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Publicly Available Published by De Gruyter Saur April 4, 2018

In Kontext setzen: Bericht zur Basiserschließung und Restaurierung von Handschriften- und Druckfragmenten an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

  • Emese Tömösvári

    Emese Tömösvári

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    and Cornelia Ripplinger

    Cornelia Ripplinger

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From the journal Bibliotheksdienst

Zusammenfassung

Im Rahmen eines vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) geförderten Restaurierungsprojekts werden an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen in der Zeit von September 2017 bis einschließlich Februar 2018 für zwei Teilsammlungen aus dem Fragmentebestand der Abteilung Spezialsammlungen und Bestandserhaltung Dokumentations- und Restaurierungsmaßnahmen durchgeführt.[1] Durch die Restaurierung wird die langfristige Aufbewahrung sichergestellt und sowohl die spätere Digitalisierung als auch die analoge Nutzung ermöglicht. Gleichzeitig können wertvolle Informationen zur Sammlungsgeschichte gewonnen werden, von denen weitere laufende Erschließungsprojekte der SUB Göttingen profitieren können.

Abstract

In the period September 2017 to February 2018, there are documentation and restoration measures carried out at the Göttingen State and University Library concerning parts of two collections from the fragments collection of the Abteilung Spezialsammlungen und Bestandserhaltung (department for special collections and preservation of collections). The respective restoration project is promoted by the Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK, Ministry for Science and Culture of Lower Saxony). Restoring the fragments guarantees long-term storage and facilitates later digitisation as well as analogue use. At the same time, valuable information concerning the collection’s history can be gained from which further indexing projects currently run at the Göttingen State and University Library can profit.

1 Zur Bestandsgeschichte

Eine erste vorläufige Erschließung der Fragmentesammlung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB Göttingen) wurde von dem Philologen Wilhelm Meyer (1845–1917) im Zuge der Katalogisierung des gesamten Handschriftenbestands der Göttinger Universitätsbibliothek Ende des 19. Jahrhunderts vorgenommen.[2] Von ihm stammen eine erste Strukturierung und eine ungefähre Datierung der Anfänge der Sammlung. Zu Meyers Zeiten bestand die Fragmentesammlung aus folgenden vier Teilsammlungen:

  1. Fragmente aus der Sammlung Morbio,

  2. Handschriften und Handschriften-Bruchstücke aus Wilhelm Müllers Nachlass,

  3. Handschriften und Handschriften-Bruchstücke im Diplomatischen Apparat,

  4. Fragmente von Handschriften.[3]

Die Erwerbungs- bzw. Entstehungszeit dieser Sammlungsgruppen konnten von Meyer unterschiedlich genau bestimmt werden. Während ihm zum Ankauf der Sammlung Morbio (1889) und der Sammlung Müller (zw. 1890 und 1894) genaue Daten zur Verfügung standen, blieb er bei der Datierung der Anfänge der anderen beiden Gruppen eher vage.[4] Ob der im Jahre 1802 von der Universität erworbene Diplomatische Apparat schon am Anfang seines Bestehens im Besitz von Fragmenten war, wird aus Meyers Einleitung zu dieser Gruppe nicht klar.[5] Auch äußert er sich nicht über den genauen Zeitpunkt der Auslöseaktionen, in deren Rahmen wahrscheinlich während des 18. und 19. Jahrhunderts die meisten Fragmente des Diplomatischen Apparats und der Gruppe “Fragmente von Handschriften“ aus den Trägerbänden der Universitätsbibliothek losgelöst wurden.[6] Trotz der fehlenden Dokumentation dieser Maßnahmen lässt sich jedoch vermuten, dass diese Auslösungen – ähnlich wie in anderen Bibliotheken Deutschlands mit großem Altbestand – das wachsende Interesse von Gelehrten und Bibliothekaren an den Fragmenten als paläographische Dokumente im 18. und 19. Jahrhundert bezeugen.[7]

