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Publicly Available Published by De Gruyter Saur May 15, 2019

IK und KI – ein Herz und eine Seele

Ein Streit über künstliche Intelligenz im Kontext von Informationskompetenz

  • Christine Burblies

    Christine Burblies (M. A.) leitet seit August 2014 das Referat Informationskompetenz an der TIB in Hannover. Sie studierte Germanistik, Anglistik und Publizistik an der Universität Göttingen. Danach war sie länger in einem Verlag tätig und arbeitete als selbstständige Trainerin im Bereich Buchhandel und Verlagswesen.

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    and Tamara Pianos

    Tamara Pianos studierte Geographie und Anglistik. Nach der Promotion in Kanada-Studien und dem Referendariat arbeitete sie an der TIB in Hannover. Seit 2005 ist sie an der ZBW und dort als Leiterin der Abteilung Informationsvermittlung sowohl für das Produktmanagement des Fachportals EconBiz als auch für die Vermittlung von Informationskompetenz zuständig.

1 Künstliche Intelligenz, Informationskompetenz und Bibliotheken

Künstliche Intelligenz (KI) oder Artificial Intelligence (AI) sind seit einiger Zeit in den Medien sehr präsent und spätestens seit der „Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung“ auch in der deutschen Politik angekommen. Für das Magazin WIRED erläutert Florian Gallwitz, Professor für Medieninformatik an der Technischen Hochschule Nürnberg, den Begriff und macht sich über manche Deutungen und Erwartungen lustig.[1] Während manche große Hoffnungen mit KI verbinden, bereitet der Begriff anderen Sorge: Könnte doch der eigene Arbeitsplatz durch KI überflüssig werden, böse aber intelligente Maschinen könnten die Menschen bedrohen oder gar vernichten. Die Optimisten hingegen setzen auf baldige Heilung vieler Krankheiten und große Lebenserleichterungen durch Spracherkennung, automatische Übersetzungen oder autonomes Fahren.

Positive sowie negative Szenarien unterscheiden sich ebenso wie die Prognosen dazu, wann es „echte“ KI geben wird. Der dafür schon im Jahre 1950 von Alan Turing vorgeschlagene Test und das prognostizierte Jahr für einen erfolgreichen Testverlauf wurden immer wieder revidiert.

Gallwitz plädiert dafür, den Begriff „Künstliche Intelligenz“ zu meiden und dafür stattdessen lieber von „Deep Learning“ zu sprechen.

Ein Begriff wie „Machine Learning“ suggeriere selbstlernende Computer, dabei erfordere Machine Learning noch sehr viel Input durch Menschen und sorgfältig ausgewählte Trainingsdaten.[2] Beim „Deep Learning“ mit neuronalen Netzen wird Lernen ohne Trainingsdaten möglich. Dafür benötigt man meist riesige Datenmengen, aber immerhin keine sorgsam von Menschen gepflegten Trainingsdaten.

Für den Kontext dieses Beitrages soll folgende kurze Definition ausreichen: „Künstliche Intelligenz (KI) beschäftigt sich mit Methoden, die es einem Computer ermöglichen, solche Aufgaben zu lösen, die, wenn sie vom Menschen gelöst werden, Intelligenz erfordern.“[3] In diesem Beitrag soll der Fokus nicht auf detaillierten Unterscheidungen der Begrifflichkeiten von Künstlicher Intelligenz und Deep Learning etc. liegen, sondern auf dem bestmöglichen Umgang mit Entwicklungen „künstlicher Intelligenz“ im Zusammenhang mit dem Erwerb von Informationskompetenz (IK).

Im Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Information & Wissenschaft (DGI) heißt es plakativ „Keine Künstliche Intelligenz ohne Informationskompetenz!“[4] Was dies bedeuten kann, möchten wir im Folgenden diskutieren. In einem fiktiven Streitgespräch bzw. einer Zusammenstellung von Pro- und Contra-Argumenten werden positive und negative Szenarien aufgezeigt. Weiter wird diskutiert, welche Rolle KI dabei in Bibliotheken insbesondere beim Erwerb von Informationskompetenz spielen könnte oder auf keinen Fall spielen sollte.

