Hintergrund und Fragestellung

In Deutschland leben 27 % aller im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes anerkannten pflegebedürftigen Menschen (n ≈ 780.000) in einem der 13.600 Alten- und Pflegeheime [1]. Sowohl Bewohner als auch die in den Einrichtungen beschäftigten Pflegenden stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Häufig leiden Bewohner unter zahlreichen Komorbiditäten wie z. B. Mangelernährung, Schmerzen, Atemnot, Depression, physischer Gebrechlichkeit und – im vorliegenden Kontext von besonderer Relevanz – demenziellen Erkrankungen [2,3,4]. Die verbleibende Lebens- bzw. „Sterbezeit“ ist oft relativ kurz, weshalb stationäre Altenpflegeeinrichtungen auch als „Orte höchster Sterbeintensität“ bezeichnet werden [5].

Einen nicht unbeträchtlichen Anteil an typischen Altenheimpopulationen stellen Menschen mit onkologischen Erkrankungen dar. Internationale Studien schätzen Prävalenzen zwischen 9 und 15 % der Altenheimbewohner (AHB) [6]. In der Bevölkerung liegt das Erkrankungsrisiko bei Männern über 65 Jahre in den darauffolgenden 10 Jahren bei 1:3; bei Frauen bei 1:5 [7]. Eine Hauptbelastung für Tumorpatienten sind Schmerzen: Bei bis zu 80 % treten sie im fortgeschrittenen Krankheitsstadium auf [8]. Drei Viertel aller Krebstodesfälle treten bei Menschen auf, die älter als 65 Jahre alt sind [9]. Bei dieser Bewohnergruppe gestalten sich Entscheidungsfindungsprozesse bezüglich des eigenen Lebensendes häufig als herausfordernd und komplex: Es ist durchaus möglich, dass sich Präferenzen im Krankheitsverlauf verändern oder dass sich kurzfristig der Allgemeinzustand verbessert, etwa weil nebenwirkungsreiche oder nicht (mehr) indizierte Pharmakotherapien abgesetzt werden [10].

Es ist weiter davon auszugehen, dass ca. zwei Drittel aller deutschen AHB an einer leichten, mittelschweren oder schweren Form einer demenziellen Erkrankung leiden [11]. Schätzungen zufolge leben in Deutschland etwa 1,5 Mio. Menschen mit einer Demenzerkrankung. Bis 2030 könnte die Zahl an einer Demenz erkrankter Personen auf rund 3 Mio. Menschen anwachsen [12]. Regelhafte Symptome und pflegerischen Bedarf begründende Probleme bei fortschreitender Demenz bestehen in Verwirrtheit, Depression, Obstipation, Schluckstörungen, Schwierigkeiten im gegenseitigen Verstehen, Unterernährung und besonders Schmerz von Betroffenen [3, 9, 13,14,15]. Hier haben vor allem ältere Menschen mit fortgeschrittenen kognitiven Beeinträchtigungen ein stark erhöhtes Risiko für eine ungenügende Schmerztherapie. Aufgrund eingeschränkter kommunikativer Fähigkeiten ist es Betroffenen häufig nicht möglich, Schmerzen adäquat zu kommunizieren. Deshalb gelingt es Pflegenden und Ärzten oft nicht, angemessen auf etwaige Schmerzzustände zu reagieren [9]. Die Schätzungen zur Überlebenszeit von an Demenz erkrankten Bewohnern variieren. Als mittlere Überlebensdauer (Median) von der Diagnose bis zum Eintreten des Todes wird von ca. 8 Jahren ausgegangen [9]. Für Deutschland wird die mittlere Überlebenszeit nach „Manifestation der Erkrankung“ mit 3,3 Jahren geschätzt [13]. Gerade vor dem Hintergrund demenzieller Erkrankungen zeigt sich der deutliche Bedarf an Palliative-Care-Konzepten in Altenheimen: Demenz ist eine unheilbare, chronisch fortschreitende, letztlich zum Tod führende Erkrankung [13] und insofern haben Betroffene „bereits vom ersten Augenblick an Anspruch auf Palliative Care“ [14].

