Geburtshilfe Frauenheilkd 2005; 65(3): 256-265
DOI: 10.1055/s-2004-830498
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Einstellungen zur Vereinbarkeit von Familie und weiblicher Berufstätigkeit und Schwangerschaftsabbruch in den alten und neuen Bundesländern im Vergleich

Attitudes Towards the Family, Female Professional Work and Abortion in East and West Germany: A Comparative StudyY. Stöbel-Richter1 , E. Brähler1
  • 1Selbstständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig
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Eingang Manuskript: 30.9.2002 Eingang revidiertes Manuskript: 3.11.2004

Akzeptiert: 4.11.2004

Publication Date:
24 March 2005 (online)

Zusammenfassung

Der folgende Artikel gibt einen Überblick über wichtige Aspekte unterschiedlicher Einstellungen zu Familienindikatoren und fokussiert dabei besonders die divergierenden Bewertungen der Themen Schwangerschaftsabbruch und Vereinbarkeit von Kindererziehung und Berufstätigkeit. Die Auswertung basiert auf Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) aus dem Jahr 2000. Diese basierte auf dem Ziel, sozialen Wandel - oder auch Konstanz - in unterschiedlichen Schwerpunktbereichen darzustellen.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Einstellungen zu den Themen Familie, Berufstätigkeit und Schwangerschaftsabbruch nach wie vor gravierend unterscheiden. In den neuen Bundesländern ist es viel selbstverständlicher, dass Familie und Berufstätigkeit miteinander vereinbart werden, als in den alten Bundesländern. Befragt nach der Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch geben 70 % der Ostdeutschen, aber nur 38 % der Westdeutschen an, diesen weniger bzw. überhaupt nicht schlimm zu finden. Ähnliche Differenzen werden bei der Frage, ob Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich gesetzlich möglich sein sollte, deutlich.

Was bei der Interpretation der Ergebnisse auffällt, ist die in vielen Aspekten traditionellere Haltung vor allem der Männer in den alten Bundesländern; hierfür können sowohl eine unterschiedliche Sozialisation, aber auch differente soziostrukturelle Gegebenheiten als Erklärung dienen.

In den neuen Bundesländern fallen bei der Bewertung der Items sehr stark gesellschaftliche Bedingungen und ökonomische Defizite ins Gewicht. Dies zeigt sich auch in einer starken Ambivalenz zwischen idealer Lebensweise und Kinderzahl und deren Realisierung. Im Gegensatz dazu existiert in den alten Bundesländern ein eher homogenes Einstellungsbild zu Zukunftsaussichten und dem Wunsch, in einer Familie zu leben.

Abstract

Existing differences between East and West Germany could still be observed in 2000, which are also evident when considering the differencies in certain attitudes towards the family. This article explores the compatibility of a family and a career and the attitudes towards abortion. The analysis is based on the data collected by ALLBUS in 2000 and aims to explore social changes or the lack of them in Germany since 1990. Results show that there are still enormous differences with regard to the attitudes towards family, employment and abortion. In East Germany, family and career are combined by women as a matter of course to a far greater degree than in West Germany. Asked about their attitude towards abortion, 70 % of the respondents in the newly formed German states, but only 38 % in West Germany considered it a less serious matter or not serious at all. Similar differences were found when considering the question whether abortion should be legally permitted. To interprete these results the different socialisation in East and West Germany as well as different social and structural conditions have to be considered.

In the newly formed German states social conditions and economic deficits carry a lot of weight in the evaluation. This can also be observed in the strong ambivalence between an ideal life and family and their realisation. In West Germany, a more homogeneous estimate of future prospects and the wish to live in a family are found instead.

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Yve Stöbel-Richter
Elmar Brähler

Selbstständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig

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04103 Leipzig

Email: yve.stoebel-richter@medizin.uni-leipzig.de

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