Gesundheitswesen 2011; 73 - N9
DOI: 10.1055/s-0031-1300933

Die „Gesichter“ der Opfer – systematisches Monitoring von Verletzungen durch Gewalt

G Ellsäßer 1, T Woller 2, T Erler 3
  • 1Abteilung Gesundheit im Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz
  • 2Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Leipzig
  • 3Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Carl-Thiem Klinikums Cottbus

Hintergrund: Es gibt in Deutschland kein systematisches Monitoring von Verletzungen durch Gewalt zu Risikogruppen, zur Täter – Opferbeziehung, zu Kontextfaktoren und zum Verletzungsmechanismus. Die Kriminalitätsstatistik erfasst nur Straftaten, keine Diagnosen. Daher ist keine zeitliche Beobachtung möglich. Die europäische „Injury Data Base“ (2) füllt diese Datenlücke, da über eine krankenhausbezogene Erfassung von Verletzungen über alle Altersgruppen sowohl Verletzungen durch Unfälle (unintentional injuries) als auch durch Gewalt bzw. Selbstverletzungen (intentional injuries) erfasst werden. Der folgende Beitrag stellt aktuelle Ergebnisse für die Jahre 2007–2009 der deutschen Injury Data Base mit dem Fokus auf Verletzungen durch Gewalt im Schul- und Jugendalter vor. Es basiert auf einer Kooperation des früheren Landesgesundheitsamtes Brandenburg mit dem Carl-Thiem-Klinikum, Herr PD Dr. Erler, der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie (Univ.-Klinikum), Herr Dr. Woller und der Wiener EU-Projektleitung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit.

Methodik: Seit 2007 führen beide Kliniken in Kooperation mit dem Landesgesundheitsamt computergestützt eine standardisierte Erfassung von verletzten ambulant und stationär behandelten Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren durch. Ein anonymisierter Datentransfer erfolgt an das Landesgesundheitsamt (LGA). Im LGA wird eine Plausibilitätskontrolle durchgeführt, die Daten bevölkerungsbezogen hochgerechnet und darüber hinaus aggregiert/verschlüsselt an die europäische Datenbank transferiert.

Ergebnisse: Insgesamt betrug die durchschnittliche Verletzungsrate der Kinder und Jugendlichen ca. 13% (<18J). Jungen sind am stärker gefährdet als Mädchen. Das höchste Verletzungs- bzw. Unfallrisiko zeigen kleine Kinder (1–4J) und dieses ist viermal größer als bei 15- bis 18-Jährigen.

Der Anteil der Verletzungen durch Gewalt nimmt mit dem Alter der Schulkinder zu und erreicht im Jugendalter den Anteil von Verletzungen im Straßenverkehr. Schulkindern sind am häufigsten Opfer von Gewalt (tätlichen Auseinandersetzungen) in Schulen. Jugendliche sind am häufigsten Opfer von Gewalt in Erholungseinrichtungen und auf der Straße. Bei jugendlichen Opfern sind die Verletzungen deutlich schwerer als bei den jüngeren Schulkindern (größerer Anteil an Frakturen und Gehirnerschütterungen als bei 5- bis 15-Jährigen). Am häufigsten wird auf das Opfer eingetreten oder eingeschlagen. 15- bis 18-jährige Mädchen zeigen die höchste Rate an Selbstverletzungen. Diese Selbstverletzungen stehen häufig im Zusammenhang mit psychischen Krisen oder psychiatrischen Erkrankungen.

Schlussfolgerungen: Die Injury Data Base ermöglicht eine populationsbezogene Datengrundlage zur Identifikation von Risikogruppen und Kontextfaktoren bei Verletzungen durch Unfälle, Gewalt sowie Selbstverletzungen im Kindes- und Jugendalter. Im Land Brandenburg ist sie Bestandteil des Datenmonitors des Bündnisses Gesund Aufwachsen und ebenso der von der WHO zertifizierten Strategie „Sicheres Brandenburg“ (Teil des safe community Netzwerkes) (3).

Literatur:

[1] Erler T, Ellsäßer G (2010) Die Gesichter der Opfer – Auswirkungen von Gewalt bei Kindern und Jugendlichen erkennen. Pädiat. Prax. 75:387–395

[2] EU Injury Database IDB – Europäisches Netzwerk von definierten Krankenhäusern zur Erfassung von Verletzungen (ambulant und stationär); https://webgate.ec.europa.eu/idb/

[3] www.gesundheitsplattform.brandenburg.de/safe region