Gesundheitswesen 2014; 76 - A130
DOI: 10.1055/s-0034-1386980

Strategien und Hürden zur aktiven Nachfrage bei häuslicher Gewalt – Ergebnisse einer Befragung bei der ersten allgemeinen Pflichtfortbildung an einem Universitätsklinikum in Deutschland

S Oertelt-Prigione 1, S Jenner 1, S Etzold 1, L Oesterhelweg 1, A Stickel 1, C Kurmeyer 1, D Reinemann 1
  • 1Charité – Universitätsmedizin, Berlin

Einleitung: Häusliche Gewalt (HG) stellt weltweit eine der relevantesten Ursachen für akute und chronische Morbidität dar, wie die WHO multi-country study belegen konnte. Nach dieser Erhebung erfahren 15 bis 75% aller Frauen im Laufe ihres Lebens Gewalt in Paarbeziehungen (Garcia-Moreno, Jansen, Ellsberg, Heise, & Watts, 2006), besonders in der Gruppe der jungen Frauen stellen Gewalterfahrungen die häufigste Morbiditätsursache dar. Obwohl der erste und bevorzugte Kontakt mit dem Gesundheitswesen häufig über ärztliches Personal stattfindet, ist besonders diese Berufsgruppe nicht adäquat geschult im Umgang mit Betroffenen, da das Thema im Rahmen der Ausbildung und Weiterbildung nicht ausführlich behandelt wird.

Methodik: Ein eineinhalbstündiges Pflichttraining mit Fokus auf Kommunikation und rechtssichere Dokumentation wurde an dem größten deutschen Universitätsklinikum etabliert. Literatur und Fortbildungsmaterialien, sowie institutionelle Anlaufstellen und Dokumentationshilfen wurden in Papierform und elektronisch zur Verfügung gestellt. Alle Teilnehmer*innen wurden eingeladen Fragebögen vor und nach dem Training auszufüllen, bzw. Nach 6 bis 18 Monaten. Desckriptive Statistiken, univariate und multivariate Modelle wurden erstellt zur Identifikation von fördernden Maßnahmen und Hürden bei der aktiven Nachfrage zu Erfahrungen mir HG.

Ergebnisse: 825 Mitarbeiter*innen nahmen an den Schulungen teil und 91% füllten die Fragebögen vor dem Training aus. Nur 23% aller Teilnehmenden hatte jemals im Laufe der medizinischen Ausbildung Lehrveranstaltungen oder Fortbildungen zum Thema HG besucht. Aktive Nachfrage Raten waren gering (14%), obwohl die Wichtigkeit des Themas von allen Teilnehmenden bestätigt wurde (90%). Erfahrung, Fortbildungsteilnahme und subjektive Sicherheit beim Nachfragen waren in der multivariaten Analyse die signifikantesten Prädiktoren aktiver Nachfrage. Strukturelle Aspekte, wie Zeitmangel, Sprachbarrieren und der Mangel an adäquaten Räumlichkeiten wurden als primäre Hürden zur aktiven Nachfrage identifiziert.

Schlussfolgerung: Unsere Studie identifiziert Erfahrung und subjektive Sicherheit im Umgang mit dem Thema als essentielle Grundlagen für die aktive Nachfrage. Da selbst kurze Fortbildungen zu einer Zunahme in empfundener Umgangssicherheit und der Anzahl aktiver Nachfragen führten, plädieren wir für die Implementierung von Aus- und Weiterbildungsangeboten zum Umgang mit Betroffenen HG in der medizinischen und postgradualen Pflichtausbildung. Weiterhin, sollten strukturelle Barrieren innerhalb der Institutionen weitestgehend beseitigt werden, um die Versorgung von Betroffenen zu optimieren.