Zusammenfassung der Veränderungen der Leitlinien von 2005

Die wichtigsten Änderungen in den Leitlinien 2010 zum Management des akuten Koronarsyndroms („acute coronary syndrome“, ACS) umfassen die im Folgenden aufgeführten Punkte.

Definitionen

  • Der Begriff „Nicht-ST-Hebungs-Infarkt-Akutes-Koronarsyndrom“ (Non-STEMI-ACS) wurde als gemeinsamer Begriff für NSTEMI und instabile Angina pectoris („unstable angina pectoris“, UAP) eingeführt, da die Differenzialdiagnose von Biomarkern abhängt, die erst nach mehreren Stunden nachweisbar sind. Dagegen beruhen Entscheidungen zur Therapie auf den klinischen Zeichen beim ersten Kontakt.

„Chest pain units“ und Regeln für die frühe Entlassung

  • Anamnese, klinische Untersuchung, Biomarker, EKG-Bild und Risiko-Scores identifizieren Patienten, die sicher entlassen werden können, nicht zuverlässig.

  • Die Rolle von „chest pain units“ (CPU, spezialisierte Stationen für Patienten mit Thoraxschmerzen) besteht darin, mithilfe wiederholter klinischer Biomarkeruntersuchungen und EKG-Registrierungen die Patienten zu identifizieren, die zur Durchführung invasiver Prozeduren aufgenommen werden müssen. Die Untersuchungen können Provokationstests und bei ausgewählten Patienten bildgebende Verfahren wie kardiale Computertomographie (Kardio-CT), Magnetresonanztomographie (MRT) etc. einschließen.

Symptomatische Behandlung

  • Nichtsteroidale antientzündliche Medikamente („nonsteroidal anti-inflammatory drugs“, NSAID) sollen nicht gegeben werden.

  • Nitrate sollen nicht zu diagnostischen Zwecken eingesetzt werden.

  • Sauerstoff soll nur Patienten mit Hypoxämie, Atemnot oder Lungenstauung verabreicht werden. Eine Hyperoxämie kann bei unkompliziertem Infarkt schädlich sein.

Kausalbehandlung

  • Die Leitlinien für die Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) sind liberaler gestaltet worden. Acetylsalicylsäure kann durch Notfallzeugen mit oder ohne Anweisung des Leitstellendisponenten gegeben werden.

  • Die Leitlinie für die Behandlung mit neuen Thrombozytenaggregationshemmern und Thrombinantagonisten bei Patienten mit STEMI und Non-STEMI-ACS wurde abhängig von der therapeutischen Strategie revidiert.

  • Von der Gabe von Glykoprotein- (Gp-)IIb/IIIa-Antagonisten vor Angiographie/perkutaner koronarer Intervention („percutaneous coronary intervention“, PCI) wird abgeraten.

Reperfusionsstrategie bei ST-Hebungs-Infarkt

  • Die primäre PCI (PPCI) ist die bevorzugte Reperfusionsstrategie, sofern sie zeitgerecht durch ein erfahrenes Team durchgeführt werden kann.

  • Der Rettungsdienst muss nicht das nächstgelegene Krankenhaus anfahren, sofern ein Herzkatheterlabor ohne zu große Verzögerung erreicht werden kann.

  • Die akzeptable Verzögerung zwischen dem Beginn einer Fibrinolyse und einer ersten Ballondilatation variiert abhängig von Infarktlokalisation, Patientenalter und Symptomdauer erheblich zwischen etwa 45 und 180 min.

  • Bei Versagen der Fibrinolyse soll eine „Rescue“-PCI durchgeführt werden.

  • Von der Strategie einer Routine-PCI unmittelbar nach Fibrinolyse („facilitated PCI“) wird abgeraten.

  • Patienten mit erfolgreicher Fibrinolyse in einem nicht-PCI-fähigen Krankenhaus sollen zur Angiographie und evtl. notwendigen PCI verlegt werden. Die PCI soll optimalerweise 6–24 h nach Fibrinolyse durchgeführt werden („pharmakoinvasives Vorgehen“).

  • Angiographie und, wenn nötig, PCI können bei Patienten nach erfolgreicher Reanimation („return of spontaneous circulation“, ROSC) sinnvoll sein. Sie können Teil eines standardisierten „Post-cardiac-arrest“-Protokolls sein.

  • Um diese Ziele zu erreichen, ist es sinnvoll, Netzwerke unter Einschluss von Rettungsdienst, nicht-PCI-durchführenden Kliniken und PCI-durchführenden Kliniken zu bilden.

Primäre und sekundäre Prävention

  • Die Empfehlung für die Gabe von β-Rezeptoren-Blockern wird eingeschränkt: Es gibt keine Evidenz für die routinemäßige intravenöse (i.v.-)Gabe von β-Rezeptoren-Blockern außer in speziellen Situationen wie bei Tachyarrhythmien. Im Übrigen soll der β-Rezeptoren-Blocker oral in niedriger Dosierung begonnen werden, nachdem der Patient stabilisiert ist.

  • Die Leitlinien zu der prophylaktischen Antiarrhythmikatherapie, dem Einsatz von Angiotensinkonversionsenzym- (ACE-)Hemmern bzw. Angiotensinrezeptorblocker (ARB) und Statinen bleiben unverändert.

Einführung

Die Inzidenz des akuten STEMI ist in vielen europäischen Ländern fallend [1], die Inzidenz des Non-STEMI-ACS jedoch ansteigend [2, 3]. Obwohl die Krankenhaussterblichkeit bei STEMI durch die moderne Reperfusionstherapie und verbesserte Sekundärprophylaxe signifikant gesenkt werden konnte, ist die gesamte 28-Tage-Sterblichkeit praktisch unverändert geblieben, da zwei Drittel der Todesfälle vor Erreichen des Krankenhauses eintreten, meist durch letale Arrhythmien, die durch Ischämie getriggert sind [4]. Damit liegt die größte Chance, das Überleben einer ischämischen Attacke zu verbessern, darin, die Verzögerung zwischen Symptombeginn und erstem professionellen medizinischen Kontakt zu verkürzen sowie eine gezielte Therapie bereits in der frühen prähospitalen Phase einzuleiten.

Der Begriff „ACS“ umfasst 3 Formen der akuten Manifestation der koronaren Herzkrankheit (KHK; Abb. 1):

  • ST-Strecken-Hebungs-Infarkt (STEMI),

  • Nicht-ST-Hebungs-Infarkt (NSTEMI) und

  • instabile Angina pectoris (UAP).

Der NSTEMI und die UAP werden üblicherweise unter dem Begriff Non-STEMI-ACS zusammengefasst. Die gemeinsame pathophysiologische Ursache des ACS ist eine rupturierte oder erodierte arteriosklerotische Plaque [5]. Elektrokardiographische Charakteristika (ST-Hebung oder Fehlen einer ST-Hebung im EKG) grenzen den STEMI vom Non-STEMI-ACS ab. Letzteres Krankheitsbild kann mit ST-Strecken-Senkung, unspezifischen ST-Wellen-Veränderungen oder sogar mit einem normalen EKG einhergehen. Bei Fehlen einer ST-Hebung kann der NSTEMI durch den Anstieg der Konzentrationen kardialer Biomarker, speziell Troponin T oder Troponin I als spezifischste Marker myokardialer Zellnekrosen, im Plasma nachgewiesen werden.

Abb. 1
figure 1

Definitionen des ACS (ACS). STEMI ST-Hebungs-Infarkt, NSTEMI Nicht-ST-Hebungs-Infarkt

Akute Koronarsyndrome sind die häufigste Ursache maligner Arrhythmien, die zum plötzlichen Herztod führen. Therapieziele sind die Beseitigung der akuten Lebensbedrohung, wie Kammerflimmern („ventricular fibrillation“, VF) oder extreme Brachykardien, der Erhalt der linksventrikulären Funktion und die Vorbeugung einer Herzinsuffizienz durch Minimierung des Ausmaßes des Myokardschadens. Die vorliegenden Leitlinien behandeln die ersten Stunden nach Beginn der Symptome. Die prähospitale Behandlung und die Initialbehandlung in der Notfallaufnahme können entsprechend lokaler Gegebenheiten, verfügbarer Ressourcen und Regelungen unterschiedlich sein. Die Daten, die die prähospitale Behandlung unterstützen, sind oft Extrapolationen von Studienergebnissen mit Initialbehandlung erst nach Krankenhausaufnahme. Es gibt wenige außerhalb des Krankenhauses durchgeführte Studien von hoher Qualität. Umfassende Leitlinien für die Diagnose und die Behandlung des ACS mit und ohne ST-Strecken-Hebung sind von der European Society of Cardiology (ESC) und dem American College of Cardiology (ACC)/American Heart Association (AHA) publiziert worden. Die vorliegenden Empfehlungen stimmen mit diesen Leitlinien überein [6, 7].

