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Publicly Available Published by De Gruyter July 1, 2016

Raum-Zeit-Analysen mit Geo-Browser und Datasheet-Editor

  • Thomas Kollatz EMAIL logo

Zusammenfassung

DARIAH-DE Geo-Browser und DARIAH-DE Datasheet Editor werden als Werkzeuge zur Visualisierung und Erstellung von Raum-Zeit-Visualisierungen und -Analysen vorgestellt.

Abstract

Presentation of DARIAH-DE Geo-Browser and DARIAH-DE Datasheet Editor as tools for spatio-temporal Visualization and analysis.

1 Forschungsdaten

In aller Regel haben geisteswissenschaftliche Forschungsdaten einen mehr oder weniger ausgeprägten Orts- und Zeitbezug, denn „Geschichte spielt sich im Raum, d. h. im geographischen Nebeneinander auf dieser Welt, und in der Zeit, d. h. im chronologischen Nacheinander der Ereignisse und Zustände ab“.[1] Datierung und Provenienzbestimmung historischer und literarischer Quellen gehören von jeher zum Kerngeschäft der Quellenkritik. Handschriften lassen sich teils durch Kolophone, die Auskunft über Schreiber, Besitzer, Zensoren geben, teils durch paläographische Methoden – Materialanalyse, Schrifttyp – einer Epoche und/oder einer Region zuweisen. Briefe sind üblicherweise datiert und dienen der Kommunikation zwischen dem Ort des Senders und dem Ort des Empfängers. Feldzüge, Bildungsreisen, Handels- und Forschungsexpeditionen entfalten sich von Tag zu Tag und von Ort zu Ort. Biographien werden entlang der Lebensdaten und Wirkstätten der Akteure erzählt. Historische Ereignisse werden mit Ort und Datum memoriert – „333 bei Issos Keilerei“ – und finden nicht selten Eingang ins kollektive Gedächtnis. Historiographie basiert auf Sammlung, Ordnung und Deutung einer Fülle derartiger Einzeldaten. Einzeldaten, die ein Ereignis an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit repräsentieren, aus denen sich das historische Narrativ konstruieren lässt, deren Visualisierung möglicherweise eine neue Perspektive auf die Fülle der Ereignisse eröffnet.

2 Visualisierung

Visualisierungen helfen nicht erst seit dem sogenannten Visual oder Pictorial Turn der 1990er-Jahre dabei, die Menge der Einzelereignisse zu strukturieren und auf diese Weise das Ensemble in den Blick zu bekommen. Sie kommen auch in den traditionellen, nicht digitalen Geistes- und Kulturwissenschaften zum Einsatz: Karten verzeichnen historische Grenzverläufe, bilden Migrationsbewegungen nach und verorten terra incognita. Stemmata stellen komplexe literarische Überlieferungswege dar, Stammbäume erschließen verzweigte genealogische Bezüge, Graphen abstrahieren dynamische Prozesse – Aufstieg und Niedergang, Zeitleisten reihen Ereignisse in zeitlicher Abfolge etc.[2]

Auch die Digital Humanities bedienen sich der visuellen Repräsentation von kultur- und geisteswissenschaftlichen Forschungsdaten.

„Unter der Visualisierung von Daten versteht man in den Digital Humanities einen computergestützten Prozess, mit dessen Hilfe geistes- und kulturwissenschaftliche Daten so dargestellt und analysiert werden können, dass eine visuelle Repräsentation der inhärenten kontextuellen bzw. inhaltlichen Zusammenhänge entsteht. Auf diese Weise können insbesondere größere Daten- und Quellenmengen analysiert werden, die von einzelnen Forschern mit klassischen, nicht-digitalen Methoden nicht oder allenfalls nur mit erheblichem Zeit- und Ressourcenaufwand durchgeführt werden könnten“.[3]

Darüber hinaus ermöglichen die digitalen Methoden und Verfahren erstmals den interaktiven, direkten und dynamischen Echtzeitzugriff auf Forschungsdaten. Visualisierungen lassen sich zudem – sofern sie auf Grundlage offen und frei lizenzierter, d. h. zugänglicher und nachnutzbarer Forschungsdaten erstellt sind – direkt überprüfen und damit in ähnlicher Weise wie bei naturwissenschaftlichen Experimenten gute wissenschaftliche Praxis von Dritten nachstellen oder als Basis für neue Visualisierungen verwenden. Visualisierungen dienen nicht nur der Verifizierung bzw. Falsifizierung von Hypothesen, sondern laden zugleich zur Hypothesenbildung ein. Digitale Methoden und Verfahren der Visualisierung helfen Muster und Regeln, aber auch Ausnahmen und Besonderheiten, die sich nicht unmittelbar erschließen, systematisch zu erkennen und aufzuspüren.

