Hintergrund

Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas ist in Deutschland in den letzten Dekaden deutlich angestiegen [26]. Gründe hierfür sind in veränderten Lebensbedingungen zu finden, ungesunde Verhaltensweisen wie ein bewegungsarmer Alltag [5, 9] und eine hochkalorische, vitaminarme Ernährung [16, 20] etablieren sich bereits im Kindesalter. Durch diesen inaktiven und ungesunden Lebensstil erhöhen sich neben einem Risiko für Übergewicht und Adipositas schon bei Kindern die damit assoziierten chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen [7].

Interventionsstrategien zur Gesundheitsförderung müssen früh beginnen, da die Risikofaktoren schon in einem jungen Alter allgegenwärtig sind [22] und sich bereits im frühen Kindesalter gesundheitsrelevante Einstellungen und Verhaltensweisen [14] entwickeln, welche oftmals bis in das Jugend- und Erwachsenenalter beibehalten werden [23].

Erfolgreiche Interventionen zur Gesundheitsförderung zeichnen sich dadurch aus, dass die Interventionen speziell auf die Zielgruppe konzipiert sind und die gesamte Lebensumwelt miteinbeziehen [8, 28]. Bei Kindern sollte demnach neben der Familie auch die zentrale Sozialisationsinstanz „Kindergarten“ mit der Gruppe der Gleichaltrigen (Peergroup) in die Intervention integriert werden. Das Setting Kindergarten kann daher als idealer Interventionsort für Gesundheitsförderprogramme angesehen werden, hier können junge Kinder unabhängig von ihrer soziokulturellen Herkunft mit ihrer Peergroup über eine längere Zeitspanne erreicht werden. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich in diesem Setting eine gute Kontaktaufnahme zu den Eltern bietet.

Die Maßnahmenplanung von Programmen zur Gesundheitsförderung sollte wissenschaftlich fundiert sein und auf einem theoretischen Modell basieren [10], der komplexe Prozess der Interventionsentwicklung und dessen Umsetzung sollten durch ein Planungsmodell angeleitet werden. Jedoch steht die Interventionsentwicklung von Gesundheitsförderprogrammen kaum bzw. nur selten im wissenschaftlichen Fokus, nur vereinzelt werden Entwicklungen von Interventionsmaßnahmen und deren Inhalte ausführlicher beschrieben [6, 10]. Ein erfolgsversprechender Ansatz zur Maßnahmenentwicklung ist das sog. Intervention Mapping von Bartholomew [2]. Bei diesem Ansatz wird die Entwicklung von Interventionen zur Gesundheitsförderung schrittweise und detailliert angeleitet, die Verwendung von theoretischen Rahmenmodellen und praktizierbaren Umsetzungsstrategien steht im Mittelpunkt.

Im hier vorliegenden Artikel wird die Entwicklung des Gesundheitsförderprogramms „Komm mit in das gesunde Boot – Kindergarten“ mithilfe des Intervention-Mapping-Ansatz (IMA) [2] beschrieben. Es folgt eine Vorstellung der einzelnen Entwicklungsschritte, der genauen Interventionsinhalte und deren Umsetzung.

Es soll gezeigt werden, dass eine wissenschaftlich basierte Interventionsentwicklung von Gesundheitsförderprogrammen erfolgreich ist.

Methodik

Der IMA leitet eine theoriebasierte Entwicklung einer Intervention zur Gesundheitsförderung an. Er umfasst sechs Schritte: 1) die Bedarfsanalyse, 2) die Formulierung der Interventionsziele, 3) die Auswahl evidenzbasierter Methoden und Umsetzungsstrategien, 4) die Planung und Gestaltung des Programms, 5) die Konzeption der Umsetzung und Implementation und 6) die Planung der Evaluation [2].

Schritt 1: Bedarfsanalyse

Im ersten Schritt werden die Bedürfnisse der Zielpersonen der Intervention, hier der Kindergartenkinder, ermittelt. Für „Komm mit in das gesunde Boot – Kindergarten“ wurden systematische Literaturrecherchen zu den Themen „Bewegung und Freizeitgestaltung“, „Ernährung“ und bezüglich kindergarten- und schulbasierter Interventionsstudien zur Gesundheitsförderung durchgeführt.

