Einleitung

Ausgehend von Wuhan (China) entwickelte sich die Infektion mit SARS-CoV‑2 zum Jahreswechsel 2019/2020 innerhalb weniger Wochen zu einer globalen Pandemie, die am 11.03.2020 von der WHO offiziell ausgerufen wurde [1, 2].

Nach beachtlichen Erfolgen der Pandemiebekämpfung im Rahmen der 1. Infektionswelle im Frühjahr 2020 kam es in den nachfolgenden Sommermonaten zu einem deutlichen Rückgang der Infektionsfälle. Mit Rückverlagerung des Alltags in die Innenräume ab Herbst 2020 kam es wieder zu einer deutlichen Zunahme der Infektionsfälle. Wie in der ersten Welle gab es hinsichtlich der Erkrankungsschwere eine klare Altersbezogenheit: Während es bei Kindern insgesamt wenige und auch weniger schwere Fälle gab, waren v. a. Erwachsene mit Vorerkrankungen und die Gruppe der alten, multimorbiden Patienten betroffen [3,4,5]. Dies gipfelte sodann in die zweite große Infektionswelle, mit hohen Infektions- und Todeszahlen zu Weihnachten 2020 bis ins Frühjahr 2021 hinein [6].

Funktionseinschränkungen von Organen und Geweben im Alter begünstigen, zusammen mit chronischen Erkrankungen, die Infektion und Ausbreitung von Coronaviren. Wie so oft zeigt sich auch die Infektion mit SARS-CoV‑2 bei geriatrischen Patienten atypisch. Die am häufigsten zur Aufnahme führenden Symptome waren Fieber (30 %), Dyspnoe (28 %) und geriatrische Syndrome wie Sturzneigung, Delir und Leistungsabfall [7]. Wie bereits in der ersten Infektionswelle war die Mortalität unter den alten, hochbetagten Individuen besonders hoch [4, 8]. Die Mortalität korrelierte eindeutig mit Komorbiditäten wie kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes mellitus und chronischen Atemwegserkrankungen.

Diese Arbeit stellt retrospektiv die Mortalität einer geriatrischen Population mit bestätigter SARS-CoV-2-Infektion dar und versucht, verschiedene Risikomarker für die Mortalität herauszuarbeiten.

Methoden

Retrospektiv wurden alle, im Zeitraum vom 01.10.2020 bis zum 31.03.2021 am Standort Bad Cannstatt des Klinikums Stuttgart aufgrund einer mittels PCR oder typischer CT-Morphologie und positivem Antigenschnelltest nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion behandelten Patienten über 65 Jahren erfasst. Teilnehmende konnten auf Normal- und Intensivstation betreut werden. Primärer Endpunkt war Entlassung oder Tod. Erfasst wurden die Dauer des Aufenthalts (Intensiv- und Normalstation), die Art der Atemunterstützung und der Erhalt einer Steroidmedikation. Ebenso erfasst wurden Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, Demenz, kardiovask. Erkrankung und die Medikation (ACE-Hemmer bzw. AT1-Blocker, Neuroleptika (nicht differenziert nach Subtypen), Antidepressiva (nicht differenziert nach Subtypen) und Antidementiva (beispielsweise Rivastigmin)). Eine Mangelernährung wurde entweder anhand des Nutritional Risk Screening (NRS) bei Aufnahme, der Vordiagnosen oder durch ein erniedrigtes Serumalbumin definiert. Erfasste Laborparameter bei Aufnahme waren: Kreatinin, errechnete glomeruläre Filtrationsrate (eGFR), C‑reaktives Protein (CRP), Prokalzitonin (PCT), Interleukin 6 (IL-6), Ferritin, Leukozytenzahl mit Differenzierung in Lymphozyten und Neutrophile.

Es erfolgte eine deskriptive Auswertung mit Signifikanzprüfung mit zweiseitigem t-Test. Das Überleben wurde mit Kaplan-Meier-Kurven dargestellt; die Signifikanzprüfung erfolgte hier mit dem Log-Rank-Test.

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Tübingen mit der Nummer 093/2021BO2 ohne Einwände zugelassen.

Ergebnisse

Studienpopulation, Mortalität und Krankheitsdauer

Erfasst wurden 168 Patienten mit einem mittleren Alter von 80,6 Jahren (65 bis 97 Jahre, Median 81 Jahre, Standardabweichung [SD] ± 7,57 Jahre), 53,0 % (n = 89) waren weiblich. 74 % waren älter als 75 Jahre (n = 125), und 33,7 % (n = 57) waren älter als 85 Jahre.

