Z Geburtshilfe Neonatol 2007; 211 - FV264
DOI: 10.1055/s-2007-983108

Einflussfaktoren auf die Mimik Neugeborener nach Geburt durch Kaiserschnitt: prospektive Beobachtungen und Videoanalysen

J Hentschel 1, R Ruff 1, F Jütte 1, A von Gontard 2, L Gortner 1
  • 1Klinik für Allgemeine Pädiatrie und Neonatologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
  • 2Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar

Hintergrund: Einflussfaktoren auf die Mimik von Neugeborenen in den ersten Lebensminuten nach Geburt per Kaiserschnitt wurden bisher nicht ausführlich untersucht. Daher wurden die charakteristischen Gesichtsbewegungen in Abhängigkeit von perinatalen Variablen unter anderem mittels Videodokumentation prospektiv untersucht. Methodik: Bei den Mimik-Elementen unterschieden wir zwischen rhythmischem Eye Opening (EO) und Tongue Thrust (TT). In der von der Ethikkommission bewilligten Studie wurden von 4/2004 bis 3/2005 134 Neugeborene unter standardisierten Bedingungen nach Kaiserschnitt beobachtet und Einflussfaktoren dokumentiert. Bei 102 Neugeborenen (66m, 36 w, 17 Frühgeborene, 15 mit Vollnarkose der Mutter) dokumentierte ein nicht in die Versorgung involvierter Beobachter Häufigkeit und Intensität von EO/TT innerhalb der Zeit 1–5, 5–10 und 10–15min. Zusätzlich wurden 32 Neugeborene in den Minuten 1–10 gefilmt. Anzahl und Erstauftreten von EO und TT sowie Interventionen wie Absaugen wurden danach mittels der Software Interact© von zwei unabhängigen Beobachtern analysiert; die Interratervariabilität war sehr gut. Alle Berechnungen wurden mit SPSS realisiert. Ergebnisse: EO wurde bei Vollnarkose der Mutter, bei Frühgeborenen und bei niedrigeren summierten Apgar-Werten signifikant seltener beoabachtet, TT weniger häufig bei Neugeborenen rauchender Mütter, wenn das Kind anschließend auf der Kinderstation überwacht werden musste, und bei niedrigeren Nabelschnur-pH- und Basenexcess-Werten. Die Intensität von TT war bei einem Hypertonus der Mutter geringer. In einem „Normalkollektiv“ von reifen Neugeborenen ohne Vollnarkose-Einfluss, Nikotin-Exposition oder Notwendigkeit der stationären Aufnahme zeigten 96,5% EO und 94,7% TT. Bei den mittels Videodokumentation beobachteten Neugeborenen (n=32) lag das Erstauftreten im Mittel bei 2:40/2:34min (EO/TT). Duchschnittlich wurde in 15min 35-mal mit den Augen geblinzelt und 16-mal die Zunge herausgestreckt. Die meisten Kinder präsentierten die Mimik-Elemente intensiv. Interventionen am Kind waren mit einem signifikant selteneren Auftreten von EO assoziiert. Schreien hatte keinen signifikanten Einfluss auf EO oder TT. Diskussion: Wie nach unserer Pilotstudie vermutet, treten EO und TT regelmäßig auf: TT ist wenig beeinflussbar, somit wird ein robuster Automatismus angenommen. Bei guter Versorgung auch unter der Geburt wird früh mit TT begonnen. Häufiges EO spricht für gute Adaptation und neurologische Reife. Schlussfolgerungen: Die Phänomene EO und TT gehören zum normalen Verhaltensrepertoire reifer Neugeborener. Ein Mimik-Status könnte die klinische Beurteilung von Neugeborenen bereichern; zuvor sind weitere Untersuchungen (Spontangeborene, follow-up) nötig.