1 Das „F“ in der personennahen Dienstleistung

Sie sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels, werden als „Beschäftigungsmotor par excellence“ bezeichnet und besitzen ein hohes Innovationspotenzial: Personennahe Dienstleistungen (PD). In Abgrenzung zu industriellen Dienstleistungen steht hier der Mensch im Mittelpunkt eines interaktiven Wertschöpfungsprozesses. Die Leistung wird am und mit dem Menschen durchgeführt, teils auch mit ihm gemeinsam entwickelt (Lattemann et al. 2019). Diese Charakteristik entspricht der steigenden Nachfrage unserer Gesellschaft nach Diensten, die auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten sind und enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Praxisgebiete, wie z. B. Tourismus, Gastronomie, Pflege und Handwerk rücken deshalb zunehmend in den Fokus (förder-) politischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Betrachtungen. Ein Praxisgebiet, das häufig übersehen wird, ist das der Wissenschaft. Auch hier gibt es PD, die an und mit Forschenden im akademischen Umfeld der Hochschule, in nationalen und in internationalen Projektverbünden zum Einsatz kommen. Professionalisierungsprozesse, steigende Interdisziplinarität und Digitalisierungsstrategien führen dazu, dass der Bedarf an innovativen Diensten in der Wissenschaft zunimmt. Wie der Titel des Abschnittes nahelegt, fehlen in der Erforschung PD bislang die Forschenden selbst als zu betrachtende Nutzergruppe.

Der Mensch als Teil einer PD kann nicht nur Privatperson, MitarbeiterIn, KundIn, PatientIn oder KlientIn sein. In der Wissenschaft tätige Personen, wie DoktorandInnen, NachwuchswissenschaflterInnen und ProfessorInnen, sollten ebenfalls in die Betrachtung einbezogen werden.

Wissenschaft findet in Deutschland nicht nur in Universitäten, sondern ebenso in außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie Vereinen, privaten und staatlichen Einrichtungen statt. Der vorliegende Beitrag strebt keine vollständige Betrachtung der Forschungslandschaft an und nimmt im weiteren Verlauf primär den Blickwinkel von Forschenden im Umfeld öffentlicher Hochschulen, insbesondere Universitäten, ein.

Verschiedene Wissenschaftsbereiche, wie z. B. das Innovations- und Dienstleistungsmanagement und die Wirtschaftsinformatik, unterstützen aktuell bereits kleine und mittlere Unternehmen darin, das Potenzial von PD zu heben. Hierzu untersuchen sie Konzepte zur Übertragung einer modernen, werteorientierten Perspektive auf die Entwicklung und Gestaltung marktfähiger PD, wie sie durch die Service-dominierte Logik (Vargo und Lusch 2004) und die Service Logik (Grönroos 2006) geboten wird. Es gilt den Wert eines Angebotes als zentralen Betrachtungsgegenstand heranzuziehen, Eine zentrale Rolle zur Verwirklichung dieses Ansatzes spielt die Digitalisierung. Immer mehr moderne Anwendungen und leicht zugängliche Technologien stehen zur Verfügung, um die Weiterentwicklung von Angeboten zu ermöglichen, Akteure zusammenzubringen und den Menschen als Teil eines modernen Innovationsentwicklungsprozesses einzubinden (Lattemann et al. 2019). In zukünftigen Märkten steht eben jene Interaktion mit dem Menschen, die für PD charakteristisch ist, im Vordergrund sozialer und technischer Innovation.

Es lässt sich festhalten, dass die Gestaltung von (digitalen) PD ein zunehmend relevantes Forschungsgebiet für die Wirtschaftsinformatik darstellt. Um dieses Potenzial auch innerhalb von PD für Forschende zu entfalten und damit zur wissenschaftlichen Praxis beizutragen, braucht es eine Auseinandersetzung hinsichtlich der Übertragung aktueller Perspektiven und Trends aus der Wirtschaft auf die PD in der Wissenschaft. Ziel dieses Beitrages ist es, eine Forschungslücke aufzuzeigen, zu deren Erkenntnisgewinn die Wirtschaftsinformatik fachlich und methodisch beitragen kann.