Es fanden wöchentliche Sitzungen des gesamten interdisziplinär wissenschaftlich arbeitenden Teams und Fokusgruppengespräche mit Einrichtungsleiterinnen, pädagogischem Fachpersonal und Eltern statt.

Schritt 2: Spezifizierung der Programmziele

Die durch die Bedarfsanalyse erarbeiteten Schwerpunkte werden in diesem Schritt konkretisiert bzw. genauer definiert. Verhaltensweisen bzw. Programmziele wurden mithilfe sogenannter Matrizen (umfangreiche Tabellenvorlagen), die durch den IMA vorstrukturiert sind, festgelegt und ausgearbeitet.

Schritt 3: Auswahl der theoretischen Modelle und Umsetzungsstrategien

In diesem Schritt werden Modelle zur Verhaltensänderung und praktische Umsetzungsstrategien ausgewählt, die am besten zur Zielgruppe und den in Schritt 2 festgelegten Programmzielen passen.

Für das Interventionsprogramm „Komm mit in das gesunde Boot – Kindergarten“ wurden die sozial-kognitive Theorie nach Bandura (social cognitive theory, SCT) [1] und der sozioökologische Ansatz nach Bronfenbrenner [3] ausgewählt. Erstere geht davon aus, dass Verhalten durch persönliche Faktoren, Umweltfaktoren und das Verhalten reziprok determiniert wird. Bronfenbrenner nimmt an, dass es persönliche Beziehungen und soziale Interaktionen sind, welche auf das (Gesundheits-)Verhalten der Person bzw. der Kinder einwirken [3].

Schritt 4: Entwicklung des Interventionsprogramms

Die Interventionsmaterialien basieren auf den festgelegten Programmzielen und ausgewählten theoretischen Modellen der vorangegangenen Schritte.

Die Materialien wurden in Anlehnung an den Orientierungsplan für Kindergärten in Baden-Württemberg [21] und in Zusammenarbeit mit einem pädagogischen Beirat aus Erzieherinnen und Erziehern, Pädagogen und Grundschullehrern entwickelt. Die Interventionsmaterialien wurden in der Entwicklungsphase für ein halbes Jahr in 13 Pilotkindergärten vorgetestet.

Schritt 5: Planung der Implementation

Im fünften Schritt des IMA liegt der Schwerpunkt auf der konkreten Programmumsetzung.

Hierfür wurde ein Multiplikatorenansatz (d. h. Erzieher/innen werden ausgebildet, weitere Erzieher/innen fortzubilden) gewählt und dieser entwickelt.

Schritt 6: Planung der Evaluation

Im letzten Schritt des IMA wird die Planung der Evaluation des Interventionsprogrammes angeleitet.

Es wurde eine umfangreiche Prozessevaluation und die Messparameter und Zielvariablen für eine zukünftige Outcome-Evaluation und deren Umsetzung festgelegt.

Ergebnisse

Schritt 1: Bedarfsanalyse

Die Bedarfsanalyse wurde in die zwei Themenbereiche „Bewegung und Freizeitgestaltung“ und „Ernährung“ aufgeteilt. Die Bedarfsanalyse für „Bewegung und Freizeitgestaltung“ macht deutlich, dass die Förderung von körperlicher Bewegung eine Schlüsselrolle in der Prävention von Übergewicht und Adipositas und chronischen Krankheiten [18, 22] einnimmt.

Jedes vierte bzw. jedes achte Kind im Alter von 3 bis 10 Jahren betätigt sich nicht regelmäßig bzw. nie sportlich [15]. Zudem wird die empfohlene Aktivitätsrichtlinie der Weltgesundheitsorganisation [29] von mindestens 60 Minuten pro Tag nur von 15,3 % der 4‑ bis 17-Jährigen in Deutschland erreicht [13]. Gründe hierfür können unter anderem in der vermehrten Nutzung von Bildschirmmedien (z. B. Fernsehen, PC, Konsolenspiele) und in der Abnahme an Alltagsaktivitäten (z. B. Transport von Kindern durch ihre Eltern in die Kindertageseinrichtungen) [11] gefunden werden. Eine Änderung des Bewegungsverhaltens ist demnach nur möglich, wenn eine Reduktion des Konsums von Bildschirmmedien einhergeht [13] und die Eltern in die Intervention miteinbezogen werden [8].

