Hintergrund

Langzeitarbeitslose Menschen gelten als gesundheitlich vulnerable und sozial benachteiligte Gruppe mit einem besonderem Präventions- und Gesundheitsförderungsbedarf [11, 13, 20]. Als langzeitarbeitslos gelten grundsätzlich Personen, die über ein Jahr arbeitslos sind (SGB III) und bei den Arbeitsagenturen oder den Trägern für Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) gemeldet sind [2]. Zwischen Januar 2018 und Januar 2022 lag die Anzahl in Deutschland etwa zwischen 720.000 und knapp 990.000 Menschen [3], wobei die Coronakrise zu einer deutlichen Verfestigung und infolge längerer Arbeitslosigkeit auch zu vermehrten Übertritten vom SGB-III-Rechtskreis (Arbeitslosengeld [ALG]) in den SGB-II-Rechtskreis (Grundsicherung) geführt hat [4]. Die negativen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit sind vielfach untersucht.

Arbeitslose haben verglichen zu Erwerbstätigen einen schlechteren subjektiven Gesundheitszustand [13, 14, 24, 25] und nehmen öfter Leistungen des Gesundheitssystems, wie ambulante ärztliche Leistungen oder Krankenhausaufenthalte, in Anspruch [8, 13, 20]. Zudem ist Arbeitslosigkeit laut Studienlage mit psychischen Problemen assoziiert bzw. verursacht diese: Während sich ein Arbeitsplatzverlust negativ auf die psychische Gesundheit auswirkt, ist eine Wiederbeschäftigung mit einer Verbesserung verbunden [27]. Weitergehend zeigt sich, dass gesundheitlich beeinträchtigte Menschen wiederum häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind, ein höheres Risiko für Entlassungen aufweisen, sowie geringere Reintegrationschancen haben [13, 24].

Um die beschriebene (negative) Wechselwirkung zwischen Gesundheitszustand und Arbeitslosigkeit zu durchbrechen, sind folglich neben Maßnahmen zur Beschäftigungs- bzw. Erwerbsfähigkeitsförderung ebenso Maßnahmen zur Gesundheitsförderung von Bedeutung [11]. Als ein zentrales Ziel wird u. a. vom Leitfaden Prävention dabei die Förderung der Gesundheitskompetenz („health literacy“) benannt [7]. Der Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz versteht darunter – ausgehend vom integrierten Modell von Sørensen et al. [35] – „das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in den Bereichen der Krankheitsbewältigung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu können, die ihre Lebensqualität während des gesamten Lebensverlaufs erhalten oder verbessern“ [31]. Während Gesundheitskompetenz heute als wichtige Gesundheitsdeterminante angesehen wird [17] und Personen mit einer höheren Gesundheitskompetenz eine bessere subjektive Gesundheit angeben [16, 39], liegt gleichzeitig ein gewisser sozialer Gradient vor: Nationale Surveys zeigen dahingehend, dass eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz u. a. mit einem niedrigeren Bildungsstand, einem geringeren selbsteingeschätzten sozialen Status und einer stärker ausgeprägten finanziellen Deprivation assoziiert ist [16, 29, 30]. Ebenso zeigen sich in Studien Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und einer niedriger ausgeprägten Gesundheitskompetenz [36, 38].

Neben quantitativen Daten, aus denen sich mit Blick auf die Gesundheitskompetenz vulnerable, benachteiligte Gruppen ableiten lassen, sind – z. B. für die Entwicklung zielgruppenspezifischer Maßnahmen – weitergehende qualitative Untersuchungen von Interesse. Ausgehend von der Notwendigkeit im Rahmen der Gesundheitsförderung den negativen Auswirkungen von (Langzeit‑)Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, ergibt sich dahingehend für die vorliegende Interviewstudie die folgende Fragestellung: Wie beschreiben Langzeitarbeitslose ihre eigene Gesundheitskompetenz?

