Klinische Neurophysiologie 2007; 38 - P342
DOI: 10.1055/s-2007-976470

Der Wettstreit der Hemisphären beim „alien-hand“-Syndrom

R Verleger 1, F Binkofski 1, M Friedrich 1, K Reetz 1, D Kömpf 1
  • 1Lübeck

Fragestellung: G.H. leidet am „alien-hand“-Syndrom, durch einen Infarkt des genu des corpus callosum und angrenzenden rechts-frontalen Areals. Seine linke Hand tue oft nicht, was er wolle, und zerstöre sogar das, was er mit der rechten Hand mache. Diese Problematik wurde hier analysiert.

Methoden: Nach gründlichen neuropsychologischen und neuroradiologischen Untersuchungen wurden Reaktionen und EEG-Potentiale von G.H. und 12 altersgleichen Gesunden in drei Paradigmen gemessen: Mit linken oder rechten Tastendrücken war zu reagieren

1) auf linkes vs. rechtes ‘X’ („Orts-Wahlreaktion“)

2) auf „A“ vs. „B“; dass der Buchstabe dabei links oder rechts von der Mitte erschien, war zu ignorieren („Simon“-Aufgabe)

3) auf mittigen Pfeil nach links oder rechts; flankierende Pfeile, die in gleiche oder Gegen-Richtung zum mittigen Pfeil zeigten, waren zu ignorieren („Eriksen“-Aufgabe).

Ergebnisse: Neuropsychologisch hatte G.H. ein „split brain“: Seine rechte Hand war unter verbaler Kontrolle; seine „fremde“ linke Hand konnte Muster korrekt zusammensetzen.

DTI zeigte ein Fehlen transcallosaler Verbindungen im gesamten frontalen Kortex.

In den Aufgaben zeigten sich Unterschiede zwischen „Simon“, wo Information über die lateralen Reize zwischen den Hemisphären ausgetauscht werden muss, und „Eriksen“, wo die symmetrischen Reize einen Wettstreit beider Hemisphären auslösen:

Bei „Simon“ und „Orts-Wahlreaktion“ reagierte G.H. langsamer und variabler mit der linken als der rechten Hand. Auffällig war eine okzipitale Bipolarität (links negativ, rechts positiv) 400–800ms nach Erscheinen eines rechten „A“, vermutlich ein Korrelat des Informationstransfers.

Bei „Eriksen“ waren G.H.s linke und rechte Reaktionen gleich schnell. Die linke Hand war durch störende Flankierreize weniger beeinflusst als die rechte; dazu passend induzierten Flankierreize übermäßige phasische EEG-Aktivierung über dem rechten Motorkortex. Überraschenderweise war G.H.s posteriore N100 auf alle Reize rechts schneller und größer als links; dies war möglicherweise die Ursache der Dominanz des rechten Motorkortex.

Schlussfolgerungen: EEG-Ableitungen über dem Motorkortex und Reaktionszeiten bildeten in der Tat gut die Problematik der fehlenden Kontrolle über die linke Hand ab. EEG-Ableitungen über dem visuellen Kortex zeigten unerwartete Restrukturierungsvorgänge: Informationstransfer und schnelleren Zugriff der rechten Hemisphäre auf visuelle Information.

Fig. 1