Gesundheitswesen 2017; 79(08/09): 656-804
DOI: 10.1055/s-0037-1605691
Vorträge
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Vieles ist anders, als bei Menschen, die hier dauerhaft leben“ – Grenzen der Palliativversorgung von Menschen mit Migrationsgeschichte

C Banse
1   Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Palliativmedizin, Goettingen
,
S Owusu-Boakye
1   Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Palliativmedizin, Goettingen
,
F Schade
1   Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Palliativmedizin, Goettingen
,
G Marx
1   Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Palliativmedizin, Goettingen
,
F Nauck
1   Universitätsmedizin Göttingen, Klinik für Palliativmedizin, Goettingen
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
01 September 2017 (online)

 

Einleitung:

Die Palliativversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchteten in Deutschland wird in Studien als hindernisreich beschrieben. In der Medizin findet bisher kaum eine Reflexion über soziale und politische Grenzziehungen, die die Patientenversorgung beeinflussen, statt. In einem Forschungsprojekt über die Versorgung von unheilbar erkrankten Menschen mit Migrationshintergrund wird u.a. der Einfluss von multiplen Grenzen in der klinischen Versorgung untersucht.

Methodik:

Qualitatives Studiendesign; Narrative Interviews mit 20 Patienten mit Migrationsgeschichte und mit 20 Versorgern (Ärzten, Pflegenden) aus der (spezialisierten) Palliativversorgung und mit Erfahrung in der Begleitung von schwer erkrankten Menschen mit Migrationshintergrund. Auswertung des Datenmaterials mit der Grounded Theory.

Ergebnisse:

Versorger streben die Berücksichtigung der individuellen Situation der erkrankten Menschen mit Migrationshintergrund an. Patienten erleben mit der Überquerung der Staatsgrenze zahlreiche Grenzen: neben den medizinischen Herausforderungen den unsicheren Aufenthaltsstatus, Sprachbarrieren, finanzielle Unklarheiten, Ausgrenzung und Statusverlust. Betroffene und Behandelnde erfahren eine Vielzahl an Schnittstellenproblemen zwischen Politik und Recht, medizinischer und sozialer Betreuung, Sprachvermittlung und Sterbebegleitung.

Schlussfolgerungen:

Migrationsspezifische Aspekte, vor allem politisch-rechtliche aber auch institutionelle Grenzziehungen, können die Versorgung nachhaltig beeinflussen. Versorgende, die Menschen mit Migrationshintergrund bis zum Lebensende betreuen haben in diesem Zusammenhang oft das Gefühl, dass sie nicht so (be-)handeln können, wie sie wollen. Das kann zu Konflikten führen. Konzepte der Grenzforschung, die auf Kontingenz und Wirkung von Grenzziehungen abheben, können bei der Deutung von Grenzziehungsprozessen und ihren Folgen helfen.