2 Trends aus der Praxis

In der Gestaltung und Entwicklung von Dienstleistungen hat sich in den vergangenen Jahren vieles verändert. Nicht nur mit und durch die Digitalisierung, auch durch neue Perspektiven auf Marktteilnehmer und Angebote. Nachfolgend werden einige Trends thematisiert, die zunehmend in der Praxis beobachtbar sind.

2.1 Werte schaffen

Eine neue Perspektive zuzulassen und sich ihr anzupassen, braucht Zeit. Der Gedanke, dass der Wert eines Produktes – sei es eine Sach- oder eine Dienstleistung – nicht vom Anbieter bestimmt wird, ist ein aktuelles Beispiel für einen Perspektivwechsel. In dieser modernen Sicht auf die Wirtschaft erfährt jedes Angebot erst durch den potenziellen Kunden einen Wert und durch die Frage, welchen Service es diesem bietet. Ein Staubsauger bietet den Wert einer sauberen Wohnung, eine Heizung den der Wärme und ein Auto den der Mobilität. Das Produkt selbst tritt in den Hintergrund, denn es ist nur ein Mittel zum Austausch von Kompetenzen und in seinem Selbst nicht wertvoll (Robra-Bissantz und Lattemann 2017). Diese ursprünglich aus dem Bereich des Dienstleistungsmarketings stammende Sichtweise nennt sich Service-dominierte Logik (SDL) (Vargo und Lusch 2004), sie könnte auch als Werte-dominiert bezeichnet werden. Der Wert entsteht hier nicht schrittweise in einer Wertschöpfungskette mit anschließendem Produktangebot, sondern in der Nutzung durch den Kunden (Value in Use). Das Produkt ist nur so gut, wie es dem Kunden individuell bei der Lösung seines tatsächlichen Problems hilft (Vargo und Lusch 2004). Um Werte zu schaffen braucht es somit den Kunden, womit sich Rollen und Beziehungen von Kunden und Unternehmen verändern. Der Kunde muss aktiv in die Wertschöpfung einbezogen und im partnerschaftlichen Miteinander zum Co-Creator werden (Vargo und Lusch 2004).

2.2 Zusatzdienste denken

Aus der neuen Betrachtung erwachsen Chancen: Unternehmen können schon vor der Einführung neuer Produkte mit den zukünftigen KundInnen zusammen dazugehörige Werte erarbeiten und nach der Erbringung einer Leistung nachsteuern (Grönroos 2006). Durch die Interaktion mit KundInnen und die sich bietenden Möglichkeiten digitaler Technologien werden Potenziale für jede Menge Zusatzdienste eröffnet. Verschiedenste elektronische Dienstleistungen (eServices) bieten sich an, um zusätzlichen Wert zu schaffen. Begegnungen zwischen AnbieterInnen und KundInnen können z. B. im virtuellen Raum erfolgen, zusätzliche Informationen zum Angebot können online bereitgestellt werden und mobile Dienste ergänzen das bisherige Angebot (Robra-Bissantz und Lattemann 2017). Beispiele hierfür sind Online-Produktkataloge, virtuelle Ausstellungen, ein Blog mit Styling-Tutorials, Pflegeprodukten und Terminverwaltung des Frisörs oder die Fitness-App zu den gekauften Laufschuhen. Die KundInnen-Interaktion kann selbst zu einem Mehrwert und als wertvoll empfunden werden (Value in Interaction). Und auch nach der Inanspruchnahme eines Angebotes muss der Kontakt mit den KundInnen nicht abbrechen, denn eServices überwinden räumliche Distanzen. Gerade bei PD bietet sich eine Brücke vom virtuellen Raum zu vor-Ort-Angeboten an. Gleich ob Nachhilfe, Fußpflege, Massage oder Handwerk nachgefragt ist – die Ergebnisse einer online-Suche bringen nur dann einen Nutzen, wenn sie sich auf AnbieterInnen in der Nähe beziehen.