Diagnose und Risikostratifizierung

Da die Frühbehandlung den größten Nutzen bietet und die Myokardischämie der führende Auslöser des plötzlichen Herztodes ist, ist es wesentlich, dass die Öffentlichkeit mit den typischen Symptomen eines ACS vertraut ist. Bei einigen Patientengruppen jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei Auftreten von ACS-Symptomen medizinische Hilfe suchen, weniger wahrscheinlich. So wurden bei Frauen, älteren Menschen, Personen, die zu einer ethnischen oder rassischen Minderheit oder zu einer niedrigen sozioökonomischen Klasse gehören, sowie bei Patienten, die allein leben, signifikante Verzögerungen bis zum Beginn der Behandlung/Reperfusion berichtet [8].

Risikopatienten mit ihren Familien sollen fähig sein, die charakteristischen Symptome wie Brustschmerz, der in andere Regionen des Oberkörpers ausstrahlen kann und oft von weiteren Symptomen wie Luftnot, Schweißausbruch, Übelkeit oder Erbrechen und Synkopen begleitet wird, zu erkennen. Sie sollen die große Bedeutung einer frühen Aktivierung des Rettungsdienstes kennen und idealerweise in den Basismaßnahmen der Reanimation („basic life support“, BLS) geschult sein. Optimale Strategien, die Laien verschiedene Erscheinungsformen des ACS bewusst machen, und für eine Verbesserung der Kenntnis des ACS in der Risikobevölkerung, müssen noch entwickelt werden.

Darüber hinaus müssen Leitstellendisponenten im Rettungsdienst trainiert sein, die Symptome eines ACS zu erkennen und gezielte Fragen zu stellen. Wenn ein ACS-Verdacht besteht, soll ein Rettungsdienstteam alarmiert werden, das befähigt ist, erweiterte lebensrettende Maßnahmen („advanced life support“, ALS) einzusetzen, die Diagnose zu stellen bzw. die Behandlung zu beginnen. Wegen der hohen Dringlichkeit der Revaskularisation bei STEMI und anderer Hochrisikopatienten können spezielle Systeme eingeführt werden, um die Erkennung von ST-Strecken-Hebungs-Infarkten zu verbessern und die Zeit bis zur Behandlung zu verkürzen.

Für das ACS sind Sensitivität, Spezifität und klinische Bedeutung verschiedener diagnostischer Strategien evaluiert worden. Sämtlich Information durch das klinische Erscheinungsbild, das EKG, Biomarkertests und bildgebende Verfahren sollen berücksichtigt werden, um die Diagnose zu sichern und gleichzeitig das Risiko einzuschätzen, sodass optimale Entscheidungen hinsichtlich der Patientenaufnahme und der Behandlung/Reperfusion getroffen werden können.

Zeichen und Symptome

Typischerweise tritt das ACS mit Symptomen wie ausstrahlender Brustschmerz, Luftnot und Schweißausbruch auf. Jedoch werden atypische und ungewöhnliche Erscheinungsformen bei älteren Patienten, Frauen und Diabetikern beobachtet [9, 10]. Keines der Zeichen und Symptome des ACS kann allein Beleg für die Diagnose sein. Eine Abnahme des Brustschmerzes nach Nitroglyzeringabe kann fehlleitend sein; Nitroglyzerin wird als diagnostische Maßnahme nicht empfohlen [11]. Die Symptome können bei Patienten mit STEMI stärker sein und länger dauern; dies lässt aber die Unterscheidung zwischen Patienten mit STEMI und einem Non-STEMI-ACS nicht zu.

Die Vorgeschichte eines Patienten soll während des ersten Kontakts mit professionellen Helfern ausführlich erfasst werden. Sie kann die ersten Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines ACS geben, Folgeuntersuchungen veranlassen und in Kombination mit anderen diagnostischen Testergebnissen bei der Triage und den therapeutischen Entscheidungen außerhalb des Krankenhauses sowie in der Notfallaufnahme helfen.

12-Kanal-EKG

Das 12-Kanal-EKG bildet die Schlüsseluntersuchung zur Beurteilung eines ACS. Im Fall des STEMI zeigt es die Notwendigkeit der sofortigen Reperfusionstherapie (d. h. PPCI oder prähospitale Fibrinolyse). Wenn ein ACS-Verdacht besteht, soll ein 12-Kanal-EKG so früh wie möglich nach dem ersten Patientenkontakt abgeleitet und interpretiert werden, um eine frühe Diagnose und Triage zu erleichtern. Mithilfe des prähospitalen- oder Notfallaufnahme-EKG lassen sich nützliche diagnostische Informationen gewinnen, wenn das EKG von professionellen Anwendern interpretiert wird.

Die Registrierung eines 12-Kanal-EKG außerhalb des Krankenhauses ermöglicht vorab Informationen für die aufnehmende Institution und beschleunigt den Behandlungsprozess nach der Ankunft im Krankenhaus: In vielen Studien wurde die Zeit von der Krankenhausaufnahme bis zum Beginn der Reperfusionstherapie um 10–60 min reduziert [13, 14]. Geschultes Rettungsdienstpersonal (Notärzte, Rettungsassistenten und Pflegepersonal) kann einen STEMI – definiert durch ST-Strecken-Hebung ≥0,1 mV in mindestens 2 zueinandergehörenden Extremitätenableitungen oder ≥0,2 mV in mindestens 2 benachbarten Brustwandableitungen mit hoher Spezifität und Sensitivität identifizieren; dies ist mit der diagnostischen Genauigkeit im Krankenhaus vergleichbar [15, 16, 17]. Es ist daher sinnvoll, dass Rettungssanitäter und Pflegepersonal darin trainiert werden, einen STEMI ohne direkte ärztliche Rücksprache zu diagnostizieren, vorausgesetzt, dass sie einer strikten ärztlich überwachten Qualitätssicherung unterliegen.

Wenn eine EKG-Auswertung vor Ort nicht verfügbar ist, ist die computergestützte Interpretation [18, 19] oder die Funkübertragung des EKG sinnvoll. Registrierung und Übertragung von EKG in diagnostischer Qualität zum Krankenhaus dauern üblicherweise weniger als 5 min. Beim Einsatz bei Patienten mit Verdacht auf ein ACS kann die Computerinterpretation die Spezifität der STEMI-Erkennung v. a. in der EKG-Interpretation unerfahrener Kliniker verbessern. Der Nutzen der Computerinterpretation ist jedoch von der Qualität der Auswertung abhängig. Falsche Auswertungen können den unerfahrenen Beurteiler in die Irre führen. Demnach soll die computerassistierte EKG-Interpretation den erfahrenen Kliniker nicht ersetzen, sie kann aber als Hilfe zur Interpretation genutzt werden.