Die Bedarfsanalyse zum Thema „Ernährung“ zeigt, dass die wohl bedeutendsten Gründe für die weitverbreitete vitaminarme und hochkalorische Ernährung [20] in der einfachen Erreichbarkeit und dem Überangebot von ungesunden Nahrungsmitteln zu finden sind. Schon durch die alleinige Reduktion von zuckerhaltigen Getränken kann eine Verringerung von Übergewicht und Adipositas erreicht werden [19]. Auch wird deutlich, dass einem hohen Obst- und Gemüsekonsum eine wichtige Bedeutung hinsichtlich der Prävention verschiedener Krankheiten (z. B. Übergewicht, koronare Herzkrankheiten, bestimmte Krebserkrankungen) zukommt [25].

Es wurden vier Programmschwerpunkte herausgearbeitet: „Förderung der (Alltags-)Bewegung“, „Reduktion der Bildschirmmediennutzung“, „Reduktion zuckerhaltiger Getränke“ und „Steigerung des Obst- und Gemüsekonsums“. Diese Schwerpunkte sind bedürfnisorientiert, zielgruppenspezifisch und im Rahmen eines kindergartenbasierten Programms zur Gesundheitsförderung gut umsetzbar. Als Ziel der Intervention sollen alle baden-württembergischen Kindertagesstätten angesehen werden.

Schritt 2: Spezifizierung der Programmziele

Hinsichtlich der vier Schwerpunkte (Bewegung, Medien und Trinken, Obst- und Gemüsekonsum) wurden personeninterne (Bewusstsein, Fähigkeiten, Selbstwirksamkeit, Vorlieben) und externe Determinanten (Kindergarten, Peergroup und Familie) eines gesunden Lebensstils in umfangreichen Matrizen festgelegt. Die Determinanten zeigen detailliert Bereiche, Aufgaben und Lernziele für die konkrete Interventionsplanung auf.

Die herausgearbeiteten Programmziele sind folgende: Die Kinder müssen neues Wissen erhalten und Möglichkeiten erhalten neue, alternative Verhaltensweisen (z. B. Bewegungsspiele, Lebensmittel) auszuprobieren. Bei dem ernährungsspezifischen Schwerpunkt spielt besonders das direkte Angebot von gesunden Lebensmitteln eine bedeutende Rolle.

Schritt 3: Auswahl der theoretischen Modelle und Umsetzungsstrategien

Theoretische Rahmenmodelle

Als theoretische Rahmenmodelle der Intervention wurden die SCT und der sozioökologische Ansatz nach Bronfenbrenner [3] ausgewählt. So können sowohl Maßnahmen zur Verhaltens- als auch zur Verhältnisänderung angeleitet werden. Der sozioökologische Ansatz [3] macht deutlich, dass die Einbeziehung der Familie und der Peergroup bzw. die Verhältnisänderung von großer Bedeutung sind, da neu erlernte Verhaltensweisen nur beibehalten werden können, wenn sie in allen Lebensumwelten des Kindes unterstützt werden.

Die in der SCT angewandten Methoden wie: Wissensvermittlung, Modelllernen, Selbstevaluierung, Verstärkung, Förderung der Selbstwirksamkeit und das Setzen von Zielen [24] sind gut geeignet, um gesundheitsbezogene Verhaltensänderungen bei Kindergartenkindern zu erreichen. Diese Methoden müssen jedoch für das Kindergartensetting konkretisiert werden. Tab. 1 zeigt die Umsetzung der theoretischen Methoden in praktische Strategien bzw. didaktische Materialien und Werkzeuge und wie diese den verschiedenen Determinanten der personeninternen Verhaltensänderung zugewiesen werden können.