IK definieren wir dabei im Sinne der ACRL „Information Literacy Competency Standards for Higher Education” folgendermaßen: „Information literacy is the set of integrated abilities encompassing the reflective discovery of information, the understanding of how information is produced and valued, and the use of information in creating new knowledge and participating ethically in communities of learning.”[5]

In Bibliotheken gibt es einige Anwendungsgebiete, die sich für den Einsatz von KI eignen. So kann KI beispielsweise bei der automatisierten Beantwortung häufig gestellter Fragen zum Einsatz kommen.[6] Auch in der Katalogisierung und der automatischen Inhaltserschließung von Dokumenten wird KI eingesetzt, hier sind die Überschneidungen zum Thema Informationskompetenz aber nur mittelbar.[7] In Stanford sehen die Bibliotheken großes Potential von KI, um große Kollektionen auffindbar, durchsuchbar und auf neue Arten analysierbar zu machen.[8]

Anfang des Jahres 2018 war laut Erwin König vom b.i.t.verlag die bibliothekarische Literatur zum Thema KI noch überschaubar, während in der Medizin und den Rechtswissenschaften schon viel zum Thema publiziert wurde. Er bezieht sich dabei hauptsächlich auf eine amerikanische Umfrage zu KI/AI in Bibliotheken.[9] Allerdings sind die Dinge beim Thema KI und Bibliotheken in Bewegung. So führte beispielsweise die norwegische Nationalbibliothek Ende des Jahres 2018 eine Konferenz dazu durch.[10] Die American Library Association (ALA) brachte gerade eine Sammlung zu Artificial Intelligence and Machine Learning in Libraries heraus, die aber in Deutschland (noch) nicht bestellbar/verfügbar ist.[11]

Besonders im Bereich der Mustererkennung gab es in den letzten Jahren große Fortschritte und hier werden auch für die nahe Zukunft weitere Erfolge erwartet. So sind beispielsweise Übersetzungen mit DeepL[12] früheren Übersetzungstools deutlich überlegen, auch wenn die Verantwortlichen nach eigenen Angaben selbst nicht so genau wissen, warum die Software teilweise so gut funktioniert.[13] Auch beim Erkennen krankhafter Hautveränderungen oder beim Unterscheiden von gutartigen und bösartigen Veränderungen kann neue Technik die Medizin in erheblichem Umfang unterstützen. Überall dort wo Mustererkennung eine Rolle spielen kann, wird es somit vermutlich auch in Bibliotheken in naher Zukunft weitere KI-basierte Dienste geben. Andreas Mittrowan diskutiert in drei kurzen Blogbeiträgen mögliche Einsatzbereiche künstlicher Intelligenz im bibliothekarischen Kontext, potentielle Chancen z. B. beim korrekten Beantworten bestimmter Fragen sowie auch mögliche ethische Fragen und Risiken.[14]

2 Standpunkte – Streitpunkte

Im Folgenden tragen wir einige Argumente und Gegen-Argumente zusammen rund um potentielle Einsatzmöglichkeiten von KI in Bibliotheken und vornehmlich im Kontext des Informationskompetenzerwerbs. Dabei sind sowohl die positiven als auch die negativen Punkte zum Zwecke der Verdeutlichung teilweise überzeichnet.

