Es gibt wohl nicht wenige Menschen, die zu erledigende Aufgaben – zumindest hin und wieder – aufschieben. Ihre Aufgabenlisten werden immer länger, sie sind unzufrieden mit ihrer Arbeitssituation, fühlen sich überlastet und finden kein produktives Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung. Sie können ihre Energien und Fähigkeiten nicht adäquat nutzen und unangenehme Aspekte ihrer Arbeit nicht durch Motivation, Widerstandsfähigkeit und reale Verbesserung bewältigen. Ähnlich geht es vielen Personen, die die Spannungssituation einer Prüfung nicht als leistungsfördernden Antrieb einsetzen können, sondern durch Angst und dysfunktionale Vorbereitung unter ihren Möglichkeiten bleiben oder sogar gänzlich blockiert werden. Dabei geht es bei jeder Prüfung darum, sowohl in der Vorbereitung als auch in der Prüfungssituation Unsicherheit zu ertragen und die unvermeidliche Anspannung in ein optimales Ergebnis zu transformieren. Kurz: Leichte Arbeitsstörungen, Selbstzweifel und ein gewisses Maß an Angst gehören sowohl zur Arbeit als auch zu Prüfungen und sind daher als normal anzusehen. Häufig schränken jedoch dysfunktionale Arbeitsstile, besonders das beständige Aufschieben, „Prokrastination“ genannt, aber auch Ängste im Kontext mit Prüfungen so stark ein, dass die Betroffenen schwer beeinträchtigt sind. Prüfungsängste und Arbeitsstörungen können ein solches Ausmaß annehmen, dass sie und ihre Folgen die Kriterien für eine psychische Störung erfüllen. Sie können jedoch auch Begleiterscheinungen von anderen psychischen Störungen sein.

Das vorliegende Themenheft stellt einige theoretische und klinische Ansätze zur Diagnostik und Intervention bei diesen Problembereichen vor. Im ersten Artikel stellt Fydrich im Rahmen eines theoretischen Modells ein modularisiertes Interventionsprogramm zur Bewältigung gravierender Arbeitsstörungen und Prokrastination vor. Holm-Hadulla et al. entwickeln ein allgemeines Konzept der Beratung und Intervention, das die bekannten Prinzipien erfolgreicher Psychotherapien auf den Beratungsbereich überträgt und in ein ABCDE-Modell integriert. Es eignet sich besonders zur Beratung und Behandlung von Arbeitsstörungen und Prüfungsängsten. Auf der Basis umfassender Erfahrungen der Studierendenberatungsstelle der Freien Universität Berlin erläutert Knigge-Illner ein spezifiziertes Gruppentrainingsprogramm für Studierende mit Prüfungsängsten. Die Heidelberger Arbeitsgruppe stellt empirische Daten vor, die erkennen lassen, dass Prüfungsängste bei Studierenden in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben.

In der Rubrik Behandlungsprobleme findet sich ein Beitrag zu Goethes Studienkrise, die mit ausgeprägten Ängsten, depressiven Verstimmungen und Selbstwertproblemen einherging. Goethe entwickelte Bewältigungsformen und (Selbst-)Behandlungsstrategien, die auch für heutige Leserinnen und Leser höchst interessant sind.