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Über einen Schreckstoff der Fischhaut und seine biologische Bedeutung

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Zeitschrift für vergleichende Physiologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

  1. 1.

    Ein im freien Gewässer oder im Aquarium durch Fütterung zutraulich gemachter Ellritzenschwarm zeigt eine Schreckreaktion, wenn ihm ein verletzter Artgenosse beigesellt wird. In typischen Fällen sieht man die Fische nach einer Latenzzeit von etwa 1/2 Min. zusammenschrecken, zu Boden gehen, sich eng aneinanderschließen, und dann suchen sie nach kurzer Zeit das Weite oder fliehen (im Aquarium) ins Versteck. Es kann stunden- oder tagelang dauern, bis die alte Zutraulichkeit wiederkehrt.

  2. 2.

    Die Schreckreaktion wird durch einen Schreckstoff ausgelöst, der aus der verletzten Haut der Ellritze frei wird.

  3. 3.

    Es spielt keine Rolle, ob die verletzte Ellritze lebend oder tot ist. Bei Fischen, die ohne Verwundung abgetötet werden, geht einige Zeit nach Eintritt des Todes der Schreckstoff auch aus der unverletzten Haut in das Wasser über.

  4. 4.

    Der Anblick einer leblosen Ellritze löst keine Schreckreaktion aus.

  5. 5.

    Empfindliche Schwärme reagieren noch deutlich auf einen Extrakt aus Eilritzenhaut (0,2 g Haut in 200 ccm Wasser extrahiert) bei einer Verdünnung von 1: 500. Es werden 100 ccm des verdünnten Extraktes eingegossen. Da er sich hierbei mit dem Wasser des Beckens mischt, ist der wahre Verdünnungsgrad, auf den die Fische eben noch ansprechen, erheblich größer.

  6. 6.

    Die Schwärme sind individuell verschieden empfindlich. Ein und derselbe Schwärm reagiert bei wiederholten Versuchen mit der gleichen Verdünnungsstufe oft durchaus gleichartig, er kann sich aber auch abstumpfen oder (seltener) mit zunehmender Empfindlichkeit ansprechen.

  7. 7.

    Man erhält durchschnittlich bessere Reaktionen: in kleineren Becken, an länger eingewöhnten oder langsam zutraulich gewordenen Schwärmen. Ohne deutlichen Einfluß auf die Reaktionsbereitschaft sind die Herkunft und das Alter der Fische, die den Schwärm zusammensetzen, und die Jahreszeit.

  8. 8.

    Auch der Schreckstoffgehalt der Haut zeigt bei Ellritzen verschiedener Herkunft, verschiedenen Alters oder verschiedenen Geschlechtes keine wesentlichen Unterschiede.

  9. 9.

    In einer mehrmonatlichen Hungerzeit sinkt der Schreckstoffgehalt der Ellritzenhaut auf etwa 1/4.

  10. 10.

    Es besteht kein nennenswerter Unterschied im Schreckstoffgehalt zwischen der dunklen Rückenhaut und der nur mit rotem Pigment und Guanin ausgestatteten Bauchhaut der Ellritze.

  11. 11.

    Im Darm und in der Leber der Ellritze läßt sich kein Schreckstoff nachweisen. Die Ovarien sind etwa 100fach, die Muskeln 20fach, die Kiemenblättchen 5–10fach weniger wirksam als die Haut. Die relativ starke Wirksamkeit der Kiemenblättchen ist wohl auf ihren Epithelüberzug zurückzuführen.

  12. 12.

    Nach Ausschaltung des Geruchsinnes reagieren die Ellritzen auch auf unverdünnten Ellritzenhautextrakt nicht mehr. Der Schreckstoff ist also ein Riechstoff. Kontrollversuche zeigen, daß die Reaktionsbereitschaft an sich durch die Operation nicht leidet.

  13. 13.

    Die Haut toter Ellritzen behält mehrere Tage ihre Wirksamkeit.

  14. 14.

    Nach den Untersuchungen R. Hüttels über die chemische Natur des Schreckstoffes aus der Ellritzenhaut scheint es sich um purin- oder pterinähnliche Stoffe zu handeln. Da sie wasserlöslich, aber nicht flüchtig sind, liegt eine Substanz vor, die für Fische ein Riechstoff ist, aber für uns als solcher nicht in Frage kommt.

  15. 15.