Tab. 1 Umsetzung der sozial-kognitiven Theorie in praktische Strategien und Materialien bzw. Werkzeuge für das Interventionsprogramm „Komm mit in das gesunde Boot – Kindergarten“

Praktische Umsetzungsstrategien

Damit das Programm nachhaltig ist und langfristig in den Kindergartenalltag integriert werden kann, wird „Komm mit in das gesunde Boot – Kindergarten“ durch einen erzieherzentrierten Ansatz umgesetzt. Denn nur so können tiefgreifende gesundheitsfördernde Veränderungen in der Kindergartenumwelt umgesetzt und die Kinder kontinuierlich bei einer Verhaltensänderung unterstützt werden. Im Gegensatz zu externen Fachkräften haben Erzieher/innen zudem die Möglichkeit, über Elternbriefe, Elternabende, Elterngespräche und Elternkontakte bei den täglichen Bring- und Abholsituationen die ganze Familie in die Intervention mit einzubeziehen.

Das Programm wird durch ein Multiplikatorensystem umgesetzt. Hier werden Erzieher/innen qualifiziert, als Multiplikatoren andere Erzieher/innen fortzubilden.

Schritt 4: Entwicklung des Interventionsprogramms

Die Schwerpunkte der Interventionsmaterialien sind Förderung der (Alltags-)Bewegung, Reduktion des Medienkonsums, Förderung des Obst- und Gemüsekonsums und die Minimierung zuckerhaltiger Getränke.

Den Kindern soll bewusst werden, welche vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten ihr Alltag bietet. Bewegtes Spielen soll durch das Anbieten und Kennenlernen von Ideen im Kindergartenumfeld unterstützt werden. Die Materialien zur Freizeitgestaltung setzen einerseits auf die oben genannte Förderung bewegter Spiele, andererseits auf eine Reduktion der Medienzeit.

Der Bereich „Ernährung“ wird schwerpunktmäßig durch die Ziele „Förderung des Obst- und Gemüsekonsums“ und „Reduktion des Konsums zuckerhaltiger Getränke“ repräsentiert; in der Umsetzung dieses Zieles werden Situationen wie ein gesundes Frühstück oder Pausenbrot bzw. Pausengetränk erarbeitet.

Die im Hinblick auf den Orientierungsplan für Kindergärten in Baden-Württemberg [21] gemeinsam mit einem pädagogischen Beirat entwickelten Interventionsmaterialien bestehen aus Vorlagen für Bewegungsstunden, Ernährungseinheiten und Bewegungs- und Freizeiteinheiten, Materialien für die Elternarbeit und Bewegungsübungen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Überblick über das Interventionsprogramm „Komm mit in das gesunde Boot – Kindergarten“

Um die Kindergartenkinder auch emotional zu erreichen und Rollenvorbilder zu schaffen, wurden zwei Piratenkinder „Finn“ und „Fine“, geschaffen, deren Erlebnisse sich als roter Faden durch den Inhalt ziehen. Diese liegen auch als Handpuppen vor.

Bewegungsstunden

Die 20 Bewegungsstunden (je ca. 45 min) sind so konzipiert, dass sie in einem Bewegungsraum durchgeführt werden können. Eine detaillierte Vorlage beschreibt Aufbau, Ziel und Ablauf der Bewegungsspiele. Um die Durchführbarkeit zu erleichtern, ist der Materialbedarf gering gehalten. Alle Bewegungsstunden enden mit einer Entspannungs- bzw. Ruhephase. Pro Woche soll eine Bewegungsstunde durchgeführt werden.

Ernährungseinheiten

Um das Themenfeld „Ernährung“ in den kindlichen Kindergartenalltag zu integrieren, wurden 15 Ernährungseinheiten entwickelt. Sie umfassen u. a. folgende Themen: „Gesundes Frühstück“, „Obst und Gemüse“, „Anbau und Pflege von Kräutern“, „Kochen nach Rezept“ und „Gesunde Durstlöscher“.

Zu Beginn jeder Einheit sind sowohl der zu erwartende zeitliche Umfang als auch die benötigten Materialien aufgelistet. Die Einheiten können über das Kindergartenjahr verteilt oder als Themenschwerpunkte an einigen Tagen hintereinander eingesetzt werden.

