Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003; 38(12): 745-746
DOI: 10.1055/s-2003-45405
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zur Sprache in unserem Fachgebiet

Concerning the Language in our DisciplineH.  A.  Adams1 , B.  Panning1
  • 1Anästhesiologie II der Medizinischen Hochschule Hannover im Klinikum Oststadt, Hannover
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Publication Date:
10 December 2003 (online)

Im vorliegenden Heft finden sich die Leserbriefe von H. Bause [3] und H. Böhrer [4], die sich mit der Einleitung des nicht-nüchternen Patienten befassen. Die Antwort von F. J. Kretz und C. Krier [6] ist durchaus ausführlich und zielt auf allgemeine Aspekte, denen hier einmal nachgegangen werden soll.

Zunächst zum Stein des Anstoßes. H. Böhrer bemängelt im Zusammenhang mit der Narkoseeinleitung des nicht-nüchternen Patienten den Begriff „Crush”, den er durch „Crash” ersetzt sehen will. „Crush” bedeute Zermalmung oder Zerquetschung, während „Crash” eine schnelle Abfolge mit dramatischer Komponente beschreibe. Ein Blick in Langenscheidts-Taschenwörterbuch Englisch [7] belegt die erste Aussage mit Verben wie „zerquetschen”, „zermalmen” und „zerdrücken”; aber auch mit „niederwerfen” und „unterdrücken”. Mit diesen unschönen Assoziationen wäre die „Crush Induction” also erledigt; denn es geht ja nicht um Gewaltanwendung, sondern um Geschwindigkeit. Allerdings führt auch der Begriff „Crash” nicht weiter. Hier übersetzt das Wörterbuch mit „zertrümmern”, „zerschmettern”, „(krachend) zerbersten” sowie „hereinplatzen” und „verunglücken”. Weiter wird auf Zusammenstoß sowie Flugzeug- und Computerabsturz hingewiesen. Damit erscheint auch dieser Begriff nicht geeignet, obwohl der in Rede stehende Vorgang durchaus unfallträchtig ist. Treffender wäre da schon die von H. Bause zitierte „rapid sequence induction”, die „Schnellabfolge-Einleitung”.

Es erhebt sich die Frage nach der Notwendigkeit eines englischen Begriffes, da es auch deutsche Äqivalente, etwa die von H. Bause ebenfalls benutzte „Ileuseinleitung”, gibt. Nun leidet aber nicht jeder nicht-nüchterne Patient an einem Ileus, und eine Patientin zur Sectio ist damit auch nicht beschrieben. Es drängt sich der Begriff „Blitzeinleitung” auf, der genau das beschreibt, worauf es ankommt. Die Einleitung soll lediglich schnell - eben blitzartig - erfolgen; es bedarf keiner Gewalt, und es muss weder etwas zermalmt oder zerschmettert noch ein Absturz oder Zusammenstoß herbeigeführt werden. Um einem erwartbaren Einwand vorzugreifen: Es geht hier nicht nur um die Intubation, sondern um den gesamten Vorgang der Einleitung beginnend mit der Medikamenten-Applikation; daher kann es nicht „Blitzintubation” heißen.

Es ist trostreich, gerade in der englischsprachigen Literatur Unterstützung für diese Auffassung zu finden. R. K. Baumgarten bezeichnet in einem Leserbrief in „Anesthesia and Analgesia” [2] den Begriff „rapid sequence” als „rather awkward” (ziemlich linkisch), während „crash” (er spricht nicht von „crush”) das Fehlen von Planung und Kontrolle impliziere. In bewusster Analogie zu „blitzkrieg” spricht er sich für „’blitz’ intubation” und „’blitz’ induction” aus; dies nicht ohne Hinweis darauf, dass dies seine persönliche Meinung sei und nicht die der US Army oder des „Department of Defense” (vermutlich handelt es sich bei dem Autor um einen in Deutschland eingesetzten US-amerikanischen Sanitätsoffizier).

