Zentralbl Chir 2013; 138(2): e5-e7
DOI: 10.1055/s-0032-1328217
Kongressnachlese
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

13. Chirurgisches Erzgebirgssymposium – Etabliertes klinisch-chirurgisches Expertenforum für die Praxis mit überregionaler Ausstrahlung (eine Nachlese)

13th Surgical Erzgebirge Surgical Symposium – Established Clinical-Surgical Expert Forum for Practice with Transregional Charisma (A Selection)
R. Albrecht
1   Klinik für Viszeral- und Gefäßchirurgie, HELIOS-Klinikum Aue, Aue, Deutschland
,
L. Meyer
2   Klinik für Allgemeinchirurgie, HELIOS Vogtlandklinikum Plauen, Plauen, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
05 April 2013 (online)

Vom 30.–31. März 2012 fand in Oberwiesenthal das nunmehr 13. Chirurgische Erzgebirgssymposium statt. Diese traditionsreiche Veranstaltung hat ihren Ursprung in einem zufälligen Zusammentreffen von Herrn Dr. M. Mory (ehemaliger Chefarzt der Klinik für Chirurgie des Kreiskrankenhauses Zschopau) und Herrn PD Dr. R. Albrecht (Chefarzt der Klinik für Viszeral- und Gefäßchirurgie HELIOS Klinikum Aue) im Herbst 1999. Beide entwickelten die Idee, ein Symposium für die mitteldeutsche Region zu etablieren, auf dem man Erfahrungen austauschen und diese mit dem aktuellen Stand der chirurgischen Wissenschaft abgleichen kann.

Seit dem 1. Symposium steht diese Veranstaltung unter dem Motto „Von der Praxis für die Praxis“. Von Anfang an erfreute sich das Symposium in den mitteldeutschen Ländern einer großen Akzeptanz (2012: 150 Teilnehmer). Dies ist vor allem auch den Referenten zu danken, die bei den gesetzten Vorträgen immer bereit waren, ihre neuesten, sehr praxisrelevanten Erfahrungen darzulegen.

Hauptanliegen des Symposiums war und ist es, die interkollegiale und interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern und die Diskussion über viszeralmedizinische Themen konstruktiv voranzubringen. Aus diesem Grund wurden und werden Ergebnisse der Versorgungsforschung in den Mittelpunkt des Interesses gerückt [1]. Damit reiht sich das Symposium in eine Reihe wissenschaftlicher Veranstaltungen Mitteldeutschlands mit ähnlicher Zielsetzung und Zielgruppe ein [2], [3], [4].

Herr Dr. M. Mory gestaltete diese Symposien bis in das Jahr 2011 aktiv mit und verabschiedete sich in den Ruhestand. Er fungiert seitdem als Ehrenpräsident. Neuer Partner von Herrn PD Dr. R. Albrecht ist seit 2012 Herr Dr. L. Meyer, Plauen.

Das Leitthema des diesjährigen Erzgebirgssymposiums war: „Spannungsfelder in der Chirurgie – Erfahrungen und Entwicklung“. Damit sollte der interdisziplinären Zusammenarbeit Rechnung getragen und vor allem auf die knappen ökonomischen und personellen Ressourcen aufmerksam gemacht werden. Unter der Darstellung verschiedener Krankheitsbilder sollten die Möglichkeiten der Entscheidungsfindung kritisch hinterfragt und diskutiert werden. Folgende Spannungsfelder wurden zu Hauptthemen gewählt:

  • kleines Becken,

  • Chirurgie des Abdomens,

  • Chirurgie interdisziplinär.

Traditionsgemäß gewährt das Erzgebirgssymposium Kliniken aus den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und zunehmend auch aus den an sie angrenzenden Bundesländern die Gelegenheit, ihre eigenen klinischen Erfahrungen zu einem aufgeworfenen Problem oder Themenkomplex aus der Viszeralmedizin darzustellen.