    Es wurden die Häute von 41 Süβwasserfischarten auf ihre Wirksamkeit im Vergleich mit der Ellritzenhaut geprüft. Die Ergebnisse sind in Tabelle 18 (S. 120) übersichtlich zusammengestellt. 18 Arten gehören in andere Familien als die Ellritze. Ihre Häute enthalten keine nennenswerten Mengen eines für Ellritzen wirksamen Schreckstoffes (relativer Wirkungsgrad im Höchstfalle 1/100). Die Haut der Familienangehörigen (Cypriniden) war im allgemeinen wirksam, doch erreichen nur 2 von den 23 geprüften Arten angenähert den Wirkungsgrad der Ellritzenhaut. Für die starken Unterschiede im relativen Wirkungsgrad der Haut auch innerhalb der Familie der Cypriniden (vgl. Tabelle 18) sind neben dem Verwandtschaftsgrad offenbar noch andere Umstände maßgebend.

  16. 16.

    Fluβbarsche (Fam. Percidae) zeigen keine Schreckreaktion, auch nicht auf die Haut (oder andere Körperteile) von Artgenossen.

  17. 17.

    Aitel, Bitterlinge und Rotfedern (Fam. Cyprinidae) zeigen eine deutliche Schreckreaktion auf den Hautextrakt von Artgenossen.

  18. 18.

    Ellritzen sprechen auf den Hautextrakt von ihresgleichen stärker an als auf den Hautextrakt von Bitterlingen und Rotfedern. Da auch Bitterlinge und Rotfedern auf den Hautextrakt der Artgenossen am stärksten reagieren, muß entweder der Schreckstoff bei verschiedenen Arten qualitativ verschieden oder neben dem Schreckstoff auch der charakteristische Artduft der Fische für die Intensität der Schreckreaktion mitbestimmend sein.

  19. 19.

    Nach anderweitigen Beobachtungen und Versuchen gibt es eine Schreckreaktion wahrscheinlich auch bei der Plötze, dem Gründling, der Laube, dem Schneider und der Orfe (durchwegs heimische Cypriniden) und sicher bei dem indischen Cypriniden Danio malabaricus.

  20. 20.

    Eine Schreckreaktion der geschilderten Art ist also bisher nur von gesellig lebenden Friedfischen bekannt. Ihre biologische Bedeutung liegt offenbar darin, daß bei einem räuberischen Überfall der aus der verletzten Haut eines gepackten Fisches frei werdende Schreckstoff die Kameraden warnt,

  21. 21.

    Es läßt sich zeigen, daß beim Verschlingen einer Ellritze durch einen Hecht tatsächlich Warnstoffmengen frei werden, die hinreichen, um einen Ellritzenschwarm stark und nachhaltig zu verschrecken.

  22. 22.

    Die Reaktionsbereitschaft der Ellritzen wird in der Regel gesteigert, wenn sie nicht nur den Schreckstoff, sondern gleichzeitig einen Hecht geruchlich wahrnehmen.

  23. 23.

    Bei Freilandversuchen ist die Schreckwirkung auffällig an den Ort des Schreckerlebnisses gebunden. Während sich die Fische an dieser Stelle durch Futter nicht anlocken lassen, nehmen sie es einige Meter abseits ohne Scheu.

  24. 24.

    Aber auch dort ist ihr Gehaben nach einem Schreckerlebnis verändert. Sie sind von gesteigerter Wachsamkeit und reagieren mit Auge, Ohr und Nase auch auf unbedeutende Veränderungen, die sie vorher nicht beachtet haben.

  25. 25.

    Zweimal wurde eine Schreckreaktion unter natürlichen Bedingungen beobachtet: an einem Ellritzenschwarm, aus dem ein Barsch ein geschwächtes Tier herausholte, und an einem Laubenschwarm, aus dem eine Rohrdommel einen Fisch wegschnappte, der ihr wieder entkam.

  26. 26.

    Die Gewohnheit wehrloser Friedfische, sich zu Schwärmen zu vereinigen, wird nun besser verständlich; denn bei einem räuberischen Überfall kann bei geselligem Leben der Warnstoff für die Allgemeinheit von Vorteil, ja von lebensrettender Bedeutung sein.

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v. Frisch, K. Über einen Schreckstoff der Fischhaut und seine biologische Bedeutung. Z. Vergl. Physiol. 29, 46–145 (1942). https://doi.org/10.1007/BF00304445

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