2.3 Besonderheiten zulassen

Der Wert einer Leistung ist allgemeinhin als hochindividuell zu betrachten. So kann z. B. die gleiche Dienstleistung in der Anbahnung, während oder nach der Leistungserbringung jeweils völlig unterschiedlich bewertet werden (Grönroos 2006; Vargo und Lusch 2004). Um durch die Schaffung von Werten Erfolg zu haben, braucht es einen Fokus auf den einzelnen Kunden. Eine nutzerorientierte und individuelle Gestaltung von Sach- und Dienstleistungen entspricht gleichzeitig den steigenden Ansprüchen des Marktes (Kölmel et al. 2019). Etabliert hat sich mittlerweile die individuelle Anpassung einer Sachleistung durch eine Auswahl von Modulen oder durch die Vorgabe von Parametern, ohne dass ein wesentlich höherer Preis gegenüber dem Massenprodukt zu zahlen ist. Auch als eService ist dieser als Mass Customization bekannte Ansatz schon weit verbreitet. Müsli, Schuhe und Schmuck zu individualisieren genügt dem Selbstverständnis heutiger KundInnen jedoch nicht mehr. Mehr und mehr rückt die Service Customization in den Vordergrund. Die Rede ist von einer Dienstleistung, die sich primär an individuellen Präferenzen von Kunden hinsichtlich Nachfrage, Nutzung und Bedeutung ausrichten (Kölmel et al. 2019). Dabei kann es in der Wahrnehmung eines Angebotes einen Unterschied machen, ob Bedarfe und Präferenzen vorab aktiv mitgeteilt werden müssen oder diese Informationen vom Leistungserbringer selbständig erkannt wurden.

2.4 Gedanken lesen

Werden der richtigen Person die richtigen Inhalte zur richtigen Zeit geboten, so spricht man von einer Personalisierung (Ahmad et al. 2020). Entscheidend für einen Anbieter ist dabei die Fähigkeit, die Situation, die Bedarfe und die Persönlichkeit korrekt zu beurteilen. Man muss den Kunden oder die Kundin somit richtig gut kennen um unter Berücksichtigung des Ortes, der Stimmung oder des Verhaltens die richtigen Angebote zu unterbreiten (Robra-Bissantz und Lattemann 2017). Dies erfordert eine langfristige Beziehung zwischen KundenInnen und AnbieterInnen und den Aufbau einer Wissensbasis. Der Aufwand in der Erstellung einer solchen darf sich selbstredend nicht als unwirtschaftlich erweisen oder mit übermäßiger Komplexität verbunden sein. Gelingt dies, bietet der Zugriff auf solche Nutzerprofile einen Marktvorsprung und trägt dazu bei, den passenden Individualisierungsgrad zu bestimmen für Such‑, Informations- und Entscheidungsaktivitäten des Kunden oder Informations‑, Beratungs- und Vereinbarungsaktivitäten des Anbieters (Kölmel et al. 2019). Digitalisierung bietet umfassende und ambiente Möglichkeiten, um automatisiert und trotzdem personalisiert vorzugehen. Anwendungsbereiche, in denen digitalisierte und personalisierte Dienstleistungen schon eine Vorreiterrolle einnehmen, sind im Smart Home, eHealth, Mobility und eLearning auszumachen (Ahmad et al. 2020).

2.5 Digital verbünden

Die Fähigkeit in großen Gruppen an einem Ziel zu arbeiten, bildet die Basis des Fortschritts. Zusammenarbeit kann koordiniert erfolgen, wobei dann einzelne, individuell erbrachte Tätigkeiten unterscheidbar zu einem gemeinsamen Ziel beitragen. Lassen sich die Einzelteile des Ergebnisses nicht auf ein Individuum zurückführen, weil auch sie schon gemeinschaftlich entstanden sind, spricht man von konzertierter Zusammenarbeit (Robra-Bissantz und Siemon 2019). In der Gestaltung von Innovationsprozessen PD spielen beide Formen der Zusammenarbeit zwischen Anbietern (Unternehmen) und Nutzern (Kunden) eine Rolle. Durch Zusammenarbeit wird der Fokus nicht mehr nur auf das Ergebnis gesetzt, sondern die Prozessperspektive in den Vordergrund gestellt. Es geht im Kern darum, eine echte Dienstleistungserfahrung zu ermöglichen. Zunehmend suchen Anbieter von PD die interaktive Zusammenarbeit in partnerschaftlichen, losen Netzwerken mit Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern. Gemeinsam bilden sie sogenannte Service-Ökosysteme, die als Gesamtlösungen zur Schaffung gemeinschaftlicher Mehrwerte dienen (Lusch et al. 2010). In einer konzertierten Zusammenarbeit lassen sich sogar Innovationen heben, die im Alleingang nicht geleistet werden könnten, da die Einzelteile des Ergebnisses ja nicht den individuellen Akteuren zuzuordnen sind. Technische Plattformen helfen dabei, diese Netzwerke auch im digitalen Raum abzubilden. Als Beispiele für solche digitalen Service-Ökosysteme lassen sich Dienstleistungsplattformen für Nachbarschaftshilfen oder für Kinderbetreuung nennen.

