Geschätzte Leserinnen und Leser,

die vorliegende Ausgabe beschäftigt sich ausführlich mit dem Thema Gerinnung. – Prof. Hoffmann wird Sie im Folgenden zum Thema hinführen. Die Gerinnung ist entweder unser Freund oder eben oft auch der Feind des Gefäßchirurgen. Jedes Implantat ist thrombogen. Aber auch die neuen Studien zur oralen Antikoagulation (z. B. Compass-Trial) zeigen, dass die Gerinnung bzw. die Beeinflussung derselben auch bei stabiler peripherer arterieller Verschlusskrankheit oder Karotisstenose die Prognose unserer Patienten quod vitam verändert [1].

Die Gerinnung ist entweder der Freund oder der Feind des Gefäßchirurgen

Uns allen ist, wenn wir über Thrombose sprechen, die Virchow-Trias bekannt. Zwar eigentlich auf das venöse System bezogen, gilt die Kombination aus Stase, Hyperkoagulabilität und Wandveränderung als wesentlicher Auslöser für eine Thrombose.

Dabei hat Virchow wohl selbst diese Trias als solche nie beschrieben, und wurde auch zu seinen Lebzeiten nicht unter dieser Kombination mit seinem Namen in Verbindung gebracht. Erst 100 Jahre nach seinen Arbeiten zu dieser Thematik wurde diese typische Kombination von Symptomen dem großen Pathologen zugeschrieben ([2]; Abb. 1).

Abb. 1
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Rudolf Virchow. Porträt von Hanns Fechner, 1891. [3]

Rudolf Ludwig Karl Virchow wurde 1821 im pommerschen Schievelbein (heutiges Swidwin/Polen) geboren und wuchs in eher bescheidenen Verhältnissen auf [4]. Ab 1839 studierte er mithilfe eines Stipendiums am Friedrich-Wilhelm-Institut in Berlin Medizin [5]. Er begab sich damit in eine Umgebung von zum Teil bereits damals bekannten, aber auch späteren Größen der Medizin: Johannes Peter Müller (Direktor des Instituts für Anatomie, Physiologie und Pathologie) sowie Johann Lukas Schönlein, dessen Namen wir heute u. a. später durch Purpura Schönlein-Henoch regelhaft nennen. Neben Virchow studierten dort auch: Jakob Henle, Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz, Theodor Ambrose Hubert Schwann und andere [2, 4].

1843 promovierte Virchow zum Dr. med. und begann eine Stelle als Unterarzt an der Charité [6]. Im folgenden Jahr wurde er Assistent des Prosektors der Charité (Robert Friedrich Froriep) und veröffentlichte 1845 und 1846 seine ersten Publikationen über die Leukämie und Blutgerinnung in „Froriep’s Neue Notizen aus dem Gebiet der Natur- und Heilkunde“ [7, 8]. Dabei war er der erste, der den Zusammenhang von der Entstehung der Thromben im venösen System mit anschließender Verschleppung in die Lungenarterie erkannte und den Begriff der „Embolie“ prägte. In Experimenten an Hunden brachte er Gerinnsel verschiedener Genese in die Jugularvene der Tiere ein und wies den Transport ins rechte Herz bzw. die Lungenarterien damit experimentell nach [8].

Die nachfolgende Arbeit: „Weitere Untersuchungen über die Verstopfung der Lungenarterie und ihre Folgen“ gelten gemeinhin als Grundlage für die berühmte Trias. Demnach reicht die Stase allein nicht aus für die Formation von Thromben und Virchow sah vor allem in der Hyperkoagulabilität die Ursache für die Vorgänge [4, 9]. Allerdings beschrieb Virchow dieses Phänomen nicht für den Ort der Entstehung des Thrombus, sondern vielmehr als Ursache für die Adhäsion in der Lungenarterie [2, 4]. Weiterhin sah Virchow in der Entzündung der Venenwand nicht die Ursache, sondern die Folge der Thrombose [2, 4] und widersprach konkret der These von Cruveilhier, der aus seinen Beobachtungen mit eitrigen Gerinnseln geschlossen hatte, dass Entzündungen durchaus die Ursache für Venenthrombosen sein können [2]. Die in den Aufzeichnungen gefundenen Zusammenfassungen der verschiedenen Phänomene, die Virchow 1856 publizierte, bezogen sich ausdrücklich somit auf die Folgen der Thrombose, nicht deren Ursache [2].

