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Publicly Available Published by Oldenbourg Wissenschaftsverlag November 17, 2016

Esther-Julia Howell, Von den Besiegten lernen? Die kriegsgeschichtliche Kooperation der U. S. Armee und der ehemaligen Wehrmachtselite 1945–1961, München, Berlin: De Gruyter Oldenbourg 2016, XIII, 384 S. (= Studien zur Zeitgeschichte, 90), EUR 54,95 [ISBN 978-3-11-041478-3]

  • Jens Westemeier EMAIL logo

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Esther-Julia Howell, Von den Besiegten lernen? Die kriegsgeschichtliche Kooperation der U. S. Armee und der ehemaligen Wehrmachtselite 1945–1961, München, Berlin: De Gruyter Oldenbourg 2016, XIII, 384 S. (= Studien zur Zeitgeschichte, 90), EUR 54,95 [ISBN 978-3-11-041478-3]


Im Sommer 1945 begannen Offiziere der U. S. Army zur Vorbereitung einer amtlichen Geschichte des amerikanischen Heeres im Zweiten Weltkrieg von Angehörigen der ehemaligen Wehrmachtelite Informationen über die deutschen Operationen auf dem europäischen Kriegsschauplatz zu sammeln. Die Historical Division, quasi das militärgeschichtliche Forschungsamt der U. S. Army, entwickelte daraus bald ein eigenes Programm und schuf dazu die Abteilung Operational History (German) Section. Bis zum Ende dieser Abteilung 1961 hatten sich über 700 Wehrmachtoffiziere zunächst als Kriegsgefangene, ab 1948 als »freie Mitarbeiter« beteiligt und mehr als 2500 kriegsgeschichtliche Studien verfasst.

Esther-Julia Howell, stellvertretende Archivleiterin im Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München-Berlin, legt mit der an der Universität Augsburg entstandenen gekürzten und leicht überarbeiteten Fassung ihrer Dissertation eine erste Monografie über diese kriegsgeschichtliche Kooperation der U. S. Army mit der ehemaligen Wehrmachtelite vor. Manche Teilaspekte hatten bereits u. a. Christian Greiner, Klaus Naumann, Alaric Searle und Ronald Smelser behandelt, und Bernd Wegner machte die deutschen Studien 1995 als »erschriebene Siege« aus. Als ein Ergebnis blieb festzuhalten, dass die U. S. Army der deutschen Generalität die Möglichkeit für die Rehabilitation der Wehrmacht und die strukturierte Formulierung ihrer apologetischen Interpretation des Zweiten Weltkrieges geboten hatte (S. 9).

Im Sinne einer kulturgeschichtlich orientierten Militärgeschichte beabsichtigt Howells Studie die Thesen der bisherigen Arbeiten auf Grundlage der für dieses Thema maßgeblichen Quellenbestände zu vertiefen: der Überlieferungen der Studiengruppe U. S. Historical Division (ZA 1) und der betreffenden Nachlässe im Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv (BArch), in Freiburg i.Br. sowie der diversen Überlieferungen zur Historical Division im US-Nationalarchiv (U. S. National Archives and Records Administration, NARA). Kollektivbiografisch untersucht sie zudem die bestimmenden deutschen und amerikanischen Akteure und geht darüber hinaus der Frage nach der Bedeutung der deutschen Studien für die US-Militärstrategie gegenüber der Sowjetunion nach.

Nach einem kürzeren Blick auf die Grundlagen der Zusammenarbeit deutscher und amerikanischer Militärs, die Howell z. B. in einer gemeinsamen militärischen Sozialisation und einem gemeinsamen Erfahrungshorizont sieht, beschreibt sie die Entwicklung der amtlichen Kriegsgeschichtsschreibung in den US-Streitkräften. Im November 1945 konnte sich die Historical Division als eigenständige Abteilung etablieren. Im Weiteren stellt Howell die Biografien der wichtigsten Protagonisten des »Deutschen Programms« wie Samuel L.A. Marshall, George N. Schuster oder Kenneth W. Hechler vor, welche die Weichen für eine dauernde Kooperation mit der Wehrmachtelite stellten. Herrschte zu Beginn des Programms auf amerikanischer Seite, wie Howell es wunderbar ausdrückt, »ein vages Bewusstsein für mögliche Schwierigkeiten im Umgang mit den deutschen Offizieren«, dass die Befragten z. B. »lügen« könnten, ging dieses rasch verloren (S. 78). Die Ausblendung moralischer Fragen sowie die Trennung der deutschen Militärs von Kriegs- und NS-Verbrechen (die Legende von der »sauberen« Wehrmacht) sollte sich wie ein roter Faden durch die Zusammenarbeit ziehen (S. 84).

