Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - PV3
DOI: 10.1055/s-2008-1078864

Was zeichnet Experten für Fragen an der Grenze der Lebensfähigkeit aus?

G Rellensmann 1, C Werner 1, J Häberle 1, E Harms 1
  • 1Westf. Wilhelms-Univ.- Kinderklinik, Münster

Hintergrund: An der Grenze der Lebensfähigkeit müssen betroffene Familien und Behandlungsteams tragfähige Entscheidungen für existenzielle Fragen treffen. Fragestellung: Welche Expertise auf Seiten des Behandlungsteams kann den Umgang mit diesen Fragen erleichtern? Methode: Analyse der Struktur von Fragen an der Grenze der Lebensfähigkeit. Ergebnisse und Diskussion: Fragen an der Grenze der Lebensfähigkeit zielen (1) auf eine Bewertung der Lebenschancen des Kindes und eine normative Entscheidung darüber, ob eine Therapie im besten Interesse des Kindes durchgeführt werden sollte. Diese normative Entscheidung beruht (2) auf übergeordneten Werturteilen (Glaube, Weltanschauung, Rechtsordnung) und (3) auf empirischen Befunden über das zu erwartende outcome. Die Prognose des outcome erlaubt keine sicheren Vorhersagen, sondern gibt Wahrscheinlichkeiten an, so dass (4) eine Entscheidung unter Unsicherheit getroffen werden muss. Das Gespräch über die genannten Fragen erfordert (5) Empathie, Respekt vor divergierenden Werturteilen und kommunikative Kompetenz. Schlussfolgerung: Der Umgang mit Fragen an der Grenze der Lebensfähigkeit erfordert die Kenntnis von empirischen Befunden zum outcome Frühgeborener, theoretisches Wissen über normative Urteile und akzeptierte Handlungsspielräume für Einzelentscheidungen, ein Verständnis von Entscheidungsstrategien unter Unsicherheit und kommunikative Kompetenz. Die Entwicklung einer entsprechenden Expertise sollte durch gezielte Angebote im Rahmen der Aus- und Weiterbildung gefördert werden.