Gesundheitswesen 2023; 85(07): 605-608
DOI: 10.1055/a-2098-1807
Editorial

Aufarbeitung von COVID-19: Der Elefant im Raum

Manfred Wildner

Die Redewendung vom „Elefanten im Raum“ stammt ursprünglich aus einer russischen Fabel, welche vom Museumsbesuch eines Wissbegierigen erzählt, der vor lauter Begeisterung über kleine Insekten den im selben Raum ebenfalls ausgestellten großen Elefanten übersieht [1]. Abstrahiert beschreibt Krylows Fabel einen Sachverhalt, welcher angesichts seiner Bedeutung das Gespräch dominieren und große Aufmerksamkeit bekommen müsste, aber überraschender Weise nicht thematisiert wird. Auch aus dem asiatischen Raum ist eine Lehrerzählung mit Bezug zu einem Elefanten überliefert. So wird im buddhistischen Palikanon die Geschichte von blind geborenen Männern erzählt, die von ihrem König an jeweils unterschiedliche Stellen eines Elefanten herangeführt werden – Kopf, Ohren, Stoßzähne, Rüssel, Beine, Schwanz usw. – und anschließend berichten sollen, was ein Elefant sei. Die Antworten fallen recht unterschiedlich aus: Der den Kopf des Elefanten betasten konnte, zieht den Vergleich mit einem großen Kessel, der das Ohr betastet hatte, berichtet von einer Ähnlichkeit mit einer Schaufel, der den Stoßzahn betastet hatte, zieht den Vergleich mit einer Pflugschar, andere berichten von einer Stange, einer Säule und einem Besen. „Und unter dem Geschrei: ,So ist ein Elefant, ein Elefant ist nicht so; nicht so ist ein Elefant, ein Elefant ist so’, wurden sie mit den Fäusten gegenseitig handgemein. […] Genau so, ihr Mönche, verhält es sich mit den Wanderasketen verschiedener Richtungen. Blind und augenlos erkennen sie nicht, worauf es ankommt und worauf es nicht ankommt; sie erkennen nicht die Wahrheit und was nicht die Wahrheit ist.“ [2].



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Article published online:
12 July 2023

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