Methode

Zur Beantwortung der Fragestellung wurde ein qualitatives Studiendesign [23] mit halbstrukturierten, leitfadengestützten Interviews gewählt, die im Rahmen einer Begleitevaluation eines Modellprojekts durchgeführt wurden. Das Kooperationsprojekt zwischen dem Jobcenter, einer Krankenkasse und einem Träger zur Beschäftigungsförderung behandelte die zielgruppenspezifische Gesundheitsförderung arbeitsmarktferner ALG-II-Beziehender. Ziele waren zum einen die Verbesserung der gesundheitlichen Situation durch verhaltensbezogene Maßnahmen (Gesundheitsberatung, regelmäßige Gesundheitsangebote) und zum anderen die Strukturentwicklung (Verhältnisperspektive). Die Berichterstattung der Interviewstudie orientiert sich an den „consolidated criteria for reporting qualitative research“ (COREQ; [37]). Für die Studie liegt ein positives Votum der Ethikkommission der Deutschen Sporthochschule Köln vor (053/2019).

Leitfaden

Der Interviewleitfaden der Begleitevaluation gliederte sich in verschiedene Abschnitte (Begrüßungs‑, Haupt- und Abschlussteil). Die Fragen zur Erhebung der subjektiven Gesundheitskompetenz im Hauptteil wurden am vierstufigen Prozess des Umgangs mit gesundheitsbezogenen Informationen angelehnt (finden, verstehen, beurteilen und anwenden; [31, 35]). Tab. 1 listet die vorformulierten Leit- und Steuerungsfragen als Grundstruktur des entsprechenden Interviewabschnitts auf. Die Schwerpunktsetzung konnte je nach Interviewverlauf flexibel angepasst und ergänzt werden. Anwendbarkeit und Verständlichkeit des Leitfadens wurden im Vorfeld arbeitsgruppenintern umfassend reflektiert.

Tab. 1 Leit- und Steuerungsfragen zur Gesundheitskompetenz

Teilnehmer und Durchführung

Die Akquise der Interviewpartner*innen erfolgte über den am Modellprojekt beteiligten Träger zur Beschäftigungsförderung durch persönliche Mitarbeiter*innenkontakte vor Ort. Das Einschlusskriterium war die aktuelle bzw. vorherige Teilnahme an einer verhaltensbezogenen Maßnahme im Verlauf des Kooperationsprojekts. Innerhalb laufender Angebote der Einrichtung erfragten durchführende Mitarbeiter*innen die Bereitschaft zur Teilnahme an einer Interviewstudie. Die Terminplanung erfolgte nach Absprache mit der wissenschaftlichen Begleitung. Die Interviews wurden im Oktober 2019 in Räumlichkeiten des im Modellprojekt kooperierenden Trägers zur Beschäftigungsförderung in vertraulicher Atmosphäre durchgeführt und digital aufgezeichnet (Audioaufnahmen). Die Letztautorin (A.S.) interviewte die weiblichen Studienteilnehmer*innen und der Erstautor (G.S.) die männlichen. Beide hatten bereits Erfahrungen mit Leitfadeninterviews aus vorherigen Forschungsprojekten. Interviewer*innen und Interviewte waren sich im Vorfeld unbekannt. Die Teilnahme erfolgte freiwillig und es liegt von allen Interviewten eine schriftliche Einverständniserklärung vor.

Insgesamt wurden 9 Interviews geführt und 207 min Interviewmaterial aufgezeichnet (durchschnittliche Gesamtlänge: 23 ± 6 min, Minimum [Min]: 13 min, Maximum [Max]: 33 min). Vor den Interviews füllten alle Teilnehmer*innen einen Kurzfragebogen (Geschlecht, Alter, subjektiver Gesundheitszustand [6], Zeitpunkt der Modellprojektteilnahme) aus. Von der Stichprobe (n = 9) waren 44 % weiblich und das Durchschnittsalter betrug 55 ± 9 (Min: 35, Max: 62) Jahre. Über die Hälfte gab den eigenen Gesundheitszustand mit „schlecht“/„sehr schlecht“ an (56 %). Die weiteren Teilnehmer*innen gaben ihren Gesundheitszustand mit „mittelmäßig“ an (44 %). Zwei Drittel der Stichprobe nahmen zum Interviewzeitpunkt an einem Gesundheits‑/Beschäftigungsförderungsangebot im Rahmen des Kooperationsprojekts teil.

