Gesundheitswesen 2004; 66: 71-79
DOI: 10.1055/s-2004-812710
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Risikoverhalten im Umgang mit Suchtmitteln - Daten und Einblicke in die Behandlung

Risk Behaviour in Association with Addictive Drugs - Data and Insights on TreatmentJ. Böning1
  • 1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg
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Publication Date:
21 September 2005 (online)

Zusammenfassung

Etwa ein Drittel der volkswirtschaftlichen Kosten, die in den höher entwickelten Industrieländern durch Tod, Krankheit und Lebensqualitätseinbußen entstehen, werden von den „Umweltgiften” Nikotin, Alkohol und Fehlernährung verursacht. In Deutschland sterben jährlich 142 000 Menschen an tabakassoziierten Folgeerkrankungen, 73 000 an den direkten und indirekten Folgen eines schädlichen Alkoholgebrauchs und ein dazwischen liegender Anteil mehrheitlich adipöser Menschen an den daraus resultierenden Folgeerkrankungen.

Diese Risikotrias, die jeder Bürger durch sein eigenes Verhalten bzw. Fehlverhalten maßgeblich mitbestimmt, wird durch eine marktwirtschaftlich sanktionierte Suchtmittelpolitik der gewinnträchtigen Megamärkte der Tabak-, Alkohol- und Fastfoodindustrie noch verschärft. Deshalb können eine auf Eigenverantwortung und Solidarität basierende gesundheitsorientierte Suchtpolitik sowie eine flächendeckende Primärprävention im Rahmen früher Sozialisationsinstanzen nur begrenzt wirksam sein.

Trotzdem haben sich standardisierte therapeutische Kurzinterventionen bei schädlichem Alkohol- und Nikotingebrauch, der qualifizierte Entzug bei Abhängigkeitserkrankungen sowie eine viel zu wenig genutzte, inzwischen zeit- und kostenoptimierte Entwöhnungsbehandlung als bevölkerungswirksam und effektiv erwiesen. Flächendeckend etablierte ambulante Raucherentwöhnungsprogramme sind von besonderer Bedeutung, da bei stetig sinkendem Erstkontakt Nikotin als die „Einstiegsdroge” mit dem stärksten Suchtpotenzial unter allen legalisierten wie „illegalen” Drogen gilt. Im Kanon einer mittlerweile weltweit (nur noch nicht in Deutschland) in Gang gekommenen Suchtmittelkontrollpolitik wird man zukünftig auch eine gesundheitsorientierte Suchtpolitik gestalten können, die insbesondere auch suchtökonomische Aspekte für das Gemeinwohl wie für den Staatshaushalt beinhaltet.

Abstract

About one third of the economical costs, which are due to death, sickness and life quality deficits in higher developed industrial countries, are caused by pollutants such as nicotine, alcohol and false eating habits. Within a period of one year 183,000 people in Germany die on tobacco associated sickness effects, 73,000 on direct or indirect aftermaths of alcohol usage and a proportional amount of mostly adipoptic people on the hereof resulting sickness effects.

These risk trias, decided by every person mainly for himself by his own behaviour or misbehaviour, are even aggravated by the free enterprise sanctioned drug politics of the highly profitable mega markets of the tobacco-, alcohol- and fast-food-industry.

Health orientated drug politic, which is based on independence and solidarity and an exhaustive primary prevention within the scope of early nationalization authorities can therefore only have a limited effect.

Even though, standardized, therapeutic short interventions used by hazardous alcohol- and drug usage, the qualified detoxification on addiction illness and an way to little used meanwhile time- and cost optimized withdrawal treatment have been proven to be quite effective. Exhaustive established ambulant smoking-withdrawal treatment programs are of special importance, because with continuously sinking of first contact, nicotine is know to be the „gate way drug” with the strongest addiction potential among all legalized and non-legalized drugs.

In canon of mean while worldwide (except for Germany) started drug-control politics one will be able to start a health orientated drug politic in the future, which is including especially the drug economic aspects for the benefit of all as well as for the national budgets.

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Prof. Dr. med. Jobst Böning

Leiter Klinische Suchtmedizin, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Füchsleinstraße 15

97080 Würzburg

Email: boening@mail.uni-wuerzburg.de

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