Die oben beschriebene Meyersche Sammlungsstruktur wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts durch Ergänzungen und Umstrukturierungen erheblich geändert. Jede dieser Veränderungen hat in Form von neuen Umschlägen, Beschriftungen und mehr oder weniger gelungenen Restaurierungsmaßnahmen ihre Spuren hinterlassen. Es wurden außer den schon bestehenden vier Sammlungen folgende Untergruppen gebildet: Makulaturforschung, Inkunabelfragmente,[8] Papyrusfragmente, Kalenderfragmente, Fragmente mit Individualsignatur, Einbandfragmente.[9]

2 „Makulaturforschung“ und „Fragmente von Handschriften“

Gegenstand des Restaurierungs- und Konservierungsprojekts der SUB Göttingen waren die Gruppe „Makulaturforschung“ und die während des letzten Jahrhunderts besonders stark angereicherte Sammlung „Fragmente von Handschriften“. Während bei der Gruppe „Makulaturforschung“ die Anzahl der Druckfragmente (1.992 Stück) als Auswahlkriterium diente, spielten bei den Handschriftenfragmenten (2.678 Stück) qualitative Argumente die entscheidende Rolle. So bietet die Konservierung und Restaurierung dieser Bestände nach fast einem Jahrhundert erstmalig die Möglichkeit, die Geschichte der Fragmentesammlung zu rekonstruieren und die Fragmente in späteren Erschließungsprojekten in Form von Digitalisaten in ihren ursprünglichen buchhistorischen Kontext zurückzuführen. Diese Wiedereinbettung macht es notwendig, die Geschichte der genannten Teilsammlungen so detailliert wie möglich zu recherchieren und frühere Bearbeitungsspuren zu dokumentieren.

Das System der mittelalterlichen Handschriftenfragmente wurde mehrfachen strukturellen Änderungen unterworfen. Wilhelm Meyer beschrieb Ende des 19. Jahrhunderts zwei Kästen mit Fragmenten, die damals die gesamte Sammlung mit insgesamt 20 Faszikeln bildeten. Er begrenzte sich bei der Erschließung dieser Bestände auf Blattzählung, Nennung der Beschreibstoffe, eine grobe Datierung und Inhaltsangabe, wie z. B. „Theologica Varia“, „zwei Blätter eines Martyrologiums“ oder „Liturgie ohne Noten“. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wurden diese beiden Kästen durch vier weitere ergänzt, in denen lose Fragmente aufbewahrt wurden. Laut handschriftlicher Eintragungen im Dienstexemplar des Meyerschen Katalogs in der SUB Göttingen wurden diese Pergamentfragmente von dem Historiker und Bibliothekar Alfred Hessel (1877–1939) in ein neues System überführt. Hessel sortierte die Sammlung nach Jahrhunderten (9.–13. Jh.) und nach Schrift- und Notationstypen (Textura, Rotunda, Bastarda; Neumen, Quadratnotation etc.).[10] Hessels System ermöglichte zwar eine bessere Auffindbarkeit, aber keine eindeutige Referenzierbarkeit der Fragmente, da er die einzelnen Stücke weder inventarisierte noch beschrieb. Diese Art der Aufbewahrung deutet jedoch darauf hin, dass die Fragmente – ähnlich wie die im Diplomatischen Apparat – an der Universität Göttingen für Forschungs- und Lehrzwecke hätten genutzt werden können.[11] Ende der 1980er Jahre entstand der letzte Kasten aus deutschen und niederländischen Handschriften, die aus Kasten II und IV wegen inhaltlicher Gründe umsortiert wurden.[12]