Biomarker

Beim Fehlen von ST-Strecken-Hebung im EKG charakterisieren eine verdächtige Vorgeschichte und erhöhte Konzentrationen von Biomarkern [Troponin T und Troponin I, Kreatinkinase (CK), Kreatinkinase-Typ MB (CK-MB), Myoglobin] den NSTEMI und unterscheiden ihn damit vom STEMI und der UAP. Die Messung eines herzspezifischen Troponins ist vorzuziehen. Erhöhte Konzentrationen von Troponinen sind besonders hilfreich zur Identifikation von Patienten mit erhöhtem Risiko für ein ungünstiges Outcome [20]. Die Untersuchung kardialer Biomarker soll Teil der initialen Evaluierung aller Patienten der Notfallaufnahme sein, deren Symptome auf eine kardiale Ischämie verdächtig sind [21]. Die Zeitverlauf der Freisetzung von Biomarkern aus geschädigtem Myokard verhindert jedoch ihren Einsatz zur sicheren Diagnose eines Myokardinfarkts in den ersten 4–6 h nach Symptombeginn [22]. Bei Patienten, die sich innerhalb von 6 h nach Symptombeginn vorstellen und initial nichtpathologische Werte für kardiale Troponine aufweisen, sollen die Biomarker erneut 6–12 h nach Symptombeginn gemessen werden. Um die Bedeutung der gemessenen Biomarkerwerte optimal einzuordnen, sollen Kliniker die Sensitivität, Präzision und die Normwerte der verwendeten Tests kennen und mit der Freisetzungs- sowie Abbaukinetik der Marker vertraut sein. Hochsensitive (ultrasensitive) Assays für die kardialen Troponine stehen zur Verfügung. Sie ermöglichen die Sensitivität für die Diagnose eines Infarkts bei Patienten mit ischämieverdächtigen Symptomen zu erhöhen [23]. Wenn hochsensitive kardiale Troponin-Assays nicht verfügbar sind, kann eine Multimarkertestung unter Einschluss von CK-MB oder Myoglobin in Verbindung mit Troponinen infrage kommen, um die Sensitivität für eine Infarktdiagnose zu verbessern. Es gibt keine Daten, die den isolierten „Point-of-care“- (POCT-)Troponintest, um Patienten mit ischämieverdächtigen Symptomen zu beurteilen, als primäres Verfahren im prähospitalen Einsatz unterstützen [23]. In der Notfallaufnahme mag der Gebrauch von POCT-Troponin-Tests hilfreich sein, um die Zeit bis zur Behandlung und die Dauer des Aufenthalts in der Notfallaufnahme zu verkürzen [24]. Bis die Resultate weiterer randomisierter kontrollierter Studien vorliegen, sollen andere Serum-Assays nicht als Erstmaßnahme („first-line steps“) für die Diagnose und Behandlung von Patienten mit ACS-Symptomen in Erwägung gezogen werden [25].

Entscheidungsregeln für frühzeitige Entlassung

Es hat eine Reihe von Versuchen gegeben, eine klinische Entscheidungsregel zu entwickeln, die in der Notfallaufnahme bei der Triage von Patienten mit Verdacht auf ein ACS hilfreich sein könnte. Dazu wurden Ergebnisse der Vorgeschichte des Patienten, körperlicher Untersuchungsbefund, serielle EKG und serielle Biomarkermessungen herangezogen. Keine dieser Regeln ist angemessen und geeignet, um Brustschmerzpatienten mit Verdacht auf ein ACS zu identifizieren, die sicher aus der Notfallaufnahme entlassen werden können [26]. Gleichermaßen sollen Scoring-Systeme zur Risikostratifizierung von Patienten mit ACS, die unter Krankenhausbedingungen evaluiert wurden [z. B. der Thrombolysis in Myocardial Infarction (TIMI) Score, der Global Registry of Acute Coronary Events (GRACE) Score, der Fast Revascularisation in Instability in Coronary Disease (FRISC) Score oder die Goldmann-Kriterien] nicht genutzt werden, um Patienten mit niedrigem Risiko, die aus der Notfallaufnahme entlassen werden können, zu identifizieren. Eine Subgruppe von Patienten im Alter unter 40 Jahren ohne klassische Beschwerden und signifikante Vorgeschichte mit Normalbefunden bei serieller Bestimmung von Biomarkern und 12-Kanal-EKG hat eine sehr geringe kurzfristige Ereigniswahrscheinlichkeit.

Protokolle zur Beobachtung von Brustschmerzpatienten

Bei Patienten mit Verdacht auf ein ACS reicht die Kombination einer leeren Anamnese und eines unauffälligen körperlichen Untersuchungsbefunds mit initial nichtpathologischem EKG und Biomarkerbefunden nicht aus, um ein ACS verlässlich auszuschließen. Deshalb ist es obligatorisch, den Patienten eine Zeit lang zu beobachten, um eine definitive Diagnose zu erzielen und therapeutische Entscheidungen zu treffen.

Protokolle für die Beobachtung von Brustschmerzpatienten sind Schnellsysteme zur Beurteilung von Patienten mit Verdacht auf ACS. Sie sollen generell die Vorgeschichte und die körperlichen Untersuchungsbefunde erfassen, gefolgt von einer Beobachtungsperiode, während der serielle EKG-Aufzeichnungen und Biomarkermessungen durchgeführt werden. Die Patientenbeurteilung soll entweder durch eine nichtinvasive Evaluierung der Koronaranatomie oder Provokationstests für Myokardischämie ergänzt werden, nachdem zunächst ein Infarkt ausgeschlossen wurde. Die Protokolle können genutzt werden, um die Treffsicherheit bei der Identifikation von den Patienten zu erhöhen, bei denen eine stationäre Aufnahme zur weiteren Diagnostik notwendig ist. Gleichzeitig erhalten sie die Patientensicherheit und reduzieren Aufenthaltsdauer sowie Kosten [27]. Bei Patienten, die mit Verdacht auf ein ACS die Notfallaufnahme aufsuchen, aber zunächst einen Normalbefund aufweisen, sind CPU möglicherweise eine sichere und effektive Strategie zur Patientenbeurteilung. Sie können empfohlen werden, um die Krankenhausaufenthaltsdauer zu verkürzen, die Zahl der Krankenhausaufnahmen und die Kosten zu reduzieren sowie die diagnostische Sicherheit und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern [28]. Es gibt jedoch keine Daten, die beweisen, dass CPU oder Beobachtungsprotokolle unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse, insbesondere die Sterblichkeit von Patienten mit vermutetem ACS, vermindern.

Bildgebende Verfahren

Die Beurteilung von Patienten mit Verdacht auf ein ACS, aber nichtpatholgischem EKG und nichtpathologischem Ergebnis in der Bestimmung der kardialen Biomarker bleibt eine Herausforderung. Nichtinvasive bildgebende Verfahren (CT-Angiographie [29], MRT, Szintigraphie [30] und Echokardiographie [31]) wurden als Möglichkeit des Screening von Niedrigrisikopatienten geprüft. Ziel war die Identifizierung von Subgruppen, die sicher nach Hause entlassen werden können. Obwohl es keine großen Multizenterstudie gibt, zeigen die existierenden Daten, dass diese diagnostischen Verfahren eine frühe und präzise Diagnose, eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer sowie die Reduzierung der Kosten erlauben, ohne das Risiko kardialer Ereignisse zu erhöhen. Die Exposition gegenüber Strahlung und jodiertem Kontrastmittel soll jedoch beachtet werden, wenn eine kardiale CT bzw. eine Szintigraphie durchgeführt wird.

Symptomatische Behandlung

Nitrate

Nitroglyzerin ist eine effektive Behandlung des ischämischen Brustschmerzes und hat günstige hämodynamische Effekte wie z. B. Dilatation venöser Kapazitätsgefäße, Erweiterung der Koronararterien und in geringerem Umfang der peripheren Arterien. Nitroglyzerin kann in Erwägung gezogen werden, wenn der systolische Blutdruck (SBD) über 90 mmHg liegt und der Patient unter fortgesetztem ischämischem Brustschmerz leidet (Abb. 2). Nitroglyzerin kann auch bei der Behandlung der akuten Lungenstauung nützlich sein. Nitrate sollen nicht bei Patienten mit Hypotension eingesetzt werden (SBD <90 mmHg), speziell nicht bei gleichzeitiger Bradykardie und bei Patienten mit inferiorem Infarkt sowie Verdacht der rechtsventrikulären Beteiligung. Die Gabe von Nitraten unter diesen Bedingungen kann den Blutdruck und die kardiale Auswurfleistung senken.

Abb. 2
figure 2

Behandlungsalgorithmus für das akute Koronarsyndrom. Non-STEMI-ACS Nicht ST-Hebungs-Infarkt-Akutes-Koronarsyndrom, PCI „percutaneous coronary intervention“ (perkutane Koronarintervention), STEMI ST-Hebungs-Infarkt. [Prasugrel, 60-mg-Initialdosis, kann bei Patienten mit STEMI als Alternative zu Clopidogrel und geplanter „primary percutaneous coronary intervention“ (PPCI) eingesetzt werden, sofern die Anamnese frei von Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke ist]

Analgesie

Morphin ist das Analgetikum der Wahl für nitrorefraktären Schmerz, es hat außerdem beruhigende Wirkung, sodass Sedativa meist überflüssig sind. Da Morphin die venösen Kapazitätsgefäße dilatiert, kann es zusätzlich für Patienten mit pulmonaler Stauung vorteilhaft sein. Morphin soll mit Dosen von 3–5 mg i.v. begonnen und die Gabe in Abständen weniger Minuten wiederholt werden, bis der Patient schmerzfrei ist. Nichtsteroidale antientzündliche Medikamente (NSAID) sollen zur Analgesie wegen ihrer prothrombotischen Effekte nicht gegeben werden [32].