Abbildung 1 Streit über KI und IK. (Zeichnung: Jens Carstens)
Abbildung 1

Streit über KI und IK. (Zeichnung: Jens Carstens)

Tabelle 1:

Pro und Contra zu potentiellen Einsatzmöglichkeiten von KI in Bibliotheken

ProContra
KI gestützt kann man zukünftig ganz tolle Sachen machen: Fragen wie „Wo und wie finde ich Informationen zu...? Aber auch „Wo finde ich ein Gegenargument zu...?“ können einfach und schnell beantwortet werden.Das ist nur ein Hype, so schnell werden wir keine echten Verbesserungen sehen.
Man kann Vorwissen automatisiert und spielerisch abfragen.[15]Das funktioniert doch nur rein mechanisch, man lernt dabei nichts, das ist nur für Multiple Choice geeignet.
Perspektivisch könnte man auch ein „künstliches Beratungsgespräch“ machen – Anregung zum Nachdenken am Point of Need einstreuen. Man kann die Leute bei Spielen unterschiedliche Level durchspielen lassen und je nach Vorwissen etc. spielen sie dann recht schnell in den höheren Leveln oder ziehen nochmal mehrere leichte Schleifen.Aber das ist doch keine Rocket Science, das kann man auch mit Arbeitsblättern machen und dort Aufgabe 3 bis 5 einfach überspringen.
Lernen kann zeit- und ortsunabhängig erfolgen. Man muss nicht Dienstag um 16:00 Uhr zu einer Schulung gehen, sondern kann sich eine MOOC-Einheit oder ein Video oder ein Spiel auch nachts um 2:00 Uhr ansehen oder mit einer Art IK-Alexa ein paar Fragen durchgehen.Aber die Menschen vereinzeln und vereinsamen dann total, wenn sie nur vor dem Rechner sitzen. Und ein Buch kann ich auch nachts um 2:00 Uhr alleine lesen.

Außerdem kann ein Mensch besser eingreifen, gerade bei heiklen Themen und Gemütszuständen. Und so toll wie das momentan bei Telefonanbietern funktioniert – „Wenn Sie Ihren Vertrag verlängern möchten, drücken Sie die 1“, „ansonsten gucken Sie sich auch gerne unsere Seiten im Internet an“ – wird es so schnell keine substantiellen Verbesserungen bei individuellen Hilfestellungen geben.
Gut, mal ein anderes Beispiel: „Ich suche seriöse Informationen zum Thema Geschlechtsumwandlung “ – weil ich darüber eine Arbeit schreibe oder weil es mich persönlich interessiert, da spreche ich lieber mit einer Maschine als mit einem Menschen, der das Thema vielleicht peinlich findet oder mir unterschwellig seine Meinung dazu präsentiert.Als wenn die Algorithmen immer neutral wären. Es gibt ganz interessante Beiträge dazu wie wenig neutral diese Algorithmen sind. So eine IK-Alexa hätte doch auch eine Agenda – genau wie ein voreingenommener Mensch, der sie programmiert hat. Hier, Lektüre zum Thema:

