Einleitung

Der Intensivmedizin kommt in den deutschen Krankenhäusern medizinisch und wirtschaftlich eine immer wichtigere Rolle zu. Aufgrund des stetigen medizinischen Fortschritts mit einer Zunahme von komplexen Operations- und Behandlungsverfahren und der demographischen Entwicklung wurden in Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich Intensivbetten aufgebaut, bei zeitgleichem Abbau von Normalstationsbetten [12, 22, 24]. Neben den operativen Eingriffen ist die Intensivmedizin der kosten- und erlösrelevanteste Bereich im stationären Sektor des Gesundheitssystems geworden. Obwohl es in Deutschland verglichen mit allen anderen europäischen Ländern überdurchschnittlich viele Intensiv- und Intermediate Care Betten bezogen auf die Einwohnerzahl gibt (etwa 30 pro 100.000; [21]), kommt es paradoxerweise in diesem Bereich immer wieder zu Engpässen in der Versorgung. Dies erscheint problematisch, da eine nicht ermöglichte oder verzögert bereitgestellte Intensivtherapie aufgrund von Kapazitätsproblemen zu einer Erhöhung der Mortalität führt [7, 11]. Weiterhin hat die Komplexität der intensivmedizinischen Behandlung und die mit der epidemiologischen Entwicklung einhergehende Zahl schwerkranker Patienten in den letzten Jahren deutlich zugenommen [19]. Insgesamt bieten deutsche Krankenhäuser im internationalen Vergleich ein hohes Leistungsniveau, was mit einer steigenden Anzahl von Interventionen, Operationen und komplexen Therapien wie der maschinellen Beatmung oder extrakorporalen Herz‑, Lungen- oder Nierenersatzverfahren einhergeht [6, 14] und bisher keiner Rationierung von Leistungen unterliegt. Dies führt zu einem stetig steigenden Bedarf an Intensivbehandlung. Um ein entsprechend hohes Angebot mit entsprechender Qualität anzubieten, ist eine adäquate Personalausstattung eine unabdingbare Voraussetzung.

Die Strukturvoraussetzungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und auch die ersten Krankenhausrahmengesetze, wie z. B. das in Nordrhein-Westfalen, empfehlen, wenn auch ohne unmittelbare rechtliche Konsequenzen, dass maximal 2 Patienten auf der Intensivstation von einer Pflegekraft betreut werden sollen [8]. Bei komplexen Organersatzverfahren wird sogar ein Pflegeschlüssel von 1:1 empfohlen. Die Vorgabe eines solchen Personalschlüssels soll der Überbelastung des Pflege- und ärztlichen Personals entgegenwirken und eine möglichst hohe Qualität der medizinischen Versorgung garantieren. In verschiedenen internationalen Studien konnten zudem eine Assoziation zwischen einer eingeschränkten Personalbesetzung und der Krankenhaussterblichkeit aufgezeigt werden wie auch eine Verbesserung des Überlebens durch eine bessere Qualifikation des Pflegepersonals [1,2,3,4,5, 16, 18]. Deutsche Krankenhäuser weisen dabei einer aktuellen Analyse der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge europaweit eine der niedrigsten Quoten von Pflegekräften pro Bett auf [17], was sich vice versa in pflegesensitiven Outcomeparametern wiederspiegelt [13]. Zudem ist die Anzahl der verfügbaren Stellenbewerber im intensivmedizinischen Bereich in deutschen Krankenhäusern im pflegerischen wie im ärztlichen Bereich in den letzten Jahren rückläufig, sodass die Zahl der offenen Stellen stetig zunimmt [9, 12]. Aggraviert wird dieses Problem durch den demographischen Wandel, der zu einer Reduktion der erwerbstätigen Bevölkerung durch geburtenschwächere Jahrgänge führen wird, bei gleichzeitig steigender Zahl morbiderer, älterer und potenziell intensivpflichtiger Patienten [23].