Der weite und oftmals unreflektierte Gebrauch der englischen Sprache - als weitere Beispiele seien „Sedation” (durchaus Deutsch ausgesprochen) für „Sedierung” und „Figur” für „Abbildung” genannt - wird nicht nur in unserem Fachgebiet beklagt. In Heft 10/2003 der Zeitschrift „Forschung und Lehre”, herausgegeben im Auftrag des Präsidiums des Deutschen Hochschulverbandes, befassen sich mehrere Beiträge mit diesem Phänomen. G. Uerding weist auf einen angloamerikanischen „Cultural Imperialism” mit handfesten ökonomischen und politischen Interessen hin, während A. Schavan gegen beliebige Entlehnungen und für den Gebrauch geeigneter deutscher Wörter plädiert, und F. Pleitgen die deutsche Sprache für stark und widerspenstig genug hält, sich der Überfremdung zu erwehren oder fremdsprachige Wörter zu integrieren [10]. J. Limbach [5] weist darauf hin, dass sich, wer wissenschaftlich wahrgenommen werden will, des Englischen bedienen muss; daneben fordert sie aber gerade die Wissenschaftler auf, den Gebrauch des Deutschen nicht zu vernachlässigen, deutsch zu publizieren und im Inland zu referieren, um Deutsch auch als Fachsprache weiter zu entwickeln. Gegensätzliche Positionen vertreten P. Schlobinski [8] und G. Schrammen [9]. P. Schlobinski sieht in den Anglizismen keine Gefahr; er weist darauf hin, dass seit 1945 allenfalls 3.500 englische Worte in den deutschen Sprachschatz aufgenommen wurden (Anmerkung der Autoren: Die 22. Auflage des „Duden” enthält über 120 000 Stichwörter; demnach sind dies knapp 3 %) und Sprache ein wichtiges Element der Demokratie sei. Für G. Schrammen ist Englisch zwar die weltweit anerkannte und international verbindliche Wissenschaftssprache, aber die deutsche Sprache sterbe jedesmal einen kleinen Tod, wenn Junggeselle, Kundendienst, Börsenkrach oder Schalter durch Single, Service, Crash und Counter ersetzt werden (wobei hier wiederum der „Crash” im negativen Sinne auftaucht) - Liebe zur Muttersprache und Bereitschaft, sie zu pflegen und zu schützen, sei in Deutschland (wohl auch aus Gründen der jüngeren Geschichte) nur schwach ausgebildet.

Zurück zur Anästhesiologie. Wie oben gezeigt, können deutsche Begriffe durchaus geeignet sein, einen Sachverhalt prägnant darzulegen. Andererseits kann es nicht darum gehen, jedes Fremdwort zu vermeiden. Ist „Monitoring” überhaupt ein englischer Begriff, oder ist er nicht vielmehr aus dem Lateinischen über das Englische auf uns gekommen? Aber müssen „Outcome” und „Benefit” denn sein; geht es nicht mit „Ergebnis” und „Nutzen”? Dagegen drängt sich für „Score” kein deutscher Begriff auf, auch wenn es um eine Einschätzung geht, womit dann wenigstens das Verb gerettet wäre und „scoren” oder „gescort” vermeidbar sind. Es wird auch hier ein Mittelweg gefunden werden müssen, und Vollkommenheit ist nicht zu erhoffen. So ist auch F. J. Kretz und C. Krier zuzustimmen, die eher resignierend nach „Nur einmal Vollendung” fragen [6]; es wird sie nicht geben. Und einen der beiden Unterzeichner trifft es dann direkt, wenn zu Recht ein von ihm mit herausgegebenes Werk [1] erwähnt wird, wo in den entsprechenden Hauptkapiteln „Sicherung der Atemwege” und „Viszeralchirurgie” zwar korrekt von „Blitz-Einleitung” (hier mit Bindestrich; aber das müsste getrennt diskutiert werden) die Rede ist, aber hier und dort auch noch der „Crash” vorkommt - dies ebenso wie „sollte” statt „soll”, wo doch der Konjunktiv in einem Lehrbuch kaum etwas verloren hat. Das liegt dann am individuellen Zugang der Korrektur lesenden Herausgeber.