Die Zeitspanne vom Beginn der Symptome bis zur Krankenhausaufnahme betrug im Mittel 3 Tage (0 bis 23 Tage, Median 4,0 Tage, SD ± 4,44 Tage). Patienten, die im Verlauf der Behandlung verstarben, hatten eine signifikant kürzere Zeitspanne vom Symptombeginn bis zur Krankenhausaufnahme (einen Tag vs. 4 Tage im Median, p < 0,05).

Die mittlere Behandlungsdauer im Krankenhaus betrug 12 Tage (0 bis 51 Tage, Median 13,5 Tage, SD ± 8,62 Tage). Es verstarben 27,9 % (n = 47) der Patienten. Die höchste Mortalität hatten Patienten über 90 Jahren (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Mortalität in verschiedenen Alterskategorien

Auf der Intensivstation wurden 42 Teilnehmende (25 %) mit einer durchschnittlichen Dauer von 8,6 Tagen (0 bis 51 Tage, Median 6 Tage, SD ± 9,1 Tage) behandelt. Ein Drittel (30,9 %, n = 13) davon verstarb. Der Krankenhausaufenthalt verlängerte sich bei intensivmedizinisch Behandelten im Median signifikant um 6,5 Tage (16,5 vs. 10,0 Tage, p < 0,05).

Laborergebnisse

Tab. 1 zeigt die Laborergebnisse der Gesamtpopulation.

Tab. 1 Laborergebnisse

Intensivmedizinisch Behandelte hatten einen signifikant höheren Neutrophilenanteil (83,1 % vs. 76,2 %, p < 0,05), einen signifikant niedrigeren Lymphozytenanteil (9,8 vs. 14,6 %, p < 0,05) und signifikant höhere Ferritin- (1193,0 vs. 625,3 ng/ml, p < 0,05) und D‑Dimer-Spiegel (7400,5 vs. 3081,5 ng/ml, p < 0,05). Die CRP-Spiegel waren bei diesen Patienten nicht signifikant höher (11,8 vs. 7,8 mg/dl).

Vorerkrankungen

Die häufigsten Begleiterkrankungen waren kardiovaskuläre Erkrankungen (86,3 %), Demenz (32,7 %), Diabetes mellitus (29,2 %), Mangelernährung (32,7 %) und Immunsuppression (8,3 %). 53,0 % erhielten eine Therapie mit einem ACE-Hemmer (ACE-I) oder Angiotensinrezeptorblocker (ARB), 30,4 % erhielten Neuroleptika und 16,7 % Antidepressiva.

Behandlung

98,8 % der Patienten erhielten eine Therapie mit einem Kortikosteroid. Nur 3 Patienten (1,78 %) erhielten eine Therapie mit Remdesivir. 25,6 % (n = 43) wurden nichtinvasiv und ein weiteres Viertel (26,2 %) wurde invasiv beatmet.

Diskussion

Die zweite Welle der Coronainfektionen in Deutschland zum Winter 2020–2021 traf die vulnerable Gruppe der alten, multimorbiden Patienten in den Pflegeeinrichtungen besonders hart. Erst mit Fortschritten in den gezielten Impfaktionen ab Januar 2021 kam es zu einem Rückgang von Krankenhausaufnahmen und Intensivaufenthalten älterer Menschen [9].

Im Studienzeitraum konnten 168 Patienten mit einem mittleren Alter von 80,6 Jahren eingeschlossen werden. Im Vergleich zu anderen Studien [5, 7, 10, 11] lag das Durchschnittsalter damit eher hoch, was vielleicht auch die vergleichsweise hohe Mortalität von knapp 28 % erklärt (Abb. 2). In Italien starben bis April 2020 19,7 % der COVID-19-Patienten über 80 Jahren und in Frankreich 18 % [7, 12,13,14]. Auch die Rate der Begleiterkrankungen war in unserem Kollektiv vergleichsweise höher als in einer chinesischen Studie aus der 1. Coronawelle [15]: beispielsweise für kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes mellitus 86,3 und 29,2 % vs. 10,5 bzw. 7,3 %.

