Ablehnung von Geschlossener Unterbringung in der Jugendhilfe
Zwei Fallberichte und Diskussion von Bedarfslage und Wirksamkeit
Abstract
Zusammenfassung. Die Geschlossene Unterbringung in der Jugendhilfe (GU) ist seit Jahrzehnten ein kontroverses Thema in der Betreuung schwer verhaltensauffälliger Jugendlicher. Dabei wird zum einen eine nicht selten ideologische Debatte um die rechtliche und die ethische Zulässigkeit des Freiheitsentzuges geführt, zum anderen die Frage der geeigneten Versorgung von erheblich belasteten Jugendlichen mit Bindungstraumatisierungen, schwerer Störung des Sozialverhaltens und psychosozialer Desintegration diskutiert. Die unterschiedlichen Sichtweisen spiegeln sich auch darin wider, dass einige Bundesländer über Institutionen der GU verfügen, andere wiederum – insbesondere die neuen Bundesländer – nicht. Wir stellen hier zwei typisierte Fallkonstellationen aus dem Bundesland Sachsen vor, bei denen die Nichtverfügbarkeit von GU zu einer faktischen Verschiebung der Problematik in Kliniken der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie geführt hat. Anhand der Fallkonstellationen diskutieren wir schwerpunktmäßig, inwieweit es für GU einen konkreten Bedarf gibt und was zur Wirksamkeit von GU bekannt ist. Hieran schließt sich eine Reflexion des Spannungsfeldes zwischen Zwang und Autonomie an der Schnittstelle Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie an.
Abstract. Locked-door residential care in the custody of adolescents with severe behavioral problems has been a controversial subject in Germany for many decades. Sometimes the debate is held on an ideological level, sometimes it concerns the legal and ethical legitimacy of such actions, but it always is about providing the best care possible for severely disturbed adolescents with attachment disorder, severe conduct disorder, and psychosocial disintegration. Because of differing viewpoints on this issue, some German federal states have set up locked-door youth welfare institutions, whereas as others do not. Here, we present two stereotypical case constellations from the state of Saxony, where the absence of such locked-door residential institutions has served to shift the problem to clinics for child and adolescent psychiatry. Based on these case constellations, we discuss the present knowledge concerning the necessity and efficacy of these institutions. The discussion is followed by a critical reflection on constraint and autonomy in youth welfare.
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