Sauerstoff

Die Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung (SaO2) durch Pulsoxymetrie ist geeignet, um den Bedarf an zusätzlichem Sauerstoff festzustellen. Patienten benötigen keinen zusätzlichen Sauerstoff, solange sie nicht hypoxämisch sind. Einige der vorliegenden Daten deuten daraufhin, dass eine Sauerstoffgabe in hoher Konzentration für Patienten mit unkompliziertem Myokardinfarkt schädlich sein könnte [33, 34, 35]. Der Zielwert der SaO2 soll 94–98% sein bzw. 88–92%, wenn das Risiko der Atemdepression mit CO2-Retention besteht [36].

Kausale Behandlung

Thrombozytenaggregationshemmer

Die Hemmung der Plättchenaggregation ist sowohl für die Initialbehandlung des ACS als auch für die Sekundärprävention von herausragender Bedeutung, da Plättchenaktivierung und Aggregation Schlüsselprozesse für die Auslösung eines ACS sind.

Acetylsalicylsäure

Große kontrollierte Studien führten zu einer reduzierten Sterblichkeit, wenn ASS (75–325 mg) bei Patienten mit ACS unter stationären Bedingungen gegeben wurde. Einige wenige Studien lassen eine verminderte Sterblichkeit vermuten, wenn ASS noch früher eingesetzt wird [37, 38]. Deshalb soll ASS so früh wie möglich allen Patienten mit Verdacht auf ein ACS verabreicht werden, es sei denn, der Patient hat tatsächlich eine ASS-Allergie. Acetylsalicylsäure kann vom erstversorgenden professionellen Helfer, einem Notfallzeugen oder auf Anweisung des Leitstellendisponenten entsprechend lokaler Gepflogenheiten gegeben werden. Die Initialdosis von ASS-Kautabletten beträgt 160–325 mg. Andere Formen von ASS (löslich, i.v.-Präparation) sind wohl ebenso effektiv wie Kautabletten.

Adenosindiphosphatrezeptorantagonisten

Thienopyridine (Clopidogrel, Prasugrel, Ticlopidin) inhibieren den Adenosindiphosphat- (ADP-)Rezeptor irreversibel, das Cyclopentyltriazolopyrimidin Ticagrelor reversibel. Die Wirkung addiert sich zur Plättchenaggregationshemmung durch ASS. Im Gegensatz zu Clopidogrel ist der Metabolismus von Prasugrel und Ticagrelor unabhängig von der genetisch determinierten Variabilität des Arzneimittelstoffwechsels und der Wirkstoffaktivierung. Deshalb führen Prasugrel und Ticagrelor zu einer verlässlicheren und stärkeren Inhibition der Plättchenaggregation. Eine große randomisierte Studie, die Clopidogrel (Initialdosis 300 mg, gefolgt von 75 mg täglich) mit Prasugrel (Initialdosis 60 mg, gefolgt von 10 mg täglich) bei Patienten mit ACS untersuchte, führte zu weniger gravierenden wesentlichen bedrohlichen Koronarereignissen („major adverse cardiac events“, MACE) unter Prasugrel. Allerdings war die Blutungsrate unter Prasugrel höher. Das Blutungsrisiko war besonders erhöht bei Patienten, die weniger als 60 kg wogen und älter als 75 Jahre waren [39]. Eine signifikant erhöhte intrakranielle Blutungsrate unter Prasugrel wurde bei Patienten mit der Vorgeschichte einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) und/oder Schlaganfall beobachtet. In einer anderen Studie erwies sich Ticagrelor dem Clopidogrel hinsichtlich des Auftretens von wesentlichen bedrohlichen kardialen Ereignissen (MACE, [40]) überlegen.

ADP-Rezeptor-Antagonisten bei Non-STEMI-ACS

Clopidogrel

Wenn Clopidogrel zusätzlich zu Heparin und ASS bei Hochrisikopatienten mit Non-STEMI-ACS gegeben wird, verbessert es das Outcome [41, 42]. Auch wenn es keine große Studie gibt, die die Vorbehandlung mit Clopidogrel – in einer 300-mg- oder 600-mg-Initialdosis – mit einer periinterventionellen Gabe vergleicht, soll die Behandlung nicht bis zur Angiographie bzw. Intervention verzögert werden, da die höchsten Ereignisraten während der Frühphase des ACS beobachtet werden. Bei nichtselektierten Patienten mit KHK, die einer PCI unterzogen wurden, war die Vorbehandlung mit einer höheren Clopidogrelinitialdosis mit einem besseren Outcome verbunden [43]. Deshalb soll Clopidogrel allen Patienten mit Non-STEMI-ACS so früh wie möglich zusätzlich zu ASS und einem Antithrombin verabreicht werden. Ist ein konservatives Vorgehen geplant, soll die Initialdosis 300 mg betragen; bei einer geplanten PCI-Strategie ist eine Initialdosis von 600 mg möglicherweise günstiger.

Prasugrel

Prasugrel (60-mg-Initialdosis) kann anstelle von Clopidogrel Patienten mit Hochrisiko-Non-STEMI-ACS und geplanter PCI während der Angiographie gegeben werden, sofern die Koronarstenosen sich als für die PCI geeignet erweisen. Die Kontraindikationen (Vorgeschichte mit TIA oder Schlaganfall) sowie die Nutzen-Risiko-Relation bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko (Gewicht <60 kg, Alter >75 Jahre) sollen bedacht werden.

Ticagrelor Footnote 1

Ticagrelor (180 mg „loading dose“) kann anstelle von Clopidogrel Patienten mit Non-STEMI-ACS und geplanter invasiver Strategie verabreicht werden. Bisher liegen keine Daten zur Behandlung mit Prasugrel oder Ticagrelor in der Prähospitalphase oder Notfallaufnahme vor.

ADP-Rezeptor-Antagonisten bei ST-Hebungs-Infarkt

Clopidogrel

Obwohl es keine große Studie zur Vorbehandlung von STEMI-Patienten mit Clopidogrel bei geplanter PCI gibt, ist eine solche Strategie wahrscheinlich vorteilhaft. Da die Thrombozyteninhibition mit einer höheren Dosis ausgeprägter ist, wird für Patienten mit STEMI und geplanter PCI so früh wie möglich eine Initialdosis von 600 mg empfohlen. Zwei große randomisierte Studien haben Clopidogrel bei Patienten mit STEMI, die konservativ oder mit Fibrinolyse behandelt wurden, mit Placebo verglichen [44, 45]. Eine Studie untersuchte Patienten im Alter bis zu 75 Jahren, die mit Fibrinolyse, ASS, einem Antithrombin und einer Initialdosis von 300 mg Clopidogrel behandelt wurden [45]. Die Behandlung mit Clopidogrel führte zu weniger verschlossenen infarktbezogenen Koronararterien bei der Angiographie und weniger Reinfarkten, ohne dass es zu einem erhöhten Blutungsrisiko kam. Die andere Studie untersuchte Patienten mit STEMI ohne obere Altersgrenze, die konservativ oder mit Fibrinolyse behandelt werden sollen. In dieser Untersuchung führte die Gabe von Clopidogrel (keine initiale Aufladung, 75 mg täglich) im Vergleich zu Placebo zu weniger Todesfällen und einer Verminderung des kombinierten Endpunkts aus Tod und Schlaganfall [44]. Aus diesem Grund sollen Patienten mit STEMI zusätzlich zu ASS und einem Antithrombin Clopidogrel erhalten (300-mg-Initialdosis bis zu einem Alter von 75 Jahren und 75 mg Clopidogrel ohne Initialdosis im Alter über 75 Jahren).

