Geist entsteht aus der Kommunikation […]– nicht die Kommunikation durch den Geist.
G. H. Mead
Zusammenfassung
Dieser Artikel zielt auf die Vermittlung der neueren Evolutionspsychologie mit der sozialpragmatistischen Kommunikationstheorie. Einerseits wird Meads These zum Ursprung der menschlichen Sprache unter Rückgriff auf Tomasellos Primaten- und Kleinkinderforschung kritisiert; andererseits werden, vor dem Hintergrund von Meads Theorie objektiver Bedeutung die Schwachstellen von Tomasellos subjektivistischen Kommunikationsbegriff identifiziert. Schließlich wird versucht, Tomasellos Erkenntnisse zur deiktischen Praxis in Meadschen Termini zu reformulieren und die objektive Bedeutung des Zeigens zu bestimmen.
Abstract
This article aims at the confrontation of classical pragmatistic communication-theory with some recent insights of the psychology of evolution. The first step is to criticize Mead’s notion of the origins of language on the basis of Tomasellos research concerning primates and infants. Conversely, the second step is a critique of Tomasellos subjectivistic concept of communication on the basis of Meads theory of objective meaning. Finally, the author tries to reformulate Tomasello’s findings in Mead’s terminology and to determine the objective meaning of pointing gestures.
Notes
Sicher ist nicht immer eindeutig, welcher Ansatz welchem Paradigma zugehört, zumal diese sich ja oft auch verändern. Unstrittig mag immerhin sein, dass auch Lévi-Strauss‘ Strukturalismus, Luhmanns Systemtheorie und Oevermanns Objektive Hermeneutik objektive Bedeutungstheorien formulieren, am subjektiven Sinn jedenfalls kein besonderes Interesse haben. Das gilt zweifellos auch für Adornos Ästhetiktheorie.
Vgl. auch: „Sagt eine Person etwas, so sagt sie zu sich selbst, was sie zu dem anderen sagt; andernfalls wüsste sie nicht, worüber sie spricht“ (Mead 1968: 189).
Vgl. dazu Schneiders (2008: 185 f.) Kritik an Meads These der Lautgeste.
Auch für andere Tiere führt er Beispiele der kommunikativen Selbstverstärkung an, Arten also von Selbstgespräch, die das Wesen der reflexiven Intelligenz des Menschen ausmachen. Bei Vögeln sei das aber bezüglich der Lautgeste am ausgeprägtesten. Nur ihnen kann man ja auch ‚sprechen‘ beibringen (vgl. Mead 1968: 409 ff.).
Wenn nicht anders erwähnt, ist unter ‚Zeigen‘ im Folgenden stets ‚to point‘ zu verstehen, nicht ‚to show‘, ‚to demonstrate‘ oder ‚to display‘. Ikonische und konventionelle Gesten werden hier nicht berücksichtigt.
Tomasello (2007: 713) unterscheidet „declaratives as expressives“ von „declaratives as informatives“. Der Fokus liegt hier auf letzterem. Tomasello (2002: 86) geht davon aus, „dass der bloße Akt des Deutens auf einen Gegenstand gegenüber jemand anderem zum alleinigen Zweck der Aufmerksamkeitslenkung ein spezifisch menschliches Kommunikationsverhalten ist…“. Die „declaratives as expressives“ dagegen sind noch sehr nahe an unmittelbaren Ausdrücken von Gefühlregungen.
Vgl. Greve (2011: 230). Goffman (1983: 3), der die Bedeutung der Rekursivität stärker hervorhebt, ist vielleicht noch näher an Tomasellos Position: „When in each other’s presence individuals are admirably placed to share a joint focus of attention, perceive that they do so, and perceive this perceiving“.
Das geht zurück auf Grice (1979: 7): „S [ein Sprecher, RS] muß mit x [einer Äusserung, RS] bei einem Hörer eine Überzeugung hervorzurufen beabsichtigen, und er muß auch beabsichtigen, daß seine Äußerung als eine mit dieser Absicht gemachte Äußerung erkannt wird“.
Auch hier Goffman (1983: 5) recht ähnlich über die „information a pair of persons have about the information each other has of the world, and the information they have (or haven’t) concerning the possession of this information”.
Bspw. Tomasello (2009: 84).
Vgl. auch Habermas (1984: 597): „Dass jemand meint, was er sagt, kann er nur in der Konsequenz seines Tuns, nicht durch die Angabe von Gründen glaubhaft machen.“ In diesem Punkt Luhmann (1997: 311) sehr ähnlich und mit einigem Spaß am Sprachspiel: „Denn wenn man nicht sagen kann, daß man nicht meint, was man sagt, weil man dann nicht wissen kann, daß andere nicht wissen können, was gemeint ist, wenn man sagt, daß man nicht meint, was man sagt, kann man auch nicht sagen, daß man meint, was man sagt, weil dies dann entweder eine überflüssige und verdächtige Verdopplung ist oder die Negation einer ohnehin inkommunikablen Negation.“ Was Obama freilich nicht davon abhält, sich in genau dieser ‚verdächtigen Verdopplung‘ zu üben und Statements, die besonders entschieden klingen sollen, jeweils noch die Formel ‚we mean what we say‘ nachzuschieben.
Das bedeutet für Oevermann (2004: 327) aber keineswegs, dass Subjektivität nicht zum Forschungsgegenstand gemacht werden kann. Doch „[g]erade mit Bezug auf Subjektivität müssen wir methodisch […] besonders sorgfältig darauf achten, den Erschließungsweg an der Rekonstruktion der objektiven Sinnstrukturen einer geeigneten authentischen Ausdrucksgestalt von ihr beginnen zu lassen“. Zentral ist für ihn vor allem „die Achtung der Objektivität des Protokolls, gerade dann, wenn es um die protokollierte Wirklichkeit von Subjektivität […] geht“ (Oevermann 2004: 333).
Vgl. Mead (1968: 101 f.).
Dass das nicht selbstverständlich ist und die „vector extrapolation“ als Abstraktionsleistung erst gelernt werden muss, bespricht Butterworth (2008: 24): „The most frequent error of babies was to look at the pointing hand rather than at the designated target.“
Das rein deklarative Zeigen bedingt, so Butterworth (2008: 17), „agents of contemplation“, das imperative dagegen „agents of action“.
Zur These des Zeigens als Gegenteil vom „pincer grip“, siehe Butterworth (2008: 19 f.).
Literatur
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Schäfer, R. Zeigen, Sprechen und Meinen. Österreich Z Soziol 38 (Suppl 1), 181–194 (2013). https://doi.org/10.1007/s11614-013-0103-5
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