Die digitale Infrastruktur DARIAH-DE stellt zahlreiche Werkzeuge und Dienste für die Geistes- und Kulturwissenschaften zur Verfügung.[4] Darunter finden sich zwei Werkzeuge, die sich in besonderer Weise für die Analyse spatio-temporaler Forschungsdaten eignen. Zum einen der DARIAH-DE Geo-Browser zur Raum-Zeit-Visualisierung, zum anderen der DARIAH-DE Datasheet Editor, mit dessen Hilfe sich „nutzerfreundlich“ Daten für die Visualisierung im DARIAH-DE Geo-Browser erstellen lassen. Beide Werkzeuge sollen im Folgenden näher vorgestellt werden.

3 DARIAH-DE Geo-Browser

Der DARIAH-DE Geo-Browser ist ein interdisziplinäres Open-Source-Tool für die Analyse und Präsentation der Raum-Zeit-Relationen von Forschungsdaten. Der Dienst ist unter https://geobrowser.de.dariah.eu im Internet abrufbar. Der Geo-Browser besteht aus drei eng verzahnten Komponenten: einem Kartenmodul, einer Zeitleiste und einer Datentabelle.

Im Kartenteil wird der Raumbezug der Daten visualisiert. Dabei wird jedoch nicht einfach eine Vielzahl von Einzelpunkte auf eine Karte projektiert, sondern es werden sogenannte „heaps“ gebildet. Abhängig vom Zoomlevel sowie ihrer Nähe und Häufigkeit werden geographische Einzelpunkte aggregiert und dann als Konglomerat von Punkten, eben als Haufen, dargestellt. Auf diese Weise fallen räumliche und quantitative Schwerpunkte direkt auf und bleibt die Kartenansicht übersichtlich. Eine Detailansicht ermöglicht jederzeit die Zusammensetzung des „Haufens“ im Detail einzublenden, dabei werden die Ortsnamen und die Häufigkeit der damit verbundenen Ereignisse angezeigt. Es kann jederzeit zwischen Nah- und Fernbetrachtung gewechselt werden.

Der Geo-Browser bietet die Nutzung einer großen Menge von vielfältigen Kartenmaterialien, darunter 24 historische Karten von 2000 v. Chr. bis 2006 n. Chr., mit georeferenzierten Grenzverläufen an. Auf dieser Grundlage lässt sich die Raum-Zeit-Relation beispielsweise einer politischen, sozialen oder auch ökonomischen Situation stets auf Kartenmaterial nachvollziehen, dass der Epoche, die in den Forschungsdaten repräsentiert wird, angemessen ist. Während der Nutzung kann der Kartenhintergrund gewechselt werden. Zudem lässt sich auch eigenes georeferenziertes Kartenmaterial als Hintergrundkarte in den Geo-Browser laden. In die aktive Karten kann hinein- und hinausgezoomt werden. Die sogenannten MapSelector-Tools erlauben es darüber hinaus, ausgewählte Regionen auf der Karte zu markieren.

Unterhalb der Karte befindet sich die Zeitleiste, die die Quantität der visualisierten Forschungsdaten in ihrer zeitlichen Dimension repräsentiert.

Im dritten Bestandteil des Geobrowsers, der Datentabelle, wird die Daten- und Argumentationsgrundlage der Visualisierung auf Karte und Zeitleiste nachvollziehbar dokumentiert.

Ein Klick auf einen Punkt, oder einen Punktehaufen in der Karte korreliert interaktiv mit der Zeitleiste und Datentabelle. Wird beispielsweise auf der historischen Karte von 1815 die preußische Rheinprovinz ausgewählt, zeigt der Graph der Zeitleiste, wie sich diese Region chronologisch zum Gesamtbestand verhält und die Datentabelle listet die Ereignisse, die in dieser Region stattgefunden haben, auf (Abb. 1). Umgekehrt werden bei Auswahl eines bestimmten Zeitraums oder einer Epoche in der Zeitleiste die dafür relevanten räumlichen Daten in Kartenteil und Datentabelle angezeigt. Ebenso werden die Ergebnisse einer Volltextsuche in der Datentabelle zugleich auf Karte und Zeitleiste repräsentiert.

Jede Auswahl kann exportiert sowie als neues Datenset abgespeichert und weiterverwendet werden. Ebenso können mehrere Datensets gleichzeitig im Geo-Browser visualisiert werden.[6]

Abb. 1: Auswahl der preußischen Rheinprovinz mittels MapSelector-Tool
Abb. 1:

Auswahl der preußischen Rheinprovinz mittels MapSelector-Tool

[5]