Prasugrel

Prasugrel mit einer Initialdosis von 60 mg kann zusammen mit ASS und einem Antithrombin bei Patienten mit STEMI und geplanter PCI eingesetzt werden (Kontraindikation besteht bei Vorgeschichte mit TIA/Schlaganfall). Das Verhältnis des Blutungsrisikos zum Nutzen bei Patienten mit <60 kgKG oder einem Alter >75 Jahren soll berücksichtigt werden. Es gibt weder Daten zur prähospitalen Behandlung mit Prasugrel noch Daten zum Prasugreleinsatz im Zusammenhang mit einer Fibrinolyse.

Ticagrelor

Ticagrelor kann in einer Initialdosis von 180 mg bei Patienten mit STEMI und geplanter PCI verabreicht werden. Es liegen keine Daten zur prähospitalen Behandlung mit Ticagrelor und keine Daten zu Ticagrelor beim Einsatz im Zusammenhang mit Fibrinolyse vor.

Glykoprotein- (Gp-)IIb/IIIa-Inhibitoren

Der Glykoprotein- (Gp-)IIb/IIIa-Rezeptor ist das gemeinsame Endglied der Plättchenaggregation. Eptifibatid und Tirofiban führen zu einer reversiblen Inhibition, während Abciximab in einer irreversiblen Inhibition des Gp-IIb/IIIa-Rezeptors resultiert. Ältere Studien aus der „Vor-Stent-Ära“ unterstützen den Einsatz dieser Substanzklasse überwiegend [46, 47]. Neuere Studien dokumentieren zumeist ein neutrales oder sogar verschlechtertes Outcome [48, 49, 50, 51]. In jedem Fall ereigneten sich Blutungen unter Behandlung mit Gp-IIb/IIIa-Rezeptor-Blocker bei mehr Patienten sowohl in positiven als auch in den neutralen oder negativen Studien. Die Datenlage zur Routinevorbehandlung mit Gp-IIb/IIIa-Rezeptoren bei Patienten mit STEMI oder Non-STEMI-ACS ist nicht ausreichend. Bei Hochrisikopatienten mit Non-STEMI-ACS ist die Vorbehandlung („Upstream“-Behandlung) mit Eptifibatid oder Tirofiban vor geplanter PCI akzeptabel; dagegen soll Abciximab nur während der PCI gegeben werden [47, 52]. Neuere Alternativen zur Thrombozytenaggregationshemmerbehandlung sollen wegen des erhöhten Blutungsrisikos mit Gp-IIb/IIIa-Rezeptoren zusammen mit Heparinen vorgezogen werden.

Antithrombine

Unfraktioniertes Heparin (UFH) ist ein indirekter Thrombininhibitor, der in Kombination mit ASS als Zusatz bei fibrinolytischer Therapie oder primärer PCI eingesetzt wird. Er ist daher ein wichtiger Teil der Behandlung der UAP und des ACS. Die Limitationen von UFH umfassen den schwer voraussagbaren antikoagulatorischen Effekt beim individuellen Patienten, die Notwendigkeit, es i.v. zu applizieren, und die Notwendigkeit, die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) zu kontrollieren. Darüber hinaus kann Heparin eine Thrombozytopenie induzieren. Seit der Publikation der Leitlinien 2005 zum ACS wurden große randomisierte Studien durchgeführt, die verschiedene alternative Antithrombine für die Behandlung von Patienten mit ACS untersucht haben. Im Vergleich mit UFH haben diese Alternativen eine spezifische Faktor-Xa-Aktivität [niedermolekulare Heparine („low-molecular-weight heparin“, LMWH), Fondaparinux] oder sind direkte Thrombininhibitoren (Bivalirudin). Bei diesen neueren Antithrombinen ist es i. Allg. nicht notwendig, das Gerinnungssystem zu überwachen, und es besteht ein geringeres Risiko für Thrombozytopenien.

Antithrombine bei Non-STEMI-ACS

Im Vergleich mit UFH reduziert Enoxaparin den kombinierten Endpunkt aus Sterblichkeit, Myokardinfarkt und die Notwendigkeit einer dringlichen Revaskularisation, wenn es innerhalb der ersten 24–36 h nach Symptombeginn bei Non-STEMI-ACS eingesetzt wird [53, 54]. Obwohl Enoxaparin mehr geringgradige Blutungen als UFH verursacht, ist die Inzidenz ernster Blutungen nicht erhöht.

Blutungen verschlechtern die Prognose von Patienten mit ACS [55]. Fondaparinux und Bivalirudin führen zu weniger Blutungen als UFH [56, 57, 58, 59]. In den meisten Studien, die Patienten mit Non-STEMI-ACS untersuchen, wurden die UFH-Alternativen erst nach der Krankenhausaufnahme eingesetzt. Es mag daher nicht zulässig sein, die Ergebnisse dieser Studien auf die prähospitale Situation oder die Notfallaufnahme zu übertragen.

Für Patienten mit einem geplanten initial konservativen Vorgehen sind Fondaparinux und Enoxaparin sinnvolle Alternativen zu UFH. Die Datenlage zur Empfehlung anderer LMWH als Enoxaparin ist unzureichend. Für Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko soll Fondaparinux oder Bivalirudin in Betracht gezogen werden. Bei Patienten mit geplant invasivem Vorgehen sind Enoxaparin bzw. Bivalirudin sinnvolle Alternativen zu UFH. In einer Studie wurden Katheterthromben bei Patienten beobachtet, die sich einer PCI unterzogen und Fondaparinux erhalten hatten, – zusätzliches war UFH notwendig [56]. Da Enoxaparin und Fondaparinux bei Patienten mit Nierenschädigung akkumulieren können, ist eine Dosisanpassung erforderlich. Bivalirudin oder UFH sind Alternativen in dieser Situation. Das Blutungsrisiko kann beim Wechsel des Antikoagulans ansteigen. Daher soll die initial eingesetzte Substanz beibehalten werden, mit Ausnahme von Fondaparinux; hier ist die zusätzliche UFH-Gabe für Patienten bei der PCI notwendig.

Antithrombine bei ST-Hebungs-Infarkt

Patienten mit Fibrinolysebehandlung

Enoxaparin

Verschiedene randomisierte Studien an Patienten mit STEMI unter Fibrinolyse haben gezeigt, dass die zusätzliche Behandlung mit Enoxaparin anstatt UFH bessere klinische Ergebnisse nach sich zog (unabhängig von dem eingesetzten Fibrinolytikum), aber mit einer leicht erhöhten Blutungsrate bei älteren Patienten (>75 Jahre) und bei Patienten mit geringem Körpergewicht (<60 kgKG) einherging [61, 62, 63]. Reduzierte Dosen von Enoxaparin bei den älteren und leichten Patienten reduzierten die Blutungsrate bei gleich verbessertem Outcome [64]. Es ist darüber hinaus sinnvoll, Enoxaparin anstatt UFH für die prähospitale Behandlung einzusetzen. Dosierung von Enoxaparin: Bei Patienten <75 Jahre ist der Initialbolus 30 mg i.v., gefolgt von 1 mg/kgKG s.c. alle 12 h. (Die erste s.c.-Dosis soll kurz nach dem i.v.-Bolus verabreicht werden). Patienten >75 Jahre werden mit 0,75 mg/kgKG s.c. alle 12 h ohne initiale i.v.-Dosis behandelt. Patienten mit bekannter Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearence <30 ml/min) können mit einer s.c.-Dosis von 1 mg/kgKG Enoxaparin einmal täglich behandelt werden oder sollen UFH erhalten. Die Datenlage für andere LMWH ist für eine Empfehlung unzureichend.

Fondaparinux

Verschiedene Studien haben die Überlegenheit oder ein unverändertes Outcome gezeigt, wenn Fondaparinux mit UFH als Additiv bei Fibrinolyse für STEMI-Patienten verglichen wurde [56]. Fondaparinux (initial 2,5 mg s.c., gefolgt von 2,5 mg s.c. täglich) kann speziell beim Einsatz nichtfibrinspezifischer Fibrinolytika (z. B. Streptokinase) bei Patienten mit einer Plasmakreatininkonzentration <3 mg/dl (250 µmol/l) in Betracht gezogen werden.

Bivalirudin

Die Datenlage für die Empfehlung von Bivalirudin anstelle von UFH für STEMI-Patienten, die mit einer Fibrinolyse behandelt werden, ist für eine Empfehlung unzureichend. Da das Blutungsrisiko bei einem Wechsel der Antikoagulanzien erhöht werden kann, soll die initiale Substanz beibehalten werden. Dies gilt mit der Ausnahme von Fondaparinux. Hier ist zusätzlich UFH notwendig, wenn ein invasives Vorgehen geplant ist.

