Gesundheitswesen 2010; 72 - P73
DOI: 10.1055/s-0030-1266580

Bedeutung depressiver und passiv-vermeidender Krankheitsverarbeitungs-Stile für die gesundheitsbezogene Lebensqualität Multiple-Sklerose-Erkrankter – Befragung von Patienten-Mitgliedern der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, NRW

S Wiesmeth 1, S Twork 1, S Schipper 2, M Wirtz 2, D Pöhlau 3, J Kugler 1
  • 1Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden, Dresden
  • 2Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Landesverband Nordrhein-Westfahlen, Düsseldorf
  • 3Kamillus-Klinik Asbach, Abteilung für Neurologie, Asbach

Hintergrund: Die Selbsteinschätzung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (HRQoL) hat in den letzten Jahren neben etablierten Beurteilungskriterien wie klinischer Symptomatik und Lebenserwartung in der Medizin an Bedeutung gewonnen. Sie ist in der Gesundheitsforschung zu einem wichtigen subjektiven Indikator des Gesundheitszustands von chronisch Kranken geworden. Zahlreiche Studien zeigen, dass Patienten mit Multipler Sklerose (MS) bereits im frühen Erkrankungsstadium eine eingeschränkte HRQoL haben. Untersucht wurden Einflüsse psychosozialer und krankheitsbezogener Aspekte auf die HRQoL, insbesondere die Bedeutung depressiver, passiv-vermeidender Krankheitsverarbeitungs-Stile. Methoden: 7050 Mitglieder der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, Landesverband Nordrhein-Westfalen (DMSG-LV NRW), erhielten einen anonymisierten Fragebogen mit soziodemographischen und krankheitsbezogenen Aspekten, dem Multiple Sclerosis Quality of Life (MSQoL)-54 Instrument, der Multiple Sclerosis Impact Scale-29 (MSIS-29) und dem Freiburger Fragebogen zur Krankheitsverarbeitung (FKV). 3157 Personen nahmen an der Befragung teil, die Rücklaufquote lag bei 44,8%. Ergebnisse: Das durchschnittliche Alter der Teilnehmer betrug 48,21 Jahre (SD=11,78), 71,7% sind Frauen. Die MS-Erkrankten zeigen bereits bei kurzer Krankheitsdauer und geringem Behinderungsgrad Einschränkungen in der HRQoL. Die Patienten nutzen alle beschriebenen Modi der Krankheitsverarbeitung. Der niedrigste Mittelwert ergibt sich für die Skala „Bagatellisierung/Wunschdenken“ (M=2,12; SD=1,00), der höchste für „Ablenkung/Selbstaufbau“ (M=3,03; SD=0,87). Zwischen den Summenskalen des MSQoL-54 und der MSIS-29 und den Skalen „depressive Verarbeitung“ sowie „Bagatellisierung/Wunschdenken“ des FKV-LIS ergeben sich signifikante Korrelationen: ein ausgeprägt depressiver oder bagatellisierender Verarbeitungsmodus geht mit einer schlechten HRQoL einher. Auffällig ist, dass dieser Zusammenhang nicht nur bei den psychischen Summenscores (r=.50 bis r=.68), sondern auch bei den physischen Scores (r=.38 bis r=.49) deutlich wird. Bezogen auf die anderen Modi („Aktives problemorientiertes Coping“, „Religiosität und Sinnsuche“, „Ablenkung/Selbstaufbau“), finden sich keine nennenswerten Verbindungen zur Lebensqualität. Diskussion: Auch die physische Lebensqualität wird durch meidende Krankheitsbewältigungsstile und depressive Symptomatik negativ beeinflusst. Auf Maßnahmen zur Förderung der „Copingskills“ sollte möglichst frühzeitig zurückgegriffen werden, um MS-Kranken unabhängig vom Grad der körperlichen Einschränkung eine bessere Lebensqualität bieten zu können.