3 Das Praxisgebiet Wissenschaft

Die Dynamik in wissenschaftlichen Institutionen ist eine andere, als die des Marktes. Erkenntnisse aus der Forschung tragen zwar zur Erklärung, Initiierung und Umsetzung von Praxistrends bei, bewirken jedoch nicht zwangsläufig einen ebensolchen Wandel im eigenen Umfeld. Dass das Umfeld von WissenschaftlerInnen trotzdem von Veränderungen geprägt ist, wird nachfolgend deutlich.

3.1 Tradition trifft Markt

Hochschulen sehen sich zunehmend mit Herausforderungen konfrontiert, die ihre Traditionen wie z. B. akademische Selbstverwaltung und Freiheit der Forschung, in Frage stellen und zu einschneidenden Veränderungen in der Hochschullandschaft führen (Kehm et al. 2012). So äußert sich beispielsweise die Expansion im tertiären Bereich nicht nur im enormen Zuwachs der Studienanfängerquoten und Absolventen – auch die Zahl der Studienangebote, Standorte und Hochschulgründungen nimmt rasant zu. Die nächste Hochschule ist statistisch betrachtet nur 59 km entfernt (Hüning et al. 2017). Steigende Ausgaben für Forschung werden zunehmend über Drittmittel abgedeckt, die wiederum an Erwartungen nach praktischer Relevanz und messbarer Qualität gebunden sind. Wissenschaftler werden dadurch verstärkt in wissenschaftsperiphere Aktivitäten eingebunden, wie Projektmanagement, Evaluationen und Berichtspflichten (Kehm et al. 2012). Um knappe staatliche Grundmittel effizienter einzusetzen, die Innovationsfähigkeit zu steigern und international wettbewerbsfähig zu bleiben, ist die Einführung von Reformen im deutschen Hochschulsystem notwendig. Strukturelle Änderungen im Sinne des Steuerungsmodells New Public Managements (NPM) sind auf dem Vormarsch und bringen mit der Übertragung von privatwirtschaftlichen Wettbewerbs- und Managementkonzepten auf öffentliche Verwaltung auch eine Veränderung des Status und der Rolle der Hochschulen mit sich (Vollmer 2017). Zugunsten einer Professionalisierung des Hochschulmanagements werden Universitäten nicht mehr als besondere, sondern als vollwertige moderne Organisationen betrachtet, die als Serviceeinrichtungen fungieren (Schneijderberg und Teichler 2013). Zunehmend werden in diesem Zusammenhang auf allen Ebenen der Universität Aufgaben in neue Tätigkeitsbereiche ausgelagert und durch wissenschaftlich qualifizierte Personen besetzt (Heuer 2018). Eines der wesentlichen Ziele dieser Entwicklung ist es, umfassende und integrierte Unterstützungsleistungen für WissenschaftlerInnen aufzubauen, von der Mitteleinwerbung und dem Projektmanagement, bis hin zu zentralen Technologieplattformen.

3.2 Team Science: Interdisziplinäre Verbundforschung

Interdisziplinäre Forschung gilt als Katalysator für Innovationen und notwendiger Ansatz zur Lösung komplexer globaler Probleme. Auch wenn die institutionelle Umsetzung Herausforderungen birgt, ist interdisziplinäre Forschung auf dem Vormarsch (Van Noorden 2015). Die Zusammenarbeit von Experten verschiedener Disziplinen prägt mittlerweile einen großen Teil der Wissenschaft in Forschung und Lehre, gleich ob sie temporär oder dauerhaft gestaltet ist. In diesem Zuge basiert der wissenschaftliche Fortschritt auf Kooperation zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und Akteuren. Zunehmend etablieren Hochschulen hierfür netzwerkartige Strukturen, beispielsweise in Form von interdisziplinären Forschungsschwerpunkten, Forschungszentren und Labs. Auch hier gibt es durch die Zuteilung von eigenen Budgets, von Personal und von Infrastruktur Bemühungen, die Zusammenarbeit professionell zu unterstützen.

