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Publicly Available Published by Oldenbourg Wissenschaftsverlag November 17, 2016

»Burg, Stadt und Kriegführung im 17. Jahrhundert«

Tagung des Freundeskreises Bleidenburg e.V. und der Wartburggesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern e.V., Oberfell, 6. bis 8. November 2015

  • Robert Fahr EMAIL logo

Bereits zum elften Mal führte die Tagung der beiden Vereine Bauforscher, Denkmalpfleger, Historiker und Archäologen in Oberfell an der Mosel zusammen, um in 24 Referaten eine stets mit dem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Wehrbau zusammenhängende Fragestellung intensiv zu bearbeiten. Es war bei der Planung des diesjährigen Schwerpunktes gewiss nicht abzusehen, dass viele thematische Facetten eine durch das aktuelle Tagesgeschehen bisweilen bedrückende Aktualität annahmen.

Im Einleitungsreferat skizzierte G. Ulrich Großmann (Nürnberg) zunächst das tradierte Bild des »Endes der Burg«: Der mittlere Adel sei, sofern ein Aufstieg ins Territorialfürstentum misslang, etwa bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts hauptsächlich aufgrund des militärischen Fortschritts (Entwicklung wirksamer Artillerie, Aufstieg der Infanterie) in den Kleinadel abgesunken. Gleichzeitig seien damit auch die Burgen technisch veraltet und ihre Funktionen als befestigter, repräsentativer dynastischer Wohnbau auf neue Gebäudetypen (Festung und Schloss) übergegangen. Dieses Bild sei zwar nicht ganz falsch, aber aufgrund der tatsächlichen Befunde doch stark zu differenzieren. Die jeweiligen Zeitpunkte und Gründe für die Auflassung von Burgen sind höchst unterschiedlich. Im 17. Jahrhundert und zum Teil weit darüber hinaus an Burgen vorgenommene Modernisierungen und Befestigungsanlagen im Kontext dezidierter Schlösser führen zu verschwimmenden Begrifflichkeiten. Das Beispiel der vom syrischen Bürgerkrieg schwer in Mitleidenschaft gezogenen Kreuzfahrerfestung Krak des Chevaliers warf ein Schlaglicht auf ein weiteres Leitmotiv: die Verwicklung scheinbar veralteter Wehrbauten in militärische Auseinandersetzungen nur wegen ihrer topografisch hervorgehobenen Lage.

Eva Cichy (Olpe) erläuterte anhand neuerer Grabungsbefunde verschiedene Muster der Neunutzung von spätmittelalterlichen Linearbefestigungen (Landwehren) in militärischen Konflikten des 17. Jahrhunderts. Während die »Nassau-Siegener Landhecke« im Zuge der Verwicklung des Landesherrn in den niederländischen Befreiungskrieg punktuell einen bastionären Ausbau erhielt, wurde die Mindener Landwehr als vorgefundenes Geländemerkmal in die Befestigung eines schwedischen Heerlagers einbezogen. Dass Linearbefestigungen in dieser Zeit auch ganz neu angelegt wurden, verdeutlichte Paul Mitchell (Wien). Er berichtete über die »Kuruzzenschanze«, eine temporäre Befestigungslinie, die 1703–1711 an der österreichisch-ungarischen Südgrenze im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges neu errichtet wurde und gewaltsame Übergriffe ungarischer Aufständischer verhindern half, ohne dass es jemals zu einer Bewährung im konventionellen Krieg gekommen ist.

Die Ausführungen von István Németh (Budapest) verdeutlichten den obrigkeitlichen Durchgriff auf die juristischen, baulichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Festungsstädten der Habsburger Südostfront. Diese können wohl als exemplarisch für einen Konflikt gelten, der als »clash of civilizations« verstanden wurde, in dem der Zweck praktisch jedes Mittel rechtfertigte.

Beatrix Petzneks (Bruck/Leitha) Vortrag über das Schicksal von Schloss und Herrschaft Petronell illustrierte deutlich das oben genannte Problem der verschwimmenden Begrifflichkeiten. Besagtes Schloss erhielt als dezidiert repräsentativer Wohnbau dennoch leichte Befestigungen, die den Herren von Petronell unter Mitwirkung der örtlichen Bevölkerung die Behauptung des Platzes gegen feindliche Streifscharen, nicht aber 1683 gegen das Heer Kara Mustafas, erlaubten. Ein Beispiel für eine Adaption einer Burg für rein militärische Zwecke, und zwar im Rahmen des an der Habsburger Militärgrenze fortdauernden Kleinkriegs, stellte AnaAzinović (Zagreb) anhand neuer Grabungsergebnisse vor. Die Burg Barilović, ein zentralkroatischer Dynastensitz, wurde im 17. Jahrhundert zu einem Stützpunkt für die Grenzüberwachung adaptiert, ohne dass hiermit Modernisierungen der Befestigung verbunden waren.