Die Kliniken sehen sich zeitgleich mit einem zunehmenden Kostendruck konfrontiert, der eine adäquate Personalausstattung erschwert. Diese spielt aber für die Versorgung der Patienten und eine nachhaltige Personalbindung eine entscheidende Rolle. Die jüngsten Überprüfungen der Fallpauschalen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) führten als Folge einer unzureichenden Personalausstattung auf den Intensivstationen zu Kürzungen der Erlöse. Es droht eine gefährliche Abwärtsspirale, da Erlöskürzungen in den allermeisten Krankenhäusern unweigerlich zu einem Personalabbau führen müssen, um wirtschaftliche Vorgaben einzuhalten. An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass die Versorgungsqualität von Intensivpatienten zunehmend im Spannungsfeld zwischen medizinischen und ökonomischen Interessen liegt, also zwischen den Erfordernissen der Behandlungsqualität einerseits und dem Zwang zur ökonomischen Ausrichtung der Kliniken andererseits. Der seit Jahren bestehende Investitionsstau in deutschen Kliniken aggraviert dieses Problem weiter.

Aktuell existieren in Deutschland nur wenige flächendeckende Daten zur pflegerischen Personalbesetzung und einer damit einhergehenden Sperrung von Intensivbetten. Die vorliegende Umfrage erhebt systematisch Bettensperrungen auf Intensivstationen aller Fachdisziplinen in Deutschland und analysiert die Gründe dafür.

Methode

Es handelte sich um eine Onlineumfrage unter den von den 16 Landesärztekammern geführten Weiterbildungsbefugten für die Zusatzbezeichnung Intensivmedizin (Anästhesiologie, Chirurgie, innere Medizin, Kinder- und Jugendmedizin, Neurochirurgie und Neurologie). Es wurden Kernfragen durch die Mitglieder der Autorengruppe zur generellen Betten- und Pflegesituation in der Intensivmedizin erstellt und mit einer Punktprävalenzerhebung kombiniert. Der Fragebogen wurde anonymisiert online mit dem EFS Survey der Firma Questback (ww3.unipark.de, Oslo, Norwegen) erstellt, innerhalb der Autorengruppe getestet und dann versendet. Insgesamt erhielten 1036 Weiterbildungsbefugte aller Fachdisziplinen eine Einladung per E‑Mail, gefolgt von einer automatisierten 3‑maligen Erinnerung, von denen sich insgesamt 442 (42,7 %) im Zeitraum vom 23.11. bis 07.12.2017 an der Umfrage beteiligten. Die statistische Auswertung erfolgte mit IBM© SPSS© Statistics Version 22.0 (New York, NY, USA). Mithilfe von Kreuztabellen wurde die relative Häufigkeit verschiedener Einflussfaktoren auf Anzahl und Häufigkeit der Bettensperrungen sowie den Schlüssel des Pflegepersonals ermittelt und mittels χ2-Test auf Unabhängigkeit überprüft. Ein p‑Wert <0,05 wurde als statistisch signifikant angesehen.