Von einer weiteren Dokumentation zeugen die auf den Pergamentfragmenten notierten schwarzen und roten Zahlen. Es wurden insgesamt 4.031 Bruchstücke nummeriert, wobei die durchgehende Nummerierung bei Nr. 1 beginnt und bei Nr. 908 endet. Teils tragen mehrere Fragmente die gleiche Nummer. In manchen Fällen ist es möglich, dass die so zusammengeführten Fragmente zum selben Handschriftenblatt gehören. In anderen Fällen kann ein inhaltlicher Zusammenhang bisher nicht bestätigt werden. Stichproben haben ergeben, dass die Nummerierung wahrscheinlich nichts mit dem ehemaligen Trägerband und auch nichts mit Fachgruppen zu tun hat. Bei der Suche nach dem Ursprung dieses Systems halfen fehlende Nummern (etwa ein Viertel), die sich in den sieben bearbeiteten Kästen nicht finden ließen. Es wurden nach Stichproben weitere etwa 30 nummerierte Fragmente in der noch nicht bearbeiteten Sammlung von Inkunabelfragmenten gefunden, darunter solche, die in Mappen mit der Aufschrift „Sammlung Dziatzko“ verwahrt wurden.[13] Von der aufgelösten Fragmentesammlung des ehemaligen Bibliotheksdirektors Karl Dziatzko (1842–1903) findet sich eine Spur im Bibliotheksarchiv aus dem Jahre 1956, wo es in einem „Bericht über den Stand der Arbeiten in der Handschriftenabteilung“ heißt: „Neu geordnet und vermehrt wurde die im Nachlaß Dziatzko aufgefundene wertvolle Fragmentensammlung“.[14] Auch wenn es sich nicht eindeutig beweisen lässt, dass die Nummerierung von Dziatzko selbst durchgeführt wurde, kann auf jeden Fall ein terminus ante quem für die Vergabe der Nummern um die Jahrhundertwende des 19. und 20. Jahrhunderts festgelegt werden.

Eine letzte Bestandsaufnahme wurde von Helmar Härtel (*1942) im Jahr 1976 durchgeführt und später von Klaus Haenel (1936–2016) ergänzt.[15] Diese Dokumentation beschränkt sich jedoch ausschließlich auf die Anzahl der Fragmente.[16]

3 Projektdokumentation

Mangels früherer Dokumentation und Findmittel musste eine Neuaufnahme des Fragmentebestands der zwei Teilsammlungen durchgeführt werden. Dies geschah in tabellarischer Form vorbereitend für die Tiefenerschließung. Um eine eindeutige Referenzierbarkeit herzustellen, haben die Fragmente eine Signatur und eine Zählung als Numerus Currens erhalten, bei Handschriften in Form von „Fragm. Ms.“ und Numerus Currens, bei Drucken „Fragm. Impr.“ und Numerus Currens. Da eine detailliertere Inhaltsbestimmung wegen der kurzen Projektlaufzeit und dem Fokus auf konservatorischen Aspekten unmöglich war, wurden weitere Spezifika wie Inhalt oder Sprache in die Signatur zunächst noch nicht eingeführt.

In der bibliothekarischen Dokumentation wurden zusätzlich folgende Merkmale festgehalten: Kasten- und Faszikelnummer (falls vorhanden), Signatur des Trägerbandes (falls vorhanden), schwarze oder rote Nummer (vermutlich aus der Sammlung Dziatzko) und das Vorhandensein von weiteren Informationen wie Autor oder Titel des Werkes, aus dem das Bruchstück stammt.

4 Bearbeitungskonzept

Die Fragmente sollten durch die Restaurierung im Original nutzbar gemacht werden, ohne dass durch vorhandene Schäden das Risiko von Material- und Informationsverlust besteht. Außerdem sollte die restauratorische Bearbeitung die Voraussetzungen dafür schaffen, hochwertige Digitalisate herstellen zu können. Schließlich werden die durchgeführten Maßnahmen gewährleisten, dass die Fragmente zukünftig bei der Lagerung im ursprünglichen Kontext keinen weiteren Schaden nehmen können.