Der DARIAH-DE Geo-Browser lässt sich zudem problemlos in eigene Webangebote einbetten. So wird er in die epigraphische Datenbank epidat des Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte eingesetzt, beispielsweise zur Visualisierung der raum-zeitlichen Bezüge von über 3 000 datierten und lokalisierten Grabmalen auf historisch jüdischen Friedhöfen, denen Symbole beigegeben sind.[7] Die Abbildung verdeutlicht auf den ersten Blick, dass sich das gesuchte Symbol „Lilie“ (fleur-de-Lis) nur auf einem einzigen historischen Friedhof, auf dem Wormser „Heiligen Sand“, findet und nur im Mittelalter verwendet wird (Abb. 2). In späterer Zeit ist dieses Symbol in der jüdischen Sepulkralkultur nicht mehr nachzuweisen. Die Visualisierung lädt ein zur Hypothesenbildung: Vor der Gegenreformation war die Lilie als (monarchisches) Herrschaftssymbol weit verbreitet, häufig anzutreffen auf Siegeln und Wappen, auf Gemälden oder als architektonisches Element. Doch durch die Umwidmung der Lilie vom Symbol weltlicher Macht zum Symbol für die Jungfrau Maria wurde sie im 16. Jahrhundert als Schmuckelement jüdischer Grabmale untragbar.[8]

Abb. 2: Raum-Zeit-Visualisierung des Vorkommens des Liliensymbols auf historischen Friedhöfen; Korrelation von Karten und Zeitleiste
Abb. 2:

Raum-Zeit-Visualisierung des Vorkommens des Liliensymbols auf historischen Friedhöfen; Korrelation von Karten und Zeitleiste

4 DARIAH-DE Datasheet Editor

Damit Forschungsdaten im DARIAH-DE Geo-Browser visualisiert werden können, müssen diese im KML-, KMZ- oder CSV-Format vorliegen. Mit dem von DARIAH-DE entwickelten Datasheet Editor (http://geobrowser.de.dariah.eu/edit) können die zu analysierenden Daten auf einfache Weise eingegeben werden oder bereits vorliegende, lokale CSV-Datei importiert werden. Die Georeferenzierung der Datensätze kann entweder manuell oder mittels der Geolocation Completition semi-automatisch unter Verwendung von NormDatensätzen (Thesaurus of Getty Names) erfolgen. Die angereicherten Forschungsrohdaten liegen von Anfang an im CSV-Format im DARIAH-Storage, können weiterbearbeitet und im Geobrowser visualisiert werden (Abb. 3).

Abb. 3: Datasheet-Editor: Datenanreicherung durch Geolocation Completion (ergänzt wurden Longitude, Latitude, GettyID); Rohdaten sind unter einer stabilen ID von Anfang an im DARIAH Storage Dienst gesichert
Abb. 3:

Datasheet-Editor: Datenanreicherung durch Geolocation Completion (ergänzt wurden Longitude, Latitude, GettyID); Rohdaten sind unter einer stabilen ID von Anfang an im DARIAH Storage Dienst gesichert

5 Ausblick

Während der DARIAH-DE Datasheet Editor eine Eigenentwicklung des DARIAH-Entwicklerteams darstellt, wird der DARIAH-DE Geo-Browser aufbauend auf vorangegangener Entwicklungsarbeit von europeana4D und GeoTemCo weiterentwickelt. Projektbegleitende, data driven und forschungsnahe Weiterentwicklung dieser Werkzeuge ist möglich, ja ausdrücklich erwünscht.[9]

Schon jetzt versetzen beide Tools Geistes- und Kulturwissenschaftler in die Lage, eine Vielzahl unterschiedlichster Forschungsfragen zu stellen, zu überprüfen oder in der Analyse der visuellen Repräsentation der Raum-Zeit-Relation der Forschungsdaten zu entwickeln.

Literaturverzeichnis

Brandt, A. von (1958): Werkzeug des Historikers. Stuttgart: Kohlhammer.Search in Google Scholar

Brocke, Michael (2011): The lilies of Worms. In: Zutot 8, 3–13.10.1163/18750214-12341243Search in Google Scholar

Drucker, Johanna (2014): Graphesis: Visual Forms of Knowledge Production. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.Search in Google Scholar

Kollatz, Thomas (2015): epidat – Datenbank zur jüdischen Grabsteinepigraphik. Inventarisierung und Dokumentation historischer jüdischer Friedhöfe. In: Bolenz, Eckhard; Franken, Lina; Hänel, Dagmar (Hrsg.): Wenn das Erbe in die Wolken kommt. Digitalisierung und kulturelles Erbe. Essen: Klartext, 161–168.Search in Google Scholar

Kollatz, Thomas; Schmunk, Stefan (2015): Datenvisualisierung: Geo-Browser und DigiVoy. In: Neuroth, Heike; Rapp, Andrea; Söring, Sibylle (Hrsg.): TextGrid: Von der Community für die Community – Eine Virtuelle Forschungsumgebung für die Geisteswissenschaften. Göttingen: Universitätsverlag, 165–180.Search in Google Scholar

Rosenberg, Daniel; Grafton, Anthony (2010): Cartographies of Time: A History of the Timeline. New York; London: Princeton Architectural.Search in Google Scholar

Online erschienen: 2016-7-1
Erschienen im Druck: 2016-7-1

© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Downloaded on 18.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bfp-2016-0032/html
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