Ergebnisse

Unter den 3 führenden Fachabteilungen wurde die Intensivstation in 28,5 % interdisziplinär, in 26,0 % von der Anästhesie und in 19,9 % von der inneren Medizin geleitet. Die übrigen Disziplinen verteilten sich in geringerem Maße auf Chirurgie, Neurochirurgie, Neurologie und Pädiatrie. Die Weiterbildungsbefugten hatten in mehr als 60 % der Fälle eine Berufserfahrung von mehr als 20 Jahren. Als Versorgungsstufe des Krankenhauses wurde in 25,6 % der Fälle eine Universität, in 18,8 % ein nichtuniversitärer Maximalversorger, in 31,0 % eine Klinik der Schwerpunktversorgung, in 19,9 % der Fälle ein Regelversorger, in 2,3 % ein Grundversorger und in 2,4 % ein sonstiges Krankenhaus angegeben. Mehr als die Hälfte der Stationen (58 %) hielten einen hohen Anteil (>70 %) an Beatmungsmöglichkeiten vor. Die Verteilung der Intensivstationen und Krankenhäusern nach Stadtgröße war sehr gleichmäßig zwischen <50.000 Einwohnern bis >1 Mio. Auf 76,2 % aller Intensivstationen wurden nach Angabe der Weiterbildungsbefugten generell Betten in unterschiedlichem Maß gesperrt (Abb. 1a), hierunter in 22,4 % der Fälle sogar täglich und in 9 % in mindestens 50 % der Untersuchungszeit. In 46,8 % wurden 2 Betten gesperrt mit einer breitgefächerten Verteilung von einem bis über 8 gesperrte Betten hinaus (Abb. 1b). Am Tag des Ausfüllens des Onlinefragebogens als zusätzliche Punktprävalenz waren auf knapp 44 % der Intensivstationen keine Betten gesperrt, auch hier mit einer breiten Streuung bis über 40 % der Gesamtkapazität (Abb. 1c). Auf die Frage nach einer Beeinträchtigung der Notfallversorgung konnten lediglich 18,2 % der Umfrageteilnehmer von keiner Einschränkung berichten, in knapp 30 % war dies häufig oder immer der Fall (Abb. 2a). Eine Absage oder Verschiebung von Operationen war hingegen nur in 11,5 % der Fälle häufig notwendig (Abb. 2b), die überwiegende Zahl musste nur gelegentlich eine geplante Operation verschieben. Als Hauptgrund für die Bettensperrung ließ sich der isolierte Mangel an Pflegepersonal in 43,8 % und der zeitgleiche Mangel an Pflege- und Ärztepersonal in 18,8 % der Fälle eruieren (Abb. 3). Das durchschnittliche geplante Pflege-Patienten-Verhältnis lag in der Frühschicht bei 1:2,5 (Abb. 4a), in der Spätschicht bei 1:2,6 (Abb. 4b) und nachts bei 1:3,1 (Abb. 4c). Ein Schlüssel von 1:4 kam nachts in 21,0 % der Fälle vor, eine 1:1-Betreuung stellte hingegen selbst am Tag eine Rarität dar (<1 %). Der häufigste angegebene Pflegeschlüssel war im Frühdienst ein 1:2-Pflegeschlüssel (50,0 %), in der Spät- (46,8 %) und Nachtschicht (49,5 %) ein 1:3-Pflegeschlüssel (Abb. 4a–c). Die Anzahl der Umfrageteilnehmer nach Bundesland zeigte eine deutliche Variation, ebenso der Pflegeschlüssel (Tab. 1).

Abb. 1
figure 1

Prozentuale Bettensperrung auf deutschen Intensivstationen allgemein (a), nach Zahl der gesperrten Betten (b) und prozentual (c). (Adaptiert nach [15])

Abb. 2
figure 2

Beeinträchtigung der Notfallversorgung (a) und Einschränkung der Operationskapazitäten durch die Intensivbettensperrung (b). (Adaptiert nach [15])

Abb. 3
figure 3

Gründe der Intensivbettensperrung. MRE Multi-resistente Erreger. (Adaptiert nach [15])

Abb. 4
figure 4

Durchschnittlicher Pflegeschlüssel auf deutschen Intensivstationen in der Früh- (a), Spät- (b) und Nachtschicht (c). (Adaptiert nach [15])

Tab. 1 Pflege-Patienten-Schlüssel nach Bundesländern und Schichten

In der weiteren Erfragung der Ursachen der Bettensperrung und des Pflegemangels fand sich kein statistischer Zusammenhang zwischen der Sperrung der Betten und der Stadtgröße sowie der Versorgungsstufe des Krankenhauses. Zum aktuellem Zeitpunkt der Befragung jedoch waren in Universitätskliniken und Maximalversorgern signifikant mehr Betten gesperrt (p < 0,001). Im Gegenzug zeigte sich jedoch ein statistisch signifikanter Unterschied zugunsten einer besseren Pflegebesetzung in Universitätskliniken und Maximalversorgern im Vergleich zu Schwerpunkt‑, Regel- und Grundversorgern über alle Schichten hinweg (Frühschicht p = 0,001, Spät- und Nachtschicht p < 0,001). In Krankenhäusern mit mehr als 500 Betten waren zudem signifikant häufiger Betten gesperrt (p = 0,009).