Bewegungs- und Freizeiteinheiten

Durch die 15 Bewegungs- und Freizeiteinheiten sollen die Kinder aktive Handlungsalternativen für ihre Freizeit kennenlernen und erfahren, wieso Bewegung wichtig für den Körper und die Gesundheit ist. Wie bei den Ernährungseinheiten ist auch hier der zeitliche Umfang sehr unterschiedlich. Inhalte der Einheiten sind in Tab. 2 zu sehen.

Tab. 2 Inhalte der einzelnen Bewegungseinheiten und die dazugehörigen Umsetzungsstrategien der sozialkognitiven Theorie

Bewegungskarten

Auf 56 Bewegungskarten sind stichpunktartig kindgerechte Bewegungsspiele beschrieben, die als Auflockerung im Kindergartenalltag, z. B. nach dem Morgenkreis oder zur gezielten Bewegungsförderung, ohne großen Platz- und Materialbedarf, eingesetzt werden können. Fast alle Übungen enden mit einer kurzen Entspannungs- bzw. Ruhephase. Um eine ausreichende Bewegungszeit für die Kinder zu erreichen, sollen zwei Karten pro Tag eingesetzt werden.

Materialien zur Elternarbeit

Über das Jahr verteilt sind 5 Elternbriefe vorgesehen. Diese sollen zu passenden Zeitpunkten ausgegeben werden, um die Eltern über aktuell behandelte Themen zu informieren bzw. ihnen Hintergrundwissen zu liefern. Für alle Elternbriefe gibt es Kopiervorlagen in drei Sprachen: Deutsch, Türkisch und Russisch.

Die Interventionsmaterialien beinhalten Vorlagen für zwei Elternabende. So sollen die Eltern Informationen und Denkanstöße und Hinweise erhalten, wie sie ihre Kinder bei einer gesunden Lebensweise unterstützen können.

Umsetzung der theoretischen Rahmenmodelle

Bei der Entwicklung der Interventionsmaterialien wurden stets die theoretischen Rahmenmodelle der SCT und des sozioökologischen Ansatzes nach Bronfenbrenner [3] beachtet. So ist die Integration der Eltern in die Intervention durch Elternabendmaterialien und Elternbriefe realisiert. Die Strategien der SCT werden besonders durch die Präsentation von Rollenvorbildern und Handlungsalternativen umgesetzt. Exemplarisch sind die Inhalte der einzelnen Bewegungseinheiten und die dazugehörigen Umsetzungsstrategien der SCT in Tab. 2 dargestellt.

Schritt 5: Planung der Implementation

Damit „Komm mit in das gesunde Boot“ langfristig umsetzbar ist, wurde ein landesweites Multiplikatorensystem entwickelt [27]. Für das Kindergartenprogramm ist in jedem der 44 Stadt- bzw. Landkreise Baden-Württembergs ein Multiplikatoren-Tandem zuständig, welches pro Jahr zwei regionale Fortbildungen anbietet. Bei den Fortbildungen erhalten die am Programm teilnehmenden Erzieher/innen kostenfrei die Interventionsmaterialien. Die Multiplikatoren, die selbst Erzieher/innen sind, werden von dem interdisziplinären Projektteam der Universität Ulm jährlich zweimal geschult und eng betreut.

Schritt 6: Evaluationsplanung

Im letzten Schritt des IMA wird die Evaluationsplanung des Programms entwickelt. Es ist ein randomisiertes Warte-Kontrollgruppendesign geplant, die Interventionsdauer soll ein Jahr umfassen. Zur Ergebnisevaluation werden anthropometrische Messungen (Körpergröße, Körpergewicht, Bauchumfang), psychologische (u. a. Selbstwirksamkeitserwartung) und sportmotorische Testungen der Kinder erhoben. Die Eltern erhalten einen Fragebogen zum gesundheitsbezogenen Alltagsverhalten der ganzen Familie sowie zum Ernährungsverhalten des Kindes und die Erzieher/innen einen Fragebogen zur Kindergartenumwelt. Im Rahmen einer umfangreichen Prozessevaluation wird der gesamte Programmverlauf (Schulung der Multiplikatoren, Fortbildungen der Erzieher/innen, Einsatz der Interventionsmaterialien) dokumentiert.