Abb. 2
figure 2

Überlebenskurve der Gesamtpopulation

Zusammenfassend bleibt das Alter einer der wichtigsten Risikofaktoren. Dies zeigt sich v. a. durch ein signifikant schlechteres Überleben in der Alterskategorie über 80 Jahren (p < 0,05; Abb. 3a). Zwischen den Geschlechtern ergab sich kein signifikanter Unterschied (p = 0,52), wenngleich eine vermehrte Sterblichkeit bei Männern gezeigt werden konnte [11].

Abb. 3
figure 3

Überlebenskurven bei Hochbetagten (a) und Intensivpatienten (b)

Auch die Dauer vom Symptombeginn bis zur stationären Aufnahme scheint ein wichtiger Risikofaktor zu sein, denn Patienten, die im Verlauf der Behandlung verstarben, hatten eine signifikant kürzere Symptomdauer (einen Tag vs. 4 Tage, p < 0,05).

Risikofaktoren für eine Intensivbehandlung

Von den intensivmedizinisch Behandelten verstarb etwa jeder Dritte (31,7 %), Männer waren im Intensivkollektiv mit 52,4 % überrepräsentiert. Die Mortalität an deutschen Universitätskliniken während der zweiten Pandemiewelle lag bei Beatmeten bei 40 % und bei Nichtbeatmeten bei 18,8 %. Männer waren ebenfalls überrepräsentiert [16]. Ein Überlebensvorteil zugunsten einer intensivmedizinischen Behandlung zeigte sich v. a. in den ersten 10 bis 12 Tagen (Abb. 3b). Das relative Risiko eines tödlichen Verlaufs konnte durch die Intensivmedizin auf 0,84 reduziert werden.

Die Therapie mit einem Glukokortikoid reduzierte in Studien die Notwendigkeit einer Intensivverlegung bei sauerstoffpflichtigen Infizierten und entwickelte sich so zu einer Standardtherapie [17,18,19]. Überraschend zeigte sich ein knapp signifikant (p = 0,04) schlechteres Überleben der mit einem Glukokortikoid Behandelten (Abb. 4a), bei allerdings sehr kleiner Vergleichsgruppe (nur knapp 2 % der Erkrankten wurden nicht mit einem Glukokortikoid behandelt).

Abb. 4
figure 4

Überlebenskurven in Untergruppen: a Kortikosteroidtherapie, b CRP, c D-Dimere, d Leukozyten

Laborwerte zur Risikoeinschätzung

CRP-Werte über 10 mg/dl (Normwert < 0,5 mg/dl; p < 0,05; Abb. 4b) verschlechterten das Überleben signifikant. Hohe CRP-Werte sind Ausdruck eines vermehrten inflammatorischen Geschehens und korrelierten in mehreren Studien mit der Wahrscheinlichkeit eines respiratorischen Versagens [7, 20, 21]. Auch Patienten mit Leukozyten über 11.000/µl hatten in unserem Kollektiv ein nicht signifikant schlechteres Outcome (p = 0,31; Abb. 4d).

Eine Lymphopenie ist ebenfalls signifikant mit der Mortalität assoziiert [7, 22]. Auch bei uns zeigte die Lymphopenie eine schlechte Prognose an. Bei kleiner Vergleichsgruppe ergab sich allerdings keine Signifikanz für eine Lymphopenie (Lymphozyten < 20 %, p = 0,20). Erkrankte mit einer Neutrophilie (Neutrophile > 75 %) hatten ein signifikant schlechteres Überleben (p = 0,016; Abb. 5a). Dies könnte mutmaßlich auf eine bakterielle Superinfektion zurückzuführen sein. In der Tat zeigten diese Patienten ein höheres PCT (0,453 vs. 0,261 ng/ml; p = 0,33). Bei genauerer Untersuchung der 13 Patienten mit Neutrophilie und PCT > 1,0 ng/ml lag in der Tat bei 6/13 eine bakterielle Superinfektion der COVID-Erkrankung vor. Bei 4/13 gab es eine bakterielle Infektion des Urogenitaltrakts mit gramnegativen Keimen (Proteus, E. coli, Pseudomonaden).

Abb. 5
figure 5

Überlebenskurven bei Neutrophilie (a) und Demenz (b)

Die Kombination aus Neutrophilie und Lymphopenie erhöhte die Mortalität um das 2,5Fache und das Risiko für einen Intensivaufenthalt um das 4Fache.

