Klin Monbl Augenheilkd 2005; 222 - D13
DOI: 10.1055/s-2005-922124

Zur Reproduzierbarkeit der Visusbestimmung bei normaler und geringer Sehschärfe

R Becker 1, G Teichler 1, M Gräf 1
  • 1Zentrum für Augenheilkunde, Universitätsklinik Gießen

Zusammenfassung: Nach Literaturangaben streuen die Ergebnisse wiederholter Visusbestimmungen nach derselben Methode bei geringem Visus stärker als bei gutem Visus. Wir haben diese Aussage überprüft.

Patienten und Methoden: 13 augengesunde Probanden und 100 Patienten mit unterschiedlichen Augenerkrankungen wurden mit den ETDRS 1- und ETDRS 2-Tafeln (Fa. Precision Vision) in systematisch variierter Reihenfolge untersucht (Prüfkriterium 3/5). Bei den Patienten wurde das Auge mit der geringeren Sehschärfe ausgewertet, bei den Augengesunden das rechte Auge. Falsche Antworten wurden im Sinne des „interpolated logMAR score“ berücksichtigt. Statistik zum Vergleich der Differenz zweier aufeinander folgender Visusbestimmungen bei geringem Visus und bei normalem Visus: t-Test für nichtverbundene Stichproben.

Ergebnisse: Der Visus betrug bei den Augengesunden 1,45 bzw. 1,38, in der Gesamtgruppe 0,29 bis 0,27. Die Differenzbeträge (in dekadisch logarithmisch abgestuften Zeilen±SD in Zeilen) zwischen den beiden Visuswerten betrugen bei den Augengesunden 0,51±0,4, in der Gesamtgruppe 0,63±0,5. Im Visusbereich unter 0,1 ergab sich in der Gesamtgruppe ein mittlerer Differenzbetrag von 0,72±0,4. Dieser Betrag unterschied sich nicht statistisch signifikant (p=0,17) von der Differenz bei den Augengesunden. Die lineare Regressionsanalyse (ETDRS 1– ETDRS 2 vs. ETDRS 1) ergab nur eine tendenzielle, geringfügige Zunahme der Differenz mit abnehmendem Visus (p=0,0505). Der Korrelationskoeffizient r=0,18 zeigt die relativ starke Streuung dieser Differenz.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zweier aufeinander folgender Visusbestimmungen unterscheiden sich bei geringer Sehschärfe nicht wesentlich mehr als bei Augengesunden. Die Annahme, dass Visuswerte bei geringer Sehschärfe prinzipiell wesentlich schlechter reproduzierbar wären als bei guter Sehschärfe, kann damit nicht bestätigt werden. Bei einem größeren Zeitintervall zwischen den Visusbestimmungen sind erkrankungsabhängige Veränderungen des Visus selbstverständlich möglich.