Es war Karl Albert Ludwig Aschoff, der die eigentliche Trias 1924 formulierte, ohne dabei Virchow zu zitieren [2, 10]. Interessanterweise war Aschoff ein Schüler von Friedrich Daniel von Recklinghausen, der wiederum ein Schüler von Virchow war [4]. Weitere berühmte Schüler waren übrigens niemand geringere als Adolf Kussmaul und Heinrich Irenaeus Quincke.

1847 habilitierte Virchow und wurde als Nachfolger Frorieps als Prosektor an der Charité eingestellt. Im gleichen Jahr begründete er die Zeitschrift „Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin“, aus der später „Virchows Archiv“ hervorging [4, 6].

Im Auftrag der preußischen Regierung untersuchte er die Fleckfieber-Epidemie in Oberschlesien und kam dabei zu Schlussfolgerungen, die der Obrigkeit nicht gefielen: Ohne „volle und uneingeschränkte Demokratie“, so Virchow, könne es keinen Wohlstand und keine Gesundheit geben [5].

1848 beteiligte er sich an Straßenkämpfen der aufständischen Demokraten und wurde im Folgejahr wegen der Beteiligung an politischen Unruhen seines Amtes enthoben. Er übernahm den Lehrstuhl für Pathologische Anatomie an der Universität Würzburg [6]. Im Jahre 1855 erschien seine Abhandlung über die Zelltheorie mit dem berühmten Satz „omnis cellula e cellula“. Auch auf Wirken seines alten Mentors Müller wurde Virchow 1856 auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Pathologische Anatomie und Physiologie an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität berufen mitsamt Übernahme des neu erbauten Instituts für Pathologie auf dem Gelände der Charité [2, 4, 6].

Virchow war auch ein streitbarer Charakter. Am 2. Juni 1865 hatte der Abgeordnete Virchow in einer längeren Rede die Politik des Ministerpräsidenten Otto von Bismarcks scharf kritisiert. Letztlich nahm dieser das zum Anlass, Rudolf Virchow einen Tag später seinen Sekundanten zu schicken. Virchow lehnte das Duell kategorisch ab [6, 11]. Sein Streit mit Robert Koch, der an der gleichen Universität forschte, endete im Tuberkulin-Skandal, der jüngst auch Inhalt einer Fernsehsendung war [12]. Auch mit Jacob Henle, später Professor für Anatomie in Göttingen, führte Virchow in den wissenschaftlichen Zeitschriften einen von vielen persönlichen Angriffen durchzogenen Streit über Fachfragen [13].

Im Januar 1902 stürzte Virchow beim Verlassen der Straßenbahn und zog sich eine Schenkelhalsfraktur zu. Letztlich erholte er sich nicht mehr vollständig und starb 80-jährig am 05.09.1902.

Zusammenfassend muss also festgestellt werden, dass Virchow die nach ihm benannte Trias wohl niemals als solche beschrieben hat. Es ist also wie immer – man sollte bisweilen „Dogmen“ hinterfragen. Dennoch ist Virchows Werk auf dem Gebiet der Thrombose/Embolie als herausragend zu bezeichnen. Viel hat sich seitdem getan, und als Gefäßchirurgen müssen wir hier up to date sein. Die vorliegende Ausgabe der Gefässchirurgie soll Ihnen dabei helfen. Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre!

Herzlichst, Ihr

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Prof. Dr. A. Larena-Avellaneda