Die gesteigerte Gerinnungsaktivität bei der SARS-CoV-2-Infektion führt auch zur Erhöhung der D‑Dimere, sodass deren Höhe ein prognostischer Faktor zu sein scheint. Patienten mit D‑Dimeren über der Altersnorm (festgelegt als D‑Dimere > 10 • Alter in Nanogramm/Milliliter) hatten ein signifikant schlechteres Überleben (p = 0,02; Abb. 4c). Für einen bestimmten, absoluten cut-off-Wert (z. B. D‑Dimere > 5000 ng/ml) konnte allerdings kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen mehr nachgewiesen werden (p = 0,29).

Risiko von Vorerkrankungen und Dauermedikation

Entgegen vielen anderen Studienergebnissen [23] zeigten Patienten mit Diabetes mellitus ein signifikant besseres (p = 0,013) und Patienten mit kardiovaskulärer Vorerkrankung zumindest kein signifikant schlechteres Überleben (p = 0,60). Einschränkend muss aber gesagt werden, dass die Prävalenz beider Erkrankungen in der Population so hoch lag, dass die jeweiligen Vergleichsgruppen zu klein waren, um eindeutige Schlüsse zu ziehen.

Mangelernährung (p = 0,014) oder Demenz (Abb. 5b, p < 0,01) führte zu einem signifikant schlechteren Überleben. Auch ein britische Arbeit konnte ein um den Faktor 3,5 erhöhtes Risiko für einen COVID-19-bedingten Krankenhausaufenthalt bei Menschen mit Demenz zeigen [24]. Die Demenz war dabei gegenüber anderen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Depression oder Pneumonie sogar der stärkste Risikofaktor.

Die Einnahme eines ACE‑I oder ARB reduzierte das relative Risiko (RR) für einen tödlichen Ausgang auf 0,85. Insbesondere in der Subgruppe kardiovaskulär Vorerkrankter kam dieser Vorteil zum Tragen: So reduzierte sich das RR in dieser Subgruppe auf 0,74 (Spezifität 53,3, Sensitivität 36,3). Dagegen steigerte die Einnahme von Neuroleptika und Antidepressiva das RR auf 1,85 (Spezifität 75,2, Sensitivität 44,7) bzw. 1,35 (Spezifität 85,1, Sensitivität 21,3). Die Einnahme eines Neuroleptikums führte zu einem signifikant schlechteren Überleben (p < 0,05). Die häufigsten Indikationen für eine neuroleptische Therapie waren vorbekannte psychiatrische Erkrankungen (schizophrene und schizoaffektive Störungen). In den wenigsten Fällen war ein Delir aufgetreten. Allerdings muss hier sicher aufgrund des retrospektiven Charakters von einem „underreporting“ ausgegangen werden, da beispielsweise ein hypoaktives Delir leicht übersehen werden kann.

Limitierend muss angemerkt werden, dass der körperliche Zustand der Teilnehmenden, beispielsweise mit einem Frailty-Index oder der Cumulative Illness Rating Scale-Geriatric (CIRS-G) bzw. Verlaufskomplikationen, nicht erfasst wurde. Dies ist auch dem retrospektiven Charakter der Studie geschuldet, die ein nachträgliches Erfassen verschiedener Faktoren unmöglich machte. Allerdings konnte eine französische Studie auch zeigen, dass das geriatrische Assessment (CRIS-G) nicht mit dem Risiko für Tod während der Behandlung zu korrelieren scheint [7].

Fazit für die Praxis

Die Mortalität bei geriatrischen Patienten lag in diesem Kollektiv bei 28 %. Patienten mit einem tödlichen Verlauf hatten eine signifikant kürzere Dauer zwischen Symptombeginn und Krankenhausaufnahme. Weitere Risikofaktoren für einen tödlichen Verlauf waren hohes Alter (> 80 Jahre), eine Neutrophilie, D‑Dimere über der Altersnorm, 20fach erhöhte CRP-Werte und eine vorbekannte Demenz bzw. die Einnahme eines Neuroleptikums. Die meisten Patienten verstarben innerhalb der ersten 20 Tage. Eine Intensivtherapie zeigte nur in den ersten 10 bis 12 Tagen einen Überlebensvorteil und verlängerte den stationären Aufenthalt um 6,5 Tage. Dennoch verstarben 31 % der intensivmedizinisch Behandelten.