Kenntnisreich und klar beschreibt Howell chronologisch die bisweilen komplizierte Organisationsgeschichte mit ihren häufigen Umstrukturierungen, Kürzungen, personellen Veränderungen und Umbenennungen der im Januar 1946 zur Koordinierung der deutschen Operationsgeschichte errichteten Operational History (German) Section (S. 90). Im Herbst 1945 war es unter Zusammenziehung von Kommandierenden Generalen und Divisionskommandeuren zur Aufarbeitung der Ardennenoffensive 1944 erstmals zu einer projektbezogenen Zusammenarbeit gekommen (S. 86). Zu zentralen Orten wurden die der U. S. Army unterstehenden Kriegsgefangenenlager in Allendorf (Hessen) und in Garmisch (Bayern); Mitte 1947 erfolgte eine Verlegung nach Neustadt (Hessen), wo sich Arbeitsgruppen mit bestimmten Frontabschnitten (Campaign Groups), aber auch mit der deutschen Spitzengliederung (High Command Group) wie Oberkommando der Wehrmacht (OKW), Oberkommando des Heeres (OKH) oder dem Oberbefehlshaber (OB) West beschäftigten.

Insbesondere in der High Command Group sammelten sich die maßgeblichen deutschen Akteure des Programms. Zur Schlüsselfigur auf deutscher Seite wurde Generaloberst Franz Halder, 1939–1942 Chef des Generalstabes des OKH, der dem OKH-Projekt vorstand und es mit 43 bearbeitenden Offizieren zur größten Gruppe ausbaute. Im Vergleich dazu arbeiteten über das OKW lediglich zwölf, zur Ardennenoffensive 1944 sechs und zur Abwehrschlacht in der Normandie vier Offiziere (S. 101). 1947 übertrugen die Amerikaner Halder die deutsche Gesamtleitung des Programms. 1948 wurde eine sogenannte Control Group als Schnittstelle zwischen der Historical Division und den deutschen Bearbeitern der Studien eingerichtet, als deren Leiter die Amerikaner wiederum Halder einsetzten. Damit entschied Halder nicht nur über die Auswahl der Themen und ihrer Bearbeiter, sondern behielt sich vor Abgabe an die Amerikaner das letzte Wort zu den Studien vor. Ganz nebenbei war damit auch ein stattliches Jahresgehalt verbunden, das Ende der 1950er Jahre bei über 20 000 DM lag.

Hier fehlt Howells Studie jedoch oftmals die historische Verortung und das Aufzeigen von Hintergründen, Verflechtungen und Netzwerken. Zwar erwähnt die Autorin, dass die Amerikaner aufgrund persönlicher Differenzen innerhalb der Wehrmachtelite z. B. auf die zu enge Einbindung von Generaloberst Heinz Guderian oder Generalfeldmarschall Erich von Manstein verzichteten (S. 88), und sie verweist auf die »unversöhnliche Feindschaft« Halders mit Guderian (S. 100), doch führt sie hierfür keine Erklärungen an. So bleiben die in der Kriegszeit erwachsenen Animositäten zwischen ehemaligen Angehörigen des OKH und des OKW, deren Auswirkungen auf die Studien, aber auch Richtungskämpfe, Einflussnahme und Personalpolitik bei der Aufstellung der Bundeswehr außen vor. Geoffrey P. Megargees »Hitler und die Generäle« (2006; OA 2000), Norbert Freis »Vergangenheitspolitik« (1996) oder Bert-Oliver Manigs »Politik der Ehre« (2004) finden sich nicht im Literaturverzeichnis. Der Name Liddell Hart, wenn auch Brite, muss zusammen mit seinem Werk »The Other Side of the Hill« (1949), dt. »Jetzt dürfen sie reden – Hitlers Generäle berichten (1959), bei diesem Thema wenigstens einmal fallen.