– Burns et al.: „Women also Snowboard: Overcoming Bias in Captioning Models“

– O’Neil.: „Weapons of Math Destruction“
Stimmt schon, aber da muss man versuchen, alles möglichst transparent anzulegen, so dass man Voreingenommenheiten erkennen kann.Hmm.
Ich denke, KI kann an vielen Stellen helfen: Ich tippe eine Suche ins System und das System fragt mich nach meiner Intention...Ja, ja, so wie die nervige sprechende Büroklammer mit Augen, die immer sagte: „Anscheinend wollen Sie einen Brief schreiben. Brauchen Sie Hilfe?“ Es gibt ja einen Grund, warum die das inzwischen wiedereingestellt haben.[16]
Aber jetzt oder in naher Zukunft geht das ganz anders und viel besser... Nicht nervig, nicht aufdringlich, aber immer präsent: Wofür brauchen Sie die Information? Ich habe zum Thema „xy“ 837 Beiträge gefunden, davon sind 412 der Meinung, dass xy hilft, 234 meinen, dass es schädlich ist, 12 geben einen Überblick über bislang publizierte Beiträge zum Thema. Aus den letzten drei Jahren gibt es 76 Beiträge, davon sind... (schön visualisiert etc.). Wollen Sie wirklich nur „Peer reviewed“ Beiträge lesen? Hier finden Sie mehr Infos dazu, was das bedeutet...Ja, ABER das setzt voraus, dass die Leute sich auch mit den Details beschäftigen wollen, die wollen doch nur schnell die fünf wichtigsten Beiträge haben.
Ja, aber das wollen sie heute doch auch schon und lassen sich auch von Menschen nicht immer überzeugen, dass es noch mehr Sachen zu beachten gibt. Wenn der Professor gesagt hat fünf Artikel reichen, dann suchen die heute auch keinen sechsten Artikel mehr.Mag sein.
Technik kann (bald) viel bessere und präzisere Antworten auf viele Fragen liefern als viele Informationsspezialistinnen und Informationsspezialisten. Ein Beispiel für Arbeit, die KI-gestützt erledigt wird: „in großen Rechtsanwaltskanzleien wird ROSS, eine spezifische juristische Anwendungsplattform von Watson, bereits eingesetzt, um innerhalb einer Sekunde eine Million Seiten an Rechtsprechung zu durchsuchen. Das erspart den Unternehmen pro Fall zwischen 20 und 30 Stunden an kostenpflichtigen Recherchen.”[17]Ja, ja, das mag sein, bei Rechtsprechung mit spezifischem Vokabular oder „Infos zu Methoden der biophysikalischen Chemie oder zur Strömungsmechanik“. Dazu kann ich schnelle und gute Antworten finden, aber wer zeigt mir, dass ich manche Informationen auch mal hinterfragen sollte? Und was ist mit Fake News und Predatory Journals?

„When AI becomes good at using information for problem solving, it is possible that our dependence on AI information literacy will lead to a weakening of our own. But if it is important to critically evaluate information sources, it will be doubly important (but considerably more difficult) to evaluate our AI information providers and decision makers.“[18]
Abbildung 2 Streit über KI und IK. (Zeichnung: Jens Carstens)
Abbildung 2

Streit über KI und IK. (Zeichnung: Jens Carstens)

Tabelle 2:

Pro und Contra zu potentielle Einsatzmöglichkeiten von KI in Bibliotheken

Es kommt doch auf die Kompetenzen an: Das Medium ist da nachrangig. Kritisches Denken sollte auf vielerlei Wegen vermittelt werden, aber KI könnte hier zumindest unterstützen... Also eine „IK-Alexa“, die dann mal so Fragen aufwirft wie: „Was für eine Art von Information/Inhalt habe ich vor mir? (Nachricht, Kommentar, wissenschaftlicher Artikel? Satire?) Ist die Information vollständig? Wenn nicht, was fehlt? Von wem kommt die Information? Wer ist die Quelle? Warum sollte ich ihr vertrauen? Welche Agenda verfolgt diese Person/Institution? Sieht die URL seltsam aus? Welche Beweise werden angeführt? Wurde die Aussage überprüft oder in Frage gestellt? Gibt es alternative Erklärungen oder Deutungen? Erfahre ich, was ich wissen muss?“[19]Klingt klasse, aber das ist doch nun wirklich Zukunftsmusik.

Aber auch bei der nachfragenden IK-Alexa wäre ja die Frage, wer die wie programmiert hat: Wo sind die blinden Flecken? Welche Fragen stellt sie erst gar nicht? Wo wird etwas vollkommen falsch gedeutet? ...