Thomas Schuetz (Stuttgart) warf quasi für die Gegenseite die Frage auf, warum das Osmanische Reich ab dem 16. Jahrhundert westeuropäische Innovationen im Befestigungswesen (»trace italienne«) nur noch eingeschränkt rezipierte. Neben allgemeinen Mechanismen des Technologietransfers werden hierbei auch finanzielle Aspekte sowie andersgeartete militärisch-strategische Bedürfnisse und Gepflogenheiten eine Rolle gespielt haben. Dies illustrierte Kathrin Machineks (Alexandria) anhand osmanischer Wehrbauten im 17. Jahrhundert in der Levante und in Ägypten im Spiegel des Itinerars des Evliya Çelebi. Die nach der Eroberung im 14. Jahrhundert vorgefundenen älteren Befestigungen wurden lange Zeit wegen der nahezu unangefochtenen Seeherrschaft kaum modernisiert, sondern lediglich als Verwaltungssitz und Standort von Garnisonen genutzt, deren vordringliche Aufgabe die Kontrolle der ansässigen Bevölkerung und der Landverbindungen war.

Im Kontrast hierzu wiederum stehen die von Paul Srodecki (Fernwald) vorgestellten Verhältnisse im polnisch-litauischen Herrschaftsverband. Sowohl bei der Selbstbehauptung der bedeutenden Magnatenfamilien als auch der heute noch für das polnische Selbstverständnis relevanten Selbstinszenierung des Gesamtstaates als Bollwerk der europäischen Christenheit (»Imperii Germaniae antemuralia«) spielten nach modernen Erkenntnissen angelegte Festungen bzw. zu Festungen ausgebaute Burgen eine bedeutende Rolle.

Mehrere Vorträge lieferten Beispiele für die Funktion des Befestigungswesens in nur scheinbar konsolidierten Territorialstaaten. Bjørn Westerbeek Dahl (Kopenhagen) erläuterte die Situation im dänischen Königreich, wo seit dem 16. Jahrhundert praktisch keine Burgen mehr, sondern nur leicht befestigte Herrensitze bestanden. Moderne Befestigungsprogramme auf Initiative der Krone, ab der Mitte des 17. Jahrhunderts auch als merkantilistische Maßnahmen gedacht, wurden nicht so konsequent durchgeführt wie die etwa zeitgleichen französischen oder habsburgischen und erwiesen sich sowohl wirtschaftlich als auch militärisch zumeist als Fehlschläge. Jan Kamphuis (Den Haag) erklärte das »Verteidigungsparadoxon« der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert. Diese unterhielten zur Aufrechterhaltung ihrer Weltgeltung im Seehandel zwar eine starke Kriegsflotte, vernachlässigten darüber aber nicht zuletzt wegen der schwachen Stellung der Zentralregierung den Provinzen gegenüber eine Rüstung zu Lande. Die Folgen zeigten sich, als 1672 die Republik unvermittelt in einen Überlebenskampf gegen eine französisch geführte Koalition verwickelt wurde. Taco Hermans (Utrecht) demonstrierte, wie die Republik im Nachgang des Münsteraner Friedenschlusses versuchte, kostengünstig bereits vorhandene Stadtbefestigungen, Burgen und Herrensitze im Rahmen eines andauernden Kleinkrieges in der Brabanter Pufferzone zu den südlichen Niederlanden nutzbar zu machen. In einer bemerkenswerten Archivalie werden die »Stärke« aller in Betracht kommenden Gebäude spezifiziert und Vorschläge zur baulichen Verbesserung gemacht.

