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Licensed Unlicensed Requires Authentication Published by Deutscher Kunstverlag (DKV) June 21, 2023

„[…] Und dieses Bildchen abgedrückt.“ Ein Lichtbild von Johann Carl Enslen aus dem Jahre 1839 in einem Faksimiledruck von 1888

  • Felix Thürlemann
From the journal Rundbrief Fotografie

Nachsatz

Die beiden auf der Mittelvertikalen platzierten Schmetterlinge, die ihre Flügel symmetrisch ausbreiten, sind Nachtfalter, keine Liebhaber des Sonnenlichts: oben ein Stachelbeerspanner (lat. „abraxas grossulariata“), unten ein Weißfleckwidderchen (lat. „amata phegea“), das im Negativdruck freilich als ein nicht existentes ‚Schwarzfleckwidderchen‘ erscheint. Es war nicht das Sonnenlicht, es war eher das Licht einer Laterne, das die beiden Insekten einst angezogen und es dem Fotografen erlaubt hat, sie einzufangen, zu töten und auf der Glasplatte zu fixieren. Nicht das Sonnenlicht allein, auch eine künstliche Lichtquelle hatte wohl Anteil am Entstehen des in einer frühen Reproduktion indirekt erhaltenen „Bildchens“ von Johann Carl Enslen.

Anmerkungen

[1] ‚Lichtbild‘ ist der Begriff, den Enslen selbst als Bezeichnung in mehreren seiner Arbeiten verwendet hat. Er wird hier übernommen. Es handelt sich möglicherweise um eine Verdeutschung von ‚Photographie‘, einer Neuprägung, die Johann Heinrich Mädler am 25. Februar 1839 in der Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen erstmals verwendete. Der für Enslens Arbeiten in der jüngeren Literatur häufig gebrauchte Begriff ‚Naturselbstdruck‘ ist inadäquat, da er im engeren Sinne ein nicht-fotografisches Verfahren meint, nämlich die Verwendung von flachen, eingefärbten Objekten wie Blätter und Insekten als Druckmatrizen. Meist wird für die Bezeichnung von Enslens Arbeiten in Analogie zu der von William Henry Fox Talbot (1800–1877) geprägten Formel ‚photogenic drawing‘ die Verdeutschung ‚fotogenische Zeichnung‘ gewählt. Dies ist aber nur insofern gerechtfertigt, als Enslen den gleichen oder einen ähnlichen chemischen Prozess angewendet hat wie Fox Talbot. In ihrer Konzeption aber unterscheiden sich Enslens Lichtbilder von Fox Talbots fotogenischen Zeichnungen, wie im Beitrag weiter dargelegt wird.Search in Google Scholar

[2] Die Berufsbezeichnung „Mechanikus“ findet sich im Bericht über Enslens fotografische Versuche in der Leipziger Allgemeinen Zeitung vom 21. April 1839. Er ist abgedruckt in: Steffen Siegel (Hg.): Neues Licht. Daguerre, Talbot und die Veröffentlichung der Fotografie im Jahre 1839, Reihe: Photogramme, Paderborn: Fink 2014, S. 167–170. Zu Enslens Biografie und seinen fotografischen Versuchen siehe ausführlich Stephan Oettermann: „Johann Carl Enslen [1759–1848) ... und zuletzt auch noch Photographie-Pionier“, in: Bodo von Dewitz und Reinhard Matz (Hg.): Silber und Salz. Zur Frühzeit der Photographie im deutschen Sprachraum 1839–1860, Ausst-Kat. Afga Foto-Historama Köln, 9. Juni – 23. Juli 1989, Köln und Heidelberg: Edition Braus 1989, S. 116–141. Die hier auf Seite 116, Anmerkung 1, angekündigte Monografie über Johann Carl und Karl Georg (1792–1866) Enslen ist bislang nicht erschienen. Siehe auch Stephan Oettermann: „Lichtbilder mit dem ‚Zeichenstift der Natur‘ “, in: Armin Geus (Hg.): Natur im Druck. Eine Ausstellung zur Geschichte und Technik des Naturselbstdrucks, Ausst.-Kat. Fürstlicher Marstall, Neuburg an der Donau, 19. Mai – 9. Juli 1995, Marburg an der Lahn: Basilisken-Presse 1995, S. 32–41. Weiterhin Hans-Ulrich Lehmann: „Zwei neu erworbene photogenische Zeichnungen von Johann Carl Enslen für das Kupferstich-Kabinett“ in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Vol. 27 (1998/1999), S. 81–86. Ein bis dahin unbekanntes Lichtbild Enslens mit dem Titel Frühlings-Blättchen. Lichtbild, das ausschließlich kleine Pflanzenblätter zeigt, wurde am 31. Mai 2017 beim Auktionshaus Bassenge in Berlin versteigert. Siehe dazu den Beitrag von Christiane Fricke: „Werk von Johann Carl Enslen wird versteigert. Der vergessene Foto-Pionier“, in: Handelsblatt, 28. Mai 2017, <https://www.handelsblatt.com/arts_und style/kunstmarkt/werk-von-johann-carl-enslen-wird-versteigert-der-vergessene-foto-pionier/19847562.html> [zuletzt eingesehen am 18.10.2022).Search in Google Scholar

