Zusammenfassung
Hintergrund
Kommunikationsbarrieren ziehen sich seit Jahrzehnten wie ein roter Faden durch die inzwischen anwachsende Literatur zur Gesundheitsversorgung von Immigranten. Frühere Studien offenbarten, dass ungelöste Sprachbarrieren zu Informationsdefiziten führen, die die Zufriedenheit von Patienten und Mitarbeitern sowie die Versorgungsqualität beeinträchtigen.
Methodik
Anhand einer Literaturübersicht wird der Frage nachgegangen, welche kommunikativen Herausforderungen aktuell in der Gesundheitsversorgung bestehen und wie damit umgegangen wird.
Ergebnisse
Aktuelle Studien zeigen, dass sprachliche Kommunikationsbarrieren in der Gesundheitsversorgung häufig vorkommen. Jedoch verlässt man sich in der Versorgungspraxis bei der Kommunikation mit nichtdeutschsprachigen Patienten weitgehend auf Improvisationen, die den Qualitätsstandards kaum gerecht werden. Fehl‑, Unter- und Überinanspruchnahme, Einschränkungen in der Versorgungsqualität und für das Personal unbefriedigende Versorgungsarrangements gehören zum Alltag. Dass qualifizierte professionelle Sprachmittler die Qualität der Behandlung und die Patientensicherheit deutlich verbessern, ist belegt, aber bisher werden sie nicht systematisch und flächendeckend eingesetzt. Projekte sind räumlich begrenzt und zeitlich befristet, Qualifikationsniveaus variieren, die Finanzierung der Einsätze ist unzureichend geregelt und Institutionen sowie das Personal sind nicht ausreichend auf die Diversität vorbereitet. Es fehlt an flächendeckenden Strategien und verbindlichen strukturellen Maßnahmen auf politischer und institutioneller Ebene, um die Qualität der Kommunikation und damit auch die Versorgungsqualität für Patienten mit geringen Deutschkenntnissen zu verbessern.
Abstract
Background
For decades communication barriers have been a common thread in the growing amount of literature on the healthcare of immigrants. Earlier studies revealed that unsolved language barriers led to severe information deficits that affect patient and employee satisfaction as well as the quality of healthcare.
Method
Based on a literature review, the question is addressed as to which communicative challenges currently exist in healthcare and how these problems are dealt with.
Results
Recent studies have shown that linguistic barriers in communication are often found in healthcare; however, communication barriers with non-German speaking immigrant patients are mostly compensated by improvisation that does not meet the quality standards. Consequently, communication barriers lead to an inefficient utilization of healthcare, have negative effects on healthcare processes and the quality of care and lead to patient and staff dissatisfaction. The fact that qualified professional interpreters significantly improve the quality of care and patient safety is documented, but so far they have not been systematically and extensively implemented. Projects have regional and time limitations, qualification levels vary, the funding of language interpretation is insufficiently regulated, and institutions and staff are inadequately prepared for the diversity. There is a lack of comprehensive strategies and necessary structural measures at political and institutional levels to improve the quality of communication and thereby also the quality of care for patients with little knowledge of German.
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Interessenkonflikt
T. Borde war an der Entwicklung des Curriculums der Qualifikation für Sprach- und Integrationsmittler/-innen (SprInt) für die Bereiche Sozial- und Bildungswesen beteiligt und wirkt seit 2012 in der Qualitätssicherungskommission des bundesweiten SprInt-Netzwerks mit.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von der Autorin durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Redaktion
H. Kentenich, Berlin
M. David, Berlin
W. Küpker, Bühl
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Borde, T. Kommunikation und Sprache. Gynäkologische Endokrinologie 16, 3–9 (2018). https://doi.org/10.1007/s10304-017-0167-6
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DOI: https://doi.org/10.1007/s10304-017-0167-6
Schlüsselwörter
- Migration
- Qualität der Gesundheitsversorgung
- Kommunikationsbarrieren
- Patientenzufriedenheit
- Patientensicherheit