Klinisch-pathologische Sonderstellung des Urothelkarzinoms

Das Urothelkarzinom ist in großen populationsbezogenen Registern der fünfthäufigste Tumor, jedoch zählt es in gesundheitsökonomischen Überlegungen auf Grund der vielfältigen medizinischen Interventionen und langjährigen intensiven Nachsorge zu den kostenintensivsten. Nach wie vor gibt es keine evidenzbasierte Früherkennungsstrategie, obwohl die vorhandenen nichtinvasiven Marker (zellbasierte ebenso wie diverse Proteine) paradoxerweise höhere Sensitivität und Spezifität aufweisen als etwa der Einsatz von PSA beim Prostatakarzinom. Ebenso fehlen selektive Indikatoren für die Risikostratifizierung und individuelle Prognostik. Aus diesen Besonderheiten heraus und wegen der guten Zugänglichkeit zur konsekutiven Gewebegewinnung hat sich in den letzten Jahren eine Fülle neuer Erkenntnisse aus der molekularen Pathologie zum Urothelkarzinom ergeben, die viele Felder der oben beschriebenen Merkmale berühren und Konsequenzen für die klinisch-pathologische Klassifikation und Diagnostik provozieren. Die pathologische Klassifikation wurde nach einer längeren Phase der Stabilität [8] relativ kurzfristig mehrfach modifiziert [3]; eine weitere Umformulierung ist in Vorbereitung. Es erscheint daher reizvoll zu fragen, wie weit die neuen molekularen Konzepte zur Tumorentwicklung und -progression in die Klassifikationsprinzipien der histologischen Diagnostik eingehen, um damit die beschriebenen offenen klinisch-pathologischen Fragestellungen zu lösen.

Zentrale molekularpathologische Prinzipien zur Pathogenese und Progression des Urothelkarzinoms

Zwei Pathways

Auf Grund vielfältiger valider Befunde herrscht übereinstimmend die Vorstellung, dass sich das Urothelkarzinom in zwei unterschiedlichen molekularen Entwicklungswegen ausbildet (Abb. 1): einerseits der nichtinvasive, niedrig-maligne papilläre Tumor über den Weg der Urothelhyperplasie mit charakteristischen chromosomalen Deletionen und Mutationen, andererseits der invasive Tumor höheren Malignitätsgrades aus dem Carzinoma in situ des Urothels mit früh auftretenden Mutationen von p53.

Abb. 1
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Duale Pathogenese des Urothelkarzinoms

Klonalität

Viele Analysen haben sich mit der klonalen Entwicklung metachroner Urotheltumoren beschäftigt. In Auseinandersetzung mit der vorherrschenden Feldtheorie von L. Koss [5], nach welcher unterschiedliche Felder des Urothels unabhängig voneinander individuelle Progressionsmuster und -geschwindigkeiten entwickeln, erlangte man die Erkenntnis, dass zumindest ein großer Teil der Urothelkarzinome monoklonal entsteht und sich so auch über die anatomischen Räume hinaus ausbreitet, z. B. aus der Harnblase in das Nierenbecken [10], wenn auch in späteren Phasen der Tumorentwicklung eine klonale Evolution feststellbar ist, die die ursprüngliche monoklonale Natur überdeckt. In jedem Fall impliziert die Vorstellung einer intraluminalen bzw. intraepithelialen Motilität (Abb. 2) neue Überlegungen sowohl zur zellbiologischen Ausstattung dieser wandernden Vorläufer- oder Tumorzellen als auch zu ihrer klinisch-pathologischen Einschätzung. Hieraus ergeben sich neue und interessante Forschungsansätze, auch im Hinblick auf eine hier eventuell zu beobachtende Stammzelleigenschaft.

Abb. 2
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Intraepitheliale Motilität (a) und/oder intraluminale Metastasierung (b)

Molekulare Befunde bei histologisch-benignen Veränderungen

Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass histologisch als benigne eingestufte Befunde (z. B. Hyperplasie des Urothels) molekulare Veränderungen aufweisen, die analog zum synchron nachweisbaren Tumor (Deletion 9p und 9q; [9]) sind. Diese Deletion scheint vor der Mutation des FGFR („fibroblast growth factor receptor“) aufzutreten [11].

Invasion als dominanter biologischer Faktor aus molekularpathologischer Sicht

Insbesondere Expressionsanalysen invasiver und nichtinvasiver Urotheltumoren haben übereinstimmend gezeigt, dass sich die Signaturen von nichtinvasiven Tumoren (pTA) signifikant von denen der invasiven unterscheiden. Dabei zeigen pT1-Karzinome weitgehend Ähnlichkeit mit pT2-Tumoren [12]. Eine besondere Rolle kommt bei den nichtinvasiven Tumoren offenbar dem FGFR zu, der in über 70% der Fälle eine aktivierende Mutation (meist in der extrazellulär gelegenen, von Exon 7 kodierten immunglobulinähnlichen Kette) aufweisen. Er aktiviert den Ras-Raf-Reaktionsweg, wobei Ras-Mutationen streng komplementär zu denen des FGFR auftreten.