Antithrombine für Patienten mit STEMI, die mit PPCI behandelt werden sollen

Es gibt kaum Studien bei Patienten mit STEMI und geplanter PCI zum Beginn der Antithrombinbehandlung in der Prähospitalphase oder Notfallaufnahme. Daher müssen Behandlungsempfehlungen für diese Situation aus klinischen Untersuchungen extrapoliert werden, solange spezifischere Ergebnisse laufender Studien noch nicht verfügbar sind.

Enoxaparin

Mehrere Register und kleinere Studien haben ein günstiges oder neutrales Outcome nachgewiesen, wenn Enoxaparin mit UFH bei der heute üblichen PPCI (breiter Einsatz von Thienopyridinen und/oder Gp-IIb/IIIa-Rezeptor-Blockern; [65, 66]) eingesetzt wurde. Daher ist Enoxaparin eine sichere und effektive Alternative zu UFH. Die Datenlage dazu, andere LMWH als Enoxaparin für die PPCI bei STEMI zu empfehlen, ist unzureichend. Bei einem Wechsel von UFH zu Enoxaparin oder umgekehrt könnte es zu einem gesteigerten Blutungsrisiko kommen; dieser soll daher vermieden werden [60]. Eine Dosisanpassung von Enoxaparin ist bei Patienten mit Niereninsuffizienz notwendig.

Fondaparinux

Beim Vergleich mit UFH führte Fondaparinux im Kontext einer PPCI zu vergleichbarem klinischen Outcome bei weniger Blutungen [56]. Jedoch erforderten Thrombusbildungen am Kathetermaterial die zusätzliche Behandlung mit UFH. Selbst wenn Fondaparinux das Blutungsrisiko im Vergleich mit UFH bei STEMI-Patienten, die mit einer PCI behandelt werden, reduziert, wird der Einsatz beider Substanzen im Vergleich mit der alleinigen UFH-Gabe nicht empfohlen. Die Dosis von Fondaparinux muss bei Patienten mit Nierenfunktionsstörung angepasst werden.

Bivalirudin

Zwei große randomisierte Studien ergaben weniger Blutungen sowie eine Reduktion der Kurz- und Langzeitsterblichkeit, wenn Bivalirudin mit UFH und einem Gp-IIb/IIIa-Rezeptor-Blocker bei Patienten mit STEMI und geplanter PCI eingesetzt wurde [67, 68, 69]. Eine Reihe anderer Studien und Fallserien zeigte ebenfalls bessere oder neutrale Ergebnisse und weniger Blutungen, wenn Bivalirudin mit UFH verglichen wurde. Deshalb ist Bivalirudin eine sichere Alternative zu UFH. Allerdings wurde eine gering erhöhte Stent-Thrombose-Rate innerhalb der ersten 24 h nach PCI beobachtet [67].

Strategien und Versorgungssysteme

Unterschiedliche systematische Strategien zur Steigerung der Qualität der prähospitalen Versorgung von Patienten mit ACS wurden untersucht. Diese Strategien zielen hauptsächlich daraufhin ab, Patienten mit Infarkt schnell zu identifizieren, um die Zeit bis zur Reperfusionstherapie zu verkürzen. Ebenso wurden Triagekriterien entwickelt, um Hochrisikopatienten mit Non-STEMI-ACS für den Transport zu Interventionszentren mit 24-h-/7-Tage-Interventionsbereitschaft auszuwählen. In diesem Zusammenhang ist eine Reihe spezifischer Entscheidungen während der Initialversorgung zu fällen, die neben den diagnostischen Basisschritten und der Beurteilung sowie Interpretation des 12-Kanal-EKG notwendig sind. Diese Entscheidung betreffen:

  1. 1.

    Die Reperfusionsstrategie bei Patienten mit STEMI, d. h. PPCI vs. (prä-)hospitale Fibrinolyse.

  2. 2.

    Die Umgehung näher gelegener Krankenhäuser ohne PCI-Möglichkeit und Maßnahmen, die die Zeit bis zur Intervention zu verkürzen, wenn die PPCI die gewählte Strategie ist.

  3. 3.

    Vorgehensweisen in speziellen Situationen z. B. für Patienten, die erfolgreich nach nichttraumatischem Herzstillstand reanimiert wurden, bzw. Patienten mit Schock oder Patienten mit Non-STEMI-ACS, die instabil sind oder Hinweise auf ein sehr hohes Risiko zeigen.

Reperfusionsstrategie bei Patienten mit ST-Hebungs-Infarkt

Die Reperfusionsstrategie bei Patienten mit STEMI ist der wichtigste Fortschritt in der Behandlung des Infarkts seit den letzten 25 Jahren. Bei Patienten mit STEMI und einer Symptomdauer <12 h soll die Reperfusion sobald wie möglich, unabhängig von der gewählten Methode, eingeleitet werden [7, 70, 71, 72]. Die Reperfusion kann durch Fibrinolyse, durch PCI oder durch eine Kombination beider Verfahren erreicht werden. Die Effizienz der Reperfusionstherapie ist stark von der Symptomdauer abhängig. Die Fibrinolyse ist speziell in den ersten 2–3 h nach Symptombeginn effektiv; die PPCI ist weniger zeitabhängig.

Fibrinolyse

Eine Metaanalyse aus 6 Studien, die 6434 Patienten umfasste, dokumentierte eine 17%ige relative Abnahme der Sterblichkeit, wenn Patienten mit prähospitaler Fibrinolyse statt mit intrahospitaler Lyse behandelt wurden [74]. Ein effektives und sicheres System für die prähospitale Lyse erfordert angemessene diagnostische und therapeutische Möglichkeiten für den STEMI und seine Komplikationen. Idealerweise soll die Möglichkeit bestehen, mit erfahrenen Krankenhausärzten in Verbindung zu treten (z. B. „emergency physicians“ oder Kardiologen). Der wesentliche Zeitgewinn der prähospitalen Lyse bestand in einem Vorteil von 60 min, und die Ergebnisse waren unabhängig von der Erfahrung des Anwenders. Daraus lässt sich schließen, dass die prähospitale Lysetherapie bei Patienten mit STEMI oder Symptomen eines ACS und (vermutlich) neuem Linksschenkelblock vorteilhaft ist. Die Fibrinolysebehandlung kann von trainierten Rettungssanitätern, Pflegepersonal oder Ärzten, die ein bewährtes Protokoll nutzen, sicher eingesetzt werden [75, 76, 77, 78, 79, 80]. Die Effizienz ist innerhalb der ersten 3 h nach Symptombeginn am größten [74]. Patienten mit Symptomen eines ACS und EKG-Zeichen eines STEMI bzw. einem vermutlich neuen Linksschenkelblock oder Zeichen eines strikt posterioren Infarkts, die sich primär in der Notfallaufnahme vorstellen, sollen so bald wie möglich eine Fibrinolyse erhalten, wenn kein zeitnaher Zugang zur PPCI möglich ist.

Risiken der fibrinolytischen Therapie

Professionelle Helfer, die die fibrinolytische Therapie einsetzen, müssen mit den Kontraindikationen und Risiken vertraut sein (Tab. 1). Patienten mit großen Infarkten (z. B. erkennbar an ausgeprägten EKG-Veränderungen) haben die größte Wahrscheinlichkeit, von einer fibrinolytischen Therapie zu profitieren. Der Nutzen der fibrinolytischen Therapie ist bei inferioren Infarkten weniger eindrucksvoll als bei anterioren Infarkten. Ältere Patienten weisen eine absolut höhere Mortalität auf. Der absolute Vorteil der fibrinolytischen Therapie ist aber ähnlich wie bei jüngeren Patienten. Patienten >75 Jahre tragen ein erhöhtes Risiko einer intrakraniellen Blutung durch Fibrinolyse. Daher ist der absolute Nutzen der Fibrinolyse durch diese Komplikation vermindert. Das Risiko einer intrakraniellen Blutung ist bei Patienten mit einem SBD von >180 mmHg erhöht. Dieses Maß an Hypertonie ist eine relative Kontraindikation zur Fibrinolyse. Das Risiko zur intrakraniellen Blutung ist auch von den eingesetzten Antithrombinen und der Thrombozytenaggregationshemmung abhängig.