Die Methoden wurden so ausgewählt, dass nur möglichst geringfügige Eingriffe zur Stabilisierung der Fragmente vorgenommen werden. Bei Sicherungsmaßnahmen sollten möglichst wenig Flächen und Schriftbereiche des Originalmaterials überklebt werden. Ein optisch einheitliches Erscheinungsbild der einzelnen Fragmente gehörte nicht zur Zielstellung. Alte Reparaturen sollten, unabhängig von ihrer optischen Wirkung, nur entfernt werden, wenn sie Schäden verursachen oder die Lesbarkeit des Textes deutlich beeinträchtigen.

Zur Vorbereitung der restauratorischen Bearbeitung erfolgten eine tabellarische (wie bereits oben beschrieben) und eine einfache fotografische Dokumentation sowie die maßnahmenbezogene Sortierung. Durch diesen ersten Arbeitsschritt wurde es möglich, die Fragmente unabhängig von der vorgefundenen Aufbewahrung und Reihenfolge den verschiedenen geplanten Bearbeitungsstrecken zuzuweisen und nach Abschluss der Restaurierung den ursprünglichen Kontext wiederherzustellen. Für die Sortierung wurden Entscheidungskriterien definiert und die möglichen Behandlungswege graphisch dargestellt.

Als Einstieg in die praktische Umsetzung der verschiedenen Maßnahmen fand am 11. und 12. Oktober 2017 ein Workshop zur Restaurierung von Pergamentfragmenten statt. Während dieser beiden Tage konnte das Projektteam verschiedene Materialien und Methoden testen, um Pergamente zu klimatisieren, lokal zu feuchten, zu glätten, Risse zu schließen und Malschichten zu festigen[17].

5 Ressourcen

Das MWK stellte für die Durchführung des Projekts eine Drittmittelförderung zur Verfügung. Aus diesen Mitteln wurden Teilzeitstellen für zwei Restauratorinnen für die Dauer von sechs Monaten finanziert. Hinzu kamen drei studentische bzw. wissenschaftliche Hilfskräfte für das Projekt sowie Unterstützung durch eine Studentin der Konservierungswissenschaft für die Dauer ihres Praxissemesters. Außerdem hospitierten zwei Auszubildende der Buchbinderei für mehrere Wochen im Projekt. Um den geplanten Durchsatz zu gewährleisten, mussten in ausreichender Anzahl Arbeits- und Ablageflächen, Pressen und Pressmaterialien, Feuchtekammern etc. zur Verfügung stehen. Vor allem die Trockenzeiten von Pergament mit mindestens drei Wochen haben die benötigten Arbeitsmittel entsprechend lange gebunden.

6 Erhaltungszustand

Bis zum Start des Projekts wurden die Fragmente in Kästen verschiedener Formate gelagert. Die Handschriftenfragmente lagen in sechs Stülpdeckelkästen mit Frontklappe. Neben lose vorliegenden Fragmenten wurden mithilfe von Mappen innerhalb der Kästen teilweise Faszikel gebildet. Sowohl innerhalb der Kästen als auch innerhalb der Faszikel wurden zusätzlich mit Umschlägen oder umgelegten Doppelblättern Einheiten aus mehreren Fragmenten gebildet. Die Größe der Fragmente variiert stark von wenige Millimeter breiten Streifen bis hin zu Lagen im Großfolio-Format.

Die ungünstige bisherige Lagerung führte zu mechanischen Schäden. Viele Fragmente hatten Verwellungen und Deformierungen, die in einigen Fällen so stark waren, dass die Lesbarkeit eingeschränkt war. Sehr große Formate wurden ein- oder mehrfach gefaltet, damit sie in die beschriebenen Kästen passten. Bei manchen Fragmenten liefen diese Faltungen durch Initialen oder Buchmalereien und führten zu Beschädigungen. Wenn vorhanden, sind Malereien berieben, wenn sie ohne Umschläge in den Kästen gestapelt und nicht geschützt waren.