Morbus Parkinson gilt mit einer Prävalenz von 110–180 in 100.000 bevölkerungsbezogen als die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung [16]. In Alten- und Pflegeheimen hingegen lebt einer von 10 Bewohnern mit der Diagnose Morbus Parkinson. Nach der Diagnosestellung beträgt die mittlere Lebenserwartung etwa 15 Jahre [17]. Aus der Literatur ist hinreichend bekannt, dass Menschen, bei denen Parkinson diagnostiziert worden ist, enorme unerfüllte Palliative-Care-Bedürfnisse haben. Die Symptombelastung ist ebenso groß wie bei Tumorpatienten, wobei Palliative-Care-Bedarfe von Menschen mit Morbus Parkinson aber viel seltener als bei „klassischen onkologischen Patienten“ durch lokale Strukturen abgedeckt werden [18]. Was die pflegerische und medizinische Versorgung von an Morbus Parkinson erkrankten Bewohnern zusätzlich erschwert, ist eine „Parkinson-assoziierte Multimorbidität“, welche sich aber zum Lebensende kaum vermeiden lässt und zudem meistens als schmerzinduzierend anzunehmen ist [10].

Bei oben angeführten Erkrankungsbildern scheint folglich die Orientierung an explizit inklusiven Palliative-Care-Konzepten auch im Altenheimkontext unumgänglich. Die zentralen Ansprüche der European Association for Palliative Care (EAPC), die Palliative Care als „aktive, umfassende Versorgung und Pflege von Patienten, deren Erkrankung nicht auf eine kurative Behandlung anspricht“ definiert und dabei „Kontrolle von Schmerzen oder anderen Symptomen …“ hervorhebt, sind dabei von höchster Relevanz [19]. Weitere Bedeutung erhält der interdisziplinäre Ansatz, indem er sich deutlich auf Betroffene, deren Familien und die Gemeinschaft bezieht und sich als unabhängig vom spezifischen Versorgungssetting positioniert. Palliative Care hat dabei das erklärte Ziel, „die beste Lebensqualität bis zum Tod zu gewährleisten“ [19]. Bewährt hat sich eine derartige „early integration“ von Palliative Care bei der Betreuung onkologisch erkrankter Menschen [20]. Auch in der Begleitung von Menschen mit Morbus Parkinson oder demenziellen Erkrankungen empfehlen Experten ein frühzeitiges Einbeziehen palliativer Therapieoptionen [16]. Insgesamt gilt es inzwischen als weitgehend unumstritten, dass die letzte Lebensphase von Menschen mit Morbus Parkinson, Alzheimer-Demenz und Tumorerkrankung zunehmend in Altenheimen erlebt wird und daher der „end-of-life care“ für diese Menschen in den Heimen wissenschaftlich wie praxisbezogen vermehrte Aufmerksamkeit zukommen muss [6, 21, 22].

Fragestellung

Ziel dieser explorativen Sekundärdatenanalyse ist es, ausgewählte Unterschiede in Bezug auf biometrische und pflegerische Charakteristika und der Schmerzsituation zwischen Altenheimbewohnern (AHB) mit Morbus Parkinson, Alzheimer-Demenz und onkologischen Erkrankungen darzustellen und vor dem Hintergrund von pflegerischen und palliativen Versorgungsaspekten zu diskutieren. Anhand von empirischen Daten aus der stationären Altenhilfe wurde untersucht, ob sich AHB mit Parkinson, AHB mit Alzheimer und AHB mit Tumor in den Merkmalen Geschlecht, Lebensalter, kognitive Leistungsfähigkeit, Komorbiditäten, Pflegestufe, Pflegesetting vor Einzug ins Altenheim, Aufenthaltsdauer in Jahren und Schmerzsituation (Selbst- und/oder Fremdeinschätzung) voneinander unterscheiden.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Design

Die ursprünglichen Daten entstammen dem Versorgungsforschungsprojekt „Aktionsbündnis Schmerzfreie Stadt Münster“ (2010–2014). In dieser Studie wurde das interdisziplinäre Schmerzmanagement in verschiedenen Versorgungseinrichtungen (Krankenhäuser, Schmerzpraxen, ambulante Pflegedienste, Hospize, Altenheime) einer ganzen Stadt untersucht. Einen Teilbereich stellte die Untersuchung des Schmerzmanagements bei chronischen und akuten Schmerzen in 13 Altenheimen der nordrhein-westfälischen Stadt Münster im Rahmen einer Ex-post-facto-Studie mit Prä-post-Test dar. Der Istzustand des umgesetzten Schmerzmanagements wurde im Prätest mittels Strukturdatenanalysen, Online-Surveys der in den Einrichtungen tätigen Pflegekräfte und Befragungen wie Beobachtungen von Bewohnern der eingeschlossenen Altenheime erhoben. Auf Basis dieser Ergebnisse erfolgten dann einrichtungsspezifische Interventionen. Diese Interventionen sind nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Detaillierte Informationen zu den Zielen und Methoden der Hauptstudie wurden mehrfach veröffentlicht (z. B. [4]).

