Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - FV9
DOI: 10.1055/s-2008-1078796

Ein besseres Modell zum Verständnis des Säure-Basen Haushalts

G Rellensmann 1, K Masjosthusmann 1, M Konrad 1, I Hörnig-Franz 1, T Marquardt 1
  • 1Westf. Wilhelms-Univ.- Kinderklinik, Münster

Hintergrund: Die traditionelle Analyse des Säure-Basen Status beruht auf der Formel von Henderson-Hasselbalch, die pH, pCO2 und HCO3 in Beziehung zueinander setzt. Der Physiologe Peter Stewart entwickelte ein physikalisch-chemisches Modell zum Verständnis des Säure-Basen Status. Fragestellung: Kann das Stewart-Modell Säure-Basen Störungen erklären, deren Genese in der traditionellen Analyse unklar bleibt? Material und Methode: Kasuistik eines Neugeborenen mit multiplem Acyl-CoA-Dehydrogensase Mangel (vormals Glutarazidurie Typ II), bei dem es unter Therapie mit Natriumhydroxybutyrat zu einer anhaltenden, schweren metabolischen Alkalose und Ablagerung von Kalziumcarbonat-Nierensteinen kam (pH 7,6; pCO2 54mmHg, HCO3 52mmol/l, BE 27mmol/l). Analyse des Säure-Basen Status nach dem traditionellen und Stewart-Modell und Ableitung von therapeutischen Strategien. Ergebnisse und Diskussion: Das traditionelle Verständnis des Säure-Basen Haushalts kann die beobachtete Alkalose nicht erklären. Nach Stewart wird der pH durch den Dissoziationsgrad von H2O in einer wässrigen Lösung bestimmt. Dieser hängt von drei unabhängigen Größen ab: pCO2, SID (Strong ion difference), und Atot (Summe aller nichtflüchtigen schwachen Säuren). Der pH und HCO3 zählen zu den abhängigen Parametern. Bei unserem Patienten führte die Zufuhr von Natriumhydroxybutyrat nicht nur zur erwünschten Ketonkörperzufuhr und Stoffwechselstabilisierung, sondern auch zu einer Hypernatriämie (Na 165mmol/l). Im Stewart-Modell verursacht die Hypernatriämie eine Erhöhung der SID, die sekundär eine Alkalose, HCO3- und CO3-Erhöhung nach sich zieht und sowohl die Alkalose als auch die Kalziumcarbonat Nierensteine erklärt. Therapeutisch muss eine Verminderung der SID angestrebt werden. Die Gabe eines Carboanhydrasehemmers mit vermehrter Na-Ausscheidung führte zum Rückgang der Alkalose. Alternativ kann die Zufuhr des Hydroxybutyrats ohne starkes Kation erfolgen. Die Normalisierung der SID durch Zufuhr eines starken Anions (Cl) würde den pH normalisieren, kommt jedoch wegen der zu erwartenden Hypervolämie nicht als sinnvolle Strategie in Betracht. Schlussfolgerung: Das Stewart-Modell erlaubt das Verständnis und die Entwicklung therapeutischer Strategien bei Störungen des Säure-Basen Haushalts, deren Genese in der traditionellen Analyse unklar bleibt.