Zusammenfassung
Weltweit ist eine Angleichung von Bildungsreformen zu beobachten, was im Begriff der globalen pädagogischen Reformbewegung zum Ausdruck kommt. Obwohl die Bedingungen, unter denen sich Nationalstaaten einer pädagogischen Weltkultur angleichen, in jüngster Zeit vermehrt untersucht wurden, ist über die politischen Mechanismen, die über die Rezeption globaler Modelle befinden, wenig bekannt. Anhand einer Fallstudie aus der Schweiz, deren System der direkten Demokratie besonders geeignet scheint, politische Transformationsprozesse zu untersuchen, wird die Auseinandersetzung um die Einführung der freien Schulwahl, wie sie durch verschiedene Volksinitiativen ausgelöst wurde, rekonstruiert. Die Studie zeigt, dass ein neoinstitutionalistischer Ansatz geeignet sein kann, die Rezeption globaler Reformmodelle zu erklären, sofern er um eine akteurtheoretische Perspektive ergänzt wird und die Besonderheiten des lokalen politischen Systems berücksichtigt werden. In methodischer Hinsicht ergibt sich, dass bei der Untersuchung globaler Angleichungsprozesse vier Referenzpunkte zu beachten sind, nämlich Staat, Markt, Öffentlichkeit und Wissenschaft.
Abstract
Educational reforms around the world are increasingly converging, and this is reflected in the concept of a global educational reform movement. Although several recent studies have looked at the conditions under which nation states borrow from global educational models, the political mechanisms underlying these processes are not well understood. On the basis of a case study from Switzerland, which has a system of direct democracy which appears to be particularly suitable for an analysis of political transfer processes, this article reconstructs the debate around a series of popular initiatives addressing school choice. The results of the study show that a neo-institutional approach can be useful for understanding the implementation of global educational models in a national context if it is supplemented by a theoretical analysis of the participant and takes the specific features of the local political system into account. Methodologically, the analysis of global harmonisation processes in education should consider four reference points, namely the state, the market, the general public and scientific research.
Notes
Das zeigen die Begriffe, die er den Mechanismen zuweist: borrowing, learning, teaching, harmonization, dissemination, standardization, installing interdependence und imposition (Dale 1999, S. 5 ff.).
Printmedien: Neue Zürcher Zeitung (NZZ): Tageszeitung, Zürich; NZZ am Sonntag: Sonntagszeitung, Zürich; SonntagsZeitung: Sonntagszeitung des Tages Anzeigers, Zürich; Tages Anzeiger (TA): Tageszeitung, Zürich. Internetseiten: Bundes- und Kantonsbehörden: www.admin.ch; www.ch.ch; Elternlobby Schweiz: http://www.elternlobby.ch/
Die EDK kann in Funktion und politischer Bedeutung mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) verglichen werden.
Ausdrücklich werden damit zwei Interessen, welche die Einrichtung von Privatschulen motivieren, ausgeschlossen, nämlich das Interesse religiöser oder ethnischer Gruppen, eine eigene Schule zu gründen und das unternehmerische Interesse, mit Schulen Geld zu verdienen.
Ergänzen ließe sich, dass im Kanton Tessin 2001 (noch vor Gründung der Elternlobby Schweiz) eine ähnliche Initiative mit einem Neinstimmen-Anteil von 74.1 % abgelehnt wurde. Weiter zurück liegt eine Volksabstimmung im Kanton Bern, bei der 1983 ein wiederum ähnliches Volksbegehren mit 78.6 % Neinstimmen verworfen wurde. Schließlich reichte die Elternlobby Schweiz auch zwei Petitionen ein, die ebenfalls klar abgelehnt wurden, nämlich 2004 die Petition „Für eine echte freie Schulwahl“ durch das Eidgenössische Parlament und 2010 die Petition „Libre choix de l’école pour tous“ durch das Parlament des Kantons Waadt.
64 % der telefonisch Befragten stimmten einer entsprechenden Forderung zu, während die staatliche Finanzierung privater Schulen mit 73 % abgelehnt wurde (Diem und Wolter 2011, S. 10 f.).
Insofern entsprechen die Vertragsschulen den Charterschools in den USA (vgl. Ravitch 2010, S. 121 ff.).
Verwirrung stiftet namentlich der Begriff der Staatsschule, der offensichtlich wegen seines polemischen Untertons bevorzugt wird. Das wird besonders deutlich bei Diesbergen (1996), der die Staatsschulen als bevormundende Zwangsanstalten darstellt.
Freie Schulen sind also terminologisch geradenicht Privatschulen, womit der Begriff der „freien Trägerschaft“, der gängigerweise für private Schulen verwendet wird, für weitere Begriffsverwirrung sorgt. Zudem scheint mit der Einführung der neuen Terminologie der Begriff der öffentlichen Schule verloren gegangen zu sein.
Interessanterweise entsprechen die Argumente sowohl auf Befürworter- wie auf Gegnerseite weitgehend den in der wissenschaftlichen Literatur zur freien Schulwahl vorfindbaren Positionen (vgl. Feinberg und Lubienski 2008; Levin 2002), obwohl wissenschaftliche Studien im Abstimmungskampf eine geringe Rolle gespielt und auch Erziehungswissenschaftler kaum in die Auseinandersetzung eingegriffen haben.
Die Modelle sind einheitlich, aber nicht unbedingt homogen. Dass sich die Elemente desGlobal Educational Reform Movement nicht exakt bestimmen lassen, steht daher in Übereinstimmung mit dem Ansatz des Neoinstitutionalismus, der nicht nur auf Inkonsistenzen und Widersprüche hinweist, sondern davon ausgeht, dass die globalen Modelle zumeist in idealisierter Form und in Varianten vorliegen (vgl. Hasse und Krücken 2005, S. 67 ff.; Meyer 2005, S. 92, 99 f., 127 f.).
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Herzog, W. Aussichten der freien Schulwahl. Z Erziehungswiss 16, 579–597 (2013). https://doi.org/10.1007/s11618-013-0370-8
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