Sterblichkeitsrate sogar auf das 3-Fache an (OR: 3,01, 95 %-KI: 2,37–3,82).

Wenn keine Infektion vorlag, stellte sich das Bild etwas anders dar. Für diese Patienten stieg das Risiko zu versterben deutlich an, wenn die maximale Körpertemperatur ≥ 39,0 °C bzw. ≤ 36,4 °C betrug. Bei einer Temperatur ≥ 40,0 °C war die Mortalität auf etwa das Zweifache erhöht (OR: 2,07, 95 %-KI: 1,68–2,55). Diese Ergebnisse werden durch die Daten der Fever and Antipyretic in Critically ill patients Evaluation (FACE) Study Group unterstützt [45]. Die Arbeitsgruppe wies in einer großen prospektiven Beobachtungsstudie nach, dass die Mortalität bei den 606 an Sepsis erkrankten Patienten unabhängig von der maximalen Körpertemperatur während der Intensivtherapie war. Selbst ein Vergleich der Sepsispatienten, die Fieber ≥ 39,5 °C hatten, mit den durchgehend normothermen Patienten ergab ein OR für die 28-Tage-Mortalität von 0,47 mit einem 95 %-KI von 0,19–1,18. Wenn dagegen keine Sepsis vorlag (n = 819), war die Sterblichkeitsrate bei Fieber ≥ 39,5 °C um den Faktor 8 erhöht (95 %-KI: 1,67–39,59). Eine medikamentöse Fiebersenkung mit nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAID) oder Paracetamol war im Unterschied zur externen Kühlung in der Gruppe der Sepsispatienten ein unabhängiger Risikofaktor für eine erhöhte Mortalität: OR für NSAID 2,48 (95 %-KI: 1,02–6,01), für Paracetamol 1,95 (95 %-KI: 1,06–3,57) und für die externe Kühlung 1,23 (95 %-KI: 0,69–2,21). Im Gegensatz dazu war jedoch bei den 819 Intensivpatienten ohne Sepsis kein Zusammenhang zwischen einer pharmakologischen Fiebersenkung und der Sterblichkeit darzustellen.

Eine deutlich kleinere Studie zur Fiebersenkung durch externe Kühlung hat für Patienten im septischen Schock Vorteile nachgewiesen. In der randomisierten kontrollierten Multizenterstudie wurden 101 Patienten, die im septischen Schock intubiert, beatmet und katecholaminpflichtig waren, für 48 h durch externe Kühlung normotherm gehalten (Kontrollgruppe ohne Kühlungstherapie, n = 99, [46]). Der primäre Outcome-Parameter einer Halbierung der Vasopressordosierung nach 48 h wurde dadurch nicht beeinflusst. Als sekundärer Zielparameter konnte jedoch diese Dosisreduktion nach 12 h Kühlungstherapie signifikant häufiger erreicht werden (54 vs. 20 %, p < 0,001). Die Sterblichkeitsrate nach 14 Tagen war bei den Patienten, deren Fieber durch externe Kühlung gesenkt wurde, niedriger (19 vs. 34 %, p = 0,013).

Hypothermie bei Meningitis

In einer randomisierten kontrollierten Multizenterstudie sollte der Nutzen der MTH bei bakterieller Meningitis untersucht werden [47]. Aufgenommen wurden Patienten, die bei Diagnose seit weniger als 12 h einen Wert ≤ 8 in der Glasgow Coma Scale (GCS) aufwiesen. Die Zieltemperatur der therapeutischen Hypothermie war 32–34 °C und wurde durch Gabe von 4–6 °C kalter Kochsalzlösung induziert. Nach Aufnahme von 98 Patienten wurde die Studie wegen erhöhter Mortalität in der Hypothermiegruppe abgebrochen (69 vs. 49 %, p = 0,04). Bis zu diesem Zeitpunkt waren je 49 Patienten in die Hypothermie- bzw. Kontrollgruppe randomisiert worden. Die Auswertung der Daten dieser Patienten zeigte ein deutlich schlechteres neurologisches Outcome nach 90 Tagen in der Hypothermiegruppe: Keine oder nur leichte neurologische Schädigung (gemessen mithilfe der Glasgow Outcome Scale) erlitten 27 % der Patienten in der Kontrollgruppe, aber nur 14 % in der Hypothermiegruppe.

Fazit für die Praxis

Eine Hypothermie ist beim Intensivpatienten (außer nach kardiopulmonaler Reanimation) mit einer deutlich erhöhten Sterblichkeit assoziiert und muss daher insbesondere bei Sepsis vermieden werden. Eine Fiebersenkung bei Sepsis mit NSAID und Paracetamol erhöht die Sterblichkeit. Ob eine Fiebersenkung durch externe Kühlung beim septischen Patienten außer bei sehr hohem Fieber überhaupt einen Vorteil bietet, müssen weitere Studien zeigen.