Ebenso steigt in öffentlichen Programmen zur Förderung von inter- und transdisziplinärer Verbundforschung das Bewusstsein für die Bedeutung von interaktiven, begleitenden Dienstleistungen. So beschreibt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Management der Forschung als wesentliche und eigenständige wissenschaftsimmanente Aufgabe (Defila et al. 2008). Um WissenschaftlerInnen innerhalb von Forschungsverbünden in der Erarbeitung integrierter Ergebnisse zu unterstützen, den wissenschaftlichen Austausch zu intensivieren und eine gemeinsame Weiterbildung anzubieten, finanziert die DFG die Einrichtung von Koordinierungs- und Geschäftsstellen sowie ergänzende projektbegleitende Services wie z. B. die Wissenschaftskommunikation oder das Datenmanagement (Defila et al. 2008). Auch andere Fördergeber des Bundes stellen Mittel bereit, um innerhalb von Verbünden ein professionelles Projektmanagement zu sichern. Darüber hinaus werden Teile des Budgets großer Forschungsprogramme zunehmend für die Einrichtung von Begleitforschungen vorgesehen – ein Ansatz, der trotz oft unterschiedlicher forschungspolitischer Zielsetzungen in der Politik und in der Wissenschaft auf große Zustimmung trifft (Fiedeler und Nentwich 2009).

3.3 Digitalisierung findet Wege

Das Potenzial moderner IT-Anwendungen ist innerhalb der Hochschulen bei weitem nicht erschlossen, wie Ergebnisse einer im letzten Jahr veröffentlichten Schwerpunktstudie zur Digitalisierung von Hochschulen zeigen. Aus der deutschlandweiten Analyse geht hervor, dass Digitalisierung als Prozess in Forschung, Lehre, Verwaltung und Infrastruktur prinzipiell einen hohen Stellenwert einnimmt, dieser jedoch keineswegs mit dem Stand der Umsetzung korrespondiert (Gilch et al. 2019).

Zentrale IT-Versorgungskonzepte durch Rechenzentren, Medienzentren und Bibliotheken sind bereits allgemein etabliert, verstehen sich als kundenorientiert und bieten größeren Forschungsvorhaben auch individuelle IT-Angebote an (Auth et al. 2019). Ergänzend hierzu existieren öffentliche Förderprogramme zur wissenschaftlichen Nutzung und zur Erforschung von IT sowie Leitlinien zum Aufbau geeigneter Strukturen. Bisherige Ansätze können jedoch nur eine institutionelle Perspektive bedienen und es nicht leisten, den einzelnen Forschenden individuell zu unterstützen. Zur Verbesserung ihrer individuellen oder kollaborativen Forschungsprozesse bedienen sich Forschende meist in Eigenregie externer Lösungen. Hierbei greifen sie nicht nur auf unspezifische Dienste zurück, wie z. B. Slack, Dropbox und WhatsApp. Auch Dienste für die Zielgruppe der WissenschaftlerInnen sind zunehmend verfügbar, wie z. B. GoogleScholar, ResearchGate und figshare (Auth et al. 2019). Außerhalb der Hochschulen existiert somit zunehmend ein breites Angebot an digitalen Plattformen, welche Forschende von der Recherche über die Datensammlung bis hin zur Dissemination zu unterstützen vermögen (von der Heyde et al. 2019). Die hohe Dynamik des Marktes verlangt dabei eine intensive und regelmäßige Sondierung, kann zu Konflikten mit zentralen IT-Konzepten führen (Auth et al. 2019) und birgt Risiken im Hinblick auf die Freiheit der Forschung (von der Heyde et al. 2019).

An eine Digitalisierungsstrategie mit dem Ziel der Verbesserung des (individuellen) Forschungsprozesses werden zudem weitergehende Erwartungen geknüpft, wie etwa revolutionäre Verbesserungssprünge, z. B. durch neuartige Forschungsmethoden, die Entwicklung neuer Praxen der digitalen Forschung (beispielsweise „Social Scholarship“ oder „Content Curation“) und innovative Formate zur Unterstützung der Zusammenarbeit (Auth et al. 2019; Gilch et al. 2019). Es bleibt abzuwarten, ob die aktuell veränderte Arbeitssituation im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie nachhaltige und positive Veränderungen der Digitalisierung im akademischen Umfeld mit sich bringt.