Die Sprache in unserem Fachgebiet wird jedoch nicht nur von (englischen) Fremdwörtern belastet, viel schlimmer und gefährlicher ist die innere Bedrohung und Verrohung. Sprache ist der entscheidende Ausdruck der inneren Grundhaltung und damit der Einstellung zum Nächsten - und unser Nächster ist der Patient. Ihn als Diabetiker zu bezeichnen, geht noch an und flott von der Zunge. Muss oder darf es aber das Polytrauma, der Epileptiker und der Alkoholiker sein? Wäre nicht besser von Patienten mit Polytrauma, Epilepsie oder Alkohol-Abhängigkeit die Rede, statt diesen - wenn auch eher harmlosen - Jargon zu verwenden? Zum Jargon zählen auch entsprechende Stereotype etwa bei der morgendlichen Übergabe, dass „die Niere gepflegt werden muss”, einem Patienten im kardialen Schock „Supra angeboten wurde” oder er „drei EK gesehen hat”. Die Diurese zu fördern trifft es doch genauer; Adrenalin wird nicht angeboten, sondern vom Patienten benötigt, wobei er in der Regel eben nicht die Wahl hat; und Erythrozytenkonzentrate werden nicht nur gesehen, sondern geradezu transfundiert. Und im Rettungsdienst wird allerorten der „Bodycheck” propagiert, obwohl es um die Erstuntersuchung des Notfallpatienten und gerade nicht um das Anrempeln beim Eishockey geht.

Der Übergang vom Jargon zur sprachlichen Herabwürdigung des Patienten als Sache oder Last ist schleichend. Das Ende der schiefen Bahn ist erreicht, wenn ein Patient in der Klinik „abgekippt” und danach auf eine Station „verklappt” wird, „gegrillt” statt defibrilliert oder „aufgerissen” statt laparotomiert wird. Das ist mehr als Jargon, sondern eine bedauerliche Ausgebranntheit oder - schlimmer - Rohheit, die traurige Rückschlüsse auf die Grundhaltung des Betreffenden nahelegt und nicht hingenommen werden darf. Jüngeren Kollegen sei zugute gehalten, dass sie solche Begriffe als Eintrittskarte in die Welt der Etablierten ansehen, dies oft verbunden mit der Suche nach dem vermeintlich Nähe und Vertrauen schaffenden „Du”.

Unsere Sprache ist ein wertvolles Gut, sei es im Schrifttum oder im täglichen Umgang. Diese Herausforderung muss jeder Arzt - hier ist der Arzt im vollen Wortsinn und nicht der Mediziner gemeint - erkennen, in unserem Fachgebiet ebenso gut wie in anderen Bereichen, die sich zur „sprechenden” Medizin zählen.

Literatur

  • 1 Kochs E, Krier C, Buzello W, Adams HA (Hrsg) Anästhesiologie. Thieme Stuttgart; 2001
  • 2 Baumgarten R K. Blitz Intubation - A Useful Synonym.  Anesth Analg. 1987;  66 1050
  • 3 Bause H. Leserbrief zu F. J. Kretz, C. Krier: Ein nicht ganz nüchternes Kind kommt zur Narkose... Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003 38: 805
  • 4 Böhrer H. Leserbrief zu F. J. Kretz, C. Krier: Ein nicht ganz nüchternes Kind kommt zur Narkose... Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003 38: 805
  • 5 Limbach J. Die Freude an der deutschen Sprache beleben. Fragen an die Vorsitzende des deutschen Sprachrates.  Forschung und Lehre. 2003;  10 534-535
  • 6 Kretz F J, Krier C. Stellungnahme. Nur einmal Vollendung. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2003 38
  • 7 Langenscheidts Taschenwörterbuch Englisch. Neubearbeitung 1998 in der neuen deutschen Rechtschreibung LexiROM© 1995 - 1999. Microsoft Corporation und Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG
  • 8 Schlobinski P. Die Jagd auf Fremdwörter. Angliszismen sind keine Gefahr für die deutsche Sprache.  Forschung und Lehre. 2003;  10 536-537
  • 9 Schrammen G. Brauchen wir englische Wörter? Ein Plädoyer für den Gebrauch der deutschen Sprache.  Forschung und Lehre. 2003;  10 538-539
  • 10 Sprachverfall oder Sprachreichtum?. Droht der deutschen Sprache der Verfall Forschung und Lehre 2003 10: 532-533

Prof. Dr. med. H. A. Adams

Anästhesiologie II der Medizinischen Hochschule Hannover im Klinikum Hannover Oststadt

Podbielskistr. 380

30659 Hannover

Email: adams.ha@mh-hannover.de

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