Psychother Psychosom Med Psychol 2006; 56 - A63
DOI: 10.1055/s-2006-934283

Zum Zusammenhang von Depersonalisation, sozialen Ängsten und Scham–Übersicht, empirische Befunde und Diskussion der klinischen Relevanz

M Michal 1, T Heidenreich 2, U Engelbach 3, C Lenz 4, G Overbeck 4, M Beutel 5, R Grabhorn 3
  • 1Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinik Mainz, Mainz
  • 2Institut für Klinische Psychologie, Universität Frankfurt/M., Frankfurt am Main
  • 3Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universität Frankfurt am Main, Frankurt am Main
  • 4Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main, Frankfurt am Main
  • 5Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Mainz

Paul Schilder hat 1938 als einer der Ersten das Störungsbild der sozialen Phobie (SP) ausführlich beschrieben [1,2] und dabei auf die enge Verbindung von sozialer Phobie und Depersonalisation (DP) hingewiesen. Neben phänomenologischen Überschneidungen (Autoskopie, Selbstbeobachtung) besteht eine tiefergehende Assoziation in der Bedeutung des Schamaffektes für die Genese beider Störungen [3]. Dennoch wurden diese in der älteren Literatur beschrieben Zusammenhänge von DP und SP sowie sozialen Ängsten allgemein weder in der neueren empirischen Literatur rezipiert noch entsprechend bei klinischen Studien berücksichtigt [3]. Ziel der vorliegenden Pilotstudie ist eine empirische Untersuchung dieser Zusammenhänge. In einer Stichprobe 100 konsekutiver Psychotherapiepatienten werden 45 Patienten mit pathologischer DP (DP-G) mit einer Gruppe von 55 Patienten ohne pathologische DP verglichen, erstens, hinsichtlich der klassifikatorischen Diagnostik, zweitens hinsichtlich des Ausmaßes sozialer Ängste (Soziale Interaktions-Angst-Skala, SIAS, Soziale Phobie-Skala, SPS [4]) und Schamempfindungen (Internalisierte-Scham-Skala, ISS [5]). In der DP-G wurde signifikant häufiger die Diagnose einer sozialen Phobie (Chi2=8,445, p=0,004) gestellt, das Ausmaß sozialer Ängste (SIAS 31,3±17,8 vs. 43,1±14,5, T=–3,572, p=0,001; SPS 21,3±16,2 vs. 35,8±13,7 T=–4,750, p<0,001) und Schamkognitionen (ISS, T=–4,036, p<0,001) war signifikant höher. Insbesondere Ängste vor zwischenmenschlicher Nähe, dem Blick des Anderen ausgesetzt zu sein, Minderwertigkeitsgefühle und Identitätsunsicherheit waren dabei auch nach Kontrolle für den GSI der SCL–90-R eng mit pathologischer DP assoziiert. Der Zusammenhang von DP mit sozialer Angst und insbesondere mit dem Störungsbild der sozialen Phobie sollte in weiteren Studien berücksichtigt werden. Unabhängig von dieser diagnostisch-klassifikatorischen Thematik, wird die Relevanz der DP und sozialer Ängste für den therapeutischen Prozess aufgezeigt.