4 Forschende unterstützen

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Veränderungen im Umfeld der Wissenschaft wird deutlich, dass in diesem Praxisgebiet tätige Menschen verschiedene Unterstützungsbedarfe haben. Nachfolgend werden bisherige, aus der Literatur identifizierte Ansätze zur Unterstützung von Forschenden zusammengefasst. Im Anschluss erfolgt eine eigene Eingrenzung des Betrachtungsfeldes, um unter Berücksichtigung von Trends aus der Praxis sowie dem hohen Potenzial PD Chancen zur Gestaltung neuer Dienste für Forschende aufzuzeigen.

4.1 Bisherige Ansätze

Worin können Forschende unterstützt werden? Um dies zu erörtern könnte man sich an bereits vorhandenen Konzepten orientieren, wie z. B. existierenden Schemata zur Abbildung von Typen wissenschaftlicher Aktivitäten (Bier et al. 2016), prozessorientierten Beschreibungen von Phasen wissenschaftlicher Forschungsprozesse (wie z. B. Kalb et al. 2009) oder ausgewerteten Aufgabenbereichen von Hochschulprofessionellen (Schneijderberg und Teichler 2013). Die Unterstützung von Forschenden kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden und wurde in der Vergangenheit sowohl aus Sicht des Individuums, als auch mit Blick auf Projektverbünde auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert. Aktuell lassen sich zwei wesentliche Entwicklungen erkennen.

Einerseits wird ein rein technologischer Lösungsraum gespannt, der von fragmentierten Einzelanwendungen zu kompletten Softwarelösungen über domänenspezifische Plattformen und Datenbanken bis hin zu umfangreichen Service-Centern reicht. Umfangreichere Konzepte sind unter Begriffen wie Elektronische Forschungsplattform (EFP), Forschungsinfrastruktur (FIS), Forschungsmanagement, E‑Science, E‑Research, Virtuelle Forschungsumgebung (VFU) und Cyberscience zu finden (Bier et al. 2016). Abhängig von ihrem Funktionsumfang können sie in der Erfüllung von Berichts- und Auskunftspflichten gegenüber Mittelgebern unterstützen, einen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation leisten oder potenziell den gesamten Forschungsprozess mehrerer WissenschaftlerInnen orts- und zeitunabhängig abbilden (Auth et al. 2019; Bier et al. 2016; von der Heyde et al. 2019). Neben diesen Gesamtkonzepten, die unabhängig von zentralen Digitalisierungsstrategien der Hochschulen entstehen, gibt es eine Vielzahl von Anwendungen, die einzelnen Phasen im Forschungsprozess zugeordnet werden können. So veröffentlichten z. B. Kalb et al. ein generisches Phasenmodell der wissenschaftlichen Forschung und stellten den einzelnen Phasen (z. B. Ideenfindung, Problemdefinition, Forschungsdesign) Aktivitäten (z. B. Analyse, Datensammlung und Interpretation) gegenüber, ergänzt durch Empfehlungen zum Einsatz von Social Software für die Wissenschaftskommunikation, wie z. B. Social Bookmarking, Scientific Blogs, Microblogging (Kalb et al. 2009).

Die zweite zu beobachtende Entwicklung vollzieht sich auf einer organisatorischen Ebene durch die Zunahme personeller Unterstützung. Aufgabengebiete an Hochschulen werden ausgelagert und professionalisiert, neue Tätigkeiten und Berufsrollen kommen hinzu. In Forschung, Lehre und Verwaltung arbeiten zusehends mehr Hochqualifizierte, die über einen akademischen Abschluss verfügen und gut mit den Vorgängen der Hochschule vertraut sind (Schneijderberg und Teichler 2013). Für diese Gruppe von ExpertInnen, die im weitesten Sinne Dienstleistungen erbringt, Entscheidungen vorbereitet und gestaltend an der Hochschule tätig wird, gibt es unterschiedliche Bezeichnungen wie z. B. New Professionals, WissenschaftsmanagerInnen, Support Professionals, Mid-level Leaders oder Hochschulprofessionelle (Heuer 2018). Die Aufgaben, die diese Hochschulprofessionellen übernehmen, gehen über Koordination und Administration deutlich hinaus und sind sowohl in traditionellen als auch neuen Tätigkeitsfeldern verankert (Heuer 2018). So arbeiten zunehmend mehr professionelle GeschäftsführerInnen an Fakultäten, in Forschungszentren, in Schwerpunktbereichen oder Labs. Hinzu kommen ManagerInnen, KonzeptentwicklerInnen, BeraterInnen, AssistentInnenen und BetreuerInnen in unterstützenden Strukturen. Umfragen zufolge versteht sich die neue Berufsgruppe dabei in erster Linie als Dienstleister, insbesondere für WissenschaftlerInnen (Schneijderberg und Teichler 2013).