Drei Referenten untersuchten das Befestigungswesen kleinerer Territorialfürstentümer mit begrenzten finanziellen Ressourcen vor allem im Dreißigjährigen Krieg. MarkusJansen (Köln) legte dar, dass das Herzogtum Jülich-Berg im Rahmen einer Neutralitätspolitik auf Dauer nur die Hauptstadt Düsseldorf, nicht aber kleinere Befestigungen im Umland behaupten konnte. Die Residenz wurde sukzessive der Kassenlage und/oder der Bedrohungssituation entsprechend befestigt und diente außerdem auch dem Schutz des Rheinzolls und fallweise der Landbevölkerung. Das Befestigungswesen im Brandenburgischen Kurstaat war, wie Felix Biermann (Göttingen) anhand verschiedener, auch archäologisch untersuchter Beispiele erläuterte, ab dem 16. Jahrhundert Sache des Landesherrn und (eingeschränkt) auch der Städte. Obwohl Brandenburg als Hauptdurchgangsraum vom Dreißigjährigen Krieg besonders betroffen war, handelte es sich bei den Modernisierungen den finanziellen Möglichkeiten entsprechend nur um punktuelle Verbesserungen schon bestehender Befestigungen. Von einem bemerkenswerten Sonderfall der Vorbereitung auf eine absehbar krisenhafte Situation berichtete UlrichKnapp (Ludwigsburg). Das reichsunmittelbare Kloster Salem investierte statt in Modernisierung seiner Befestigungsanlagen in eine milizartige Organisation der wehrfähigen Mannschaft, die es ermöglichte, die Institution weitgehend unbeschadet durch die für den Dreißigjährigen Krieg typischen Konflikte mit furagierenden Trupps zu navigieren, wobei die scheinbar gänzlich veraltete Klosterumwehrung als Rückzugsort für die Bevölkerung genutzt wurde.

Die fortdauernde Bedeutung scheinbar unmoderner, zum Teil einfachster Befestigungen zum Schutz der Zivilbevölkerung im Dreißigjährigen Krieg erläuterte JohannesMüller-Kissing (Hagen) an zahlreichen Fallbeispielen von Burgen, Stadtmauern, Wehrkirchen, Wehrspeichern und Erdkellern. Auch diese erfüllten gegen furagierende Trupps durchaus noch ihren Zweck, sofern bauliche Voraussetzungen durch eine entschlossene Verteidigung unter Anwendung von bisweilen archaisch anmutenden Kampfmitteln ergänzt wurden. ChristianOttersbach (Esslingen) fokussierte sich auf das gegenseitige Sicherheits- und Schutzversprechen zwischen dem Landesherren und den zum Frondienst beim Bau und Unterhalt von Befestigungen verpflichteten Untertanen. Zahlreiche Beispiele aus dem südwestdeutschen Raum unterstrichen die Reduitfunktion von Burgen, wobei die Lebensbedingungen auf den mit Flüchtlingen überfüllten Anlagen, die dadurch am Baubestand verursachten Schäden und die schrecklichen Folgen einer gescheiterten Verteidigung nicht verschwiegen wurden. JörgWöllper (Berglen-Öschelborn) behandelte das Ende der Hegauer Burgen im Dreißigjährigen Krieg. In dieser Region wurden zum Teil sogar bereits ruinöse Burgen im Rahmen eines seit 1632 andauernden Kleinkrieges als Stützpunkte genutzt, den kleine, nominell kaiserliche und protestantische Truppenverbände um den Besitz der Bergfestung Hohentwiel führten. Dieser hatte zur Folge, dass die 46 zu Beginn des 17. Jahrhundert noch intakten und vom lokalen Kleinadel bewohnten Burgen am Ende des Krieges praktisch alle verlassen und zerstört waren.

Einen Sonderfall behandelte Olaf Wagener (Kreuztal) mit der Belagerung von Burgen und Städten im Englischen Bürgerkrieg (1642–1649). Hier fanden sich die aus Mangel an Notwendigkeit seit dem 15. Jahrhundert kaum mehr modernisierten Stadtbefestigungen, Burgen und befestigten Herrensitze unvermittelt in einen Großkonflikt verwickelt, in dem Belagerungen gerade auch propagandistisch eine herausragende Rolle spielten. Die Reaktion lag in einer großen Vielfalt und Vielzahl von rasch improvisierten Verstärkungen schon bestehender Burgen und Stadtbefestigungen, denen in der Anfangszeit des Krieges freilich auch Feldarmeen von ebenso improvisiertem Charakter z. B. mit unzureichender Artillerie gegenüberstanden.

MichaelLosse (Singen) stellte am Beispiel maltesischer Küstenforts und Landschlösser die auch für das 17. Jahrhundert relevante Frage, inwieweit fortifikatorische Architekturelemente als Bedeutungsträger zu sehen sind. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bildete sich als Wohnbautypus des maltesischen Kleinadels ein in fortifikatorischer Hinsicht scheinbar »veralteter« Wohnturm aus, der aber als Reduit im Falle der häufigen Barbareskenüberfälle durchaus genügte. Dieser Bedrohungslage entspricht auch die Ausgestaltung der Bauten des im 17. Jahrhundert systematisierten Küstenschutzes, die in der Regel ebenfalls ein archaisches, burgähnliches Aussehen haben.