Schäden wie Faltungen, Abrieb, Einschnitte für durchgezogene Bünde etc. haben solche Fragmente davongetragen, die zu Ganzpergamentbänden oder Halbbänden mit Deckelbezügen aus Pergamentfragmenten verarbeitet wurden. Einige der so verwendeten Fragmente wurden auf der Oberseite außerdem farbig gestrichen (meist grün oder schwarz). Vereinzelt sind bei dieser Art Fragmente außerdem Blindprägungen zu finden.

Die Makulaturfragmente lagerten teils einzeln, teils in Konvoluten in Briefumschlägen. Diese wurden stehend in je zwei Klappdeckelboxen mit Hals für Folio-, Quart- und Oktavformat aufbewahrt. Diese Boxen waren oftmals sehr voll, sodass die Entnahme einzelner Umschläge schwierig war. Durch die Lagerung sortiert nach Formaten und die vorhandenen Umschläge liegen die enthaltenen Fragmente aber häufig sehr plan und das Risiko mechanischer Schäden war geringer. Papierfragmente, die häufig von aufgelösten Makulaturpappen stammen, waren in vielen Schichten miteinander verklebt. Beim Trennen der einzelnen Blätter hat sich das Papier an manchen Stellen aufgespalten, sodass sehr dünne Schichten auf einem anderen Blatt kleben geblieben sind und dort einen Teil der Schrift verdecken. Umgekehrt ist im Schriftbereich des Gegenstückes eine Fehlstelle entstanden. Zusätzlich finden sich typische mechanische Schäden und Fraßspuren.

Fragmente, die vollflächig verklebt waren (z. B. als Vorsatzspiegel oder Rückenhinterklebung), sind durch das Verkleben und spätere Wiederablösen in Mitleidenschaft gezogen. Schrift, Initialen und wenn vorhanden auch Malereien sind reduziert. Sowohl an den Handschriften- als auch an den Makulaturfragmenten gibt es alte Reparaturen und Fehlstellenergänzungen. Die Originalpergamente und die Reparaturen haben sich im Lauf der Zeit oftmals unterschiedlich verändert, sodass es durch die Ergänzungen zu Deformierungen gekommen ist. Bei Reparaturen von Rissen und Fraßlöchern kamen unterschiedlich transparente Papiere für die Überklebungen zum Einsatz. Die Lesbarkeit war dadurch in einigen Fällen deutlich eingeschränkt.

7 Restaurierungsmaßnahmen

Von der Gesamtzahl der zu bearbeitenden Fragmente konnte etwa ein Viertel ohne restauratorische Maßnahmen direkt dem letzten geplanten Arbeitsschritt, dem Umbetten in alterungsbeständige Verpackungsmaterialien, zugeordnet werden. Fragmente, bei deren Bearbeitung Feuchtigkeit oder Klebstoffe zum Einsatz kommen sollten, mussten zunächst trocken gereinigt werden, um zu verhindern, dass vorhandene Verschmutzungen in die Faserstruktur einsinken oder fixiert werden.

Deformierte, stark verwellte und geknickte Pergament- und vereinzelt auch Papierfragmente mussten geglättet werden. Dieser Bearbeitungsschritt wurde schon in der Sortierung in einfaches (lokales) und aufwändiges (vollflächiges) Glätten differenziert.

Abb. 1: Aufwändiges Glätten eines stark beschädigten Fragmentes auf dem Saugtisch.
Abb. 1:

Aufwändiges Glätten eines stark beschädigten Fragmentes auf dem Saugtisch.

Verklebungen wurden nur dann gelöst, wenn die Lesbarkeit des Textes zu stark eingeschränkt wird oder die Reparaturen zu Deformierungen oder Schäden führten. Dies erfolgte im Rahmen der Feuchtigkeitszufuhr für den Arbeitsschritt „Glätten“ oder bei kleinen Flächen unter Verwendung eines Wasser-Ethanol-Gemisches.