4.2 Perspektiven für Dienstleistungen

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Entwicklungen wird deutlich, dass es einen steigenden Bedarf an unterstützenden Leistungen im wissenschaftlichen Umfeld gibt. Wenn dieser Bedarf auch in verschiedenen Bereichen wie Verwaltung, Lehre und Forschung begründet sein mag, so konzentriert sich die vorliegende Betrachtung auf solche Dienstleistungen, die zum Zwecke der Unterstützung von Forschung erbracht werden. Sie werden an und mit „Forschenden“ durchgeführt und können in Interaktion auch gemeinsam entwickelt werden. Um PD im Umfeld von Forschung einzugrenzen und zu identifizieren, werden als Ergebnis aus Literatur und akademischer Praxis nachfolgend vier Bereiche skizziert. Exemplarisch lassen sich hieran unterschiedliche Konsumenten („KundInnen“) und Dienstleister („AnbieterInnen“) betrachten.

I. PD an Hochschulen

Zunehmend findet an Hochschulen eine Ausdifferenzierung von Aufgabenbereichen und beruflichen Rollen statt, die mit neuen Stellenprofilen einhergeht. Sogenannte Hochschulprofessionelle übernehmen umfangreiche Planungs‑, Gestaltungs‑, Beratungs- und Managementfunktionen, um die Wissenschaft zu unterstützen. In unterschiedlichen Stellenbezeichnungen sind sie an Fakultäten, in Fachbereichen, in Forschungsschwerpunkten oder -zentren tätig (Schneijderberg und Teichler 2013). Sie verstehen sich selbst als Dienstleister, die ProfessorInnen und NachwuchswissenschaftlerInnen dabei helfen sich auf ihre Primäraufgaben zu konzentrieren.

II. PD in interdisziplinären Förderprojekten

In öffentlich geförderten interdisziplinären Forschungsverbünden arbeiten WissenschaftlerInnen aus mindestens zwei Disziplinen auf gemeinsame Ziele und Ergebnisse hin. Dabei sind Forschungsarbeiten auf verschiedenen Ebenen zu planen und abzustimmen, zusammenzuführen, zu integrieren, aufzubereiten und zu veröffentlichen. Den hiermit betrauten Personen (SprecherInnen, KoordinatorInnen oder LeiterInnen) stehen Forschungs- oder ProjektmanagerInnen zur Seite, die PD für den Verbund erbringen (Defila et al. 2008).

III. PD in transdisziplinären Förderprojekten

In öffentlich geförderten transdisziplinären Forschungsverbünden sind neben WissenschaftlerInnen auch AnwenderInnen substanziell an der Forschung beteiligt. Auch hier erbringen Forschungs- oder ProjektmanagerInnen PD für den Verbund. Der Einbezug von AnwenderInnen, die Angehörige von Berufsfeldern, Institutionen, Organisationen, Unternehmen oder gesellschaftlichen Gruppen sein können (Defila et al. 2008), begründet eine differente Betrachtung zu interdisziplinären Verbünden.

IV. PD in Begleitforschungen

Übergeordnet zu einem einzelnen Verbund stehen Projekte, die ein ganzes Forschungsprogramm begleiten. Auch wenn Art und Zielsetzung der Begleitforschung in den verschiedenen Disziplinen heterogen verwendet werden (Fiedeler und Nentwich 2009), lassen sich die Begleitforschungsprojekte als Erbringer von PD gegenüber der im Forschungsprogramm geförderten Forschungsverbünde, die in der Gesamtheit ihrer PartnerInnen zu KundInnen werden, betrachten.

