Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - HV14
DOI: 10.1055/s-2008-1078773

Kognitive und emotionale Entwicklung von Kindern mit pränataler Opiatexposition in Abhängigkeit der postnatalen Betreuungsbedingungen

S Schiemann 1, S Bölte 1, F Poustka 1
  • 1Universitätsklinikum Frankfurt, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Frankfurt

Hintergrund: Die Situation von Kindern drogenabhängiger Mütter und deren weitere Entwicklung ist eine in der Forschung, und hier vor allem im deutschen Sprachraum, wenig beachtete Thematik. Die vorliegende Studie hatte zum Ziel die kognitive und sozial-emotionale Entwicklung von Kindern substanzabhängiger Mütter zu untersuchen. Dies geschah unter Berücksichtigung verschiedener medizinischer und psychosozialer Einflussfaktoren und unter dem speziellen Aspekt unterschiedlicher Betreuungsbedingungen. Methode: Im Zeitraum 11/2000 bis 11/2003 wurden am Universitätsklinikum Frankfurt, Fachbereich Kinder- und Jugendpsychiatrie, insgesamt 57 Kinder mit pränataler Opiatexposition untersucht. Die Kinder, die zum Zeitpunkt der Untersuchung zwischen 6 und 14 Jahren alt waren, wurden unter dem Aspekt der unterschiedlichen Betreuungsbedingungen in Gruppen unterteilt: Gruppe EG1 (Eltern) umfasste alle Kinder mit pränataler Opiatexposition, die kontinuierlich bei mindestens einem leiblichen Elternteil leben, die Gruppe EG2 (Fremdbetreuung zu einem frühen Zeitpunkt) umfasste alle Kinder mit pränataler Opiatexposition, die schon früh zu Pflege-/Adoptiveltern oder den Großeltern überstellt wurden, die Gruppe EG3 (Fremdbetreuung zu einem späten Zeitpunkt) beinhaltete alle Kinder mit pränataler Opiatexposition, die erst nach dem ersten Lebensjahr in eine Fremdbetreuung überstellt worden waren, bzw. mehrere Bezugspersonenwechsel erlebt hatten. Zusätzlich wurde eine nach Alter der Mutter, Parität und sozioökonomischen Status parallelisierte Kontrollgruppe (KG; N=21) untersucht, die auch hinsichtlich der somatischen Risiken (Frühgeburtlichkeit, postnatale Komplikationen) zur Gruppe der pränatal opiatexponierten Kinder vergleichbar war. Die Betreuung war kontinuierlich durch mindestens einen leiblichen Elternteil erfolgt. Diese vier Gruppen wurden hinsichtlich der Kriterien Intelligenz (Hamburg-Wechsler-Intelligenz-Test HAWIK-III), sozial-emotionale Entwicklung (Child Behavior Checklist CBCL) und psychosoziales Funktionsniveau (Global Assessment Functioning Scale GAF) miteinander verglichen. Relevante Einflussfaktoren wurden dabei kontrolliert. Ergebnis: Insgesamt können die Ergebnisse im Sinne des transaktionalen Modells interpretiert werden, wonach die pränatale Drogenexposition als ein Risikofaktor innerhalb der Entwicklung gesehen wird, der durch andere Risiko- und Schutzfaktoren beeinflussbar ist. Die Unterschiede in den Gruppen sind durch nachfolgende Umwelteinflüsse maßgeblich determiniert und in der EG1 und EG3, in denen das höchste psychosoziale Risiko besteht, finden sich auch die größten Entwicklungsbeeinträchtigungen. Durch fördernde Umweltbedingungen wie in der EG2 ist die Entwicklung hingegen mit der KG1 vergleichbar. Speziell für die Entwicklung von Aufmerksamkeitsproblemen und aggressivem Verhalten, bzw. bei Anforderungen manuell-visueller Handlungskompetenz, finden sich Hinweise auf eine erhöhte Vulnerabilität bei Kindern mit pränataler Opiatexposition, die auch durch fördernde Umweltbedingungen nicht vollständig kompensiert werden kann. Schlussfolgerung: Diese Studie zeichnet ein umfassendes Bild über die Situation von Kindern opiatabhängiger Mütter, einerseits hinsichtlich der Betreuungssituation, andererseits hinsichtlich der kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung. Es bestehen weiterhin offene Fragen und eine follow-up-Untersuchung des Kollektivs zu einem späteren Zeitpunkt könnte die vorliegenden Erkenntnisse weiter vertiefen. Gefördert von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG)