Anamnese

Ein 32-jähriger Mann ohne relevante Vorerkrankungen stellt sich zur refraktivchirurgischen Beratung in der Praxis zentrumsehstaerke am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im September 2021 vor. Aufgrund seines Hobbys (Thai-Boxen) wird die Empfehlung zur Laser-Lentikel-Extraktion gestellt („refractive lenticule extraction; small incision lenticule extraction“). Operiert wurde im Oktober 2021 in der Praxis zentrumsehstaerke. Aufgrund tief liegender Augen des Patienten und erhöhter Hebelkräfte an der Inzisionsstelle kam es intraoperativ am rechten Auge bei der Lentikelentfernung zu einem ca. 1,5 mm langen, zentripedalen Cap-Einriss im Inzisionsbereich. Die Operation am linken Auge war komplikationslos.

Postoperativ wurden Ofloxacin-Augentropfen für 7 Tage und ausschleichend über einige Wochen Augentropfen mit 0,1 % Hyaluronsäure sowie Dexamethason angewendet.

Befund und Diagnose

Nach einer guten Adaption des Cap-Risses rechts und keinen Komplikationen an Tag 1 postoperativ wurde in der Nachkontrolle 1 Woche später eine Trübung innerhalb der optisch relevanten Zone in Verbindung mit der Risskonfiguration festgestellt (Abb. 1a). Zwei Wochen nach Operation wurden 2 Epithelherde im Interface auch am linken Auge peripher bei 8 und 10 Uhr (Abb. 3a, 2 Monate nach Primäreingriff) festgestellt. Resultierend aus dem Spaltlampenbefund wurde die Diagnose einer beidäugigen Epitheleinwachsung („epithelial ingrowth“ [EIG]) nach Laser-Lentikel-Extraktion gestellt (Abb. 1b und 2b).

Abb. 1
figure 1

Rechtes Auge mit Cap-Riss bei Erstdiagnose von Epitheleinwachsung 1 Woche nach Primärbehandlung (a), im Verlauf 2 Wochen nach der Primärbehandlung (b) sowie nach mechanischer Epithelentfernung inklusive Alkoholbehandlung (c)

Abb. 2
figure 2

Linkes Auge mit EIG 2 Monate nach Laser-Lentikel-Extraktion (a), unmittelbar post YAG 5 Monate nach Primäroperation mit noch frischen Gasblasen im Interfacebereich zwischen den Epithelzellen bei 8 Uhr (b), 1 Tag post YAG (8 Uhr) 5 Monate nach Primäroperation (c), 1 Monat post YAG (8 Uhr) 6 Monate nach Primäroperation (d), 1 Monat post YAG (10 Uhr) 7 Monate nach Primäroperation (e), 1 Jahr nach Primäroperation (f)

Abb. 3
figure 3

Topographie des linken Auge 5 Monate nach Laser-Lentikel-Extraktion mit irregulärem Astigmatismus aufgrund von Epitheleinwachsung bei 8 und 10 Uhr (tangentiale Krümmung der Hornhautvorderfläche)

Therapie und Verlauf

Am rechten Auge wurde 1 Woche postoperativ eine subjektive Sehverschlechterung festgestellt (Tab. 1). Aufgrund der Visusbeeinträchtigung durch den EIG-Herd wurde entschieden, eine mechanische EIG-Entfernung rechts 2 Wochen postoperativ vorzunehmen. Um den gut adaptierten Cap-Riss von der Primäroperation nicht zu eröffnen, wurde im Rahmen der Nachoperation der Cap mit einem Tellermesser zirkulär am Rand zur Hälfte gelöst und umgeschlagen („Semi-Flap“). Anschließend wurden Epithelzellen vorsichtig und vollständig mittels eines Hockeymessers von der Cap-Unterseite und dem Stromabett entfernt und betroffene Areale mittels 20 %iger Alkohollösung nachbehandelt. Nach Behandlung wurde eine Verbandskontaktlinse eingesetzt. Die Medikation mit Augentropfen entsprach der primären Behandlung. Bei Kontrolle 1 Woche nach Reoperation wurde die Kontaktlinse entfernt, es zeigte sich eine vollständige EIG-Entfernung sowie eine weiterhin gute Adaption des Cap-Risses (Abb. 1c). Der Patient gab subjektive Sehverbesserung an, es zeigten sich keine EIG-Herde im Cap/Randbereich. In der Nachsorge (bisher 1,5 Jahre) zeigte sich der Befund stabil ohne Rezidive. Ein Monat postoperativ zeigte sich in der subjektiven Refraktion erstmalig aufkommende Myopie mit schwankenden Werten, auch 1,5 Jahre postoperativ zeigte sich eine leichte Restametropie bei gutem subjektivem Sehempfinden (Tab. 1).