Und willst Du allen Ernstes die gut ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen mit deiner Alexa ersetzen? Das geht mir echt zu weit.
Mehr Technologie hat nur selten zu weniger Arbeit geführt. Aber die Aufgaben ändern sich. In einer idealen Welt kann KI dabei helfen, unsere immer komplexer werdenden Aufgaben schneller und besser zu bewältigen und Raum für andere Dinge zu schaffen. Nur ein Beispiel: Wir können schon heute durch Bilderkennung und automatisches Tagging von Bildinhalten nervige Bildrecherche extrem verkürzen.[20] Also alles, was mit dem schnellen Durchsuchen großer Datenmengen zu tun hat, könnte bald schon viel einfacher werden.Also für mich ist das nur ein Hype. Was man damit wirklich erreicht, wird man erst in Jahren sehen. Und wie schon gesagt: Das Fehlerpotential bei großen Datenmengen ist auch riesig.[21] Und es ist auch überhaupt nicht klar, was mit den Daten passiert und wer darauf rechtmäßig oder unrechtmäßig zugreifen kann – wie z. B. bei dem unrechtmäßigen Zugriff auf Alexa-Sprachdateien – ob nun versehentlich oder absichtlich.[22]
Bibliotheken dürfen hier nicht den Anschluss verpassen. Der Wandel hat doch längst begonnen, am KIT experimentieren sie mit Alexa in der Auskunft,23 in Wildau oder Madrid und anderswo setzen sie Pepper, den Roboter, bereits für Führungen ein.24 Und Stella25 von der SUB Hamburg war ihrer Zeit einfach nur voraus, die kommt bestimmt noch mal zurück – vielleicht unter anderem Namen und mit neuer Frisur und in 3 D oder so...Und wenn uns das eines Tages mal aus den Händen rutscht, wir die Kontrolle verlieren? Also für mich soll kein Roboter denken. Ich sage nur „deep learning“. Am Ende lernt doch so ein Computer viel schneller, als wir es uns heute vorstellen können. Also mir ist es unheimlich, wenn ich, kaum habe ich bei Google was gesucht, schon irgendwelche Angebote angezeigt bekomme, nach denen ich gar nicht gefragt habe.
Ja, das ist dir zu recht unheimlich, hat aber wenig mit KI zu tun, sondern mehr mit Cookies und Datenschutz. KI ermöglicht es uns zukünftig, maßgeschneidert auf die individuellen Bedürfnisse unserer Nutzerinnen und Nutzer einzugehen. Und das gilt eben auch für individuelles Lernen. Lernprogramme können so entwickelt werden, dass sie sich auf dein Wissen, deine Lerngeschwindigkeit, eben auf deine speziellen Bedürfnisse einstellen.26Und was ist mit Humor? Von Ironie oder kontextabhängigen Zusammenhängen ganz zu schweigen, oder kann mir deine Alexa sagen, was ich meine, wenn ich Golf sage?
Das mit dem Golf ist nicht so schwer, das erschließt sich aus dem Kontext oder kann kurz abgefragt werden, die Infos dazu liegen ja z. B. in der Wikipedia27 schon vor, aber mit dem Humor hast du Recht, das könnte noch eine Weile dauern bis so ein „Virtual Assistent“ nicht nur unfreiwillig komisch ist, sondern wirklich lustig mitreden kann.28
Naja, wie immer liegt die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen.

3 Vision: Alexa für IK – von vertrauenswürdigen Informationseinrichtungen: Könnte das gehen?

[23][24][25][26][27][28]

Alexa und andere virtuelle Assistenten sind beliebt und werden in großen Mengen von privaten Haushalten angeschafft, da sie viele Bedürfnisse sehr bequem befriedigen. Niemand muss sich mehr vom Sofa erheben oder lesen und schreiben können, um beispielsweise ein bestimmtes Lied abspielen zu können. Auch (einfache) Informationsbedürfnisse können schnell und (größtenteils) korrekt beantwortet werden. Durch weitere Optimierungen werden zukünftig immer mehr Funktionen und Inhalte abgedeckt werden.

Oft wird dabei vernachlässigt, dass die gesammelten Daten bei Amazon, Google, Apple und weiteren großen Firmen liegen und kaum jemand weiß, was mit diesen Daten passiert.[29] Auch ein mittelfristiger Verlust von Fertigkeiten mag von manchen beklagt werden, wenn es keinen guten Grund mehr gibt, noch lesen und schreiben zu lernen.