Datenerhebung

Von insgesamt 32 Altenheimen der Stadt Münster (Stand: Juni 2010) erklärten sich 13 Einrichtungen zur Teilnahme am Forschungsprojekt bereit. In jeder Einrichtung wurden strukturelle Daten mittels Einrichtungsdatenblatt erhoben. Medizinische und biometrische Charakteristika wurden aus den bewohnerspezifischen Pflegedokumentationen entnommen. AHB wurden mit standardisierten Face-to-face-Interviews durch Studienassistenten befragt bzw. mittels spezifischer Fremdeinschätzungsinstrumente beobachtet. Die eingesetzten Studienassistenten verfügten über eine pflegerische Grundausbildung bzw. waren Studierende der Pflegewissenschaft oder Gesundheitswissenschaften. Vor der Datenerhebung nahmen die Studienassistenten an einer ganztägigen Interviewerschulung teil. Der Prätest fand von September 2010 bis April 2011, der Posttest von Juli 2012 bis April 2013 statt. Pro Einrichtung dauerte die Datenerhebung zwischen 4 und 6 Wochen.

Instrumente

Soziodemografische und medizinisch wie pflegerisch relevante Merkmale wurden aus den bewohnerspezifischen Pflegedokumentationen übertragen. Der Status der kognitiven Leistungsfähigkeit wurde mittels MMST erfasst und zur Stratifikation in 3 Subgruppen kognitiver Leistungsfähigkeit genutzt [23]. Die Erfassung der subjektiven Schmerzsituation orientierte sich sodann an der bewohnerindividuellen kognitiven Leistungsfähigkeit. Bewohner mit keiner oder leichter kognitiver Beeinträchtigung (MMST 19–30 Punkte) wurden per validiertem Selbstauskunftsinstrument der 5‑stufigen „verbalen Rangskala“ (VRS-5; [24]) befragt. Bei Bewohnern mit stark fortgeschrittener kognitiver Beeinträchtigung (MMST 0–9 Punkte) wurde das Fremdeinschätzungsinstrument BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz; [25]) eingesetzt. Höhere BESD-Punktwerte (BESDmin–max = 0–10) bedeuten dabei mehr Hinweise auf das Vorhandensein von Schmerzen. Bewohner mit moderater kognitiver Beeinträchtigung (MMST 10–18 Punkte) wurden standardisiert befragt (VRS) sowie per Fremdeinschätzung beobachtet (BESD). Um die Schmerzsituation auch über die 3 Subgruppen hinweg vergleichen zu können, wurde aus den Ergebnissen von VRS und/oder BESD die Variable „Schmerzhinweis“ operationalisiert. Als vorliegender Schmerzhinweis galt, wenn bei Bewohnern mit keiner oder leichter kognitiver Beeinträchtigung mindestens „leichter Schmerz“ (VRS) angegeben wurde. In der Bewohnergruppe mit MMST-Werten zwischen 0 und 9 wurde als Cut-off ein BESD-Score ab „2“ herangezogen [26]. Schmerzhinweise bei Bewohnern mit moderaten kognitiven Beeinträchtigungen wurden dann als solche angenommen, wenn entweder leichte Schmerzen laut Selbstauskunft oder ein BESD-Wert über oben genanntem Cut-off erfasst wurde. Der Vergleich zwischen den Bewohnergruppen, bei denen Schmerzen mittels BESD erfasst wurden, wird mit dem Punktwert sowie dem Anteil an Bewohnern über Cut-off durchgeführt.

Studienteilnehmer

Als Studienpopulation galten alle Bewohner der inkludierten Altenheime. Vor dem Hintergrund der geplanten Vollerhebung war angestrebt, sämtliche Bewohner einzuschließen, die mindestens 65 Jahre alt waren, dauerhaft in der Einrichtung lebten, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache hatten und sich in keiner akut lebensbedrohlichen Situation befanden. In der vorliegenden Sekundärdatenanalyse werden nur jene Altenheimbewohner eingeschlossen, die die dokumentierten Diagnosen Morbus Parkinson, Alzheimer-Demenz oder Tumorerkrankung aufwiesen.

