Gesundheitswesen 2011; 73 - A53
DOI: 10.1055/s-0031-1283672

Menschenversuche und Lagerhygiene. Die Arbeit des Hygiene-Instituts der Waffen-SS in den NS-Konzentrationslagern

I Wachsmuth 1, R Sommer 2
  • 1Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg, Berlin
  • 2Hampshire College, Amherst/Massachusetts, USA, Berlin

Einleitung/Hintergrund: Das Berliner Hygiene-Institut der Waffen-SS war die zentrale Einrichtung der SS für hygienische und seuchenpräventive Belange. Unter dem Vorwand der Seuchenbekämpfung führte es zahlreiche Versuche an KZ-Häftlingen mit epidemischen Erregern oder vergifteter Munition durch. Der Leiter des Instituts, der Universitätsdozent Dr. med. Joachim Mrugowsky, wurde deswegen in den Nürnberger Ärzteprozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Material und Methoden: Zahlreiche Akten des Hygiene-Instituts der Waffen-SS sind überliefert, die einen Einblick in die Arbeit des Instituts und die durchgeführten Menschenversuche geben. Darüber hinaus konnte die ehemalige Sekretärin Mrugowskys interviewt werden. Die Zeitzeugin berichtet darin immer wieder über Menschenversuche, die sie selbst miterlebt hatte. Anhand der Akten und des Oral History Materials soll untersucht werden, welchen Stellenwert die Menschenversuche für die Arbeit des SS-Hygiene-Instituts hatten. Wie wurden diese seitens der Akteure legitimiert und welche Handlungsspielräume hatten sie? Welche Verbindung bestand zwischen den Menschenversuchen und der Lehrtätigkeit an der Berliner Universität? Bei der Beantwortung dieser Fragen stützen wir uns sowohl auf eine mikrohistorische und biografische Analyse von Akten und Zeitzeugeninterviews. Ergebnisse: Die Auswertung der Quellen verdeutlicht eine erschreckende Normalität im Betrieb des Hygiene-Instituts und bei der Durchführung von Menschenversuchen. Das Institut legitimiert seine Arbeit durch die „rassenhygienische„ Politik des NS-Regimes. Der Schutz des deutschen „Volkskörpers„ stand im Vordergrund. Diskussion/Schlussfolgerungen: Anhand unserer Untersuchung lässt sich deutlich die Nähe zwischen Heilung und Tötung beschreiben. Unwertes Leben – das der KZ-Häftlinge – war scheinbar endlos verfügbar und für Experimente nutzbar. Dies geschah zum Nutzen der „Rassischen Elite„, der SS. Mittäter/innen, wie ehemalige Schreibtischtäter, verstehen sich noch heute als Teil einer Forschungsstruktur, die für ein legitimes kollektives Interesse arbeitete. Insbesondere die ideologische Teilung der Gesellschaft in „Übermenschen„ und „unwertes Leben„ haben dies möglich gemacht.

Literatur:

Florian Bruns: Medizinethik im Nationalsozialismus. Entwicklungen und Protagonisten in Berlin (1939–1945). Geschichte und Philosophie der Medizin 7. Stuttgart 2009. Angelika Ebbinghaus, Klaus Dörner (Hrsg.): Vernichten und heilen. Der Nürnberger Ärzteprozess und die Folgen, Berlin 2001. Erhard Geißler: Biologische Waffen – nicht in Hitlers Arsenalen. Biologische und Toxin-Kampfmittel in Deutschland 1915–1945, Münster 1998. Robert J. Lifton: The Nazi Doctors. Medical Killing and the Psychology of Genocide, New York 1986. Paul Julian Weindling: Epidemics and Genocide in Eastern Europe, 1890–1945. Oxford/New York 2000.