Über vorhandene Alexa-Programmierumgebungen ist es verhältnismäßig einfach, eigene Anwendungen zu eigenen Themen zu erstellen. Allerdings werden diese Daten sowie die Nutzungsdaten dann auch bei den großen Anbietern gesammelt.

Eine von öffentlichen Einrichtungen erstellte und kooperativ betriebene „IK-Alexa“, die einer Reihe von Anforderungen genügt, könnte perspektivisch z. B. die Auskunftstätigkeit und Beratung entlasten und unterstützen. Sie müsste nicht nur kontextsensitiv auf unterschiedlich formulierte Informations- und Beratungsbedürfnisse reagieren können, sondern auch mit transparentem Source-Code versehen, beliebig erweiterbar und Datenschutz-konform sein. Wichtige Funktionen wären Anregungen zum kritischen Denken und Hinterfragen von Informationen im Sinne des ACRL-Frameworks.[30] Das Ganze stets in Kombination mit echten Menschen, die helfen können, wenn die Technik nicht weiterkommt.

Eine IK-Alexa in dem oben beschriebenen Sinne würde sehr viele Voraussetzungen erfordern, die allenfalls mit großen kooperativen Anstrengungen zu bewältigen wären. Man bräuchte eine riesige Knowledge-Base mit Inhalten aus Bibliotheken, allen möglichen Fragestellungen und Hinweisen aus dem IK-Kontext angereichert mit Informationen rund um „banale“ Fragen. KI käme zum Einsatz beim Abgleichen von Fragestellungen, Bedürfnissen und Hinweisen. Einfacher zu bewältigen wäre das Ganze auf Basis vorhandener Angebote[31], aber dieser Weg wäre eben nicht datenschutzkonform und die Algorithmen, die die Fragen und Antworten verknüpfen, auch nicht transparent. Zudem ist fraglich, ob mit Sprachassistenten beispielsweise umfangreiche Recherchen sinnvoll durchgeführt werden können.

Ein eigener DGSVO-konformer Weg könnte realistisch betrachtet wohl eher als Chatbot daherkommen denn als Virtueller Assistent oder Smart Speaker. So ein Chatbot müsste auch schriftliche Fragen und Antworten und komplexere Inhalte anzeigen und einbinden können – somit wäre es dann eher eine Stella X.0 als eine IK-Alexa. Stellas Knowledgebase wurde manuell bzw. intellektuell gepflegtund auch bei einer Weiter- oder Neuentwicklung solcher Services wäre das Eingreifen von Menschen sehr sinnvoll. Die Zahl der Chatbots, die im Customer Service von Firmen (nicht zwingend in Bibliotheken) eingesetzt werden, wächst stetig.[32] Ab Mitte der 00er Jahre wurden Bibliotheks-Chatbots geschaffen und in einigen Beiträgen[33] thematisiert. Viele der damaligen Entwicklungen existieren allerdings heute nicht mehr. Pixel an der University of Nebraska hat noch überlebt und steht zum Chat bereit.[34] Möglichweise könnte einigen stillgelegten Bibliotheks-Chatbots mit KI-Unterstützung neues Leben eingehaucht werden.

Abbildung 3 Eine IK-Alexa, die zur kritischen Bewertung von Informationen anregt? (Zeichnung: Jens Carstens)
Abbildung 3

Eine IK-Alexa, die zur kritischen Bewertung von Informationen anregt? (Zeichnung: Jens Carstens)

Ein kooperativ betriebener, KI-gestützter, aber auch für das Eingreifen von menschlichen Expertinnen und Experten offener Service könnte zukünftig gleichzeitig Ressourcen sparen bei der Beantwortung wiederkehrender Fragen und automatisierten Anregungen zum Hinterfragen von Informationen etc. Gleichzeitig könnten so Spielräume eröffnet werden für tiefgreifende Beratung und Anleitungen zum kritischen Umgang mit gefundenen Informationen – wo nötig durch Menschen.