Analyse

Die Audioaufnahmen wurden aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung der Arbeit anhand des Regelsystems nach Dresing und Pehl transkribiert [5] und nach der Methode der inhaltlich strukturierten Inhaltsanalyse [22] durch zwei Arbeitsgruppenmitglieder ausgewertet. In einem ersten Schritt wurde ausgehend vom Interviewleitfaden ein Kategoriensystem erstellt, wobei mit Blick auf die Interviewabschnitte zur Gesundheitskompetenz zur Dimensionsbildung deduktiv von den Leitfragen bzw. des vierstufigen Prozesses entsprechend des zugrunde liegenden integrierten Modells ausgegangen wurde. Weitere Ausprägungen wurden im weiteren Verlauf induktiv auf Grundlage des Materials entwickelt. Besonders aussagekräftige Zitate dienten als Ankerbeispiele und die kodierten Textstellen wurden inhaltlich zusammengefasst. Die Abstimmung erfolgte innerhalb der Autor*innengruppe anhand des kodierten Materials. Zur Auswertung wurde die Analysesoftware MAXQDA 2020 (VERBI Software GmbH, Berlin, Deutschland) eingesetzt.

Ergebnisse

Nachfolgend werden die Ergebnisse der Inhaltsanalyse zur Hauptkategorie „Vier Stufen der Gesundheitskompetenz“ entlang der deduktiv gebildeten Dimensionen dargestellt.

Finden

Hinsichtlich der Dimension „Finden von Gesundheitsinformationen“, verstanden als Beschreibungen bezüglich der Zugangswege zu Informationsquellen, wurden anhand des Interviewmaterials induktiv insgesamt drei weitere Ausprägungen gebildet.

Innerhalb der Ausprägung „medizinisch-gesundheitsbezogener Bereich“ wurden Aussagen von allen Interviewten kategorisiert, die sich auf Kontakte zu Fachpersonal/-professionen beziehen. Die Aussagen bezogen sich dabei schwerpunktmäßig auf Ärzte bzw. Arztpraxen.

„Wenn es mir nicht so gut geht, dann gehe ich beim Hausarzt und frage da“. G_29

Als weitere Kontakte wurden vorherige Therapeut*innen aus z. B. Rehabilitationsmaßnahmen, mit denen weiter Kontakt besteht, und zudem die Trainer*innen/Mitarbeiter*innen innerhalb laufender Gesundheitsförderungsmaßnahme des Modellprojektträgers genannt, die vor Ort bei gesundheitsbezogenen Fragen direkt ansprechbar sind.

„Hier die Experten oder die Therapeuten, sage ich jetzt mal, vor Ort. Oder die Trainer.“ B_84

„Und auch manchmal hier, wenn ich irgendwas haben möchte, fragen möchte. Die geben mir auch Antworten, was sie können, so gesehen.“ F_35

Innerhalb der Ausprägung „soziales Umfeld“ wurden Aussagen von 5 Interviewten kategorisiert, die sich auf bestehende Kontakte aus dem Freundes- und Bekanntenkreis bezogen, wenn es um das Finden von gesundheitsbezogenen Informationen ging. Von 2 Interviewten wurde in diesem Zusammenhang auf vorhandene gesundheitsbezogene Fachkompetenzen im sozialen Umfeld verwiesen (Therapeut*innen).

