Gesundheitswesen 2022; 84(08/09): 722
DOI: 10.1055/s-0042-1753612
Abstracts | DGSMP/DGMS
Vorträge
Thema: Gesundheit von Menschen mit Beeinträchtigungen

Medizinische Zentren für Erwachsene mit geistiger oder mehrfacher Behinderung (MZEB) als Orte sozialmedizinischer Versorgung

C Weiß
,
J Stucke
,
C Thienel
,
M Fier
,
K Ottersbach
,
T Meyer
 

Einleitung Die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung verläuft trotz der 2009 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention häufig nicht bedarfsgerecht. Seit 2015 besteht die Möglichkeit für Erwachsene, sich ambulant in Medizinischen Zentren für Erwachsene mit geistigen oder mehrfachen Behinderungen (MZEB) versorgen zu lassen (§119c Abs. 1, SGB V). Mittlerweile haben deutschlandweit mehr als 50 MZEB ihre Arbeit aufgenommen.

Das Projekt untersucht die aktuelle ambulante medizinische Versorgung sowie Veränderungen dieser im Zuge der Einführung der MZEB aus Sicht der Nutzer*innen und Versorgenden. Ziel des Beitrages ist die Herausarbeitung der sozialmedizinischen Rolle, die ein MZEB innerhalb der ambulanten medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderung einnehmen kann.

Methoden Im Rahmen des Projekts wurden leitfadengestützten Interviews (n=66) mit Patient*innen und Angehörigen vor bzw. während der Nutzung eines von zwei MZEB, sowie Gruppendiskussionen (n=3) und Expert*inneninterviews (n=12) mit Versorgenden durchgeführt. Die Interviews wurden fallorientiert inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Gruppendiskussionen wurden sequenzanalytisch aufbereitet. Außerdem fanden in beiden MZEB teilnehmende Beobachtungen statt.

Ergebnisse Die Leistungen der MZEB sind durch die vielfältigen Bedarfe der Patient*innen breit gefächert. Sie erstrecken sich weit in sozialmedizinische Handlungsfelder und bilden Schnittstellen zu Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Die beiden untersuchten MZEB unterscheiden sich hinsichtlich ihres Schwerpunkts, der Größe und der Historie erheblich. Das angebotene Leistungsspektrum hängt maßgeblich von der Ausgestaltung der jeweils bundeslandspezifischen Verträge ab.

Die Nutzungsmuster der Betroffenen reichen von einmaliger Konsultation bis zu langfristiger Inanspruchnahme, von gezielter Nachfrage einzelner Leistungen bis zu umfassender Beratung und Begleitung, von der Etablierung als Hauptansprechpartner*innen bis zur punktuellen Nutzung als Zusatzangebot. Aus Sicht der Versorgenden handelt es sich bei den Einrichtungen v.a. um „Inseln“ der Spezialisierung, in denen „Vorreiter“ Pionierarbeit leisten. Sie sehen sich als Lots*innen, die Hausärzt*innen bei der Versorgung von Patient*innen mit komplexen Bedarfen entlasten können. Aus den beobachteten Konsultationen wurde deutlich, dass neben spezialisierten fachlichen Themen (bspw. im Rahmen der Hilfsmittelversorgung bei komplexen Bedarfen) eine sozialmedizinische Perspektive praktiziert wird.

Schlussfolgerung Für die Nutzer*innen geht es bei der Inanspruchnahme von ambulanter Versorgung im MZEB neben bedarfsgerechter Versorgung ihrer behinderungsbedingt komplexen Bedarfe ganz zentral um Aspekte der Teilhabe in verschiedensten Feldern. Diese sozialmedizinischen Handlungsfelder beziehen sich auf die Wohnsituation ebenso wie auf die Ausbildung und Beschäftigung bzw. im Alltag notwendige Unterstützung. MZEB leisten in diesem Rahmen einen unverzichtbaren Beitrag.



Publication History

Article published online:
22 August 2022

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