Zusammenfassung
Die „Migrationskrise“ im Mittelmeer im Jahr 2011 führte zu einer Krise des Schengen-Systems innerhalb der Europäischen Union. Zwischen den Außengrenzstaaten und den Binnengrenzstaaten der Union entstand ein Konflikt darüber, wie diese Krise überwunden und der europäische Raum gestaltet werde könne. Eine neue Schengen Governance wurde verhandelt. In diesem Artikel analysiere ich die Diskurse in Deutschland und Italien um die neue Schengen Governance, welche exemplarisch für die unterschiedlichen Argumentationen und Positionen der Binnengrenzstaaten und der südlichen Außengrenzstaaten stehen. Deren dichotome Reaktionen auf die Krisensituation im Mittelmeer zeigen, das ist meine These, den Konflikt zwischen den Binnen- und Außengrenzstaaten als Ergebnis der mit dem Abbau der Binnengrenzen einhergehenden Europäisierung der Außengrenzen der Europäischen Union.
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Notes
- 1.
In der hier vorgestellten empirischen Untersuchung wurden die Diskursbeiträge deutscher und italienischer Abgeordneter im Europäischen Parlament in der Debatte um die neue Schengen Governance analysiert sowie die politischen Debatten zum Thema Schengen Governance auf nationaler Ebene in Deutschland und Italien verfolgt. Der Fokus lag auf der Analyse der Verlautbarungen der zuständigen Ministerien (in Redebeiträgen, Presseinterviews, Pressemeldungen und Publikationen der Ministerien), aber auch auf den Redebeiträgen der Abgeordneten in den nationalen Parlamenten.
- 2.
Eine beachtenswerte Übersicht über den Zusammenhang von Staat und Souveränität seit dem 17. Jahrhundert geben Brunner, Conze und Koselleck in ihrem Werk „Geschichtliche Grundbegriffe“ (2004, S. 1–155).
- 3.
Einen Überblick gibt zum Beispiel Gerlich 2007.
- 4.
Zur Notstandsrhetorik der italienischen Regierung siehe Campesi 2011, S. 1, Cuttitta 2014, S. 204 ff. oder McMahon 2012, S. 6. Diese lässt sich nicht erst im Kontext der politischen Umbrüche in Nordafrika beobachten, die politischen Akteure in Italien bedienen sich seit Jahrzehnten einer permanenten Migrationsnotstandsrhetorik (Cuttitta 2012, S. 20).
- 5.
Die Europäische Kommission sicherte Italien humanitäre Unterstützung zu, allerdings im Rahmen bestehender Regulierungen, welche die italienische Regierung jedoch als unzureichend erachtete (McMahon 2012, S. 6).
- 6.
Alle Übersetzungen aus dem Italienischen und dem Französischen stammen von der Autorin.
- 7.
Die Debatte konzentrierte sich dabei auf das Funktionieren des Schengen-Systems innerhalb der Europäischen Union unter den Mitgliedstaaten und ließ die externe Dimension des europäischen Grenzregimes und die Frage weitestgehend außen vor, wie die „Migrationskrise“ gelöst werden konnte, die ursächlich für die Krise des Schengen-Systems war.
- 8.
Die Dichotomie zwischen den Binnengrenzstaaten und den Außengrenzstaaten, beziehungsweise zwischen Zentrum und Peripherie der Europäischen Union und deren „Interdependenzen und Interaktionen“ konzeptionalisiert z. B. Vobruba (2007, S. 17 ff.).
- 9.
Der Autor Gavin Hewitt von BBC News (2011) vermutet beispielsweise, dass das Papier unter nationalem politischen Druck in Frankreich und Italien entstanden sei: „Both Mr Berlusconi and Mr Sarkozy are facing domestic pressure from right-wing parties to curb large-scale immigration“. Auch der deutsche FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff (2011) betrachtet machtpolitische Motive und die Instrumentalisierung „rückgewandte[r], nationale[r] Stimmungen“ als ausschlaggebend für die Initiative.
- 10.
Einen ähnlichen Diskurs führten in Deutschland die Grünen.
- 11.
- 12.
Die Debatte um die neue Schengen Governance ging mit einem weitreichenden Kompetenzkonflikt zwischen den europäischen Institutionen einher (dazu Carrera et al. 2013, S. 9).
- 13.
Dänemark, Irland und Großbritannien nahmen aufgrund ihres Ausnahmestatus nicht an der Abstimmung teil. Zuvor hatte bereits das Europäische Parlament dem Reformpaket zugestimmt.
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Hilpert, I. (2015). Grenzen europäischer Grenzen. Das Schengen-System in der Migrationskrise. In: Preunkert, J., Vobruba, G. (eds) Krise und Integration. Europa – Politik – Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09231-3_5
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