Notwendige Sicherungsmaßnahmen an mechanischen und Fraßschäden wurden mit Japanpapieren unterschiedlicher Grammaturen gesichert. Für die Makulaturfragmente wurden überwiegend die bewährten Techniken aus dem Bereich der Papierrestaurierung angewandt. Für die Handschriftenfragmente war das Ziel definiert, nur wo unumgänglich Schriftbereiche zu überkleben. Hier kamen mit Hausenblase beschichtete schmale Japanpapierstege zum Einsatz, für die möglichst transparentes Material gewählt wurde.

Fixierungen von abpudernden oder abplatzenden Malschichten wurden mit technischer Gelatine durchgeführt. Bei flächig abpudernden Malmitteln wurde das Festigungsmittel mithilfe eines Ultraschall-Verneblers aufgetragen. Wenn Schollen aus der Malerei ausbrachen, wurden diese lokal mit sehr feinen Pinseln gefestigt.

Abb. 2: Malschichtfestigung mit einem Ultraschall-Vernebler auf dem Saugtisch.
Abb. 2:

Malschichtfestigung mit einem Ultraschall-Vernebler auf dem Saugtisch.

Als letzter abschließender Schritt im Rahmen des Projekts folgt das Umbetten der Fragmentesammlungen. Das Verpackungskonzept sieht vor, dass die Verpackung in drei Stufen erfolgt. Die Fragmente werden einzeln in L-förmigen Hüllen aufbewahrt. Waren im bisherigen Kontext Faszikel gebildet, werden diese mithilfe von Jurismappen wieder zusammengefasst. Die Fragmentesammlungen werden liegend in neuen Kästen aus Wellpappe lagern. Die Verpackungsmaterialien werden in maximal drei Standardgrößen beschafft.

Nur etwa eineinhalb Prozent der Fragmente mussten bei der Sortierung aus den Abläufen für die Mengenbehandlung der Fragmente ausgesondert und in der Bearbeitung zurückgestellt werden. Hierunter waren Pergamentfragmente mit einem ausgeprägten alten Schimmelschaden und Papierfragmente, bei denen während des Herauslösens aus den Makulaturpappen großflächige dünne Schichten anderer Blätter kleben geblieben sind, die häufig selbst Text enthalten. Dieser soll, falls eine Abnahme der Verklebungen erfolgt, beim Ablösen erhalten und lesbar bleiben.

In fünf Fällen waren zu einem früheren Zeitpunkt einzelne Fragmente wieder zusammengesetzt worden, auch wenn nicht alle Teile eines Blattes verfügbar waren. Hierfür wurden damals häufig Abrisse von Briefmarkenbögen verwendet. Diese haben bisher keine erkennbaren Schäden verursacht. Da die Gummierung aber je nach Zusammensetzung Verbräunungen verursachen kann, soll diese im Nachgang des Projekts analysiert werden. Ein Pergamentfragment hat einen so starken Tintenfraßschaden, dass vor einer weiteren Bearbeitung zunächst eine eingehende Untersuchung stattfinden soll.[18]

8 Lessons learned

Die maßnahmenbezogene Sortierung der Fragmente vor Beginn der restauratorischen Maßnahmen hat sich bewährt. Einschränkungen gibt es lediglich dahingehend, dass die Restauratorinnen mit zunehmender Erfahrung in manchen Fällen die Bewertung der Machbarkeit später korrigierten. Die gemeinsame Durchführung der Sichtung und Dokumentation in Zweierteams aus je einer Person mit konservierungswissenschaftlichem und einer Person mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund hat sich ebenfalls sehr bewährt. Die gemeinsame Bearbeitung unterschiedlicher Problemstellungen hat das Verständnis für die jeweiligen Anforderungen vertieft. Bereits in die Planungs- und Vorbereitungsphase waren sowohl bibliothekarische als auch konservatorische Überlegungen eingeflossen. In die spätere Tiefenerschließung sollten die Erkenntnisse zu Materialien und Techniken der Fragmente aus dem Restaurierungsprojekt eingebunden werden.