Diskussion

Dieser Artikel beschreibt detailliert die theoriegeleitete Entwicklung einer Intervention zur Gesundheitsförderung im Kindergarten. In den meisten publizierten, Interventionseffekt-fokussierten Arbeiten wird dieser grundlegende, wichtige Arbeitsschritt nicht bzw. kaum thematisiert. Dabei sollten gerade diese Entwicklungsprozesse auch für andere Programmplaner zur Verfügung stehen, da nur so, neben einer Standardisierung, auch eine Weiterentwicklung von Interventionen zur Gesundheitsförderung stattfinden kann.

Zur Interventionsentwicklung wurde das strukturierte Planungsmodell „Intervention-Mapping-Ansatz“ [2] angewandt. Es ist eine gute Möglichkeit, eine strukturierte Unterstützung bei der Maßnahmenkonkretisierung zu erhalten. Der Einsatz des IMA ist jedoch sehr zeitaufwendig und komplex, neben einer ausreichenden Vorlaufzeit muss der Zugang zu verschiedenen wissenschaftlichen Qualifikationen gegeben sein. Für das Programm „Komm mit in das gesunde Boot“ arbeiteten Mediziner, Sportwissenschaftler, Psychologen, Gesundheitswissenschaftler, Ernährungswissenschaftler und Pädagogen gemeinsam an der Entwicklung und Umsetzung. Diese Fachbereiche decken alle durch den IMA geforderten Kompetenzen für Gesundheitsförderung ab. Neben dem großen personellen Bedarf ist auch der hohe Zeitaufwand für die Umsetzung des IMA zu beachten. Von den ersten Planungen bis zur tatsächlichen Umsetzung des Programms in den Kindergärten waren 16 Monate Vorbereitungszeit nötig.

Das Setting Kindergarten eignet sich sehr gut, um Interventionsprogramme zur Gesundheitsförderung umzusetzen, da neben der Verhaltensänderung (z. B. Wissensvermittlung, Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung) auch die Verhältnisänderung (z. B. Angebot von gesunden Getränken, Nahrungsmitteln, bewegungsanregender Garten) möglich ist. So haben die Kinder bei allen aufkommenden gesundheitsbezogenen Veränderungen den Rückhalt, aber auch die Motivation durch die Peergroup. Die SCT ist für das Kindergartenalter das ideale Rahmenmodell, da sie besonders im Kindergartensetting mit ihren Umsetzungsstrategien, wie beispielsweise dem Modelllernen, gut realisiert werden kann [4]. Die SCT wird bei vielen erfolgreichen Interventionsmaßnahmen zur Gesundheitsförderung als theoretisches Rahmenmodell angewendet [4] und empfohlen [28], dennoch wird die konkrete Anwendung bzw. Umsetzung der SCT oder anderer Theorien zur Verhaltensänderung im Kontext kindergarten- bzw. schulbasierter Interventionen zur Gesundheitsförderung nur selten ausführlich beschrieben [10, 28].

Die entwickelte Intervention ist umfangreich und beinhaltet abwechslungsreiche und kindgerechte Materialien, welche direkt im bestehenden Kindergarten-Alltag eingesetzt werden können. Die detailliert ausgearbeitete Intervention unterstützt die Erzieher/innen bei ihrer regulären Arbeit, da die Interventionsschwerpunkte (Bewegung, Ernährung, Freizeitgestaltung) vorgegebene Themenbereiche aus dem Orientierungsplan für Kindergärten in Baden-Württemberg [21] abdecken und vertiefen. Die Interventionsmaterialien integrieren Bewegung direkt im Kindergartenalltag, da Studien zeigen, dass der Erfolg von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung auch davon abhängt, ob Möglichkeiten geschaffen werden, Bewegung direkt vor Ort umzusetzen [17]. Im Idealfall werden die Bewegungskarteikarten im Anschluss an den Morgenkreis eingesetzt und werden so Teil der im Kindergarten wichtigen Ritualisierung und Rhythmisierung. Alle Materialien unterstützen schon bestehende Elemente des Kindergartenalltags, wie z. B. Turnstunden, Ausflüge, gemeinsame Koch- und Backaktionen.