„Gerade mit gewissen Freunden rede ich auch mal über das eine oder andere Thema.“ B_81

„Ich weiß, es gibt Menschen, die kann ich immer anrufen, die helfen mir auch. Ich bin nicht alleine auf der Welt. Ich habe ein gutes, soziales Netzwerk um mich herum mir aufgebaut.“ D_19

Als dritte Ausprägung wurden Beschreibungen von 5 Interviewten zum „Medieneinsatz“ zur Suche nach Gesundheitsinformationen zusammengefasst. Neben analogen Quellen (Broschüren und Zeitschriften, Bücher, Bibliotheken) wurden ebenso digitale Quellen benannt.

„Also Google auf jeden Fall eher schneller, als beim Arzt. Dass man oh, da ist was, ich google vielleicht mal danach.“ E_53

„Außerdem ich informiere mich selber. YouTube.“ I_41

Verstehen

Innerhalb der Dimension „Verstehen von Gesundheitsinformationen“ wurden Aussagen aller Interviewten kodiert, die sich auf die Fähigkeit beziehen, die Bedeutung von gefundenen gesundheitsbezogenen Informationen zu erfassen und zu begreifen. Der Großteil der Interviewteilnehmer*innen berichtetet dahingehend von relativ geringen Verständnisproblemen bzw. einem Abgleich von Informationen und direkten Nachfragen bei Verständnisproblemen gegenüber Fachpersonal/-professionen.

„Wenn man sich so zusätzliche Quellen sucht und das dann halt für sich so ein bisschen abgleicht, kann man für sich auf jeden Fall rausfinden, denke ich, was da das Richtige ist, und dass man das eventuell auch besser versteht.“ E_61

„Immer nicht, nein. Beim Arzt, da frage ich dann nach (lacht). (…) Ich kriege meistens raus, was ich verstehen will (lacht).“ F_41

Von 2 Interviewten werden konkrete Herausforderungen in Bezug auf das Verständnis von (medizinischen) Fachbegriffen benannt.

„Das ist ein bisschen schwierig für mich, weil es doch mal Fachwörter sind.“ B_99

„Ja, schwer. (…) ich nenne das jetzt mal Fachchinesisch, das vielleicht nicht so unbedingt.“ E_59

Beurteilen

Hinsichtlich der Dimension „Beurteilen von Gesundheitsinformationen“, also der Fähigkeit, Urteile über Gesundheitsinformationen zu fällen und diese in einen Kontext einordnen zu können, wurden Interviewaussagen kategorisiert, die unterschiedliche und teilweise gegensätzliche Erfahrungen und Einschätzungen widerspiegeln. Auf der einen Seite wurde – vergleichbar zum „Verstehen von Gesundheitsinformationen“ – von geringen Schwierigkeiten bzw. einem differenzierten Umgang berichtet, der auch dazu führt, dass ggf. weitere Meinungen eingeholt werden.

„Ja, ich denke schon, dass ich es weiß. Und wenn ich mir aber unsicher bin und ich bin mir nicht ganz klar, (…) dann hole ich mir noch eine zweite Meinung, oder dritte Meinung ein.“ D_37

„Also man muss, finde ich, sich auf jeden Fall nicht nur bei einem Portal informieren, sondern schon verschiedene, damit man überhaupt so abgleichen kann. (…) Da muss man auf jeden Fall so ein bisschen abwägen können.“ E_61

Vereinzelt wird auf der anderen Seite allerdings Unsicherheit geäußert und es bestehen Herausforderungen bei der schlussendlichen Beurteilung von Informationen. Diese Unsicherheit zeigte sich dabei bei mehreren Interviewten auch gegenüber medizinischem Fachpersonal oder beim Umgang mit mehreren Quellen.

„Ja, das kommt darauf an. Das Gleiche schickt mir die Ärztin auch manchmal. Das vergleiche ich mit dem Internet dann. Das steht dann im Internet ganz anders drinnen.“ A_147

„Das finde ich manchmal schon eine große Herausforderung, weil es gibt viel, viel Informationen. (…) Der eine meint es wieder so und der andere wieder so.“ B_101

Anwenden

Innerhalb der Dimension „Anwenden von Gesundheitsinformationen“ wurden abschließend Aussagen codiert, die sich auf die Fähigkeiten bezogen, die gesammelten und beurteilten Informationen in gesundheitsbezogene Handlungen zu übertragen. Von den Interviewten wurden dabei gewisse Umsetzungsprobleme angegeben und es deuteten sich fehlende Umsetzungsstrategien an.