Diskussion

Die aktuelle Umfrage zeigt, dass Bettensperrungen auf deutschen Intensivstationen Realität geworden sind. Der Hauptgrund dafür war in 44 % der Fälle ein Mangel an Pflegenden und in 19 % der Fälle ein Mangel an ärztlichem und pflegerischem Personal. Hierdurch kam es in 20 % der Fälle häufig und in 50 % gelegentlich zur Einschränkung in der Notfallversorgung. Das von der DIVI empfohlene Pflege-Patienten-Verhältnis von 1:2 wird in den Kliniken nur in etwa 50 % der Fälle im Frühdienst erreicht, regelhaft findet sich in Spät- und Nachtschicht eine 1:3-Pflegesituation.

Was bedeuten diese Zahlen für das hochentwickelte deutsche Gesundheitssystem? Eine Einschränkung der Notfallversorgung ausgelöst durch Bettensperrungen in der Folge eines zunehmenden Pflegemangels in einem der sensibelsten Bereichen des Gesundheitssystems wirft viele Fragen auf. Zum einen zeigt die nach Ansicht der Autoren repräsentative Umfrage (Rücklaufquote 43 %) im Kern einen schleichenden aber stark zunehmenden Pflegemangel in der deutschen Intensivmedizin, der in den Kliniken allgegenwärtig geworden ist. Der Mangel führt weiterhin dazu, dass insbesondere im Krankheitsfall eine zusätzliche Arbeitsbelastung auf den Beteiligten ruht, deren Pflegeschlüssel den von der DIVI mit 1:2 empfohlenen ohnehin schon nicht erreicht. Hier droht eine zusätzliche Belastung, obwohl der Gesetzgeber z. B. im Krankenhausrahmenplan NRW (zwar ohne unmittelbare rechtswirksame Auswirkungen) die Vorgabe einer 1:2-Pflege, oder bei Organersatzverfahren auch besser, vorsieht. Angesichts der demographischen Entwicklung und der damit einhergehenden Morbidität muss man eine weitere Verschärfung der Arbeitssituation von Intensivpflegepersonen befürchten. Als Beispiel sei die Behandlung des kardiogenen Schocks, insbesondere im höheren Lebensalter, genannt, bei dem z. B. die American Heart Association aufgrund der Komplexität eine 1:1-Betreuung fordert; unsere Daten zeigen, dass dies in Deutschland aber kaum umsetzbar sein dürfte [25]. Die sich daraus ableitenden Folgen, wie Überlastung, Unzufriedenheit und Burn-out des Pflegepersonals, können sich direkt und indirekt auch in einer Änderung des Patientenoutcome niederschlagen [2]. Erschwerend kommt diesbezüglich in Deutschland eine im europäischen Vergleich wenig gesundheitspolitisch gesteuerte Intensivmedizin hinzu mit auf der anderen Seite aber auch hohen Zahl an Intensivbetten. Dies könnte ein Grund sein, dass in Deutschland bisher selbst bei betagteren Patienten hochinvasive Verfahren trotz einer bekannter Weise deutlich eingeschränkten Langzeitprognose durchgeführt werden [14]. Ein gesellschaftlicher/ethischer Dialog und ein Umdenken in Bezug auf bei zunehmender Überalterung der Gesellschaft sinnvolle und allseitig akzeptierte Grenzen von Indikationen ist daher dringend erforderlich. Weiterhin könnte die weitere Verbreiterung von Patientenverfügungen dem Willen der Patienten mehr Ausdruck verleihen.