Mit der Etablierung der Control Group überließ die amerikanische Seite »der ehemaligen Wehrmachtselite nun endgültig entscheidende Gestaltungsmöglichkeiten bei der Abfassung ihrer Geschichte des Zweiten Weltkrieges« (S. 128). Es wird deutlich, warum die Amerikaner den deutschen Militärs einen so hohen Deutungsspielraum einräumten. In erster Linie hatte die amerikanische Seite spätestens seit Mitte 1946 mit der Reduzierung der U. S. Army einfach keine freien Kapazitäten, die deutschen Studien auf ihren Qualitätsstandard hin zu überprüfen. Stattdessen übertrugen sie diese Aufgabe einem aus deutschen Offizieren gebildeten Prüfungsausschuss. Damit nahmen die ehemaligen Oberbefehlshaber größten Einfluss auf die Studien, stimmten deren Inhalt und Ton ab und hatten die Möglichkeit, »ungünstige oder gar belastende Passagen zu überarbeiten oder gar zu entfernen« (S. 98).

Über kriegsgeschichtliche Studien hinaus führte der Kalte Krieg zu einem gesteigerten Interesse der Amerikaner an »operationeller Expertise« im Krieg gegen die Sowjetunion und somit zur Fortführung und Intensivierung der Kooperation. 1951 gab die NATO eine Studie in Auftrag, die voraussichtliche sowjetische Strategie bei einem Angriff auf Westeuropa einzuschätzen (S. 212–215). Die Deutschen wurden sogar um eine Evaluierung der US-Dienstvorschrift Field Manual FM 100-5 gebeten. Halder sah darin eine Bestätigung, dass die U. S. Army den deutschen Generalstab als »unerreichten Sachverständigen« betrachtete. Da Ergebnisse wie das Konzept der »beweglichen Verteidigung« Eingang in die Dienstvorschrift fanden, nahmen die Deutschen »direkten Einfluss auf die operative Ausrichtung« der U. S. Army (S. 236). Die massive Einführung taktischer Atomwaffen in Kombination mit Haushaltszwängen führte letztlich 1961 zum Ende des Programms (S. 240).

Im letzten Teil ihrer Arbeit untersucht Howell die geschichtspolitischen Ziele der ehemaligen Wehrmachtelite. Das Hauptmotiv für die Kooperation mit den Amerikanern war dabei von Anfang an die Rehabilitierung der deutschen Streitkräfte. Die bekannten Schlüsseldokumente dafür sind das Abhörprotokoll eines Gesprächs zwischen Generalfeldmarschall Wilhelm Ritter von Leeb, General der Panzertruppe Leo Geyr von Schweppenburg und Guderian im 7th U. S. Army Interrogation Center aus dem Jahr 1945 (S. 256) sowie die von Generalfeldmarschall Georg von Küchler 1947 verfassten Arbeitsrichtlinien für die Anfertigung der Studien. Dort hieß es explizit, dass eine spezifisch deutsche Kriegsgeschichte zu schreiben sei, um »unseren Truppen ein Denkmal« zu setzen. Keinesfalls sei die übergeordnete militärische Führung zu kritisieren, noch jemand zu belasten (S. 109 f. und S. 257).

Howell zeigt, dass die Studien zur Ostfront mit negativen Klischees über die Sowjetunion und ihre Menschen (»der asiatische Osten«) überladen sind und ein antirussisches Feindbild befeuern. Die Autorin weist darüber hinaus durch den Vergleich der deutsch abgefassten Studien mit den englischen Übersetzungen nach, dass apologetische und diffamierende Äußerungen unverändert übernommen wurden. Sie stellt fest, dass sich »in den veröffentlichten Studien immer wieder ganze Passagen mit rassistischen Vorurteilen und Stereotypen [finden], die vor allem darauf abzielen, den Vernichtungskrieg der Wehrmacht in Osteuropa durch den Hinweis auf die angebliche Andersartigkeit und besondere Grausamkeit der dortigen Völker zu legitimieren« (S. 251).