4 Fazit

Arten von künstlicher Intelligenz werden in der einen oder anderen Form bereits in Bibliotheken eingesetzt. Zukünftig werden voraussichtlich weitere Aufgabengebiete hinzukommen und in manchen Bereichen möglicherweise große Zeitersparnisse mit sich bringen.

Bibliotheken nehmen ihre Aufgaben bei der Vermittlung von Informationskompetenz, aber beispielsweise auch bei der Beachtung von Datenschutzaspekten sehr ernst. Sie werden als vertrauenswürdige Einrichtungen wahrgenommen. Somit kann Bibliotheken zukünftig bei der Bewertung von Informationen eine wichtige Rolle zukommen, indem sie helfen, zu hinterfragen und zu benennen, woher Informationen kommen, wer sie sammelt, ob sie vollständig sind etc. Sonst besteht in der Tat die Gefahr, dass in der schönen neuen Informationswelt Alexa blitzschnell Antworten auf komplexe Fragen ans Sofa liefert, es aber vollkommen intransparent bleibt, woher diese Informationen stammen oder ob sie vollständig sind, wenn möglichst nur der beste Treffer nach oben befördert wird. Offen bliebe bei einer kurzen, rein akustisch leicht verdaubaren Trefferliste, ob beispielsweise auch die Positionen von Minderheiten bei der Betrachtung ausreichend Berücksichtigung finden oder ob der Algorithmus gerade besonders spektakuläre oder lediglich besonders oft nachgefragte Informationen bevorzugt präsentiert.

Letztlich gilt es zu entscheiden, wo die Grenzen der künstlichen Intelligenz beim Einsatz in Bibliotheken zu setzen sind. Soll sie lediglich Hilfe bei Wissenslücken oder Antworten auf banale Fragen liefern oder geht der Anspruch weit darüber hinaus? Soll also KI beispielsweise auch Unterstützung beim kritischen Hinterfragen von Informationen anbieten? Oder soll dieser Bereich den menschlichen Beraterinnen und Beratern vorbehalten bleiben? Hier gibt es in den kommenden Jahren noch einigen Klärungsbedarf, aber auch Hoffnung, dass beispielsweise Chatbots von Bibliotheken, die einmal mit relativ hohem Aufwand gepflegt und meist nach einigen Jahren eingestellt wurden, durch den Einsatz von KI wiederbelebt werden könnten. In einer idealen Welt verbinden sich dann menschliche und künstliche Intelligenz zu einem attraktiven Service im Dienste der Informationskompetenz.


Anmerkung

Der Artikel erscheint in Anlehnung an ein Streitgespräch bei den DGI-Praxistagen in Frankfurt am Main am 8.November 2018. Die Präsentation mit Beispielen und Verlinkungen finden Sie unter: https://dgi-info.de/wp-content/uploads/2018/11/burblies_pianos_Pr%C3%A4sentationen.pdf [13.2.2019].


About the authors

Christine Burblies

Christine Burblies (M. A.) leitet seit August 2014 das Referat Informationskompetenz an der TIB in Hannover. Sie studierte Germanistik, Anglistik und Publizistik an der Universität Göttingen. Danach war sie länger in einem Verlag tätig und arbeitete als selbstständige Trainerin im Bereich Buchhandel und Verlagswesen.

Dr. Tamara Pianos

Tamara Pianos studierte Geographie und Anglistik. Nach der Promotion in Kanada-Studien und dem Referendariat arbeitete sie an der TIB in Hannover. Seit 2005 ist sie an der ZBW und dort als Leiterin der Abteilung Informationsvermittlung sowohl für das Produktmanagement des Fachportals EconBiz als auch für die Vermittlung von Informationskompetenz zuständig.

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Published Online: 2019-05-15
Published in Print: 2019-05-08

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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