Gesundheitswesen 2012; 74 - A110
DOI: 10.1055/s-0032-1322096

Auswirkung verschiedener nationaler und internationaler Grenzwerte zur Vitamin D-Unterversorgung in einer populationsbasierten Studie

S Schramm 1, H Lahner 2, KH Jöckel 1, S Moebus 1
  • 1Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen
  • 2Klinik für Endokrinologie, Universitätsklinikum Essen

Einleitung/Hintergrund: Zunehmend wird ein niedriger Vitamin D-Status mit erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken diskutiert und in der Öffentlichkeit mit Besorgnis zur Kenntnis genommen. Allerdings existieren keine einheitlichen Grenzwerte für einen erniedrigten Vitamin D-Gehalt im Blut. Nationale und internationale Richtlinien für 25-Hydroxyvitamin D (im Folgenden mit Vitamin D bezeichnet) sind durch eine sehr große Spannbreite gekennzeichnet. So hält der Deutsche Dachverband für Osteologie (DVO) eine Serumkonzentration über 20ng/ml für ausreichend, die Endocrine Society (USA) bezeichnet eine Serumkonzentration unter 20ng/ml als defizient sowie zwischen 21–29ng/ml als insuffizient. Das NIH (National Institutes of Health, USA) wiederum kategorisiert Serumkonzentrationen unter 12ng/ml als defizient, zwischen 12–20ng/ml als inadäquat, Werte über 20ng/ml als adäquat und über 50ng/ml (bzw. 60ng/ml) als zu hoch. Ziel hier ist, den Einfluss der verschiedenen Grenzwerte auf die Prävalenz von Vitamin D-Mangel in einer populationsbasierten Kohorte mittleren Alters zu untersuchen.

Daten/Methodik: Wir verwenden Querschnittsdaten der Heinz Nixdorf Recall Studie mit 4.814 TeilnehmerInnen zwischen 45 und 75 Jahren (50% Frauen). 665 TeilnehmerInnen werden wegen fehlender Vitamin D-Werte aus der Auswertung ausgeschlossen. In Anlehnung an die Richtlinien der drei oben genannten Fachgesellschaften werden 5 Gruppen gebildet: Gruppe1: Vitamin D<12ng/ml Gruppe2: 12ng/ml<=Vitamin D<20ng/ml Gruppe3: 20ng/ml<=Vitamin D<30ng/ml Gruppe4: 30ng/ml<=Vitamin D<50ng/ml Gruppe5: Vitamin D>50ng/ml (bzw. >60ng/ml). Berechnet werden die geschlechtsspezifischen Prävalenzen innerhalb der Gruppen bzw. die Prävalenzen für die Grenzwerte 12ng/ml, 20ng/ml und 30ng/ml altersstandardisiert auf die bundesrepublikanische Bevölkerung am 31.12.2001 (Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2003).

Ergebnisse: Die mittlere Vitamin D-Konzentration beträgt 21,2ng/ml (SD: 9,6), Frauen: 20,2ng/ml (SD: 9,3), Männer: 22,2ng/ml (SD: 9,8). 15,9% (95%-KI: 14,1–17,6) der Probanden weisen eine Vitamin D-Konzentration unter 12ng/ml (Gruppe1) auf, 35,1% (95%-KI: 33,4–36,7) liegen in Gruppe2, 32,3% (95%-KI: 30,6–34,0) in Gruppe3, 15,9% (95%-KI: 14,1–17,6) in Gruppe4 und 0,9% (bzw. 0,17%) in Gruppe5. Der Vitamin D-Gehalt sinkt deutlich mit dem Alter (Mittelwert Alter: Gruppe1: 60,5 Jahre Gruppe2: 60,1 Jahre Gruppe3: 59,4 Jahre Gruppe4: 58,6 Jahre Gruppe5: 57,5 Jahre). Der Frauenanteil ist in den Gruppen mit niedrigen Vitamin D-Werten größer als in den Gruppen mit höheren Werten (Frauenanteil: Gruppe1: 60% Gruppe2: 52% Gruppe3: 46% Gruppe4: 45% Gruppe5: 28%). Die Prävalenz für Vitamin D-Werte unter 20ng/ml beträgt 50,6% (95%-KI: 49,0–52,3 Frauen: 55%) und unter 30ng/ml sogar 83,2% (95%-KI: 81,7–84,7 Frauen: 52%).

Diskussion/Schlussfolgerung: Die international unterschiedlichen Richtwerte für ausreichende Vitamin D-Serumspiegel bedeuten für unsere Kohorte, dass je nach Grenzwert bis zu 83,2% der Studienpopulation mit Vitamin D unterversorgt sind und 0,9% (bzw. 0,17%) zu hohe Werte aufweisen. Die Diagnose Vitamin D-Mangel wird zwangsläufig Interventionen unterschiedlicher Art provozieren, die über Empfehlungen zur Lebensstiländerung bis hin zur Medikation mit Vitamin D-Präparaten reichen. Die hier ermittelte hohe Prävalenz für Vitamin D-Mangel von bis zu 83,2% in einer Metropol-Bevölkerung im Alter zwischen 45–75 Jahren macht eine Verbesserung der Evidenzlage hinsichtlich der Effekte niedriger Vitamin D-Serumspiegel auf die Morbidität und Mortalität in der Bevölkerung zwingend erforderlich.

Literatur:

1. http://www.dv-osteologie.org/uploads/leitlinien/DVO-Leitlinie_A4_30Aug10_web_neutral.pdf

2. http://www.endo-society.org/guidelines/final/upload/FINAL-Standalone-Vitamin-D-Guideline.pdf

3. http://ods.od.nih.gov/factsheets/vitamind-HealthProfessional/, 4. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2003