Um tatsächlich alle Familien, auch Familien mit Migrationshintergrund oder „bildungsferne“ Elternhäuser zu erreichen, wurden für das Programm „Komm mit in das gesunde Boot – Kindergarten“ sehr einfach formulierte und ansprechend gestaltete Materialien für die Elternarbeit entwickelt, welche neben Informationen auch konkrete Handlungsalternativen liefern. Der erste Elternbrief ist ein „Kinderbrief“, den die Kinder erhalten und der von den Eltern zuhause vorgelesen werden soll. Dies ist ein Versuch, die Familien zur tatsächlichen Beschäftigung mit den Elternbriefen anzuregen. Des Weiteren werden durch die Materialien und die Fortbildungen Ideen geliefert und Möglichkeiten geschaffen (von den Kindern gestaltete Posteraushänge, Aktionen wie „Gesundes Frühstück“, Elternbriefe usw.), um Eltern gesundheitsrelevante Informationen ohne Belehrungscharakter zukommen zu lassen. Alle Elternbriefe sind in Türkisch und Russisch übersetzt.

Auch wenn schon einige Programme im Bereich Ernährung und Bewegung für das Setting Kindergarten vorliegen, so zeigte die Bedarfsanalyse doch, dass langfristig angesetzte, ohne externe Fachkräfte umgesetzte Interventionen sehr selten und gewünscht sind. Der enge Peer-to-Peer-Multiplikatorenansatz des Programms kann als eine Neuerung angesehen werden. Hier werden die Erzieher/innen von einem Tandem mit Expertenwissen aus der Elementarpädagogik und aus dem Sport- oder Ernährungsbereich fortgebildet und befähigt, die Intervention eigenständig und somit langfristig umzusetzen. Im Mittelpunkt der Fortbildungen und der Materialien steht immer die Präsentation und Vermittlung von einfach umsetzbaren Handlungsalternativen. Dazu sind die Interventionsmaterialien durch die Verankerung in die Piratengeschichte durch Handpuppen, Geschichten, Illustrationen usw. sehr ansprechend und kindgerecht gestaltet.

In der Literatur wird für erfolgreiche kindergartenbasierte Maßnahmen zur Gesundheitsförderung eine Interventionsdauer von mindestens einem Jahr geraten [12, 28]. Mit dem entwickelten Interventionsprogramm „Komm mit in das gesunde Boot“ können Kinder über ein Jahr hinweg oder länger erreicht werden. Da das Programm ohne externe Fachkräfte auskommt, kann es durch die fortgebildeten Erzieher/innen ohne Kosten verstetigt werden.

Mithilfe der Anwendung des IMA ist es möglich, den Entwicklungsprozess des Interventionsprogramm „Komm mit in das gesunde Boot“ detailliert zu dokumentieren und dadurch anderen Interventionsentwicklern zur Verfügung zu stellen. Durch diese Transparenz ist eine Standardisierung und Vergleichbarkeit möglich, welche eine Evidenzbasierung im Sinne von „Public Health“ erhöht bzw. möglich macht [30].

Ausblick

Im ersten Programmjahr führen 512 Kindergärten bzw. 765 Erzieher/innen das Programm „Komm mit in das gesunde Boot – Kindergarten“ durch; für die Evaluation des Programms werden 50 Kindertagesstätten bzw. 1000 Kinder angestrebt.

Fazit für die Praxis

  • Interventionen zur Gesundheitsförderung sollten dringend mithilfe von Planungsmodellen (z. B: Intervention-Mapping-Ansatz) entwickelt werden, da diese den Entwicklungsprozess strukturieren.

  • Interventionen müssen auf theoretischen Rahmenmodellen basieren, um eine tatsächliche Verhaltensänderung als Ergebnis haben zu können.

  • Interventionsmaterialien müssen mit Personen aus der Praxis entwickelt werden, um relevant, praxisnah und unterstützend zu sein. Nur so können sie von den interventionsumsetzenden Personen akzeptiert werden und eine Unterstützung in ihrer Arbeit darstellen.

  • Da bei der Entwicklung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung lange Planungszeiten eingerechnet werden müssen, muss die Entwicklungsphase früh genug starten.