Die weiteren Ursachen des Pflegemangels und der damit verbundenen Bettensperrung sind vielfältig (Tab. 2). Zum einen benötigt die intensivmedizinische Pflege aufgrund der natürlichen Fluktuation stetigen Nachwuchs. Die eher unattraktiven Arbeitsbedingungen mit dauerhafter Wechselschicht, hoher physischer und psychischer Arbeitsbelastung, einer mäßigen Vergütung, fehlender klarer Verantwortungszuordnungen, einem Mangel an Praktikumserfahrung auf Intensiveinheiten in der Ausbildung und einer sehr technisierten Umgebung entsprechen nicht dem Wunsch einer guten Work-Life-Balance. Ganz im Gegenteil führt die Intensivmedizin zu einem zunehmenden Burn-out, der bereits jeden 2. bis 3. Mitarbeiter trifft, Tendenz steigend [10]. In der heutigen Zeit ist die Identifikation mit dem Arbeitgeber zudem sicherlich eine andere geworden, sodass die Bindung zunehmend schwindet. Die Zeitarbeit, die zunehmend die Strukturen der Intensivstation zerstört, ist sicherlich ein Ausdruck der fehlenden Identifikation mit dem Arbeitgeber. Bedenklich erscheinen zudem die regionalen Unterschiede in der Besetzung, die alleine in der Frühschicht zwischen 1:2,2 und 1:2,7 variiert, auch wenn wir aktuell keine Unterschiede zwischen Groß- und Kleinstädten finden konnten. Perspektivisch ist hier sicherlich aber die Versorgung ländlicher Regionen noch mehr gefährdet.

Tab. 2 Ursachen des Intensivpflegemangels und Lösungsmöglichkeiten

Wie kann die drohende Einschränkung der Versorgungsqualität Schwerkranker abgewendet werden? Nach Ansicht der Autoren benötigen die gesundheitspolitischen Akteure gemeinsam mit Intensivmedizinern einen Aktionsplan zur Schaffung besserer Arbeitsbedingungen auf pflegerischer und auch ärztlicher Seite. Neben einer dringend notwendigen besseren Vergütung spielen die Erlangung von Kompetenzen, Aufstiegsmöglichkeiten und alternative Arbeitszeitmodelle sowie eine verantwortliche Aufgabenzuordnung sicherlich eine wesentliche Rolle für die kommenden Generationen. Ein weiterer wichtiger Schritt zu einer besseren Qualifikation des Pflegepersonals kann die Gewinnung von primärqualifizierten Bachelorabsolventen der Pflege mit einem daran anschließenden universitären Pflegemasterprogramms Critical Care sein, dessen Ziel es sein muss, die Pflegekräfte mit höherer Qualifikation und dann adäquater Vergütung in der direkten Krankenversorgung zu halten.

Der Anteil von 31,8 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner in Deutschland ist im europäischen Vergleich (11,5 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner) außerordentlich hoch und bindet viel Fachpflegepersonal. Die Verhältnismäßigkeit dieses Ressourceneinsatzes und die im europäischen Vergleich fehlende Zentrierung muss daher kritisch hinterfragt werden. Nicht zuletzt aus ethischer Sicht muss eine Diskussion über sinnvolle Grenzen moderner Intensivmedizin in Abhängigkeit von Prognose, Lebensalter und zu erwartender Lebensqualität erfolgen, wohl stärker als wir dies im Moment gesellschaftlich und wissenschaftlich thematisieren. Die personell gut ausgestattete Intensivmedizin muss daher die Grenzen des Möglichen kritisch reflektieren, die Bedürfnisse und Schicksale von Patienten und Angehörigen stärker in den Fokus nehmen und sich auf sinnvolle Therapien mit langfristigem Nutzen einstellen.

Eine Konzentration auf die Kernbereiche der Intensivmedizin gefährdet aber auf der anderen Seite in der aktuellen Erlössituation im DRG-System das Überleben vieler Krankenhäuser, die ganz wesentlich von den Erlösen der Intensiv- und vor allem Beatmungsmedizin abhängig sind, und in dem Fehlanreize zu mehr und komplexerer intensivmedizinischer Leistung bestehen [20]. Hier ist dringend eine politische Korrektur notwendig, um den ökonomischen Druck auf die Intensivstationen zu reduzieren und die Vergütung der intensivmedizinischen Leistungen zu reformieren. Hierzu wurde bereits mit der Festlegung auf Personaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen, die nicht unterschritten werden dürfen, ein erster Schritt getan. Der Qualitätsausschuss des G‑BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) hat hierzu auch die Intensivstationen benannt.