Leider macht es sich die Autorin zur Prämisse, erst gar nicht den Versuch zu unternehmen, »den Wahrheitsgehalt der einzelnen operativen Berichte nachzuprüfen«, mit der Begründung, dass die Studien »als retrospektive Selbstzeugnisse vor allem über die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der deutschen Militärelite in der Nachkriegszeit und weniger über deren Handlungskonzepte während des Krieges Aufschluss geben« (S. 18 f.). Das ist ein großes Versäumnis. Zumindest anhand eines begrenzten Beispiels, hier hätte sich die Abwehrschlacht in der Normandie angeboten, wäre es nötig gewesen, auch um ein von der Autorin selbst gestecktes Forschungsziel zu erreichen, die Grundthesen der bisherigen Arbeiten – Stichwort: »erschriebene Siege« – zu überprüfen (S. 11). Damit bleibt auch weiterhin offen, was in operationsgeschichtlicher Hinsicht denn nun eigentlich aus den Studien in die amtliche amerikanische Geschichtsschreibung einfloss. Ebenso unterlässt es Howell, die Studiengruppen Marine und Luftwaffe der Operational History (German) Section (BArch-Bestände ZA 2 und ZA 3) zu erwähnen und in ihre Untersuchung einzubeziehen. Wünschenswert wäre zudem ein Blick auf die Memoirenliteratur der Wehrmachtelite gewesen, denn es ist zu vermuten, dass die Mehrzahl der späteren Autoren sich die Grundlagen für ihre Veröffentlichungen als Mitarbeiter der Operational History (German) Section schufen (Aktenzugang, Kartenmaterial) und ihre »strategischen Erinnerungen« (Friedrich Gerstenmeier) auf vorher erstellten Studien aufbauten.

Ohne überkritisch sein zu wollen, deuten zahlreiche falsche Begrifflichkeiten und Formulierungen darauf hin, dass die Autorin mit der Militärgeschichte und der Soziologie des Militärs nicht wirklich vertraut ist: So war Guderian nicht Nachfolger Halders als Chef des Generalstabes des Heeres (S. 100); SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hans Jüttner war zu keiner Zeit Befehlshaber des Ersatzheeres (S. 173); eine Division hat keinen Generalstab (S. 51); ebensowenig gibt es einen Oberst der Waffen-SS (S. 182). Beinahe willkürlich erscheinen die bisweilen falschen Übersetzungen von Verbandsbezeichnungen und Auszeichnungen der U. S. Army. Beispielsweise findet sich zunächst die Originalbezeichnung »Bronze Star Medal«, der dann in Übersetzung »mit Eichenlaub« folgt. Ist diese Art von gemixter Übersetzung einer einzigen Auszeichnung nicht nur unlogisch, wird in diesem Fall mit »oak leaf cluster« im US-Auszeichnungssystem eine Wiederholungsverleihung angezeigt, und nicht wie etwa beim Ritterkreuz »mit Eichenlaub« die höhere Stufe einer Auszeichnung (S. 50 f.).

Abschließend möchte ich Howell in einigen Punkten widersprechen. Die in der Einleitung gebrauchte Formulierung, die Amerikaner hätten »die Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg an die Besiegten delegiert« (S. 1), ist selbst als verkürzte Formulierung zu weit gefasst, denn schließlich blieb das Schreiben der Bücher der amtlichen Reihe Army's Official History of World War II, der sogenannten Green Books, fest in Hand der Historical Division. Der Historical Division eine Komplizenschaft bei der Verbreitung der Legende von der »sauberen« Wehrmacht zu unterstellen (S. 269) und von einer Entwicklung zu sprechen, die zu einer gemeinsamen Erinnerungskultur von deutschen Offizieren und ihren amerikanischen Auftraggebern geführt habe, deren Zweck die Rehabilitierung der Wehrmacht gewesen sei (S. 301), schießt weit über das Ziel hinaus. Sicherlich waren die Studien ein wichtiges Medium für die Geschichtspolitik der ehemaligen Wehrmachtelite, aber in ihrer Bedeutung können sie keinesfalls an die Wirkungsmächtigkeit der »Memoiren vieler höherer Wehrmachtsoffiziere« (S. 306) für die Verbreitung der Legende von der »sauberen« Wehrmacht heranreichen.

Im Ergebnis hat Esther-Julia Howell eine akribische, aus den Akten geschriebene Arbeit vorgelegt, deren Stärke vor allem in der organisationsgeschichtlichen Darstellung der Operational History (German) Section liegt. Da es der Autorin nicht darum ging, »den Quellenkorpus der kriegsgeschichtlichen Studien umfassend zu durchdringen« und in »Bezug zu den darin geschilderten militärischen Operationen zu stellen« (S. 18), bieten die Studien der Operational History (German) Section noch viel Raum für weitere Forschungen.

Online erschienen: 2016-11-17
Erschienen im Druck: 2016-11-1

© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 8.6.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/mgzs-2016-0132/html
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