Nach seinem Grußwort referierte Herr Prof. Bauer (Berlin – [Abb. 1]), Generalsekretär unserer Gesellschaft, über die Situation in Bezug auf die Einheit der deutschen Chirurgie. Er kam zu dem Schluss, dass die Einheit unter dem Traditionsbegriff „Deutsche Gesellschaft für Chirurgie“ als Dachgesellschaft mit der Struktur einer neuen „Wertegemeinschaft“ durchaus hergestellt ist. Die zentrale Veranstaltung muss der Deutsche Chirurgenkongress als großer Fortbildungskongress aller Fachgesellschaften mit thematischen Schwerpunkten aus Wissenschaft, Gesundheits-, Berufs- und Standespolitik darstellen.

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Abb. 1 Prof. Bauer (li.) und Prof. Wolff (re.) während des Symposiums.

Danach sprach Herr Prof. Wolff (Berlin – [Abb. 1]) zu ethischen Fragen in der Palliativmedizin. Kernaussage von ihm war, dass es nicht darauf ankäme, dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben zu geben.

Der 1. Themenschwerpunkt „Spannungsfeld kleines Becken“ wurde von Prof. Lippert (Magdeburg), PD Ptok (Cottbus) und Dr. Stelzner (Dresden) bestritten. Lippert präsentierte anhand der Daten der „Prospektiven multizentrischen Beobachtungsstudie: ‚Qualitätssicherung Rektum-Karzinom (Primärtumor) – Elektivoperation‘“ über mittlerweile 33 274 (!) Patienten, dass sich eine bessere Versorgungsqualität abzeichnet. Dieser Effekt wirkt sich aber (noch) nicht auf das Gesamtüberleben aus. Ptok zeigte mit Daten der o. g. Studie, dass das Rektumkarzinom zunehmend laparoskopisch (2010 über 20 %) operiert wird. Diese Methode sei in Studien der offenen Methode onkologisch ebenbürtig und bietet in der früh-postoperativen Phase Vorteile, vor allem für ältere Patienten. Stelzner stellte das neue operative Konzept der extralevatorischen abdominoperinealen Rektumexstirpation (ELAPE) [5] zur Lokalrezidivsenkung bei der Behandlung des Rektumkarzinoms vor.

Im 2. Schwerpunkt „Spannungsfeld Chirurgie des Abdomens“ stellte Prof. Stier (Erfurt) zunächst die Konsequenzen aus der neuen UICC-Klassifikation 2010 dar [6] und kam zu dem Schluss, dass die UICC-Klassifikation eine Prognosebeurteilung ist und die alte AEG-Klassifikation nach wie vor eine relevante klinische Einteilung des Adenokarzinoms im distalen Ösophagus darstellt. Prof. Pross (Berlin) konnte anschaulich anhand von Literatur- und eigenen Behandlungsdaten demonstrieren, dass die laparoskopische Ulkusübernähung zu befürworten ist [7]. Dagegen werden laparoskopische Resektionen beim Magenkarzinom mit gutem Erfolg in Zentren durchgeführt, aber sie stellen keinen Standard dar. Das Problem ist die onkologisch sichere Lymphadenektomie bei der minimalinvasiven Methode [8], [10]. Prof. Saeger (Dresden) betonte, dass ein Nihilismus bei malignen Pankreaserkrankungen nicht gerechtfertigt ist und unterstrich, dass eine additive Therapie ohne Chirurgie nicht zur Heilung führt. Die duktalen Adenokarzinome sind prognostisch schlecht, aber die Operation stellt die beste Palliation dar. Prof. Settmacher (Jena) nahm zur Lebendspende [11] bei der Lebertransplantation aus Ermangelung von postmortalen Spendern Stellung und erörterte das Pro und Kontra dieser Methode, wies aber eindringlich darauf hin, dass die Sicherheit des Spenders oberste Priorität hat. Zum Abschluss des 1. Kongresstags gaben Dr. Federlein (Berlin), Prof. Kähler (Mannheim) und Prof. Zühlke (Wittenberg) noch eine Übersicht über Vor- und Nachteile der Zugangswege minimalinvasiv, transvaginal, „single incision“ und „hand port“ (Federlein). Kähler berichtete über seine Erfahrungen bei den ersten NOTES-Appendektomien über den transgastralen Zugang und Zühlke nahm Stellung zur endovaskulären Methode.