Statistische Datenanalyse

Sämtliche Analysen wurden mit IBM SPSS 22 durchgeführt. Zur Darstellung der Stichprobencharakteristika wurden gängige Maße der deskriptiven Statistik eingesetzt. Zur Analyse von Unterschieden in den Anteilen nominalskalierter Variablen wurden χ2-Anpassungstests mit Fisher-Yates-Korrektur genutzt. Gruppenunterschiede bei Variablen ordinaler Skalierung wurden mittels Kruskal-Wallis-H-Test getestet. Die Prüfung auf statistisch relevante Differenzen bei metrischen Variablen erfolgte anhand einfaktorieller Varianzanalysen (ANOVA) mit Bonferroni-Korrektur. Das α‑Fehler-Niveau wurde a priori mit p < 0,05 festgesetzt.

Ethikvotum

Die Studie wurde von der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität genehmigt (Aktenzeichen 2010-010-f-S).

Ergebnisse

Ausschöpfung

Im Prätest wurden insgesamt 1067 Bewohner als Auswahlgesamtheit gemeldet. Davon lehnten 612 AHB bzw. deren gesetzliche Betreuer die Teilnahme an der Studie ab oder wurden aufgrund der Ein‑/Ausschlusskriterien exkludiert. Nach der Datenbereinigung lagen 436 gültige Fälle vor. Die Ausschöpfung gestaltete sich im Posttest ähnlich: Von 1067 gemeldeten Bewohnern nahmen 486 an der Studie teil, wobei 397 Bewohner inkludiert wurden. Die vorliegenden Analysen schließen nur AHB mit Parkinson-, Alzheimer- oder Tumordiagnosen ein. Über den Prä- und Posttest hinweg konnten in Summe 194 Altenheimbewohner (20,8 % von in die Datenanalyse eingeschlossenen AHB) mit mindestens einer der drei interessierenden Diagnosen inkludiert werden. Die Verteilung dieser Diagnosen ist relativ ausgeglichen: 34,5 % (n = 67) wiesen eine Morbus-Parkinson-Diagnose auf, 32,5 % (n = 63) eine Alzheimer-Demenz und 33,0 % (n = 64) eine Tumorerkrankung. Abb. 1 stellt die Ausschöpfung für den Prä- und Posttest dar.

Abb. 1
figure 1

Flowchart zur Ausschöpfung

Stichprobendeskription

Tab. 1 zeigt soziodemografische und pflegerelevante Stichprobeneigenschaften für Altenheimbewohner mit Parkinson (AHBParkinson), AHB mit Alzheimer (AHBAlzheimer) und AHB mit Tumorerkrankungen (AHBTumor).

Tab. 1 Deskriptive Kennwerte der Stichprobe getrennt nach AHB mit Parkinson/Alzheimer/Tumor

In der Bewohnergruppe mit Morbus Parkinson waren drei Viertel aller AHB weiblich. Das mittlere Alter betrug 84,9 (±6,6) Jahre. Im Durchschnitt erreichten die AHBParkinson einen MMST-Wert von 13,2 (±10,8) Punkten. Bei mehr als 55 % lag eine dokumentierte Pflegestufe von Stufe II oder höher vor. Die häufigste Begleitdiagnose war Demenz (53,7 %). Durchschnittlich wiesen die Untersuchungspersonen 1,6 (±1,1) zusätzliche Diagnosen auf. Ca. 65 % aller AHBParkinson wurden von zu Hause in die Einrichtung transferiert. Die mittlere Aufenthaltsdauer lag bei 3,7 (±4,2) Jahren. Jeder zweite AHBParkinson gab zumindest leichte Ruheschmerzen an, 7 von 10 Befragten gaben an, mindestens leichte Belastungsschmerzen wahrzunehmen. Unter den 34 Bewohnern, die mittels BESD beobachtet wurden, zeigte sich ein Durchschnittsscore von 1,7 (±1,9) Punkten. Der Anteil von Personen mit vorliegenden Schmerzhinweisen beträgt ca. 64 %.