„Das Wissen ist da. Halt das Umsetzen fehlt jetzt gerade.“ B_75

„Nein, also das ist ja das berühmte in den eigenen Po treten. Das sollte man das schon, das muss man dann schon selber machen.“ C_57

„Ich würde sagen so mittelmäßig. Also gut bis mittelmäßig. Also, manchmal habe ich auch diesen, wie Sie es eben gerade gesagt haben, diesen inneren Schweinehund.“ D_39

„Ja natürlich auch Selbstdisziplin ist so eine Sache. Die Selbstdisziplin, ja.“ I_63

Diskussion

Die vorliegende qualitative Studie verfolgte das Ziel auf Grundlage leitfadengestützter Interviews subjektive Beschreibungen der Gesundheitskompetenz von Langzeitarbeitslosen zu erheben. Die Studienteilnehmer*innen berichteten dabei sowohl von Ansprechpartner*innen aus dem medizinisch-gesundheitsbezogenen Fachbereich, Kontakten aus dem sozialen Umfeld als auch von analogen und digitalen Medien als Quellen zum „Finden von Gesundheitsinformationen“. Beim „Verstehen von Gesundheitsinformationen“ wurde grundsätzlich eher von geringe Verständnisproblemen berichtet, wenngleich in den Interviews Fachtermini als Hürde benannt werden. Anknüpfend wurde mit Blick auf das „Beurteilen von Gesundheitsinformationen“ ein differenzierter Umgang beschrieben (bei allerdings zunehmender Unsicherheit). Hinsichtlich des „Anwendens von Gesundheitsinformationen“ wurden Umsetzungsprobleme bzw. fehlende Umsetzungsstrategien benannt. Die Ergebnisse deuten dahingehend unterschiedliche Ausprägungen der Gesundheitskompetenz entlang der vier Modellstufen [35] an, wobei ausgehend von der Inhaltsanalyse verschiedene Ansatzpunkte zur zielgruppenspezifischen Gesundheits- bzw. Gesundheitskompetenzförderung abgeleitet werden können.

Die Beschreibungen zum „Finden von Gesundheitsinformationen“ sind vergleichbar zu einer Studie von Samkange-Zeeb et al. (2022), in welcher in Interviews langzeitarbeitslose Teilnehmer*innen eines Wiedereingliederungsprogramms von einem allgemeinen Interesse an Gesundheitsthemen berichten und vielfältige Informationsquellen angeben [28]. Dies passt zum beschrieben gesundheitsbezogenen Umfeld, welches neben dem Freundes- und Bekanntenkreis eben auch Kontakte zu Gesundheitsprofessionen umfasst (sowohl generell als auch speziell im Rahmen von Förderungsmaßnahmen). Bei Samkange-Zeeb et al. (2022) werden dahingehend (Haus)ärzte und Fachkräfte in zielgruppenspezifischen Maßnahmen als wichtige Quellen benannt, um die Gesundheitskompetenz zu adressieren und um beratend gesundheitsförderliches Handeln zu unterstützen [28]. Hanewinkel et al. (2006) bspw. beschreiben, dass bereits einstündige Beratungsgespräche, welche persönliche Rückmeldungen zu Fragebogenergebnissen integrieren und den Schwerpunkt auf den individuellen Lebensstil, konkrete Änderungswünsche und präferierte Beratungsbereiche legen, als Kurzintervention einsetzbar sind [10].

Den Herausforderungen beim Verständnis von Fachbegriffen oder Unsicherheiten bei der Beurteilung von Gesundheitsinformationen sollte mit Maßnahmen in einfacher Sprache und zielgruppengerechter Kommunikation begegnet werden. Therapeut*innen und Trainer*innen sollten in ihrer wichtigen Rolle als Ansprechpartner*innen innerhalb von Gesundheitsförderungsmaßnahmen einen verstärkten Wert auf einen Vertrauensaufbau setzen.