Mögliche Auswirkungen molekularpathologischer Befunde und Konzepte auf die histopathologische Klassifikation und Diagnostik

Grading

Die langjährigen Diskussionen der Histopathologie um eine möglichst präzise und der klinischen Behandlung dienliche Klassifikation der Urotheltumoren waren in erster Linie bestimmt durch die Suche nach einem optimalen Gradingsystem. Dieses sollte einerseits eine tolerable diagnostische Variabilität durch stabile Definitionen der morphologischen Veränderungen ermöglichen, andererseits sollte es den klinischen Anforderungen (Therapie, Prognostik) entsprechen. Das langjährig verwendete WHO-System 1973 wurde zu Recht wegen seiner zu knappen Definition der zugrundeliegenden diagnostischen Kriterien beanstandet. Die folgenden Klassifikationssysteme (Abb. 3) haben zu präziseren und stabilen Definitionen der Tumoren (und der flachen Läsionen) geführt, konnten jedoch die Aufsplitterung in mehrere Stufen des Gradings nicht reduzieren und haben damit die Variabilität in der Diagnostik eher erhöht [2].Zudem findet der Begriff der PUNLMP wenig Akzeptanz. Letztlich ist die Evidenz aus dem klinischen Verhalten heraus für diese Klassifikation gering und oft nur indirekt belegt.

Letztlich bleibt der Widerspruch zwischen der viergliedrigen Klassifikation der nichtinvasiven Tumoren in der Histopathologie und dem Konzept der dualen Pathogenese aus den Daten der molekularpathologischen Forschung bestehen. Die klinischen Verlaufsdaten können das mehrstufige Grading nur bedingt als autonomen Prognoseparameter rechtfertigen. Aus den von Expressionsanalysen stammenden Signaturen invasiver und nichtinvasiver Urotheltumoren würde sich im Gegensatz zu den oben beschriebenen Klassifikationsfragen des Gradings die Forderung erheben, der exakten Diagnostik der frühen Invasion des Urothelkarzinoms ein größeres Augenmerk und Forschungsinitiativen zu widmen.

Abb. 3
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Grading der nichtinvasiven Urotheltumoren

Flache Läsionen

Auch der Nachweis von tumoranalogen molekularen Veränderungen [9] in als benigne verstandenen flachen Läsionen (Hyperplasie, Dysplasie) ist von erheblicher Bedeutung für die Histopathologie, zumal diese Läsionen durch moderne Verfahren der fluoreszenzbasierten Biopsie im Untersuchungsmaterial häufig sind. Eine abschließende Bewertung des klinisch-biologischen Verhaltens liegt allerdings noch nicht vor, ebenso fehlt ihr der klinisch-pathologische Einsatz für die exaktere Diagnose Dysplasie bzw. urotheliale intraepitheliale Neoplasie. Am Beispiel des Carzinoma in situ des Urothels lehren die molekularen Befunde, dass der Begriff frühe Läsion, die häufig für diese Veränderungen verwendet wird, irreführend ist – die Chronologie der morphologischen Tumorpräsentation entspricht nicht jener der molekulargenetischen Evolution [4]. Umso wichtiger wäre eine klare Abgrenzung der Dysplasie bzw. der Dysplasie unklarer Signifikanz.

Wie bei anderen Tumoren konzentriert sich das Interesse bei den fortgeschrittenen (muskelinfiltrierenden) Tumoren weniger auf eine weitere mikroskopische Feindifferenzierung, sondern auf die präzisere Vorhersage für das Ansprechen bzw. Nichtansprechen auf spezifische Therapieformen. Viele der oben besprochenen, in der Pathogenese wichtigen molekularen Faktoren sind hierbei als Therapieprädiktor oder als „target“ von Bedeutung. So konnte gezeigt werden, dass durch die Hemmung der Signaltransduktion des mutierten FGFR3 durch siRNA, sog. „small molecules“ (SU 5402) [1] oder humanisierte Antikörper [6], die Proliferation und Klonogenität von Urothelkarzinomzellen in vitro reduziert werden kann. So könnte der FGFR ein „target“ zur Rezidivprophylaxe papillärer Tumoren darstellen. Auf der anderen Seite dient der immunhistochemische Nachweis von p53 als Indikator für das Ansprechen des Tumors auf systemische Chemotherapie [7].

Fazit für die Praxis

Zusammenfassend kann die eingangs gestellte Frage, ob die diagnostische Histopathologie von der molekularen Pathologie lernt, bedingt bejaht werden. Die Bemühung, die Kategorien des Gradings auf niedrig- und hoch-maligne papilläre Tumoren zu reduzieren, wird von den molekularen Befunden klar unterstützt. Die Ergebnisse der Molekularpathologie zu den flachen Läsionen des Urothels sind im Gegensatz dazu noch nicht in die praktische Diagnostik eingegangen; sie haben zwar die pathogenetische Rolle dieser Veränderungen erhellt, das diagnostische Problem der Dysplasie aber noch nicht lösen können. Die mit molekularen Methoden scharf gezogene Grenze zwischen nichtinvasiven und invasiven Tumoren widerspricht einerseits natürlich der klinischen Einteilung in oberflächliche und muskelinvasive Tumoren, stellt aber andererseits an die diagnostische Histopathologie die Forderung nach gesteigerter Präzision in dieser Differenzialdiagnose. Dem kommt ja auch die WHO-Klassifikation 2004 deutlich nach, wenn sie als oberste Kategorie der Tumoreinteilung des Urothelkarzinoms die Invasion nennt.