Tab. 1 Subjektive Refraktionsdaten beider Augen vor sowie zu verschiedenen Zeitpunkten nach Laser-Lentikel-Extraktion

Hinsichtlich des linken Auges führten die mittelperipheren EIG-Herde bei 8 und 10 Uhr (Abb. 2a) zu keinen subjektiven Beschwerden seitens des Patienten. Gemeinsam wurde entschieden, eine Intervention erst bei einer weiteren Progression durchzuführen. Fünf Monate nach Primäroperation zeigte sich schließlich eine EIG-Zunahme. Nach ausführlicher Aufklärung über Risiken der Behandlung (u. U. mehrfache Anwendung, mögliche Sehverschlechterung, Narben, weitere EIG-Zunahme, ggf. mechanische Intervention) stimmte der Patient einer Intervention mittels Nd:YAG-Laser zu. Initial wurde der EIG-Herd bei 8 Uhr behandelt, dabei wurden 127 Herde mit jeweils 0,5 mJ direkt intrastromal im Interfacebereich gesetzt (Abb. 2b). Zur Nachsorge wurden Dexamethason-Augentropfen (Operationstag alle 2 h, dann ausschleichen, insgesamt 7 Tage) verschrieben. Am 1. Tag post YAG berichtete der Patient von einer subjektiven Sehverbesserung, das EIG-Patch zeigte sich morphologisch aufgelockert und ausgedünnt (Abb. 2c). Schmerzen traten weder bei noch nach Behandlung auf. Bereits 1 Monat nach YAG-Laser-Behandlung stellte sich der Herd involutiv mit zarter Fibrose dar (Abb. 2d). Aufgrund mittlerweile eingetretener Größenzunahme des EIG-Herds bei 10 Uhr und guten Post-YAG-Verlaufs nach Behandlung des 8‑Uhr-Herds wurde auch hier eine YAG-Laser-Intervention durchgeführt (41 Herde mit 0,5 mJ [Abb. 2d]). Eine Fibrosereaktion ohne aktive Epithelzellen im Interface zeigte sich bei beiden Herden nach 1 Monat. Das subjektive Sehempfinden des Patienten war weiter positiv (Abb. 2e und Tab. 1). Auch 1,5 Jahre post Primäroperation war das Sehempfinden links weiterhin gut bei vollem Visus und morphologisch anhaltender Regression der YAG-Laser-induzierten Fibrosierung (Abb. 2f).

Diskussion

Für die Laser-Lentikel-Extraktion wurde die EIG-Prävalenz in Studien mit 0,6 % beschrieben [3], bei Nachbehandlung von LASIK-Patienten erhöhte sich das Risiko auf bis zu 20 % [4]. Bekannte Risikofaktoren sind intraoperative Hornhautverletzungen, Flapdislokationen sowie Epitheldystrophien [4]. Zwar fehlt eine definitive Einteilung von EIG-Stadien nach Laser-Lentikel-Extraktion, orientierend an EIG nach LASIK sind jedoch 5 Indikationen für eine Intervention beschrieben: zum einen die Verlegung der optischen Achse, die zu einer Sehverschlechterung führen kann, sowie eine Progression Richtung Pupillenrand, was zu nächtlicher Blendung führen kann. Weitere Gründe sind Keratolyse, induzierter Astigmatismus durch Anheben des Flaps/der Hornhaut und durch Fluorescein anfärbbare Epithelunebenheiten [5].

Die klassische Therapie stellt die mechanische EIG-Entfernung durch die primäre Inzisionsstelle in das Interface dar, welche durch Manipulation mit Geräten allerdings auch eine EIG-Rezidivgefahr darstellt. Im Rahmen von Fallberichten und Studien wird beschrieben, EIG ohne mechanische Manipulation mittels Nd:YAG-Laser zu behandeln [1]. Dadurch bleibt die Gesamtstatik der Hornhaut intakt und keine weiteren Epithelzellen können in das Interface gelangen. Der Nachteil besteht darin, dass die Behandlung nicht ausreichen und Narben zurückbleiben könnten. Es wird propagiert, die nichtinvasive Behandlung insbesondere bei refraktiven Fehlern in Erwägung zu ziehen [2].

Zur Therapie im beschriebenen Fall wurden 2 unterschiedliche Verfahren gewählt, bedingt durch unterschiedliche Lokalisation und Genese des EIG an beiden Augen. Im rechten Auge konnten Epithelzellen durch den Cap-Riss in das Interface gelangen und sich in zentralen, direkt visusrelevanten Bereichen ansiedeln. Links hingegen handelte es sich am ehesten um eine Versprengung von Epithelzellen durch vermehrte Manipulation im Rahmen des primären Eingriffs. Eine Prädisposition seitens des Patienten ist möglich. Für die epitheliale Baselmembrandystrophie, die in der Literatur beschrieben wird, zeigten sich jedoch prä- und postoperativ keine klinischen Anzeichen [5].

Das zentrale EIG mit Bedeckung der visuellen Achse und Sehverschlechterung (Tab. 1) stellte die Interventionsindikation am rechten Auge dar, die aufgrund der Symptomatik vollständig entfernt wurde. Um den für das EIG ursächlichen Cap-Riss nicht erneut zu öffnen, wurde der „Semi-Flap“ geschaffen anstelle der klassischen Therapie durch die primäre Inzision, um ohne Spannung auf die Wundränder des Cap-Risses Epithel zu entfernen. Am linken Auge war Hauptindikation für die Nd:YAG-Laser-Behandlung die Progression Richtung Pupillenrand sowie ein mit der EIG auftretender (irregulärer) Astigmatismus (Abb. 3). Aufgrund der geringen Symptomatik wurde die nichtinvasive Therapie gewählt, um Infektionsrisiken und EIG-Rezidiv durch die Operation zu vermeiden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es für EIG nach Laser-Lentikel-Extraktion mit der mechanischen Entfernung durch die primäre Inzision zwar einen Goldstandard gibt, jedoch können in Einzelfällen alternative Behandlungsstrategien wie die (Teil‑)Eröffnung des Caps und die YAG-Laserbehandlung in Betracht gezogen werden. Neben Berücksichtigung morphologischer Parameter wie Lokalisation und Dynamik der Veränderung sind, wie stets, gute Kommunikation und Aufklärung des Patienten entscheidend für einen bestmöglichen Verlauf.