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26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

11.09. - 13.09.2009, Leipzig

Kommunikative Fähigkeiten bei schwerhörigen Patienten und CI-Trägern

Poster

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  • corresponding author presenting/speaker Joachim Johänntgen - Universitäts HNO-Klinik und Poliklinik – Schwerpunkt Kommunikationsstörungen, Mainz, Deutschland
  • author Annerose Keilmann - Universitäts HNO-Klinik und Poliklinik – Schwerpunkt Kommunikationsstörungen, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 11.-13.09.2009. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2009. Doc09dgppP08

doi: 10.3205/09dgpp20, urn:nbn:de:0183-09dgpp202

Published: September 7, 2009

© 2009 Johänntgen et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Die Indikation für eine CI- Versorgung wird bisher fast ausschließlich von audiologischen Befunden abhängig gemacht, kaum hingegen von der Fähigkeit der Patienten, sich mit ihrer Behinderung im Alltag zurechtzufinden und ihrem Copingverhalten.

Methode: Anhand zweier inhaltlich identischer Fragebögen wurden 22 erwachsene CI- Patienten und 21 CI-Kandidaten sowie jeweils ein enger Angehöriger/Freund zur Hör- und Kommunikationsfähigkeit in Ruhe und im Störgeräusch, zur Selbstwahrnehmung bezüglich der Behinderung und der Verständigungsmöglichkeiten (Einsatz von Gesten, Lippenlesen usw.) sowie zum Copingverhalten befragt. Anhand eines Expertenfragebogens wurde jeder Patient hinsichtlich Lippenlesefähigkeit, Artikulation, Prosodie und ebenfalls zu Bewältigungsstrategien untersucht.

Ergebnisse: CI-Träger schätzten ihre Hör- und Verständigungsfähigkeiten signifikant besser ein als die CI-Kandidaten. Auch bei den Copingstrategien antworteten die CI-Patienten tendenziell günstiger. Der Vergleich der Aussagen der Patienten und ihrer Angehörigen korrelierten stark bis mittelstark. Die Experten beurteilten die Kommunikationsleistungen der CI-Patienten signifikant besser als die der CI-Kandidaten.

Diskussion: Patienten mit CI schätzen ihre Fähigkeit mit ihrer Umwelt zu kommunizieren tendenziell bis signifikant besser ein als die CI-Kandidaten. Auch scheinen sie mit ihrer Behinderung besser zurechtzukommen. Das Expertenurteil bestätigte die Einschätzung der Patienten und ihrer Angehörigen.


Text

Einleitung

Im Rahmen der Diagnostik zur Indikationsstellung einer CI-Versorgung sind die wichtigsten Mittel zur Entscheidungsfindung bisher, neben allgemein HNO-ärztlichen Untersuchungen und Bildgebung, vor allem ton- und sprachaudiometrische Messungen. Eine standardisierte Erhebung der Kommunikations- und Hörfähigkeit, insbesondere in Situationen des alltäglichen Lebens durch den Patienten und Angehörige, sowie eine Bewertung dieser Fähigkeiten wird meist nicht durchgeführt. Zusätzliche Parameter, wie die Fähigkeit zum Lippenlesen, Aussprache, Wortschatz, grammatische Struktur und Prosodie usw. gehen meist nur am Rande in die Entscheidung mit ein. Ziel unserer Studie war, mit auf der Grundlage bereits vorhandener Frageinventare, ein neues Inventar zu entwickeln, um damit die Kommunikationsfähigkeiten von schwerhörigen Patienten und CI-Trägern zu vergleichen und diese auf ihre Brauchbarkeit in der Indikationsstellung zur CI-Versorgung zu überprüfen. Die wiederholte Bearbeitung des gleichen Inventars erlaubt den Verlauf einer CI-Versorgung zu bewerten.

Methodik

Wir untersuchten 43 hochgradig schwerhörige Patienten. Diese Gruppe teilte sich in 22 CI-Träger, die seit mindestens einem Jahr mit einem CI versorgt waren und 21 Patienten, die mit Hörgeräten bestmöglich versorgt waren und bei denen die Indikation zur CI-Versorgung zum Zeitpunkt der Untersuchung, gegeben war. Wir rekrutierten alle Patienten aus unserer Klinik, entweder bei Kontrollen ihrer Implantate (CI-Träger), oder im Rahmen der CI-Diagnostik zur Klärung der Versorgungsindikation (CI-Kandidaten). Alle Patienten waren volljährig und schwerwiegende weitere Behinderungen, die insbesondere Verständnis und Bearbeitung der Fragebögen erschweren würden, waren nicht vorhanden.

Es wurden insgesamt drei Fragebögen bearbeitet. Die zueinander identischen Inventare zur Selbst- und Fremdeinschätzung und der Expertenfragebogen. Letzterer wurde von Logopädinnen in Zusammenarbeit mit den Patienten ausgefüllt. Die Erstgenannten wurden vom Patienten selbst und von einem engen Angehörigen bearbeitet. Eine Zusammenarbeit beim Ausfüllen der Bögen zwischen Patient und Angehörigem war nicht möglich. Die Inventare zur Selbst- und Fremdeinschätzung setzten sich zusammen aus ausgewählten Items des Nijmegen Cochlear Implant Questionnaire sowie des Oldenburger Inventars.

