Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Diagnose eines Pterygiums stellt in der Regel keine besondere Herausforderung für einen Facharzt dar. Auch die Ursachen und die Therapie scheinen hinreichend bekannt zu sein. Außerdem ist das Pterygium in Deutschland, anders als z. B. in Australien oder der Türkei, keine Volkskrankheit und macht sicherlich nur einen Bruchteil unserer Sprechstunde aus. Warum also eine derartige Randerscheinung zum Leitthema machen?

Die Realität widerspricht diesen pauschalen Ansichten. Als Herr Cursiefen und ich im Rahmen der Tagung der Augenärztlichen Akademie Deutschland (AAD) 2009 einen Kurs zum Thema „Pterygium“ anboten, war dieser nahezu ausverkauft. Wie kommt das? Ich sehe diese Entwicklung v. a. im Licht einer sich verändernden multikulturellen Gesellschaft, genauso wie in den neu aufkeimenden Möglichkeiten, die Progression eines Flügelfells medikamentös zu beeinflussen bzw. seine Rezidivrate zu verringern.

In dem ersten Artikel dieser Reihe gehen Droutsas u. Sekundo der Frage der Epidemiologie, der Prävalenz und der Prophylaxe nach. Sie bestätigen das, was wir alle schon früher gewusst haben: Vor allem die Sonnenexposition sei für die Entstehung eines Pterygiums verantwortlich. Doch auch die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) wird den UV-Strahlen angelastet. Ist hier eine Komorbidität zu erwarten? Der Pterygiumgürtel um den Äquator herum zeigt die höchsten Prävalenzraten, sodass die meisten Studien auch aus diesen Regionen kommen. Rechnerisch gesehen dürften wir in Deutschland, das trotz der globalen Erwärmung verhältnismäßig wenig Sonne – und das unter einem schrägen Einfallswinkel – genießt, praktisch keine Pterygien sehen. Dennoch leiden rund 2% der Bevölkerung, also rund 1,6 Mio., darunter. Es gibt keine validen epidemiologischen Studien aus Deutschland, sodass alle Zahlen Hochrechnungen sind und die gefühlte Inzidenz sehr stark von der Einrichtung und der Patientenselektion abhängt: Große Kliniken sehen mehr operationswürdige Befunde als nichtoperativ oder operativ ausgerichtete ambulante Praxen, deren Domäne hauptsächlich in der Kataraktchirurgie liegt.

Obwohl im Jahr 2009 zum ersten Mal mehr Menschen Deutschland verlassen haben als eingewandert sind, ist unser Land eine Zuwanderungsgesellschaft. Die demografische Alterung unserer Gesellschaft macht eine weitere Zuwanderung notwendig, sollte der Standort Deutschland weiterhin weltweit mit an der Spitze bleiben [1]. Somit kommt auf die Augenärzte eine vermehrte Versorgung von Krankheitsbildern zu, die nicht unbedingt hierzulande endemisch sind. So verzeichnet die Augenklinik der Philipps-Universität Marburg eine leicht steigende Tendenz der Pterygiumoperationen. Dabei operieren wir Pterygien größtenteils bei Spätaussiedlern. Entgegen ihrer landläufigen Bezeichnung als Russlanddeutsche kommen diese Menschen nur selten aus Russland, sondern v. a. aus dem asiatischen Teil der ehemaligen Sowjetunion. Somit bestätigt sich die von Droutsas u. Sekundo erwähnte These, dass die UV-Belastung, gepaart mit geringerer Pigmentierung, zu einer höheren Pterygiumentstehungsrate führt. Spricht man mit Kollegen aus dem Ruhrgebiet, so zeigen v. a. Bewohner aus den Mittelmeeranrainerstaaten dieses Krankheitsbild: eine Folge der Zuwanderungspolitik der 1960er und 1970er Jahre. Wie dem auch sei, Pterygiumtherapie ist aktuell.

In dem zweiten Beitrag dieser Reihe erläutern Heindl u. Cursiefen die wichtige Frage „Wann soll ich intervenieren und wie?“ Sie schildern die gesamte Palette der Beschwerden, ergänzt durch reichhaltiges Bildmaterial. Besonders interessant erscheinen mir die dort diskutierten Ansätze zur antiinflammatorischen und antiangiogenetischen Therapie: „Vascular-endothelial-growth-factor“- (VEGF-)Hemmer und weitere Antikörper gegen korneale Vaskularisation. Ein lesenswerter Beitrag mit innovativen Ideen.

Im letzten Beitrag aus dieser Reihe erläutern Sekundo et al. die chirurgische Vorgehensweise bei primären und rezidivierenden Pterygien. Obwohl in Medline unter „Pterygium surgery, ophthalmology“ über 370 Arbeiten zu verzeichnen sind [2], gibt es keine eindeutige und ausschließliche Empfehlung zur operativen Vorgehensweise. Sogar in der Vorgehensweise der beiden hier vertretenen und miteinander kooperierenden Arbeitsgruppen der Erlangener und Marburger Universitätskliniken gibt es Abweichungen im Hinblick auf die Aggressivität der adjuvanten Therapie bei der Erstresektion. Gleichwohl sind wir uns einig, dass die „Bare-sclera“-Technik obsolet und die Deckung mit einem freien Bindehauttransplantat wohl die am häufigsten benutzte Technik ist. Neben den etablierten Verankerungsmethoden mittels Nahtmaterial nimmt die Klebung an Popularität zu. Auch die Vorgehensweise bei den schwierigen rezidivierenden Situationen wird erläutert und kontrovers diskutiert.

Summa summarum findet der Leser in dieser Ausgabe von Der Ophthalmologe eine Mischung aus Bewährtem, Neuem und Klinisch-Experimentellem. Wir hoffen, im Kontext der Rekapitulation des Lehrbuchwissens, neue Anregungen an die Hand zu geben, und fordern Sie auf, diese kritisch aufzugreifen. Für Rückfragen ist am Ende jedes Artikels die E-Mail-Adresse des Korrespondenzautors aufgeführt.

Mit besten kollegialen Grüßen

Prof. Dr. Walter Sekundo