Bei der Ressourcenplanung bestand die große Herausforderung darin, bei mehreren gleichzeitig in der Restaurierungswerkstatt laufenden Projekten die Abläufe des Fragmenteprojekts – mit einer so großen Menge an gleichzeitig in der Bearbeitung befindlichen Objekten – so zu organisieren, dass die anderen Projekte nicht beeinträchtigt wurden. Hierbei darf die logistische Herausforderung nicht unterschätzt werden, die entsteht, wenn aufgrund des engen Zeitrahmens mehrere Arbeitsschritte (wie Feuchten, Glätten, Sichern) parallel laufen müssen und nichts durcheinander kommen darf. Bei der feuchten Bearbeitung von Pergament müssen zusätzlich ausreichend lange Trockenzeiten von mindestens drei Wochen bedacht werden. Auch der Einsatz der Hilfskräfte musste so koordiniert werden, dass die begrenzt zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze und Materialien sinnvoll genutzt und ausgelastet werden konnten. Als Risiko für den Projektzeitplan stellten sich Lieferschwierigkeiten bei einzelnen benötigten Materialien heraus. Hierdurch wurden Änderungen in der Reihenfolge der Arbeitsschritte nötig, um die entstandenen Engpässe zu kompensieren und die Zeit trotzdem möglichst sinnvoll zu nutzen.

9 Forschungskontext an der SUB Göttingen

Die im Projekt durchgeführte Basiserschließung der vorgestellten Teilsammlungen bedeutet für Forschung und Lehre in mehrerer Hinsicht einen großen Gewinn. Sie liefert wertvolle zusätzliche Informationen zur Erfassung des vierten Bandes des Göttinger Inkunabelkatalogs[19] und zur Tiefenerschließung der mittelalterlichen abendländischen Handschriften der SUB Göttingen[20]. Diese laufenden Projekte der Abteilung Spezialsammlungen und Bestandserhaltung profitieren vor allem von den neu dokumentierten Provenienzmerkmalen der Fragmente, die zum größten Teil aus Inkunabel- und Handschrifteneinbänden des eigenen Bestands ausgelöst wurden.

Wie es Christoph Mackert in seiner Darstellung der Fragmentsammlung der Leipziger Universitätsbibliothek zu Recht anmerkt, wurde „der wissenschaftliche Aussagewert, den das historische Ensemble von Buchinhalt, Einband und eingebundener Makulatur als Gesamtkomplex birgt, vielfach übersehen und die Fragmente [wurden] bei der Auslösung unwiderruflich dekontextialisiert“.[21] Unser Projekt versucht, den ersten Schritt zur Wiederherstellung dieses zerstörten Kontextes zu gehen. Die restaurierten und konservierten Bestände sollen in einer weiteren Projektphase tiefer erschlossen und digitalisiert werden. So könnte eine virtuelle Zusammenführung mit den Beständen des Diplomatischen Apparats ermöglicht und gleichzeitig die internationale Zusammenarbeit im Rahmen der digitalen Forschungsumgebung Fragmentarium[22] gewährleistet werden, in der die Fragmente der SUB Göttingen künftig erschlossen werden sollen.

About the authors

Emese Tömösvári

Emese Tömösvári

Cornelia Ripplinger

Cornelia Ripplinger

Danksagung

Wir bedanken uns herzlich bei allen am Projekt beteiligten KollegInnen, Hilfskräften und Praktikantinnen. Für hilfreiche Anmerkungen und Korrekturen danken wir besonders Dr. Johannes Mangei, Dr. Helmuth Rohlfing und Dr. Christian Fieseler.

Published Online: 2018-04-04
Published in Print: 2018-04-25

© 2018 by De Gruyter

Downloaded on 6.6.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bd-2018-0042/html
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