Tab. 1 Kontraindikationen zur Fibrinolyse (entsprechend den Leitlinien der European Society of Cardiology)

Primäre perkutane koronare Intervention

Die Koronarangioplastie mit oder ohne Stent-Einlage ist zur bevorzugten Behandlung für Patienten mit STEMI geworden, da sie sich in mehreren Studien und Metaanalysen der Fibrinolyse bezüglich des kombinierten Endpunkts aus Tod, Schlaganfall und Reinfarkt als überlegen erwiesen hat [81, 82]. Diese Vorteile wurden gefunden, wenn die PPCI durch eine erfahrene Person in einem Zentrum mit hohem Interventionsvolumen und nach begrenzter Verzögerung vom medizinischen Erstkontakt bis zur ersten Balloninflation möglich war [83]. Deshalb ist die PPCI, sofern sie in einem Zentrum mit hohem Interventionsvolumen kurz nach medizinischem Erstkontakt (FMC) durch einen erfahrenen Untersucher mit ausreichender Übung durchgeführt wird, die bevorzugte Behandlung, da sie die Morbidität und Mortalität im Vergleich zur sofortigen Thrombolyse vermindert.

Fibrinolyse versus primäre perkutane koronare Intervention

Der Einsatz der PPCI ist durch den Zugang zu Katheterlaboren mit erfahrenen Untersuchern und die Verzögerung bis zur ersten Balloninflation begrenzt. Die Fibrinolyse ist eine überall verfügbare Reperfusionsstrategie. Beide Behandlungsstrategien sind gut etabliert und über die letzten Dekaden Themen großer randomisierter Multizenterstudien gewesen. Während dieser Zeit haben sich beide Behandlungsformen signifikant weiterentwickelt, und der Wirksamkeitsnachweis ist breit gestreut. In den randomisierten Studien, die die PPCI mit fibrinolytischer Therapie vergleichen, lag die typische Verzögerung von der Entscheidung zur PPCI oder zum Beginn der fibrinolytischen Therapie bei weniger als 60 min. Verschiedene Berichte und Register, die die Fibrinolyse (einschließlich der prähospitalen Anwendung) mit der PPCI vergleichen, weisen einen Trend zum verbesserten Überleben auf, wenn die fibrinolytische Therapie innerhalb von 2 h nach Symptombeginn eingeleitet und mit einer „Rescue“- oder verzögerten PCI kombiniert wurde [84, 85, 86]. In Registern, die die Standardbedingungen realistischer darstellen, variierte die akzeptable Verzögerung durch PPCI (d. h. Diagnose bis Balloninflation minus Diagnose bis zur Injektion des Thrombolytikums), bei der eine Überlegenheit der PPCI gegenüber der fibrinolytischen Therapie nachweisbar war, erheblich. Die akzeptable Verzögerung schwankte zwischen 45 und über 180 min, abhängig von den Patientenbedingungen (d. h. Alter, Lokalisation des Infarkts und Symptomdauer; [87]). Darüber hinaus gibt es wenige Daten für die Überlegenheit der PPCI gegenüber der Fibrinolyse bei speziellen Subgruppen wie z. B. Patienten nach aortokoronarer Bypassoperation („coronary artery bypass grafting“, CABG) mit Niereninsuffizienz oder Diabetes [88, 89]. Die Zeitverzögerung bis zur PCI kann durch eine Verbesserung der Versorgungssysteme signifikant verkürzt werden [13, 90, 91, 92, 93], z. B. durch:

  • prähospitale EKG-Registrierung

  • EKG-Übertragung in das Aufnahmekrankenhaus,

  • direkte Telefonalarmierung des Katheterlabors,

  • Herstellung der Katheterlaborbereitschaft innerhalb 20 min,

  • laufende Vorhaltung eines interventionellen Kardiologen im Krankenhaus,

  • Feedback-Routine über die tatsächlichen Zeitabläufe,

  • Unterstützung durch Engagement leitender Personen und

  • Ermutigung zu einem teambasierten Vorgehen.

Wenn die PPCI nicht innerhalb eines angemessenen Zeitfensters durchgeführt werden kann, soll unabhängig von der Notwendigkeit einer dringlichen Verlegung eine sofortige Fibrinolyse in Betracht gezogen werden, sofern keine Kontraindikationen bestehen. Für Patienten mit Kontraindikationen zur Fibrinolyse soll die PCI trotz der Verzögerung angestrebt und nicht gänzlich auf eine Reperfusionstherapie verzichtet werden. Für Patienten mit STEMI, die im kardiogenen Schock sind, ist die primäre PCI (oder koronare Bypassversorgung) die bevorzugte Reperfusionsbehandlung. Die Fibrinolyse soll nur dann erwogen werden, wenn zur PCI eine wesentliche Verzögerung eintritt.

Triage und Interhospitaltransport zur primären perkutanen koronaren Intervention

Das Risiko von Tod, Reinfarkt und Schlaganfall für Patienten mit STEMI ist reduziert, wenn sie rasch von Krankenhäusern der Grundversorgung zu Interventionszentren verlegt werden [82, 94, 95]. Es ist weniger klar, ob eine sofortige Fibrinolysetherapie (innerhalb oder außerhalb des Krankenhauses) oder die Verlegung zur PPCI bei jüngeren Patienten mit einem Vorderwandinfarkt und einer kurzen Symptomdauer von weniger als 2–3 h besser ist [87]. Die Verlegung zur PPCI ist sinnvoll für Patienten, die sich mit einer Symptomdauer von mehr als 3, aber weniger als 12 h vorstellen, sofern sie rasch erfolgen werden kann.

Kombination von Fibrinolyse und perkutane koronare Intervention

Die Fibrinolyse und die PCI können in verschiedenen Kombinationen eingesetzt werden, um den koronaren Blutfluss und die myokardiale Perfusion wiederherzustellen. Es gibt mehrere Wege, in denen die beiden Behandlungen kombiniert werden können. Es fehlt an einheitlicher Nomenklatur, um die PCI unter diesen Vorgehensweisen zu beschreiben. „Facilitated PCI“ wird zur Beschreibung der PCI unmittelbar nach Fibrinolyse gebraucht. „Pharmakoinvasive“ Strategie bezeichnet eine PCI, die routinemäßig 3–24 h nach der Fibrinolyse durchgeführt wird. „Rescue-PCI“ ist als PCI, die wegen Lyseversagen vorgenommen wird (nachgewiesen durch weniger als 50%ige Resolution der ST-Segment-Hebung 60–90 min nach der Fibrinolysebehandlung) definiert. Die Strategien sind von einer Routine-PCI zu unterscheiden, bei der die Angiographie und Intervention einige Tage nach erfolgreicher Fibrinolyse durchgeführt wird. Verschiedene Studien und Metaanalysen zeigen ein schlechteres Outcome bei Routine-PCI sofort oder so früh wie möglich nach Fibrinolyse [48, 95]. Deshalb wird die routinemäßige Facilitated PCI nicht empfohlen, selbst wenn spezielle Subgruppen von Patienten von diesem Vorgehen möglicherweise profitieren [96]. Es ist sinnvoll, die Angiographie und Intervention, wenn notwendig, bei Patienten mit Lyseversagen, entsprechend klinischer Zeichen und/oder unzureichender ST-Segment-Resolution durchzuführen. Im Fall einer erfolgreichen Fibrinolyse (nachgewiesen durch klinische Zeichen) und einer ST-Segment-Resolution >50% wurde mit um einige Stunden verzögerter Angiographie nach Fibrinolyse („pharmakoinvasives“ Vorgehen) ein verbessertes Outcome nachgewiesen. Diese Strategie schließt eine frühzeitige Verlegung zur Angiographie und, wenn notwendig, PCI nach fibrinolytischer Therapie ein [98, 99].