Bei AHBAlzheimer betrug der Anteil von Bewohnerinnen knapp 83 %. Im Mittel waren die Bewohner 84,6 (±6,5) Jahre alt. Der errechnete MMST-Wert lag bei 12,6 (±9,9) Punkten. Eine Pflegestufe von II oder höher kam bei der Hälfte der Bewohner vor. Bei einem Viertel der untersuchten Personen wurde Depression als weitere Diagnose ausgewiesen. Durchschnittlich wurde knapp weniger als eine weitere Diagnose (0,8 ± 0,8) dokumentiert. 86 % der AHB lebten vor dem Einzug ins Altenheim zu Hause. Der Mittelwert bei der Aufenthaltsdauer betrug 2,1 (±2,2) Jahre. In dieser Gruppe berichteten 38 % der Befragten einen mindestens leichten Ruhe- bzw. 53 % einen mindestens leichten Belastungsschmerz. Das Instrument BESD wurde bei 33 AHBAlzheimer eingesetzt. Der BESD-Score betrug 3,8 (±2,6) Punkte. Bei drei Viertel der untersuchten Menschen mit Alzheimer-Diagnose zeigten sich relevante Schmerzhinweise.

Vier von 5 AHBTumor waren weiblich. Das Durchschnittsalter betrug 85,3 (±6,4) Jahre. Im Mittel wurden MMST-Werte von 16,7 (±9,9) Punkten erfasst. Eine Pflegestufe von II oder höher hatten ca. 40 % der Bewohner. Mit einem Anteil von 27 % war Osteoporose die am häufigsten genannte Zusatzdiagnose. In dieser Gruppe wurden gesamt betrachtet durchschnittlich 1,5 (±0,9) weitere Diagnosen dokumentiert. Zu Hause lebten vor dem Transfer ins Altenheim nahezu 87 % aller AHBTumor. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug 2,9 (±2,9) Jahre. Leichte, mittelstarke, starke oder unerträgliche Ruheschmerzen äußerten ca. 52 %. Hinsichtlich der Belastungsschmerzen waren dies fast 70 %. Unter jenen 26 AHBTumor, die einer Fremdeinschätzung von Schmerzen unterzogen wurden, lag der betreffende Mittelwert bei 2,8 (±2,5) Punkten laut BESD. Als wahrscheinlich von Schmerzen betroffen galten in dieser Gruppe knapp 69 %.

Merkmale mit signifikanten Unterschieden zwischen AHBParkinson, AHBAlzheimer und AHBTumor

Die signifikanten Ergebnisse der Gruppenvergleiche sind in Tab. 2 angeführt. Es finden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den untersuchten Subgruppen hinsichtlich Geschlecht, Alter, Ruhe- und Belastungsschmerz sowie der verallgemeinerten Schmerzhinweise. Es zeigt sich jedoch, dass AHBTumor einen tendenziell höheren MMST-Wert aufweisen als AHBParkinson oder AHBAlzheimer (F = 2,925; p < 0,10). Signifikante Unterschiede zeigen sich bei den der Pflegeleistung hinterlegten Pflegestufen (χ2 = 7,502; p < 0,05): AHBParkinson weisen im Mittel höhere Pflegestufen (Median: Stufe II) auf als AHBAlzheimer (Median: Stufe I–II) und AHBTumor (Median: Stufe I). Während die Anzahl zusätzlicher Diagnosen zwischen Personen mit Parkinson und Tumorerkrankungen kaum differiert, werden bei jenen mit Alzheimer-Demenz deutlich weniger Komorbiditäten diagnostiziert (F = 13,859; p < 0,001). Hinsichtlich des Herkunftsorts vor dem Einzug in das Altenheim unterscheidet sich die Bewohnergruppe mit Morbus Parkinson stark von den beiden anderen. Menschen mit Parkinson werden deutlich seltener von der eigenen Häuslichkeit in das Altenheim transferiert (χ2 = 12,361; p < 0,05). Zudem variiert die Aufenthaltsdauer zwischen den Vergleichsgruppen (F = 3,526; p < 0,05). Im Durchschnitt befanden sich die untersuchten AHBParkinson am längsten in der Einrichtung, gefolgt von AHBTumor und schließlich AHBAlzheimer. Unter all jenen AHB, deren Schmerzsituation aufgrund der moderaten oder stark fortgeschrittenen kognitiven Beeinträchtigung mit dem Fremdbeurteilungsinstrument BESD untersucht wurde, zeigt sich, dass bei AHBParkinson signifikant weniger Schmerzanzeichen beobachtet wurden bzw. Schmerzen als weniger häufig anzunehmen sind als bei AHBAlzheimer und AHBTumor (BESDPunkte F = 6,265; p < 0,05 bzw. BESD ≥ 2 χ2 = 10,825; p < 0,05).