In der folgenden Sektion ging es um das Schicksal von Burgen und Stadtbefestigungen an Rhein und Mosel, die in dieser territorial zersplitterten Region nicht durchgreifend modernisiert worden waren, vor dem Hintergrund der französischen Expansionspolitik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das von HubertLeifeld (Speyer) referierte dramatische Geschehen der Zerstörung von Burg und Stadtmauer von Kastellaun durch Brand und Sprengung im Winter 1689 zeigte, dass unter den Umständen der von den Franzosen auf dem Rückzug systematisch angewendeten »Kriegführung der verbrannten Erde« eine Verteidigung durch lokale Aufgebote nicht nur von vornherein aussichtslos war, sondern dass das Vorhandensein von Befestigungen sogar die Existenz der Stadt als solche kompromittierte. Ein ähnliches Fazit lässt sich aus den Beiträgen von KurtFrein (Mainz) und Eduard Sebald (Mainz) ziehen, welche die Auswirkungen kriegerischer Ereignisse auf den »Mikrokosmos« der Burgen Rheinfels und Neukatzenelnbogen beschrieben. Der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorgenommene Ausbau der Burg Rheinfels zum Renaissanceschloss verschlechterte dessen Widerstandskraft als Wehrbau. Dies und die topografisch ohnehin problematische Lage sollten im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697) teuer zu stehen kommen, als das Schloss belagert und durch Beschuss völlig zerstört wurde. Dabei half auch die Flankierungsmöglichkeit des Vorfeldes durch die nach 1626 zur detachierten Stellung ausgebaute, ebenfalls unvorteilhaft gelegene Burg Neukatzenelnbogen wenig. Der entsprechend der Bedeutung des Platzes und der finanziellen Ressourcen der französischen Krone weitaus konsequenter betriebene Ausbau Luxemburgs zur Festung durch Vauban hatte die Beseitigung praktisch aller vorher stadtbildprägender Bauten zur Folge, wie Klaus Freckmann (Berlin) darlegte. Die Modernisierung der schon natürlich festen Ebernburg, dargestellt von StefanKöhl (Bad Münster am Stein), erfolgte gleichfalls wegen der rein militärischen Nutzungsmöglichkeit als vorgeschobener Beobachtungsposten gegen Mainz und Rheinhessen. Auch hier erwies sich der Ausbau zur Festung, deren Besitz infolge inzwischen mehrerer erbittert geführter Belagerungen zur Prestigefrage geworden war, als fatal für die mit einbezogene Burg, denn die ganze Anlage wurde nach dem Frieden von Rijswijk geschleift.

Die während der Tagung dargebotenen Beispiele zeigen wenig überraschend, dass die Rolle scheinbar obsoleter Wehrbauten von den jeweiligen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Rahmenbedingungen abhing. Gerade unter den spezifischen Umständen des »Kleinen Krieges« war fast jeder Wehrbau geeignet, die Kosten für einen unentschlossenen und schlecht gerüsteten Angreifer in die Höhe zu treiben. Ältere Befestigungen wurden nur nach Kassenlage und in der Regel dann modernisiert, wenn man ihnen eine entscheidende Funktion in einem künftigen militärischen Konflikt zutraute. War eine Burg oder Stadtmauer in den Augen der Zeitgenossen die Investition nicht mehr wert, fehlte diese »Brücke in die Neuzeit«. Dem »großen Krieg« hatte der unmodernisierte mittelalterliche Wehrbau freilich wenig entgegenzusetzen, namentlich dann, wenn der sich erst im Laufe des 17. Jahrhunderts herausbildende frühabsolutistische Zentralstaat alle Ressourcen mobilisierte. Die immer wieder zitierten Beispiele einer Nutzung beispielsweise als Wohnstätte, Verwaltungsgebäude, Gefängnis usw. zeigen jedoch, dass auch hiermit »das Ende der Burg« noch nicht gekommen war.

Der Berichterstatter weiß sich einig mit allen Teilnehmern, wenn er Olaf Wagener und den Organisatoren der Tagung sowie allen Referenten für drei erlebnis- und lehrreiche Tage dankt und erwartungsvoll der Veröffentlichung der Tagungsakten und der zwölften Oberfelltagung entgegenblickt, die sich voraussichtlich im November 2017 dem Themenkomplex »Burg und Herrschaft als Wirtschaftsorganismus« widmen wird.

Online erschienen: 2016-11-17
Erschienen im Druck: 2016-11-1

© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 5.5.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/mgzs-2016-0077/html
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