4.3 Chancen zur Gestaltung

Aus vorhergehender Betrachtung lässt sich festhalten: Bedarf und Angebot technischer und personennaher Dienste zur Unterstützung von Forschenden nehmen zu. Während die Wissenschaft in den vergangenen Jahren „als Schuster“ dazu beigetragen hat, in der Weiterentwicklung von Angeboten des Marktes einen Perspektivwechsel zu werteorientierten Services anzustoßen, ist diese Betrachtung noch nicht innerhalb des eigenen Tätigkeitsfeldes angekommen. Wie durch die Analogie des Titels angedeutet wird, fehlt es bisher an einer Übertragung von Erkenntnissen aus den Forschungsaktivitäten für die unternehmerische Praxis hin zur Verbesserung der Situation in das eigene Praxisfeld. Im Aufbau von zentralen oder dezentralen Angeboten für Forschende finden Trends aus der Dienstleistungsentwicklung noch wenig Beachtung. Genau hier liegen ungenutzte Chancen: Was ist der Value in Use für Forschende? Wie kann man Personalisierung in Angeboten für Forschende berücksichtigen? Was macht eine wertvolle Interaktion in Forschungsverbünden aus? Wie lassen sich individuelle Bedarfe und Angebote ideal zusammenbringen? Und wie sieht ein digitales Service-Ökosystem für verschiedene Formen von interdisziplinären Verbünden aus? Ergebnisse aus Forschungsaktivitäten im Themengebiet PD müssen hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf charakteristisch ähnliche Leistungen im Umfeld von Forschungsprozessen geprüft werden. Hybride Dienstleistungen, die Technik und Mensch über sinnhafte Digitalisierung zusammenbringen, gemeinsam neue Werte schaffen und Forschende als Individuen in einen Innovationsentwicklungsprozess für das eigene Praxisgebiet einbeziehen, stellen aktuell eine Forschungslücke dar.

5 Digitale PD für Forschende

Die aufgezeigten Chancen zur Entwicklung und Gestaltung neuer Unterstützungsmöglichkeiten für Forschende lassen sich als ein für die Wirtschaftsinformatik relevantes Forschungsgebiet zusammenfassen: Forschende tragen in unterschiedlichen Formen interdisziplinärer Zusammenschlüsse zum Erkenntnisgewinn für Wirtschaft und Gesellschaft bei. In der Durchführung von Forschungsarbeiten gibt es einen steigenden Bedarf zur Unterstützung individueller oder kollaborativer Forschungsprozesse. Planung, Abstimmung, Zusammenführung Integration, Aufbereitung und Veröffentlichung müssen auf verschiedenen Ebenen koordiniert werden. Zunehmend lassen sich hierfür interne Dienstleister im Sinne von Hochschulprofessionellen, KoordinatorInnen und GeschäftsführerInnen finden, die PD für Forschende erbringen. Gleichzeitig nimmt die Zahl dezentraler und zentraler technischer Angebote zu. Für eine zukunftsgerichtete professionelle Unterstützung von Forschenden müssen Technik und Mensch zusammengebracht werden. Es braucht eine sinnhafte Digitalisierung bereits vorhandener und noch zu entwickelnder Dienstleistungen, die an und mit Forschenden erbracht werden. Moderne Perspektiven und Trends aus Praxis und aktueller Forschung sollten dabei einbezogen werden. Zur Entwicklung und Gestaltung von digitalen PD für Forschende kann die Wirtschaftsinformatik einen wesentlichen Beitrag leisten.

Methodisch basierend auf einem gestaltungsorientierten Vorgehen widmet sich eine aktuelle Forschungsarbeit der Entwicklung von Empfehlungen zur Gestaltung von digitalen PD im Praxisfeld Forschung. Eingebettet in ein Begleitforschungsprojekt werden sukzessiv Ergebnisse aus Interventionen, Experteninterviews und Literatur erfasst und zusammengetragen. Ziel ist es darzustellen, welche PD für Forschende (z. B. Informationsaufbereitung, gemeinsame Weiterbildung, methodische Schulungen, Dissemination, Kollaboration) mit welchen Werten einhergehen und wie diese durch Digitalisierung sinnhaft unterstützt werden können. Die gewonnenen Erkenntnisse zu PD, die die Begleitforschung für acht zugehörige Verbundprojekte leistet und welche ebenso innerhalb der Verbundprojekte geleistet werden, sollen in allgemeine Gestaltungsempfehlungen eingehen für die Dienstleistungsforschung, die unternehmerische Praxis und nicht zuletzt für die PD in der Forschung.