[3] Unbekannter Autor (vermutl. Paul Eduard Liesegang): „Blätter-Copien“, in: Der Amateur-Photograph. Monatsblatt für Liebhaber der Photographie, Vol. 2 (1888), No. 20, S. 120–122. Oettermann 1989 (wie Anm. 2), S. 127, erwähnt das hier besprochene Faksimile ohne genauere Angaben [„Reproduktion eines seiner Lichtbilder in einer Photozeitschrift 1888“] und bildet es auch nicht ab. Das Faksimile gesellt sich zu den 16 bislang bekannten, zum Teil in mehr als einer Fassung im Original erhaltenen Lichtbildern Enslens.Search in Google Scholar

[4] Das Faksimile ist mit „H. Riffarth. ph.“ signiert, wobei „ph.“ wohl als „Photochemigraph“ aufgelöst werden kann. Die Reproduktion ist, technisch gesehen, eine Autotypie, auch Netz- oder Rasterätzung genannt. Das Verfahren wurde am 9. Mai 1882 von Georg Meisenbach (1841–1912) in München patentiert, mit dem zusammen Heinrich Riffarth (1860–1908) im Jahre 1892 die Graphische Kunstanstalt Meisenbach, Riffarth & Co. mit Hauptsitz in Berlin Schöneberg gründen sollte. Riffarth war auch Schmetterlingssammler und Entomologe und muss deshalb ein besonderes Interesse an den Arbeiten Enslens gehabt haben. Zur Geschichte der Firma Meisenbach, Riffarth & Co. siehe Dorothea Peters: „Vom gedruckten Foto zur Luxuskleinkunst. Die Bildproduktion der Graphischen Kunstanstalt Meisenbach, Riffarth & Co.“, in: Gutenberg-Jahrbuch, Vol. 79 (2004), S. 219–250.Search in Google Scholar

[5] Zwei wichtige, mit didaktischer Absicht zusammengestellte Sammlungen von historischen Fotografien haben sich erhalten, jene von Hermann Krone (1827–1916) im Besitz der Technischen Universität Dresden, und jene von Erich Stenger (1878–1957), heute historischer Grundstock der fotografischen Sammlung des Museum Ludwig, Köln. Die von Hermann Krone zusammengestellte Sammlung ist vollständig reproduziert in: Wolfgang Hesse (Hg.): Hermann Krone: Historisches Lehrmuseum für Photographie. ExperimentKunstMassenmedium, Dresden: Verlag der Kunst 1998; für eine Rekonstruktion der Sammlung von Erich Stenger siehe Miriam Halwani (Hg.): Photographien führen wir nicht ... Erinnerungen des Sammlers Erich Stenger (18781957), Begleitpublikation zur Ausstellung Das Museum der Fotografie. Eine Revision, Museum Ludwig, Köln, 28. Juni – 16. November 2014, Heidelberg und Berlin: Kehrer 2014. Siehe Steffen Siegel: Fotogeschichte aus dem Geist des Fotobuchs, Reihe: Ästhetik des Buches, Bd. 11, Göttingen: Wallstein 2019.Search in Google Scholar

[6] Unbekannter Autor 1888 (wie Anm. 3), S. 121 sowie Abb. 1 des vorliegenden Beitrages.Search in Google Scholar

[7] Unbekannter Autor 1888 (wie Anm. 3], S. 122.Search in Google Scholar

[8] Reproduziert in zwei Varianten bei Oettermann 1989 (wie Anm. 2), Abb. 8 und 9. Zu diesem Blatt siehe auch Bernd Stiegler und Felix Thürlemann: Konstruierte Wirklichkeiten. Die fotografische Montage 18391900, Berlin: Schwabe 2019, S. 21–25.Search in Google Scholar