Zusammenfassend kamen sie zu der Schlussfolgerung, dass die genannten neuen Zugangswege sich noch in der Entwicklungsphase befinden. Die Frage nach der Vorgehensweise endovaskulär oder chirurgisch an den großen Gefäßen wurde von Zühlke als eine multidimensionale Frage aufgefasst, die individuell entschieden werden muss.

Der Samstag begann mit dem „nicht chirurgischen“ Vortrag „Raumfahrt gestern, heute und morgen“ des 1. deutschen Kosmonauten, Herrn Dr. Siegmund Jähn ([Abb. 2]), der auf außerordentliches Interesse der Kongressteilnehmer stieß.

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Abb. 2 Dr. S. Jähn.

Das Symposium wurde dann mit dem klinischen Teil „Spannungsfeld in der interdisziplinären Zusammenarbeit“ fortgesetzt. Zunächst zeigte Prof. Stallmach (Jena) die Möglichkeiten und Grenzen der interventionellen Therapien am Gastrointestinaltrakt auf. Er machte darauf aufmerksam, dass die endoskopische Therapie beim Magenfrühkarzinom eine sichere und effektive Alternative bei genau definierten Voraussetzungen ist. Weiterhin nahm er Stellung zu den Therapieoptionen (chirurgisch oder interventionell) bei Colitis-ulcerosa-assoziierten intraepithelialen Neoplasien [11]. Prof. Jonas (Leipzig) unterstrich, dass bei zentralen Gallengangskarzinomen die Bedeutung der Lebertransplantation in der Therapie nach neoadjuvanter Radiochemotherapie neu bewertet werden muss. Die erweiterte Hemihepatektomie rechts weist immer noch onkologisch die besten Ergebnisse auf [12], [13], [14]. Das interdisziplinäre Thema zu Potenzen der multimodalen Therapiekonzepte [15], [16] in der onkologischen Viszeralchirurgie wurde von Prof. Ridwelski (Magdeburg) sehr pragmatisch mit dem zu verfolgenden Ziel einer individualisierten Therapie dargestellt. Dass die Chirurgie die effektivste und langfristig wirksamste, wenn auch keine kausale Therapie der Adipositas ist, wurde von Prof. Manger (Gera) eindrucksvoll dargelegt. Leider verfügen wir hierzu noch nicht über eine aussagekräftige Langzeit-Kosteneffizienz-Analyse.

Dr. Ketteler (Aue) zeigte, dass bei einer Operation an einem Patienten mit einer kardialen Hochrisikokonstellation schon präoperativ ein individuelles und interdisziplinäres Vorgehen erforderlich ist. Dies begründet sich aus der an sich schon hohen Letalität auch ohne operative Maßnahme.

Nach dem interdisziplinären Teil setzte sich das Symposium mit der Vorstellung und Sicht einzelner Kliniken zu grundlegenden Themen aus den hauptsächlich beteiligten Bundesländern fort. Zuerst äußerte sich Dr. Bickel (Eisenach, Thüringen) zur Rolle des Chirurgen im Tumorboard und forderte sein stärkeres Engagement.

Dr. Fleck (Luckenwalde, Brandenburg) demonstrierte mit eigenen Behandlungsdaten der kolorektalen Karzinomchirurgie die Möglichkeit der onkologischen Versorgung im eher ländlichen Bereich auf vergleichbarem Niveau wie in spezialisierten Zentren.

Dr. Rose (Halle, Sachsen-Anhalt) zeigte das Vorgehen bei der Sigmadivertikulitis anhand eines etablierten Algorithmus auf und plädierte für eine stadienabhängige Therapie [17] auf Basis klinischer Befunde und bildgebender Verfahren.

PD Zippel (Riesa, Sachsen) wandte sich dem interdisziplinären Thema der mesenterialen Ischämie zu und arbeitete heraus, dass es das Wichtigste ist, zunächst daran zu denken. Nach der Diagnosesicherung sollte dann interdisziplinär, vor allem mit der Klärung einer Revaskularisationsnotwendigkeit unter Einbeziehung der interventionell tätigen Kollegen, die befundadaptierte Therapie eingeleitet werden.