Die Umfrage weist einige Limitationen auf. Zum einen beruht sie auf der Einschätzung des Weiterbildungsermächtigten und ist keine systematische Erhebung über mehrere Tage und Wochen hinweg. Die lange Berufserfahrung der Teilnehmer und die damit verbundene Einschätzungsfähigkeit wiegt jedoch diese Limitation zumindest in weiten Teilen auf. Es steht zudem zu befürchten, dass in Krankheitssituationen noch schlechtere Pflegeschlüssel zu mehr Bettensperrungen führen und zu einer weiteren Belastung des Pflegepersonals. Hier wäre eine prospektive Beobachtungsstudie mit täglicher Angabe von Ist‑/Soll-Fachkräften, Bettensperrungen und Bettenüberbelegungen auf den Intensivstationen wünschenswert. Die geringe Zahl ausgefallener oder verschobener Operationen kann bei vielen internistischen Teilnehmern der Umfrage nicht als repräsentativ gewertet werden, wenn auch zumindest der Trend besteht, Operationen zu jeder Zeit zu ermöglichen. Ob dieses interessante Ergebnis auch eine ökonomische „Note“ enthält, kann aus den Daten nicht abgelesen werden. Weiterhin stehen die nach Ansicht der Autoren repräsentativen und dem Klinikalltag entsprechenden Ergebnisse im Widerspruch zu dem deutlich besseren Pflegeschlüssel, der im Gutachten des Deutschen Krankenhaus Instituts im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft genannt wird [9]. Auffällig ist zudem die Diskrepanz zu bisher publizierten Daten von Isfort [12], der in einer Onlineumfrage unter Pflegekräften einen deutlich schlechteren Pflegeschlüssel gefunden hat.

Zusammenfassend braucht die Intensiv- und Notfallmedizin in Deutschland dringend einen übergreifenden politischen Handlungsplan, um dem Pflegepersonalmangel und der damit einhergehenden Einschränkung der Versorgung der Bevölkerung und der zunehmenden Alterspyramide entgegenwirken zu können. Ohne eine breite gesellschaftliche Diskussion und einen gemeinsamen Aktionsplan aller Verbände und politischen Kräfte im Gesundheitswesen sowie eine Festlegung eines von Bund und Ländern gegenfinanzierten Mindestpersonalschlüssels über den Gemeinsamen Bundesausschuss steuern wir absehbar auf eine Unterversorgung zu, die gerade in diesem sensiblen Bereich der Medizin zu einer Erhöhung der Mortalität führen könnte. Hier ist der politische Wille unabdingbar, eine gerechte und ausreichende Finanzierung der Intensivmedizin unabhängig von falschen ökonomischen Anreizen zu generieren und insbesondere auch die Leistung der Pflegenden besser zu honorieren.

Fazit für die Praxis

  • Bettensperrungen, hauptsächlich bedingt durch den Pflegemangel, sind auf deutschen Intensivstationen alltägliche Realität geworden.

  • Die Notfallversorgung wird durch die Bettensperrung beeinträchtigt, wohingegen geplante Operationen eher seltener verschoben werden müssen.

  • Als Ausdruck des Pflegemangels liegt der durchschnittliche Pflegeschlüssel mit 1:2,5 in der Frühschicht, 1:2,6 in der Spätschicht und 1:3,1 in der Nachtschicht über dem von der DIVI geforderten von 1:2-Schlüssel.

  • Die Pflegebesetzung weist größere regionale Unterschiede auf.

  • Es ist dringend ein Handlungsplan aller Verbände und politischen Kräfte im Gesundheitswesen von Nöten, um der drohenden Unterversorgung zu begegnen.