[9] Im frühesten erhaltenen Bericht über Enslens Lichtbilder heißt es, dieser schmeichle sich dabei, sein Verfahren „durch die Leichtigkeit der Vervielfältigung vielleicht zu einer zwischen Kupferdruck und Steindruck inneliegenden Technik zu steigern [...].“ Siehe Unbekannter Autor: „Über Johann Carl Enslens fotografische Versuche“, in: Leipziger Allgemeine Zeitung, 21. April 1839, Nr. 11, S. 1268/1269, zitiert nach: Siegel 2014 (wie Anm. 2), S. 169.Search in Google Scholar

[10] Oettermann 1989 (wie Anm. 2), S. 129/130, vertritt die These, dass Enslen nur die allgemein gehaltenen Berichte der Royal Society in London über Fox Talbots Verfahren kannte und ausgehend von dem 1809 in deutscher Übersetzung publizierten Aufsatz „Methode Glasbilder zu kopieren und Silhouetten herzustellen durch Einwirkung von Licht auf Silbernitrat „von Thomas Wedgwood ein mit Fox Talbots Technik verwandtes Verfahren entwickelt habe. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass Enslen, wie es auch Oettermann erwägt, von einem Informanten über die von Fox Talbot eingesetzten Chemikalien unterrichtet worden ist. In Frage kommt neben den von Oettermann Genannten auch der Arzt Robert Herbert Brabant, über den Enslen im Jahre 1840 Fox Talbot drei seiner Lichtbilder, darunter den über ein Eichblatt kopierten Kopf Christi, hat zukommen lassen. Siehe dazu den Brief von Constance Mundy an ihren Ehemann William Henry Fox Talbot vom 10. September 1840, online abrufbar unter: <foxtalbot.dmu.ac.uk/letters/transcriptDocnum.php?docnum=4138> (zuletzt eingesehen am 10.08.2022).Search in Google Scholar

[11] Oettermann 1989 (wie Anm. 2), S. 130, spricht von „ganz in der Art frühbiedermeierlicher Glückwunschkarten gefertigten Collagen“, in denen sich „ein erschreckender Anachronismus“ offenbare.Search in Google Scholar

[12] William Henry Fox Talbot: The Pencil of Nature, London: Longman, Brown, Green and Longmans 1844–1846.Search in Google Scholar

[13] Der Gedichttext ist bereits zitiert bei Bernd Stiegler: Philologie des Auges. Die photographische Entdeckung der Welt im 19. Jahrhundert, München: Wilhelm Fink 2001, S. 48, Anm. 1.Search in Google Scholar

[14] So zu lesen auf dem Faksimiledruck (hier Abb. 1), erschienen in: Unbekannter Autor 1888 (wie Anm. 3), S. 121 (Hervorhebungen im Original).Search in Google Scholar

[15] Vermutlich hat sich Hermann Wilhelm Vogel (1834–1898) an Enslens Lichtbildern orientiert, als er 1892 das kleine holländische Gemälde, das er in dem von ihm entwickelten Dreifarbendruckverfahren reproduzierte, mit neun farbigen Tagfaltern rahmte. Sie haben hier die Funktion, die Farbechtheit der Wiedergabe des Gemäldes zu belegen, und zwar auch für jene, die das originale Kunstwerk nicht vor Augen hatten. Siehe Stiegler und Thürlemann 2019 (wie Anm. 8), S. 29–31.Search in Google Scholar

[16] Mit der Funktion, die Treue der fotografischen Abbildung zu belegen, hat auch Auguste Salzmann (1824–1872) um 1853 fein gegliederte Alltagsgegenstände bei seinen für Archäologen bestimmten Architekturaufnahmen eingesetzt. Ein Beispiel dafür ist der geflochtene Korb, den er in seine Aufnahme eines Details der Grabeskirche von Jerusalem ‚eingeschmuggelt‘ hat. Siehe Bernd Stiegler und Felix Thürlemann: Meisterwerke der Fotografie, 2. durchges. und erw. Aufl., Ditzingen: Reclam 2020 (2011), S. 58/59.Search in Google Scholar

Published Online: 2023-06-21
Published in Print: 2023-06-27

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 18.5.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/rbf-2023-2003/html
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