Tab. 2 Darstellung signifikanter Unterschiede von Merkmalen zwischen AHB mit Parkinson/Alzheimer/Tumor

Diskussion

In dieser Studie wurden drei Bewohnergruppen verglichen, deren primäre Gemeinsamkeit das Leben im Altenheim ist. Mit einem Fokus auf Schmerz bzw. Schmerztherapie wurden neben den beiden neurodegenerativen Erkrankungen Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson auch Tumorerkrankungen in die Sekundärdatenanalyse eingeschlossen. Die Bewohnergruppe mit onkologischen Erkrankungen wurde dabei als implizite „Referenzgruppe“ definiert, bei welcher das Phänomen Schmerz hinlänglich bekannt ist und diesbezüglich anerkannte und verbreitete Schmerzmanagementstrategien bestehen.

Ein Hauptergebnis der Untersuchung besteht darin, dass in allen untersuchten Bewohnergruppen eine hohe Prävalenz von Schmerzen festgestellt wurde. Schmerzen zeigten sich zudem unabhängig von der kognitiven Beeinträchtigung, die bei allen Gruppen zwar unterschiedlich, aber insgesamt recht deutlich ausgeprägt war. Dies lässt sich dahingehend interpretieren, dass die Schmerzevaluation in gewisser Weise losgelöst von den kognitiven Fähigkeiten gesehen und ein potenzielles Risiko von unerkannten Schmerzen in allen Gruppen generell angenommen werden sollte. Mitunter verdeutlichen diese Ergebnisse die vielfach postulierte Notwendigkeit einer initialen, regelhaften und differenzierten Schmerzeinschätzung unter Rückgriff auf zielgruppenspezifische Assessmentinstrumente [27]. So werden in einer kürzlich veröffentlichten Arbeit die Personenzentriertheit, das Bewusstsein sowie Schulungen über Schmerzthemen, die Regelhaftigkeit pflegerischer Maßnahmen, das Vorhandensein klarer Verantwortungsstrukturen und das Kernelement Kommunikation als die wichtigsten Aspekte des Schmerzmanagements bei Menschen mit Demenz angeführt [28]. Diese Forderungen können im Altenheimkontext im Grunde ebenso für Menschen mit Morbus Parkinson und Tumorerkrankungen unabhängig von kognitiven Veränderungen gelten.

Weitere signifikante Ergebnisse waren, dass bei Menschen mit Morbus Parkinson im Vergleich zu den anderen Bewohnergruppen die geringsten Schmerzen fremdeingeschätzt wurden, dass ebendiese Bewohner aber gleichzeitig die höchste Pflegestufe und den längsten Aufenthalt in Pflegeheimen hatten und in diesem Sinn die Gruppe mit dem größten Pflegeaufwand darstellten. Schmerzen haben beim Morbus Parkinson vielfältige Ursachen und sind oft direkt mit dem Progress der Grunderkrankung assoziiert. In der Regel sollte zunächst versucht werden, durch Anpassung der Parkinson-Therapie die Symptome wie Minderbewegung und Rigor zu verbessern, da diese häufige Schmerzursachen darstellen. Erst in zweiter Instanz sollen Schmerzmedikamente zum Einsatz kommen. Hierbei ist besonders darauf zu achten, dass keine Halluzinationen ausgelöst oder bestehende Halluzinationen verstärkt werden. Vor allem Belastungsschmerzen gelten in dieser Gruppe als weit verbreitet – nicht zuletzt sind diese auch häufig durch eine assoziierte Minderbeweglichkeit mitbedingt [29]. Für Menschen mit Morbus Parkinson stellt offensichtlich ein Aufenthalt im Krankenhaus oder in einer Kurzzeitpflege (in dieser Studie unter „Andere“ subsumiert) das „Tor“ zum Heimaufenthalt dar. Parkinson-Patienten werden bei Verschlechterung der Bewegungsstörung oder bei Auftreten von Sekundärphänomenen wie Pneumonie oder Delir stationär aufgenommen [30]. Dass der stationären Aufnahme dann eine Verlegung in ein Altenheim folgt, zeigt einerseits die oft fehlende Besserung der Symptome, andererseits kann das auch auf Überlastung von pflegenden Angehörigen, die sich dann letztendlich doch für eine Pflegeheimaufnahme entscheiden, zurückgeführt werden. Ein wichtiges Ergebnis ist zudem, dass bei der Gruppe der Bewohner mit Morbus Alzheimer die meisten auf das Vorkommen von Schmerzen hindeutenden Verhaltensmerkmale beobachtet wurden, diese Gruppe am häufigsten von zu Hause oder aus dem Krankenhaus in das Pflegeheim kam und insgesamt gesehen die wenigsten Zusatzdiagnosen aufwies. Die geringe Anzahl von Zusatzdiagnosen ist überraschend, da es sich um alte Menschen mit den üblichen kardiovaskulären Vorerkrankungen handelt. Hier stellt sich die Frage, ob die Zusatzdiagnosen beim Eintritt in das Altenheim so in den Hintergrund getreten sind, dass sie nicht mehr aufgeführt werden und damit auch keiner Kontrolle mehr unterliegen. Die Diagnose der Schmerzsymptome ist aber durchaus gewährleistet, denn diese machen sich im Pflegealltag auch bemerkbar. Dass Bewohner mit Morbus Alzheimer höhere Schmerzen zu haben scheinen als Bewohner mit onkologischen Erkrankungen ist eventuell auch darauf zurückzuführen, dass bei onkologischen Erkrankungen qua Routine gleich bei Aufnahme in das Altenheim eine intensive Schmerzevaluation vorgenommen wird. Durch dieses Initialassessment werden Schmerzen dann eher antizipiert und ein regelmäßiges Anpassen der notwendigen Medikamente kann erfolgen.

