Aktuelle Neurologie 2008; 35 - M265
DOI: 10.1055/s-0028-1086607

Accelerometrische Analyse von unilateralen und bilateralen Handbewegungen. Differentialdiagnostische Bedeutung bei psychogenen und organischen Tremores

J Raethjen 1, M Ussner 1, G Deuschl 1
  • 1Kiel

Es ist extrem schwierig, willkürlich in beiden Händen komplett unabhängige Rhythmen aufrecht zu erhalten. Unter der Vorstellung, dass psychogene Tremores auf ähnlichen Mechanismen beruhen, wie willkürliche repetitive Bewegungen, wurde vorgeschlagen, das Einschwingen eines Tremors auf der einen Seite auf die Frequenz einer willkürlichen rhythmischen Bewegung auf der anderen Seite als diagnostisches Kriterium für einen psychogenen Tremor einzuführen.

Ein solches ‘Entrainment’ wurde an 19 Patienten mit Essentiellem Tremor (ET), 15 mit Parkinson Tremor (PD), 9 mit psychogenen Tremor (PT) und 9 Normalprobanden (NP) untersucht. Der Tremor und die kontralaterale rhythmische Willkürbewegung wurden accelerometrisch auf beiden Handrücken und mit Oberflächen-EMG von den Handextensoren gemessen. Die Patienten und Probanden wurden aufgefordert mit einer Hand für 30s einen 2Hz, 3Hz und den schnellstmöglichen Rhythmus zu tappen, während die andere Hand gegen die Schwerkraft gehalten wurde. Die Tremorfrequenz und -amplitude (Total power) wurden mittels Spektralanalyse ermittelt. Die Kopplung zwischen den links- und rechtsseitigen Rhythmen wurde mittels Kohärenzanalyse untersucht.

Das Accelerometer auf der stärker betroffenen Seite nahm bei PD in 0%, bei ET in 27% und bei PT in 56% der Patienten die kontralaterale Tappingfrequenz an. Dasselbe fand sich linksseitig (rechts tappt) bei 70% und rechtsseitig (links tappt) bei 90% der Normalprobanden. Die Frequenz im EMG der Extensoren passte sich dagegen nur bei 1 PD Patienten und keinem ET Patienten, aber bei 44% der PT Patienten an. Dies fand sich bei den Normalprobanden in 20–30% der Fälle. Die Tremoramplitude (total power) blieb bei den PD und ET Patienten unverändert, bei den PT Patienten sank sie bei kontralateralem Tappen in 80% der Fälle ab (p<0.05). Die rechts-links Kopplung (Kohärenz) an der kontralateralen Tapping-Frequenz fand sich bei accelerometrischer Messung sehr häufig (70–100%) und auch im EMG deutlich häufiger als eine Anpassung der EMG-Frequenz (PD: 20–30%, ET: 35–50%, PT: 50–70%, NP: 30–70%).

Die Daten zeigen, dass ein ‘Mitschwingen’ mit einer kontralateralen Willkürbewegung ein teilweise physiologisches Phänomen darstellt. So hat die rechts-links Kohärenz der accelerometrischen Daten an der Frequenz der Willkürbewegung die geringste, die Anpassung der EMG-Frequenz an den kontrolateralen Tapping Rhythmus die höchste diagnostische Wertigkeit für die Differentialdiagnose psychogener vs. organischer Tremor.