Spezielle Situationen

Kardiogener Schock

Der kardiogene Schock (und in gewissem Umfang das schwere Linksherzversagen) ist eine wichtige Komplikationen des ACS; dieser hat eine Sterblichkeit von >50%. Der kardiogene Schock bei STEMI ist keine Kontraindikation zur fibrinolytischen Therapie, aber die PCI ist die Behandlung der Wahl. Eine frühe Revaskularisation (d. h. PPCI oder PCI früh nach Fibrinolyse) ist bei Patienten indiziert, die einen Schock innerhalb 36 h nach Symptombeginn eines Infarkts entwickeln und bei denen eine Revaskularisation möglich ist [100]. Der Verdacht auf einen rechtsventrikulären Infarkt soll bei Patienten entstehen, die einen inferioren Infarkt hatten, klinisch einen Schock und einen unauffälligen Lungenauskulationsbefund aufweisen. Die ST-Hebung ≥1 mm in Ableitung V4r ist ein nützlicher Indikator eines rechtsventrikulären Infarkts. Diese Patienten haben eine Krankenhaussterblichkeit von bis zu 30% und profitieren ausgeprägt von einer Reperfusionstherapie. Bei diesen Patienten sollen Nitrate und andere Vasodilatoren vermieden werden; die Hypotension soll mit i.v.-Flüssigkeitsgabe behandelt werden.

Reperfusion nach erfolgreicher kardiopulmonaler Reanimation

Die KHK ist die häufigste Ursache des prähospitalen Kreislaufstillstands. Viele dieser Patienten haben einen akuten Koronarverschluss mit Zeichen eines STEMI im EKG. Ein Kreislaufstillstand auf dem Boden einer ischämischen Herzerkrankung kann auch ohne diese Befunde eintreten. Verschiedene Fallserien haben demonstriert, dass eine Angiographie und, wenn notwendig, eine PCI bei Patienten mit ROSC nach Kreislaufstillstand möglich sind. Bei vielen Patienten können Koronararterienverschlüsse oder höhergradige Stenosen identifiziert und behandelt werden. Die Fibrinolyse mag eine Alternative für Patienten mit EKG-Zeichen eines STEMI sein [101]. Deshalb soll bei Patienten mit STEMI oder einem neuen Linksschenkelblock im EKG bei ROSC nach prähospitalem Kreislaufstillstand eine sofortige Angiographie und PCI oder Fibrinolyse überlegt werden [102, 103]. Es ist sinnvoll, die sofortige Angiographie und PCI bei ausgewählten Patienten durchzuführen, auch beim Fehlen einer ST-Hebung im EKG oder Fehlen von klinischen Befunden wie z. B. Brustschmerz. Ferner ist es sinnvoll, die Reperfusionsbehandlung in ein standardisiertes Nachbehandlungskonzept nach Kreislaufstillstand als Teil einer Strategie zur Verbesserung des Outcome einzubeziehen [104]. Die Reperfusionsbehandlung soll andere therapeutische Strategien einschließlich der therapeutischen Hypothermie nicht verhindern.

Primäre und sekundäre Prävention

Präventive Interventionsmaßnahmen bei Patienten mit einem ACS sollen sofort nach Krankenhausaufnahme eingeleitet werden bzw., wenn schon eingeleitet, fortgesetzt werden. Präventivmaßnahmen verbessern die Prognose durch Verringerung gravierender unerwünschter kardialer Ereignisse. Die medikamentöse Prävention umfasst: β-Rezeptoren-Blocker, ACE-Hemmer/ARB und Statine sowie die Basisbehandlung mit ASS und, sofern indiziert, Thienopyridinen.

β-Rezeptoren-Blocker

Verschiedene Studien, die im Wesentlichen in der Präreperfusionsära durchgeführt wurden, zeigten eine verminderte Sterblichkeit, Reinfarktinzidenz und Herzrupturrate sowie auch eine geringere Inzidenz von VF und supraventrikulärer Arrhythmie bei Patienten, die früh mit einem β-Rezeptoren-Blocker behandelt wurden [105]. Eine i.v.-β-Blockade reduziert möglicherweise die Sterblichkeit bei Patienten, die einer primären PCI unterzogen werden und die nicht unter oralen Therapie mit β-Rezeptoren-Blockern stehen.

Studien zu β-Rezeptoren-Blockern sind sehr unterschiedlich bezüglich des Beginns der Behandlung. Es gibt kaum Daten zur prähospitalen Gabe oder in der Notfallaufnahme. Darüber hinaus zeigen neuere Studien ein erhöhtes Risiko eines kardiogenen Schocks bei Patienten mit STEMI, wenn auch die Rate schwerer Tachyarrhythmien durch die β-Blockade reduziert war [106]. Es gibt keine Evidenz für die routinemäßige i.v.-β-Blockade in der prähospitalen oder frühen Notfallaufnahmesituation. β-Rezeptoren-Blocker mögen in speziellen Situationen indiziert sein, wie z. B. bei schwerer Hypertension oder Tachyarrhythmien ohne Kontraindikationen. Es ist sinnvoll, β-Rezeptoren-Blocker mit niedrigen oralen Dosen erst zu beginnen, wenn der Patient stabilisiert ist.

Antiarrhythmika

Es gibt keine Evidenz für den Einsatz einer antiarrhythmischen Prophylaxe bei ACS. Kammerflimmern verursacht die meisten frühen Todesfälle bei ACS. Die Inzidenz des VF ist in den ersten Stunden nach Symptombeginn am höchsten. Dies erklärt, warum zahlreiche Studien mit dem Ziel, den prophylaktischen Effekt antiarrhythmischer Therapien nachzuweisen, durchgeführt wurden [107]. Antiarrhythmische Medikamente (Lidocain, Magnesium, Disopyramid, Mexiletin, Verapamil, Sotalol) wurden auf ihre prophylaktischen Effekte beim ACS untersucht. Die Prophylaxe mit Lidocain reduzierte die Inzidenz von VF, könnte aber die Sterblichkeit steigern [108]. Die Routinebehandlung von Infarktpatienten mit Magnesium verbessert die Sterblichkeit nicht. Die Arrhythmieprophylaxe mit Disopyramid, Mexiletin, Verapamil oder anderen Antiarrhythmika innerhalb der ersten Stunden eines ACS verbessert die Sterblichkeit ebenfalls nicht. Deshalb wird keine Antiarrhythmikaprophylaxe empfohlen.

Hemmer des Angiotensinkonversionsenzyms und Angiotensinrezeptorblocker

Orale Hemmer des Angiotensinkonversionsenzyms (ACE-Inhibitoren)Θ reduzieren die Sterblichkeit bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt mit oder ohne frühe Reperfusionstherapie. Die günstigen Effekte sind am ausgeprägtesten bei Patienten mit Vorderwandinfarkt, Lungenstauung oder einer linksventrikulären Ejektionsfraktion <40%. Angiotensinkonversionsenzymhemmer sollen bei einem SBD <100 mmHg oder bei bekannten Kontraindikationen für diese Substanzen nicht gegeben werden. Ein Trend zu höherer Sterblichkeit wurde beobachtet, wenn eine i.v.-ACE-Inhibitor-Behandlung innerhalb der ersten 24 h nach Symptombeginn begonnen wurde. Deshalb soll innerhalb von 24 h nach Symptombeginn Patienten mit akutem Infarkt ein oraler ACE-Inhibitor verabreicht werden, unabhängig davon, ob eine frühe Reperfusionstherapie geplant ist. Dies gilt insbesondere für Patienten mit Vorderwandinfarkt, Lungenstauung oder einer linksventrikulären Ejektionsfraktion <40%. Intravenös applizierte ACE-Inhibitoren sollen innerhalb 24 h nach Symptombeginn nicht gegeben werden. Ein ARB soll Patienten gegeben werden, die ACE-Inhibitoren nicht vertragen [109, 110].

Statine

Statine reduzieren die Inzidenz wesentlicher unerwünschter kardiovaskulärer Ereignisse, wenn sie früh innerhalb der ersten Tage nach Beginn eines ACS gegeben werden [111, 112]. Eine Statintherapie soll innerhalb von 24 h nach Beginn der Symptome eines ACS in Betracht gezogen werden, wenn keine Kontraindikationen vorliegen [Zielwert des „Low-density-lipoprotein“-Cholesterins <80 mg/dl, 2,1 mmol/l). Wenn die Patienten bereits eine Statintherapie erhalten, soll diese nicht unterbrochen werden [113].

Korrespondenzadresse des Übersetzers

Prof. Dr. H.R. Arntz

Medizinische Klinik II

Kardiologie und Pulmologie

Charité – Campus Benjamin Franklin

Hindenburgdamm 30

12200 Berlin

E-Mail: hans-richard.arntz@charite.de