Geburtshilfe Frauenheilkd 2018; 78(06): A67
DOI: 10.1055/s-0038-1660661
Postersession: Samstag, 9. Juni 2018: 10.30 – 11.30 Uhr, Foyer
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Inwieweit werden „Choosing Wisely“ Kriterien bereits in der geburtshilflichen Praxis berücksichtigt?

L Schradin
1   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Mutter-Kind Zentrum der Philipps-Universität Marburg, Clara Angela Fondation Witten-Berlin
,
N Timmesfeld
1   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Mutter-Kind Zentrum der Philipps-Universität Marburg, Clara Angela Fondation Witten-Berlin
,
B Misselwitz
1   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Mutter-Kind Zentrum der Philipps-Universität Marburg, Clara Angela Fondation Witten-Berlin
,
B Arabin
1   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Mutter-Kind Zentrum der Philipps-Universität Marburg, Clara Angela Fondation Witten-Berlin
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Publication History

Publication Date:
06 June 2018 (online)

 

Zielsetzung:

Die „Choosing Wisely“-Initiative der ABIM Fundation in den USA wurde in Deutschland durch die Qualitätsoffensive „Gemeinsam klug entscheiden“ der AWMF übersetzt. Die Society of Maternal Fetal Medicine hat bereits evidenzbasierte „Choosing Wisely“ Empfehlungen definiert, deren Einführung auch für Deutschland im Ärzteblatt diskutiert, aber noch nicht verwirklicht wurde. Mit unserer Untersuchung anhand der Hessischen Perinatalerhebung ermitteln wir, inwieweit Negativkriterien für sinnlose Maßnahmen auch umgesetzt wurden.

Methoden:

Die Hessische Perinatalerhebung wurde von 2000 bis 2015 auf Maßnahmen untersucht, die nicht mehr der Evidenzlage entsprechen, darunter Sektioraten (mit relativer Indikation), Oxytocinbelastungstest, iv-Tokolyse > 48 Stunden oder bei Blasensprung, orale Tokolyse, (wiederholte) Gaben von Corticosteroiden zur Lungenreifeinduktion, Cerclagen bei Mehrlinsgravidität.

Resultate:

Von 2000 bis 2015 wurden 805 538 Schwangerschaften und Geburten, davon 252 321 (31,3%) Kaiserschnitte erfasst; die Rate stieg von 23,4% (2000) auf 33,2% (2015) (p < 0,001). Die Anwendung von Oxytocinbelastungstesten sank von 11,3% auf 2,0% (p < 0,001). Raten aller Patienten mit iv-Tokolyse sanken von 4,5% auf 2,5% (p < 0,001). Allerdings war kein Rückgang von i.v.-Tokolysen > 48 Stunden erkennbar: 68,7% (2000) und 69,1% (2015) (NS). Kontrovers zu internationalen Richtlinien wurden bei vorzeitigem Blasensprung < 34 SSW iv-Tokolysen in 49,4% (2000) und sogar in 57,4% (2015) ausgeführt, der Anteil oraler Tokolysen sank von 5,5% auf 0,7% (p < 0,001). Corticosteroide wurden in 4,5% (2000) und 4,9% (2015) appliziert, allerdings noch in 3,5% und 3,0% bei > 34 SSW. Cerclagen wurden generell in 1,1% (2000) und 0,6% (2015) appliziert, davon kontrovers zu internationalen Richtlinien bei Mehrlingsschwangerschaft noch in 8,6% (2000) und 5% (2015).

Diskussion:

Unsere Ergebnisse zeigen, dass „Choosing-Wisely“ Kriterien – auch wurden sie nicht expliziert definiert – als evidenzbasierte Negativkriterien bereits bedingt Eingang in die Praxis gefunden haben. Besorgniserregend und diskrepant mit den WHO Kriterien sind nicht nur hierzulande die steigenden Sektioraten. Die Auswertung unserer Online Befragung von jungen Assistenzärzten unterstützt die Hypothese, dass ein positiver zeitlicher Trend in Bezug auf die Umsetzung einiger Inhalte der „Choosing Wisely Kriterien“ in der Prä- und Perinatalmedizin erkennbar ist.