Limitationen

Zu den wesentlichen Limitationen der Studie, die in unterschiedlichen Pflegeheimen durchgeführt wurde, zählt die Begrenzung der Untersuchung auf die Stadt Münster, Nordrhein-Westfalen. Zudem handelt es sich um kein randomisiertes Selektionsprozedere. Obwohl die wesentlichen Populationsparameter in der Stichprobe ähnlich ausgeprägt sind, limitiert das die Verallgemeinerung der Ergebnisse. Weiter befinden sich unter den untersuchten Personen überwiegend Frauen, was zwar der Bewohnerstruktur in Altenheimen nahekommt, aber vor dem Hintergrund kleinerer Gruppenfallzahlen dazu führt, dass ein gewisser Selektionbias nicht ausgeschlossen werden kann.

Schlussfolgerung

Die Untersuchung macht auf eine beachtenswert hohe Schmerzprävalenz aller untersuchten Altenheimbewohner aufmerksam. Als übergeordnete Konsequenz ist daher dringend zu fordern, für eine ausreichende Personalabdeckung durch gut geschulte und damit qualifizierte Pflegende zu sorgen. Die Pflege von Menschen mit neurologischen Erkrankungen und insbesondere in der letzten Lebensphase ist an sich schon herausfordernd genug. Nicht erkannte oder nicht adäquat behandelte Schmerzen sollten nicht dazu führen, dass der Heimaufenthalt und der letzte Lebensabschnitt von Betroffenen sowie in weiterer Konsequenz die professionelle Pflegetätigkeit zusätzlich weiter belastet und komplexer werden. Sehr wesentlich erscheint dabei eine gute Teamarbeit zwischen den Pflegenden vor Ort und den behandelnden Fach- (etwa Neuro- und Onkologen) sowie Hausärzten. Im Hinblick auf die teils deutlichen kognitiven Beeinträchtigungen der untersuchten Altenheimbewohner bzw. der Altenheimpopulation im Allgemeinen ist es auch essenziell, unter allen Beteiligten abgestimmte Prozesse und Strukturen zu schaffen, in denen Schmerzsituationen durch Betroffene so kommuniziert werden können, dass sie adäquat einschätzbar und somit behandelbar werden.

Fazit für die Praxis

  • Bei allen Bewohnergruppen zeigen sich Hinweise auf vorhandene Schmerzproblematiken und hohe Schmerzprävalenzen.

  • Die Versorgungssituation von Altenheimbewohnern mit Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer und onkologischen Erkrankungen unterscheidet sich teils deutlich.

  • Interprofessionelle und spezifisch an die Bedürfnisse von Bewohnern mit Parkinson und Alzheimer angepasste Schmerz- und Palliativversorgungsprozesse sind gefordert.