Nach Abschluss des wissenschaftlichen Teiles, der von den Gastgebern und wissenschaftlichen Leitern des Symposiums zusammengefasst wurde und das einhellige positive Echo der Teilnehmer fand, lud Dr. Mory (Chemnitz) als Ehrenvorsitzender des Symposiums zum 14. Chirurgischen Erzgebirgssymposium in Oberwiesenthal am 5. und 6. April 2013 mit dem Thema „20 Jahre Minimalinvasive Chirurgie – Standortbestimmung/Regionales“ ein.

 
  • Literatur

  • 1 Schiessling S, Diener M, Post S et al. Klinische Studien in der Chirurgie – Versorgungsforschung der Zukunft?. Zentralbl Chir 2011; 136: 87-89
  • 2 Meyer F, Lippert H. 20. Kongress der Mitteldeutschen Gesellschaft für Gastroenterologie (MGfG) – viszeralmedizinische Kooperation von Gastroenterologie & Viszeralchirurgie. Zentralbl Chir 2012; 137: 299-301
  • 3 Will U, Meyer F. 9. Geraer Arbeitstagung: Longitudinale und radiale Endosonografie mit Interventionen – Reflexionen von Veranstalter & Teilnehmer. Zentralbl Chir 2012; 137: 79-80
  • 4 Meyer L, Meyer F. Aktuelle „Viszeralmedizin“ – 26. Vogtlandsymposium 2010, eine Nachlese. Zentralbl Chir 2011; 136: 496-497
  • 5 Holm T, Ljung A, Häggmark T et al. Extended abdominoperineal resection with gluteus maximus flap reconstruction of the pelvic floor for rectal cancer. Br J Surg 2007; 94: 232-238
  • 6 Schumacher C. Die neue TNM-Klassifikation der Tumoren des ösophagogastralen Übergangs. Chirurg 2012; 83: 23-30
  • 7 Bertleff MJ, Halm JA, Bemelman WA et al. Randomized clinical trial of laparoscopic versus open repair of the perforated peptic ulcer: the LAMA Trial. World J Surg 2009; 33: 1368-1373
  • 8 Bracale U, Rovani M, Bracale M et al. Totally laparoscopic gastrectomy for gastric cancer: meta-analysis of short-term outcomes. Minim Invasive Ther Allied Technol 2012; 21: 150-160
  • 9 Ludwig K, Scharlau U, Schneider-Koriath S et al. Minimally invasive gastric surgery. Chirurg 2012; 83: 16-22
  • 10 Neuhaus P, Thelen A, Jonas S et al. Oncological superiority of hilar en bloc resection for the treatment of hilar cholangiocarcinoma. Ann Surg Oncol 2012; 19: 1602-1608
  • 11 Vagefi PA, Ascher NL, Freise CE et al. Use of living donor liver transplantation varies with the availability of deceased donor liver transplantation. Liver Transpl 2012; 18: 160-165
  • 12 Baretton GB. Intraepithelial neoplasia/dysplasia – histopathology in ulcerative colitis. Pathologe 2008; 29: 280-285
  • 13 Neuhaus P, Jonas S, Bechstein WO et al. Extended resections for hilar cholangiocarcinoma. Ann Surg 1999; 230: 808-818
  • 14 Kissenkoetter S, Witzigmann H. Kriterien der Resektabilität von malignen extrahepatischen Gallengangstumoren. Zentralbl Chir 2012; 137: 32-37
  • 15 Weber T, Link K. Kolonkarzinom: Aktueller Stand der multimodalen Therapie. Zentralbl Chir 2011; 136: 325-333
  • 16 Gaedcke J, Liersch T, Hess C et al. Rektumkarzinom: Aktueller Stand der multimodalen Therapie – wann und wie?. Zentralbl Chir 2011; 136: 334-342
  • 17 Meyer F, Grundmann R. Die Hartmann-Operation bei perforierter Divertikulitis und maligner linksseitiger kolorektaler Obstruktion und Perforation. Zentralbl Chir 2011; 136: 25-33