Wenngleich Langzeitarbeitslose aufgrund ihrer jeweiligen Lebenssituation einen hohen Bedarf an individueller bzw. stark individualisierter Gesundheitsförderung aufweisen, sollte die Wichtigkeit von Maßnahmen mit sozialen und verhältnisorientierten Komponenten beachtet werden. Aufgrund des (moderierenden) Einflusses des sozialen Umfelds auf die Gesundheit, darf der Maßnahmenfokus nicht allein auf individuelle Bewältigungsmuster von Arbeitslosigkeit und das Gesundheitsverhalten der einzelnen Person liegen [12]. Horns et al. (2012) z. B. konnten zeigen, dass ein Gesundheitskompetenztraining, welches Einzelgespräche („motivational interviewing“) mit partizipativen Gruppenaktivitäten kombiniert (u. a. Bewegungsangebote, gemeinsames Essen), die Veränderungsbereitschaft zu gesunden Verhaltensweisen steigern kann [15]. Wichtig: Konventionelle Lebensweltansätze in z. B. Betrieben oder Bildungseinrichtungen erreichen die Zielgruppe nicht und andere (wohnortnahe) Zugänge sind notwendig [26]. Eine Umsetzungsmöglichkeit wären z. B. niederschwellige Angebote im Sozialraum, bei denen vertrauensvolle Vermittler*innen bei sowohl Beschäftigungsförderungs- als eben auch Gesundheitsförderungszielen fungieren.

Notwendig ist weitergehend, dass zielgruppenspezifische Maßnahmen dabei auch auf die Anwendung von Gesundheitsinformationen abzielen. Speziell bei der Zielgruppe arbeitsloser Menschen benötigt es gezielte Interventionsstrategien [12] mitsamt der Vermittlung von Kompetenzen zur Umsetzung gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen. Mit Blick auf die Gesundheitskompetenzmodellstufen stellt sich als Herausforderung gerade die praktische Anwendung des Wissens im Alltag dar [28]. Auch in diesem Zusammenhang haben soziale (Unterstützungs)netzwerke eine besondere Bedeutung [1, 33]. Während Arbeitslose häufiger und länger unter körperlichen und psychischen Beschwerden und gesundheitsbedingten Einschränkungen täglicher Aktivitäten leiden als Erwerbstätige, zeigt sich, dass eine ausgeprägte soziale Unterstützung wiederum positiv mit der Gesundheit korreliert [18]. Die Kombination von bspw. Einzelberatungen und Gruppenangeboten kann dabei zum sozialen, persönlichen und gesundheitlichen Kompetenzaufbau beitragen und einer Vereinzelung entgegenwirken (u. a. den Verlust beruflicher Umfelder; [15]). Da ausprägte persönliche Netzwerke weitergehend auch bedeutsam sein können für die Chancen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt [21], sind Maßnahmen zur Erweiterung und Stärkung eine weitergehende Verknüpfung von Beschäftigungs(fähigkeits)- und Gesundheitsförderung [11, 19].

Die übergeordnete Relevanz aktueller und zukünftiger Maßnahmen bleibt unbestritten. Eine systematische Übersichtsarbeit zur Gesundheitsförderung und Prävention bei Arbeitslosen von Hollederer (2019) unterstreicht den Mehrwert passender Angebote und Maßnahmen, denn die Interventionsstudien mit den größten Gesundheitseffekten zeigen auch durchweg positive Ergebnisse bei der Arbeitsmarktintegration [12]. Da Krankheit und Arbeitslosigkeit dahingehend interagieren, dass kranke Personen eher arbeitslos sind bzw. werden (Selektion) und Arbeitslosigkeit wiederum Krankheit verschlimmert (Kausalität; [11, 13]), verfolgt die Gesundheits(kompetenz)förderung durch die Verbesserung von Arbeitsmarktchancen neben dem naheliegenden individuellen Nutzen entsprechend auch übergeordnete gesellschaftliche und ökonomische Zielsetzungen.