Die ordinal skalierten Fragebögen zur Selbst-/Fremdeinschätzung sind in sechs Skalen (Hören in Ruhe, im Störgeräusch, spezielle Sprachproduktion, spezielles Sprachverstehen, akkomodatives Coping und assimilatives Coping) unterteilt. Assimilatives Coping beschreibt ein aktives, in die Umwelt eingreifendes Verhalten des Patienten, wie z.B. das Nachfragen bei Nichtverstehen. Akkomodatives Coping ist die gegenteilige passive Strategie, bei der der Patient sein Leiden widerstandslos erträgt und eine niedrigere Lebensqualität akzeptiert. Der Expertenfragebogen wurde von Logopädinnen und Ärzten unserer Klinik entwickelt. Ebenfalls ordinal skaliert, teilt er sich in sieben Skalen (Sprachverständnis mit bzw. ohne Mundbild, Sprachreproduktion mit bzw. ohne Mundbild, Qualität der Sprachproduktion, Umgang mit der Behinderung, sowie Copingstrategien). Das Einverständnis der Patienten zur Verwendung ihrer anonymisierten Daten war vorhanden.

Ergebnisse

Im Inventar zur Selbsteinschätzung zeigt sich im Summenscore aller Items ein signifikant besseres Abschneiden der CI-Träger im Vergleich zu den CI-Kandidaten (p=0,001). Betrachtet man die Skalen einzeln, so ist festzustellen, dass ein signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe in den Skalen Hören in Ruhe, Hören im Störgeräusch, sowie spezielles Sprachverstehen/spezielle Geräuschwahrnehmung besteht. In anderen Skalen schneiden die CI-Träger tendenziell besser ab. Allein in der Kategorie assimilatives Coping schneiden die CI-Träger tendenziell schlechter ab.

Die Auswertung des Inventars zur Fremdeinschätzung zeigt genau die gleichen Ergebnisse, also eine signifikant besseres Abschneiden in der CI-Gruppe, was den Summenscore betrifft (p=0,001). Beim Hören in Ruhe sowie im Störgeräusch, sowie beim speziellen Sprachverstehen/spezielle Geräuschwahrnehmung zeigen sich ebenfalls signifikante Unterschiede. Tendenziell bewerten die Angehörigen die Kategorien spezielle Sprachproduktion und akkomodatives Coping besser. Auch bei der Beurteilung durch ihre Angehörigen schneiden die CI-Träger im Bereich assimilatives Coping besser ab. Somit zeigen die Ergebnisse der Selbst- und Fremdeinschätzung eine signifikant positive Übereinstimmung.

Im Expertenfragebogen werden die CI-Träger von den Logopädinnen signifikant besser bewertet was den Summenscore angeht (p=0,004). In den Kategorien Sprachverstehen mit Mundbild, Sprachverstehen ohne Mundbild und Copingstrategie schneiden die CI-Träger signifikant besser ab. In den restlichen Subskalen (Sprachreproduktion mit und ohne Mundbild, Qualität der Sprachproduktion und Umgang mit der Behinderung) zeigt sich ein tendenziell positiveres Ergebnis für die CI-Träger.

Diskussion

Wir konnten feststellen, dass die CI-Träger in der Summe, bei allen Fragebögen, signifikant besser abschneiden als die Kontrollgruppe. In den einzelnen Bereichen ist diese Verbesserung signifikant, in anderen tendenziell zu bemerken. Den deutlichsten Vorsprung zeigen die CI-Träger generell in den Bereichen, die die Hörfähigkeiten bewerten. Diese Beobachtungen decken sich weitgehend mit bisher bereits durchgeführten Untersuchungen. Interessant ist jedoch, dass die CI-Träger in der Kategorie assimilatives Coping leicht schlechter abschneiden, was zunächst den Anschein erweckt, als würden sie im Umgang mit ihrer Behinderung ein passiveres Verhalten zeigen. Dies könnte sich mit der oft langen Zeit begründen, seit der die Behinderung besteht. Ein anderer Erklärungsansatz wäre jedoch auch, dass die CI-Träger so gut kommunizieren, dass diese Copingstragtegie nicht benötigt wird und daher fälschlicherweise niedrigere Werte gewählt wurden. Generell erscheint uns die standardisierte Erhebung subjektiver Patienteneinschätzungen sinnvoll zur Vervollständigung der CI-Diagnostik. Welche Kriterien hier als diagnostisch relevant gelten sollen, muss noch weiter untersucht werden. Bereits jetzt sehen wir einen großen Vorteil solcher Untersuchungen in der Beurteilung des Outcomes der Therapie sowie ihres weiteren Verlaufs.


Literatur

1.
Hinderink JB, et al. Development and application of a health-related quality of life instrument for adults with cochlear implants: The NCIQ. Otolaryngology Head and Neck Surgery 2000;123(6):756-65.
2.
Tesch-Römer, Nowak M. Bewältigung von Hör- und Verständnisproblemen bei Schwerhörigkeit. Zeitschrift für klinische Psychologie 1995;24:35-45.