Limitationen

Limitierend muss bedacht werden, dass die Interviewfragen zum vierstufigen Prozess des integrierten Gesundheitskompetenzmodells hinsichtlich der Wortwahl z. T. primär medizinisch geprägt waren (Tab. 1) und weitere Teilbereiche des zugrundeliegenden Gesundheitskompetenzmodells somit in den Interviews ggf. unterrepräsentiert wurden. Zudem wurde die Verständlichkeit des Interviewleitfadens nicht mit der Zielgruppe gepretestet. Da die „Gesundheitskompetenz“ jedoch generell als ein multidimensionales, komplexes und heterogenes Konzept verstanden wird [34], ist jede „Übersetzung“ von Modellbereichen in offene Interviewfragen methodisch eingeschränkt.

Nichtsdestotrotz stellt die vorliegende qualitative Studie einen beispielhaften modellgeleiteten Ansatz einer zielgruppenspezifischen Untersuchung dar, welcher über eine rein quantitative Erhebung hinausgeht. Fragebogenbasierte Studien betrachten zumeist Zusammenhänge und kategorisieren die Gesundheitskompetenz dabei anhand von Summenscores (z. B. [9, 16, 32]). Da das Ziel der vorliegenden Studie nicht die Erhebung repräsentativer Daten war, wurde aufgrund der kleinen Stichprobengröße kein begleitender Fragebogen eingesetzt. Qualitative Methoden ermöglichen dahingegen offenere, weniger eingrenzende Untersuchungen, wenngleich durch den natürlichen Gesprächsverlauf gleichzeitig Schwerpunktsetzungen entstehen können. In kommenden Quer- und auch Längsschnittstudien könnten quantitative und qualitative Methoden kombiniert werden.

Bei der Ergebnisinterpretation und den Ableitungen zu Ansatzpunkten für Maßnahmen ist weitergehend die kleine Stichprobe zu beachten (n = 9). Aufgrund der Akquise durch persönliche Kontakte vor Ort über Mitarbeiter*innen des am Modellprojekt beteiligten Trägers zur Beschäftigungsförderung und innerhalb laufender Gesundheitsförderungsangebote dürfte ein gewisser Selektionsbias vorliegen (persönliche Kontakte, Großstadt). Folgeuntersuchungen sollten trotz der allgemeinen Vulnerabilität und sozialen Benachteiligung von Langzeitarbeitslosen/ALG-II-Beziehenden weitere stichprobenrelevante Informationen erheben, um die Zielgruppe differenzierter betrachten zu können (z. B. Bildungsstand, Migrationshintergrund, Arbeitsfähigkeit).

Fazit für die Praxis

  • Die subjektive Gesundheitskompetenz sollte bei Maßnahmen zur Gesundheits- und Beschäftigungsförderung von Langzeitarbeitslosen explizit adressiert werden.

  • Bezüglich des Findens von Gesundheitsinformationen werden von der Zielgruppe vielfältige Quellen genutzt, wobei Therapeut*innen und Trainer*innen innerhalb von Gesundheitsförderungsmaßnahmen wichtige Ansprechpartner*innen sein können.

  • Zielgruppenspezifische Gesundheitsförderungsmaßnahmen sollten bezüglich der Kompetenzvermittlung einen Schwerpunkt bei den Themen Verstehen und Beurteilen von Gesundheitsinformationen haben.

  • Maßnahmen zur Gesundheitskompetenzförderung sollten einem umfassenden Konzeptverständnis folgen und neben der Informationsvermittlung besonders auch auf die Anwendung bzw. Umsetzung gesundheitsförderlicher Verhaltensweisen abzielen.

  • Neben der Gesundheitskompetenz liegt das Potenzial von Gesundheitsförderungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose insbesondere im Ziel der Bildung und Stärkung sozialer Netzwerke.